[205] Neue Lieder der Griechen
Zweites Heft

Hydra

Hoher, steiler, fester Felsen, darauf Hellas Freiheit ruht!
Seh' ich deine Wolkengipfel, steigt mein Herz, und wallt mein Blut.
Hoher, steiler, fester Felsen, den des Meeres Wog' umbraust,
Über dessen kahlem Scheitel wild die Donnerwolke saust!
Aber in das Ungewitter streckst du kühn dein Haupt empor,
Und es wankt nicht von dem Schlage, dessen Schall betäubt das Ohr;
Und aus seinen tiefsten Höhlen schleudert das erboste Meer
Wogenberg' an deine Füße, doch sie stehen stark und hehr,
Schwanken nicht, so viel die Tanne schwankt im linden Abendhauch,
Und die Wogenungeheuer brechen sich zu Schaum und Rauch.
Hoher, steiler, fester Felsen, darauf Hellas Freiheit ruht!
Hydra, hör' ich deinen Namen, steigt mein Herz, und wallt mein Blut;
Und mit deiner Segel Fluge schwebt in's weite Meer mein Geist,
Wo der Wind, wo jede Welle jubelnd deine Siege preist.
Ist Athen in Schutt zerfallen, liegt in Staub Amphions Stadt,
Weiß kein Enkel mehr zu sagen, wo das Haus gestanden hat,
Dessen Ziegel nach dem feigen Sohne warf der Mutter Hand,
Als er ohne Kranz und Wunde vor der Thür der Heldin stand:
[206]
Laßt die Thürm' und Mauern stürzen; was ihr baut, muß untergehn:
Ewig wird der Freiheit Felsen in dem freien Meere stehn!

Bobolina

Bobolina, Bobolina, Königin der Meeresfluth!
Wie erglühen rings die Wogen um dich her so roth von Blut!
Wie dein schwarzer Witwenschleier stolz als Kriegsflagge weht,
Und mit tausend Argusaugen auf dem Mast die Rache steht!
Um sich späht sie durch die Meere, durch die Inseln, durch das Land,
Und es weint ihr jedes Auge, das noch keine Beute fand.
Bobolina, Bobolina! Durstig ist die Meeresfluth,
Durstig sind des Schiffes Balken, durstig sind wir all' nach Blut.
Horch, und aus der Wogen Grunde hallt ein dumpfer Geisterlaut:
Schütte Blut mir in die Tiefe, Bobolina, meine Braut!
Einen Bach für jeden Tropfen, der aus meinem Herzen sprang,
Als der Dolch der Henkersknechte des Tyrannen es durchdrang.
Bobolina, Bobolina, führ' uns in den Kampf hinein!
Hörst du nicht vom hohen Maste jubelnd schon die Rache schrein?
Sausend schwellen deine Segel, und das schwarze Schleiertuch
Flattert rauschend durch die Lüfte, wie des Leichenvogels Flug.
Bobolina, Bobolina, gieb das Zeichen zu dem Streit.
Warte nicht auf andre Boten! – Türkensegel sind nicht weit.

Der Mainottenknabe

Mutter, meinen Pfeil und Bogen werf' ich vor die Füße dir!
Nach den Scheiben und den Puppen noch zu schießen, ekelt mir.
[207]
Laß den Vater Türkenköpfe doch mir schicken aus dem Feld,
Dann, dann, Mutter, sollst du sehen, daß ich bin ein Schützenheld!
Hat vielleicht mein edler Vater zu dem Schicken keine Zeit,
Ei, so geh' ich selbst hinunter, wo er steht im heißen Streit,
Schneide mir mit meinem Messer selber ab den besten Kopf,
Und herauf nach unsern Bergen trag' ich ihn an seinem Schopf.
Das soll eine Freude werden! Alle Kinder ruf' ich her,
Alle spannen ihren Bogen, alle laden ihr Gewehr.
Wenn ich dann das Ziel nicht treffe, Mütterchen, so sperr' mich ein,
Und laß lange Weiberröcke meine Sonntagskleider sein!

