Wanderlieder eines rheinischen Handwerksburschen

1. Auszug

Ich ziehe so lustig zum Thore hinaus,
Als ob's ein Spaß nur wär':
Das macht, es wallt Feinliebchens Bild
Gar helle vor mir her.
Da merk' ich dann im Herzen bald:
Ich sei dort, oder hier,
Ich gehe fort, ich kehre heim,
Ich ziehe doch immer zu ihr.
Und wer zu seinem Liebchen reist,
Dem wird kein Weg zu schwer,
Der läuft bei Tag und läuft bei Nacht,
Und ruht sich nimmermehr.
[32]
Und ob es regnet, ob es stürmt,
Mir thut kein Wetter weh:
Es hat mein Liebchen mir gesagt
Ein freundliches Ade!

2. Auf der Landstraße

Was suchen doch die Menschen all'
Zu Roß und auch zu Fuß?
Das wandert hin und wandert her
Zeitlebens ohn' Verdruß.
Die haben wohl kein Liebchen heim,
Und auch ihr Herz dabei:
Sie sehn mich an und wundern sich,
Daß ich so langsam sei.
Ach, wer mit jedem, jedem Fuß,
Den er setzt in die Welt hinein,
Einen Schritt von seiner Liebsten thut,
Der macht ihn gerne klein.
Wer hat das Wandern doch erdacht?
Der hatt' ein Herz von Stein;
Und wär' es heut' noch nicht bekannt,
Ich ließ' es wahrlich sein.

3. Einsamkeit

Der Mai ist auf dem Wege,
Der Mai ist vor der Thür:
Im Garten, auf der Wiesen,
Ihr Blümlein kommt herfür!
Da hab' ich den Stab genommen,
Da hab' ich das Bündel geschnürt,
Zieh' weiter und immer weiter,
Wohin die Straße mich führt.
Und über mir ziehen die Vögel,
Sie ziehen in lustigem Reihn,
Sie zwitschern und trillern und flöten,
Als ging's in den Himmel hinein.
[33]
Der Wandrer geht alleine,
Geht schweigend seinen Gang;
Das Bündel will ihn drücken,
Der Weg wird ihm zu lang.
Ja, wenn wir allzusammen
So zögen in's Land hinein!
Und wenn auch das nicht wäre,
Könnt' Eine nur mit mir sein!

4. Brüderschaft

Im Krug zum grünen Kranzea
Da kehrt' ich durstig ein:
Da saß ein Wandrer drinnen
Am Tisch bei kühlem Wein.
Ein Glas war eingegossen,
Das wurde nimmer leer;
Sein Haupt ruht' auf dem Bündel,
Als wär's ihm viel zu schwer.
Ich thät mich zu ihm setzen,
Ich sah ihm in's Gesicht,
Das schien mir gar befreundet,
Und dennoch kannt' ich's nicht.
Da sah auch mir in's Auge
Der fremde Wandersmann,
Und füllte meinen Becher,
Und sah mich wieder an.
Hei, was die Becher klangen,
Wie brannte Hand in Hand:
»Es lebe die Liebste deine,
Herzbruder, im Vaterland!«

5. Abendreihn

Guten Abend, lieber Mondenschein!
Wie blickst mir so traulich in's Herz herein?
Nun sprich, und laß dich nicht lange fragen,
Du hast mir gewiß einen Gruß zu sagen,
Einen Gruß von meinem Schatz.
[34]
»Wie sollt' ich bringen den Gruß zu dir?
Du hast ja keinen Schatz bei mir.
Und was mir da unten die Bursche sagen,
Und was mir die Frauen und Mädchen klagen,
Ei, das versteh' ich nicht.«
Hast Recht, mein lieber Mondenschein,
Du darfst auch Schätzchens Bote nicht sein,
Denn thätst du zu tief ihr in's Auge sehn,
Du könntest ja nimmermehr untergehn,
Schienst ewig nur für sie.
Dies Liedchen ist ein Abendreihn,
Ein Wandrer sang's im Vollmondschein;
Und die es lesen bei Kerzenlicht,
Die Leute verstehn das Liedchen nicht,
Und ist doch kinderleicht.

