Der Chier

Ich hatt' ein schönes Schloß mit hohen, blanken Zinnen,
Und mancherlei Geschirr von Gold und Silber drinnen;
Und wenn ich von dem Dach hinab mein Auge schickte,
War alles meine Flur, was es rundum erblickte.
Ich hatt' ein edles Weib, die Flamme meiner Jugend,
Die Herrin jeder Huld, das Abbild aller Tugend.
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Drei Söhne hatt' ich auch in rother Knabenblüthe,
In deren klarem Blick ein Hoffnungsmorgen glühte,
Der einen Tag verhieß von reiner, steter Sonne.
Ich hatt' ein Töchterlein, der Mutter bange Wonne,
Halb Jungfrau und halb Kind, ein Röslein, das die Schale
Der Knospe scheu und froh durchblickt zum ersten Male. –
Nun hab' ich nichts, als mich und eine scharfe Klinge,
Und wenn ich meinen Stahl auf die Barbaren schwinge,
Fühl' ich mich wunderreich. Bald hab' ich alles wieder,
Wann um mich weit und breit zerstückte Türkenglieder,
Zu Bergen aufgehäuft, als Rachemahle prangen.
Dann ist es satt getränkt, das brünstige Verlangen
Nach meinem edlen Gut, und über meinen Schätzen
Lieg' ich dahingestreckt, nicht todt daran zu letzen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Der Chier. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-57F2-7