Die Suliotin

Ich hab' die Spindel lang' gedreht, hab' manche Winternacht
Gewebt am Stuhl, und froh dabei an's neue Kleid gedacht.
Ich hab' die Heerden auf den Höhn gehütet manchen Tag,
Und bin geklettert ohne Noth den jungen Ziegen nach;
Ich habe meinen Kleinen auch manch Kinderspiel gezeigt,
Und Sprung und Lauf und Schuß und Wurf ward mir mit ihnen leicht.
Jetzt schleif' ich einen Stahl für mich und drehe Sennen mir –
Mein Herr, mein Hort, mein Herz, o nimm mich in den Kampf mit dir!
Ich kenne jeden Felsenpfad auf Suli's steilen Höhn,
Und wo die flinke Gemse zagt, da kann ich sicher stehn.
Hast du noch nicht gesehn, was ich vermag im Sprung und Lauf,
Wohlan, so gieb ein Probestück mir mit den Männern auf!
Und eine Klippe zeige mir auf Suli weit und breit,
Die ich dir nicht erklettern kann zu aller Frauen Neid.
Den Vogel treff' ich in der Lust, wo's gilt nur einen Scherz –
Meinst du, verfehlen könnt' ich ja des großen Feindes Herz?
Mein Herr, mein Hort, mein Herz, o nimm mich in den Kampf mit dir!
Mein Töchterchen kann spinnen schon. – Was sitz' ich länger hier?
[208]
Mein jüngster Knabe steht allein. – Was ist mein Arm ihm werth?
Mein ältester geht auf die Jagd. – Was sorg' ich für den Herd?
Mit dir, mit dir will ich ins Feld! da hab' ich meinen Stand,
Bei dir, bei dir, da, Brust an Brust, da, Liebster, Hand in Hand!
Und sollt' ich fallen, sieh nicht hin, und denke nicht an mich,
Denk an den Feind, denk an den Kampf, und denke, Herz an dich,
An unsre Kinder, an dein Haus, an Suli's heil'ge Höhn,
An unsres Gottes Tempel, die auf ihren Gipfeln stehn,
An deiner Heldenväter Staub, und dann an eine Gruft
Für mich, für dich, in freier Erd' und unter freier Luft!

Lied vor der Schlacht

Wer für die Freiheit kämpft und fällt, deß Ruhm wird blühend stehn,
So lange frei die Winde noch durch freie Lüfte wehn,
So lange frei der Bäume Laub noch rauscht im grünen Wald,
So lang' des Stromes Woge noch frei nach dem Meere wallt,
So lang' des Adlers Fittig frei noch durch die Wolken fleugt,
So lang' ein freier Odem noch aus freiem Herzen steigt.
Wer für die Freiheit kämpft und fällt, deß Ruhm wird blühend stehn,
So lange freie Geister noch durch Erd' und Himmel gehn.
Durch Erd' und Himmel schwebt er noch, der Helden Schattenreihn,
Und rauscht um uns in stiller Nacht, in hellem Sonnenschein,
Im Sturm, der stolze Tannen bricht, und in dem Lüftchen auch,
Das durch das Gras auf Gräbern spielt mit seinem leisen Hauch.
In ferner Enkel Hause noch um alle Wiegen kreist
Auf Hellas heldenreicher Flur der freien Ahnen Geist;
Der haucht in Wunderträumen schon den zarten Säugling an,
Und weiht in seinem ersten Schlaf das Kind zu einem Mann.
Den Jüngling lockt sein Ruf hinaus mit nie gefühlter Lust
[209]
Zur Stätte, wo ein Freier fiel, da greift er in die Brust
Dem Zitternden, und Schauer ziehn ihm durch das tiefe Herz:
Er weiß nicht, ob es Wonne sei, ob es der erste Schmerz.
Herab, du heil'ge Geisterschaar, schwell' unsre Fahnen auf,
Beflügle unsrer Herzen Schlag und unsrer Füße Lauf!
Wir ziehen nach der Freiheit aus, die Waffen in der Hand,
Wir ziehen aus auf Kampf und Tod für Gott, für's Vaterland.
Ihr seid mit uns, ihr rauscht um uns, eur Geisterodem zieht
Mit zauberischen Tönen hin durch unser Jubellied.
Ihr seid mit uns, ihr schwebt daher, ihr aus Thermopylä,
Ihr aus dem grünen Marathon, ihr von der blauen See
Am Wolkenfelsen Mykale, am Salaminerstrand,
Ihr all' aus Wald, Feld, Berg und Thal im weiten Griechenland!
Wer für die Freiheit kämpft uns fällt, deß Ruhm wird blühend stehn,
So lange frei die Winde noch durch freie Lüfte wehn,
So lange frei der Bäume Laub noch rauscht im grünen Wald,
So lang' des Stromes Woge noch frei nach dem Meere wallt,
So lang' des Adlers Fittig frei noch durch die Wolken fleugt,
So lang' ein freier Odem noch aus freiem Herzen steigt.