6. Morgen

In die grüne Welt hinein
Zieh' ich mit dem Morgenschein,
Abendlust und Abendleid
Hinter mir so weit, so weit!
Ei, wie roth deine Wangen sind,
Morgen, Morgen, süßes Kind!
Blümlein weinten die ganze Nacht,
Weil man dich zu Bett gebracht;
Mittag kam, der stolze Ritter,
Abend kam, der müde Schnitter,
Keinen haben sie angeschaut,
Haben still auf dich vertraut.
Und nun bist du wieder da,
Bist so freundlich, bist so nah!
Und sie richten sich empor,
Schütteln ab der Träume Flor.
Wie sie wanken, wie sie beben,
Scheu die trunknen Blicke heben!
War's dein Kuß, der sie erweckte?
War's ein Zephyr, der sie neckte?
Welcher Schrecken, welche Lust!
Mund an Mund, und Brust an Brust!
[35]
Guten Morgen, guten Morgen!
In die Winde alle Sorgen,
Alle Thränen von den Wangen,
Aus dem Herzen alles Bangen,
Alles froh und Alles frei,
Ob's der erste Welttag sei!
Auch die kleinen Waldvögelein
Wollen bei dem Feste sein,
Lassen ihre Stimmlein klingen,
Einen Gruß hinaufzusingen.
Wißt ihr, wer's am besten meint
Mit dem jungen Himmelsfreund?
Lerche sich zum Höchsten schwingt,
Und ihm grad' an's Herze sinkt.
Lerche, Lerche, einen Gruß,
Lerche, Lerche, Gruß und Kuß,
Nimm sie mit dir von uns Allen,
Und laß deine Stimme schallen,
Wenn wir dich nicht mehr ersehn,
Aus den lieben blauen Höhn!
Fischlein, Fischlein in dem See,
Wird's da unten euch zu weh?
Drang sein helles Rosenlicht
Noch in eure Tiefe nicht?
Ei, so springt einmal heraus
Aus dem düstern Wogenhaus,
Schnappt von seinen Äugelein
Einen Blick zu euch hinein,
Und die Lampen von Krystall
Zündet an mit seinem Strahl!
Morgenstund' hat Gold im Mund!
Arme Wandrer, rings und rund,
Auf und fort im Morgenschein,
Wollt ihr reiche Leute sein!

[36] 7. Frühlingsgruß

Du heller linder Abendwind,
Flieg' hin zu meinem Schatz geschwind,
Es wird dich nicht verdrießen,
Und fächl' ihr sanft um Wang' und Kinn,
Treib' deine jüngsten Düfte hin,
Und sprich: Der Lenz läßt grüßen!
Die Laute nehm' ich von der Wand,
Und schlinge drum ein grünes Band,
Ein Vöglein hört' ich schlagen;
Es schlug: Wer bindet an mit mir
Zu Lieb' und Sang ein Festturnier
In grünen Rosenhagen?
Wohl auf im hellen Mondenschein,
Durch alle Gassen aus und ein,
Mit Fiedeln und Schalmeien!
Thut auf, thut auf die Fensterlein,
Ihr Mägdlein, laßt den Frühling ein!
Dürft euch vor ihm nicht scheuen.
Er ist ein wohlgezogner Gast,
Ein Knäblein jung und blöde fast,
Auch etwas unerfahren:
Nehmt Amorn ihm als Lehrer an,
So wird er bald ein kluger Mann,
Noch eh' er kommt zu Jahren.
Du heller linder Abendwind,
Was meint zu dir das liebe Kind,
Gefällt ihr deine Kunde?
Gut' Nacht, gut' Nacht, die Fenster zu!
Der neue Gast verlangt nach Ruh',
Der Wächter bläst die Stunde.

8. Entschuldigung

Wenn wir durch die Straßen ziehen,
Recht wie Bursch' in Saus und Braus,
Schauen Augen, blau' und graue,
Schwarz' und braun' aus manchem Haus.
[37]
Und ich lass' die Blicke schweifen
Durch die Fenster hin und her,
Fast als wollt' ich Eine suchen,
Die mir die Allerliebste wär'.
Und doch weiß ich, daß die Eine
Wohnt viel Meilen weit von mir,
Und doch muß ich immer gucken
Nach den schmucken Jungfern hier.
Liebchen, woll' dich nicht betrüben,
Wenn dir Eins die Kunde bringt,
Und daß dich's nicht überrasche,
Dieses Lied der Wandrer singt.

9. Hier und dort

Mein Liebchen hat g'sagt:
Dein Sang mir behagt!
Ach, wenn ich doch selber
Ein Lied gleich wär',
Meinem Schätzchen zu Ehr'!
Da wollt' ich mich schreiben
Auf seidnes Papier,
Und wollte mich schicken
Per Post zu ihr.
Flugs thät' sie erbrechen
Das Briefchen so sein,
Und schaute schnurgrade
In's Herz mir hinein.
Und sähe und hörte,
Wie gut ich ihr bin,
Und wie ich ihr diene
Mit stetigem Sinn.
Und Liebchen thät' sagen:
Du thust mir behagen!
Und sagte und sänge
Und spielte nur mich,
Und trüge im Mund und im Kopf und im Herzen
Mich ewiglich.
[38]
Hätt' Gott mich gefragt,
Als die Welt er gemacht,
So hätt' ich ein Liebchen,
Das wäre fein hier,
Und wär sie wo anders,
So wär' ich bei ihr.
Dies Lied hat gesungen
Ein Wandrer vom Rhein.
Hier trinkt er das Wasser,
Dort trank er den Wein.

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Wanderlieder eines rheinischen Handwerksburschen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-58B0-2