[23] Johannes und Esther

(Im Frühling zu lesen.)

Christnacht

Durch die Fenster seh' ich's flimmern,
Grün und Gold und Kerzenschein,
Jauchzend hör' ich durch die Laden
Helle Kinderstimmen schrein.
Schmetternde Posaunen schallen
Von dem Kirchenthurm herab:
Lobt den Vater in der Höhe,
Der der Welt das Kindlein gab!
Herz, mein Herz, wie bist so selig?
Herz, mein Herz, und so allein?
Unsre Gaben, unsre Wünsche,
Dürfen wir sie Keinem weihn?
Eine weiß ich wohl zu finden,
Der ich Vieles gönnen mag;
Offen steht mir ihre Pforte,
Und es kennt mich ihr Gemach.
Aber in dem stillen Hause
Brennt kein festlich helles Licht,
Und im schwarzen Wochenkleide
Sitzt sie da und freut sich nicht.
[24]
Ach, ihr ist er nicht geboren,
Der in dieser sel'gen Nacht
Freud' und Fried' und Wohlgefallen
Hat zu uns herabgebracht.
Seine Liebe, seine Leiden
Dringen nicht zu ihr hinein:
Über ihre zarte Seele
Herrschet ein Gesetz von Stein.

Gebet in der Christnacht

O Liebe, die am Kreuze rang,
O Liebe, die den Tod bezwang
Für alle Menschenkinder,
Gedenk' in dieser sel'gen Nacht,
Die dich zu uns herabgebracht,
Der Seelen, die dir fehlen!
O Liebe, die den Stern gesandt
Hinaus in's ferne Morgenland,
Die Könige zu rufen;
Die laut durch ihres Boten Mund
Sich gab den armen Hirten kund,
Wie bist du still geworden?
Noch eine fromme Hirtin liegt
In blinden Schlummer eingewiegt,
Und träumt von grünen Bäumen.
Singt nicht vor ihrem Fensterlein
Ein Engel: Esther, laß mich ein,
Der Heiland ist geboren?

Vereinigung

Wenn ich nur darf in deine Augen schauen,
In deine klaren, treuen, frommen Sterne,
So fühl' ich weichen das geheime Grauen,
Das Lieb' und Liebe hält in stummer Ferne.
[25]
Und unsre Herzen wollen sich begegnen
In langen Blicken, die mit Thränen ringen,
Und unsre Liebe will ein Engel segnen:
Er schlägt um uns die weichen, warmen Schwingen.
Nach seinem Namen wag' ich nicht zu fragen,
Noch nach dem Namen dessen, der ihn sendet;
Ich darf ja wieder weinen, wieder klagen:
Fürwahr, mich hat kein eitler Wahn geblendet!

Die Passionsblume

Hochgebenedeite Pflanze,
Deren schöner Blüthenstern
Uns in mildem, weißem Glanze
Zeigt das Marterthum des Herrn;
Voller Blüthen seh' ich immer
Dich vor ihrem Fenster stehn:
Willst du denn, als eitler Schimmer,
Nur in Farb' und Duft vergehn?
Ward dir kein geheimes Leben
Unverwelklicher Natur
Von dem Heiland eingegeben,
Der dich pflanzt' in unsre Flur,
Als ein Bild von seinen Leiden,
Seinem bittern Liebestod,
Daß daran wir sollen weiden
Unsre Seel' in Lust und Noth?
Hast du nicht in stillen Stunden,
Heil'ge Blum', ihr zugehaucht
Das Geheimniß von den Wunden,
Von dem Dorn in Blut getaucht?
Esther schläft, und Träume schließen
Auf der reinen Seele Schrein:
Laß aus deinem Sterne fließen
Einen Strahl zu ihr hinein!

[26] Purim

Was meint sie mit dem Aschenkleide
An diesem freudenreichen Tag,
Wo Alles gern in Sammt und Seide,
In Gold und Steinen prangen mag?
Es schwimmt das festlich bunte Zimmer
In hoher Kerzen Duft und Schein:
Sie schleicht sich aus der Freude Schimmer,
Und steht am Fenster ganz allein.
Da legt sich, wie ein weißer Schleier,
Des Mondes Strahl um ihr Gesicht,
Und eine stille, tiefe Feier
Aus ihren sel'gen Augen spricht.
O wär' ich aus den Truggestalten
Der wilden, blinden Maskenlust,
Und dürfte meine Hände falten
Entlarvt im Tempel ihrer Brust!