Die Könige und der König

Die auf der Erde Thronen mit Schwert und Zepter stehn,
Sie winken: fort von dannen! sobald sie uns ersehn.
Sie wollen uns verschließen die Häfen und das Land,
Sie wollen uns verschließen Ohr, Auge, Herz und Hand.
Der auf des Himmels Throne mit Kreuz und Palme steht,
Er winkt und ruft: Mir nahet, die ihr in Thränen geht!
zu mir kommt, ihr Betrübten! Ich bin an Troste reich,
Ich habe Augen, Ohren, hab' Wunden auch für euch.
Heil uns! Wir schauen fürder nicht mehr nach Nord und West;
Ob uns in West und Norden die Christenheit verläßt,
Christus will bei uns bleiben, und Christus ist uns nah:
Er winkt, und seine Heere sind schon zum Siege da.
[210]
Sie ziehn aus fernen Landen nicht her in trägem Zug,
Vom hohen Himmel stürzen sie mit des Blitzes Flug.
Dahin laßt uns denn schauen! Die Wolken wehren's nicht:
Durch Nacht und Dunst und Nebel des Glaubens Auge bricht.
Dahin laßt uns denn richten Herz, Aug', Ohr, Mund und Hand,
Dahin sei unser Jammer und unser Dank gesandt,
Dahin laßt Opfer steigen, und fehlt's an Weihrauchduft,
So fliegt des Feindes Flotte hoch dampfend in die Luft!

Lied des Trostes

Mit uns, mit uns ist Gott, der Herr! Drum Brüder, zaget nicht,
Wenn über unsern Häuptern auch die Wetterwolke bricht,
Die Donnerpfeile niederschießt und rothe Flammen speit!
Mit uns, mit uns ist Gott, der Herr! Zum Zagen ist nicht Zeit.
Ob unter solchen Schlägen auch der Heide niederfällt,
Die Faust geballt, das Haar gesträubt, allein auf weiter Welt,
Ob er den Boden wühlt und stampft, und in den Rasen beißt,
Und, seinen Blick zur Gruft gekehrt, verflucht den Lügengeist,
Der ihm Triumph und Heil verhieß im Kampfe für den Mond,
Und nun mit Wunden, Schmach und Tod den Gläubigen belohnt:
Wir Christen haben andern Brauch: sind auch die Hände wund,
Wir falten sie zusammen doch in unsrer letzten Stund',
Und sinken wir zur Erde hin, wir sinken auf die Knie',
Und brechen unsre Augen auch, gen Himmel brechen sie.
Mit uns, mit uns ist Gott, der Herr! Wir küssen fromm die Hand,
Die Wonn' und Sieg, die Pein und Tod auf uns herab gesandt.
Aus Noth und Tod in's Morgenroth! sei unser Feldgeschrei.
Ist es nicht ehr, dort werden wir ja Alle, Alle frei.

[211] Alte und neue Tempel

Laßt die alten Tempel stürzen! Klaget um den Marmor nicht,
Wenn die Hand des blinden Heiden seine schöne Form zerbricht!
Nicht in Steinen, nicht in Asche wohnt der Geist der alten Welt,
In den Herzen der Hellenen steht sein königliches Zelt;
Darin hat er lang' geschlafen, hat an Gestern stets gedacht
Und des Morgens ganz vergessen in dem Traum der langen Nacht.
Und vom Vater zu dem Sohne, und zum Enkel von dem Sohn
Ging aus Brust in Brust der Schläfer und bewahrte seinen Thron.
Mancher hat wohl kaum geahnet, wen er in dem Herzen trug,
Auch als der Herr der Herren sprach das große Wort:Erwacht!
Und von Hellas Bergesgipfeln in der heil'gen Osternacht
Seiner Engel Schaaren bliesen die Posaunen durch das Land,
Da, da hat der alte Schläfer jauchzend sich in uns ermannt,
Ist gefahren durch die Glieder, in das Haupt und in die Hand,
Ja, bis in die Lanzenspitze, ja, bis in des Schwertes Knauf
Zuckt er, wenn des Kriegers Rechte schwingt die freien Waffen auf.
Laßt die alten Tempel stürzen! In uns ist der alte Geist,
Der uns einen neuen Tempel, einen ewigen verheißt,
Einen Tempel des Erhalters, der den Schläfer hat bewacht,
Einen Tempel des Erweckers in der heil'gen Osternacht!

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Neue Lieder der Griechen, zweites Heft. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-58A2-2