Vor ihrem Fenster

Wie freut es mich, in dunkeln Abendstunden
Vor deinem hellen Fenster still zu stehn!
Den Vorhang find' ich hoch hinaufgewunden,
Frei darf mein Blick in seinen Himmel sehn.
Die Blumen, die sich an die Rahmen schmiegen,
Umschlingen mir dein Bild mit ihrem Kranz,
Und meines Odems Hauche überfliegen
Mit trübem Nebelduft der Scheiben Glanz.
Da sitzest du, so still und unbefangen,
Das schöne Haupt gestützt auf deinen Arm,
Und ich bin dir so nah mit Lust und Bangen,
Mit meiner Wünsche ungestümem Schwarm.
[27]
Du schauest her: es wissen deine Augen
Vom süßen Zauber ihrer Blicke nicht,
Wie meine sich aus ihnen trunken saugen,
Und hell erglühen nur von ihrem Licht.
Du ahnest nicht, wie sich mein ganzes Leben
Gleich einem Mond um deine Sonne dreht,
Der bald sich will auf stolzen Strahlen heben,
Bald tief gebeugt in Thränen untergeht.
Still, still, mein Herz! Was meint dein wildes Schlagen?
Schau' über dich, der Himmel ist nicht fern;
Und Flammen, die aus Sternen fallen, tragen
Der Menschen Seufzer vor den Thron des Herrn.

Die Lauberhütte

Sei mir gegrüßt, du Holde,
In deinem grünen Zelt!
Hier seh' ich erst dich blühen,
Hier blühet deine Welt.
Mir ist's, als ob ich träte
In ein gelobtes Land,
Als hätten sich die Schritte
Der Zeiten umgewandt.
Entlaubt sind unsre Bäume,
Verblüht ist unser Feld:
Hier seh' ich Lenz und Sommer
Als Brüder froh gesellt.
Der Herbst auch ist gezogen
In dieses schöne Haus,
Und sucht für seine Früchte
Sich Blumenstengel aus.
So prüfen Duft und Schimmer
Wetteifernd ihre Macht:
Es flammen hohe Kerzen
Wie Sterne durch die Nacht.
[28]
Und aus den blanken Becken
Steigt Weihrauch stolz empor:
Da trauert manche Rose,
Die ihren Duft verlor.
Du siehst mich an, Geliebte,
Und mir versagt das Wort:
Du wirst mich nicht verstehen
An diesem Zauberort.
Wie solltest du mir folgen
In trübe, kalte Luft,
Aus deinem Vaterlande
Voll Gluth und Glanz und Duft?

Der Perlenkranz

Ein Kränzlein möcht' ich sehen
Gewunden um dein Haupt,
Nicht bunt von Sommerblumen,
Nicht immergrün belaubt.
Von hellen, weißen Perlen
Soll es geflochten sein:
Durch deine schwarzen Locken
Fließ' es wie Sternenschein.
Neige dein Haupt, du Liebe,
Lös' auf dein langes Haar!
Kennst du die Perlenkrone,
Durchsichtig, wasserklar?
Bebt Ahnung dir im Herzen?
O glaube, was sie spricht.
Laß auf dein Haupt mich weinen:
Tauft denn die Thräne nicht?

[29] Maria

Maria möcht' ich dich begrüßen,
Mein Herz hat stets dich so genannt. –
Seh' ich ein klares Bächlein fließen,
Setz' ich mich still an seinen Rand:
Maria, rieseln seine Wogen,
Maria soll ihr Name sein;
Ein weißes Täubchen kommt geflogen,
Schwebt über mir im Sonnenschein.
Geliebte, hast du nichts vernommen,
Wie Orgelton und Wasserfall?
Der heil'ge Jordan kommt geschwommen
Durch Berg und Meer mit Jubelschall.
Der Geist des Herrn schwingt sein Gefieder
Und ruft: Wo ist die Tochter mein?
Tauch' in die Liebesfluthen nieder:
Maria soll dein Name sein!

An Johannes

Aus deiner Brust hab' ich empor gesungen
Verschwiegner Liebesflammen Lust und Schmerz,
Und von den Klängen fühl' ich nun durchdrungen
Mit tiefer Regung fast mein eignes Herz.
Der Frühling naht: schon trägt man aus dem Hause
Die Blumen an das freie Tageslicht;
Und länger bleiben auch in ihrer Klause
Die Winterblüthen meiner Muse nicht.
Gedeihen muß die Lenzluft ihnen geben
Und junges Grün und frischen Knospendrang,
Auf daß sie sich befreunden mit dem Leben,
Und werben nach der Leute Lob und Dank.
So ziehn sie aus im Duft und Glanz des Maien,
Bekränzt mit schwarzem Leid und bunter Lust;
Und will der Winter sie mit Schnee bestreuen,
So flüchten sie zurück in deine Brust.

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Johannes und Esther. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5880-E