[189] Lieder der Griechen
Zweites Heft

1822.

Die Pforte

Hohe Pforte, hohe Pforte! Zu dem Schatten deiner Gnade 1
Rufst zurück du die Verirrten von der Freiheit wildem Pfade.
Heil den Griechen! Heil den Christen! Wirf nur einengroßen Schatten
Über nackte Trümmerfelder, über blutgetränkte Matten,
Daß wir alle Platz gewinnen in dem schönen Zufluchtsorte,
In dem kühlen Abendschatten deiner Gnade, hohe Pforte!
Unsrer Brüder rothe Häupter, aufgesteckt auf deine Zinnen,
Rufen laut mit dir vereinigt: Eilt, den Schatten zu gewinnen!
Hohe Pforte, hohe Pforte! Rufe nur und schmiede Ketten,
Schicht' empor die Scheiterhaufen, deiner Gnade warme Betten,
Für die Armen, Nackten, Müden, die in deinen Schatten fliehen,
Flehend, in dem Sklavenjoche wieder friedlich hinzuziehen!
Rufe nur – zur Antwort schlagen unsre Waffen wir zusammen,
Lassen unsre Kreuzfahne blitzend durch die Lüfte flammen! 2
Gott mit uns! auf unsrer Fahne – Gott mit uns! in unsrem Herzen.
Wir mit Gott in Siegesjubel – wir mit Gott in Todesschmerzen!
Selig, die mit Gott gefallen! Zu der Pforte seiner Gnade
Ruft er heim die müden Streiter von des Lebens wirrem Pfade:
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In der Pforte kühlem Schatten ruhn die Herren und die Knechte,
Auf dem Dornenbett der Sünder, und in Blumen der Gerechte.
Brüder, nach der Pforte wollen wir mit festem Blicke schauen,
Ihrem Gnadenworte dürfen bis zum letzten Hauch wir trauen.
Seht die Häupter unsrer Brüder dort mit Martyrkronen glänzen!
Seht, Gregor, 3 der Protomartyr, harrt auf uns mit Siegeskränzen!
Zu der Pforte laßt uns muthig mit gezücktem Schwerte wallen –
Selig, die mit Gott gestritten! Selig, die mit Gott gefallen!

Fußnoten

1 Dieser bildliche Ausdruck ist aus der türkischen Amnestie-Proklamation genommen (Gs).

2 Das Labarum, mit dem Kreuze, aus dem Blitze fahren (Gs).

3 Der Patriarch von Constantinopel, eines der ersten Opfer [22. April 1821] für die griechische Freiheit (Gs).

Der Verbannte von Ithaka

Britten, streicht aus euren Listen meinen Namen nur heraus,
Bannet mich aus eurem Schutze, laßt verkaufen auch mein Haus!
Selber will ich mich beschützen, Gottes Himmel ist mein Dach,
Und der Freiheit Fahne folg' ich freudig bis zum Tode nach.
Hab' in ihre Werberolle schon mit meinem eignen Blut
Meinen Namen eingeschrieben, und ein Schwert ist all mein Gut.
Britten, hohe Protektoren, fragt ihr nach der FreiheitSold?
Zuckt ihr zweifelnd eure Achseln, zeigt ihr prahlend euer Gold? –
Ach, die Freiheit ist auf Erden freilich nur ein armes Weib,
Hat wohl kaum genug, zu kleiden ihren abgezehrten Leib;
Wundenmale, statt der Orden, halten ihre Brust bedeckt,
Manchen schnöden Achtbrief haben ihr Satrapen angesteckt.
Also kam sie aus der Ferne, weiß nicht recht, woher, verbannt,
Und zum Sterben müde sank sie hin an des Ilissus Rand.
Da, da fanden wir sie liegen, und sie schien bekannt uns noch,
Und wir sahen unsre Ketten, und wir fühlten unser Joch.
Flugs erwachte sie vom Schlummer, schwang sich in die Luft empor,
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Und in Götterjugend strahlend stand sie vor Minervens Thor.
Wie so froh sie auf die alten Narben ihres Leibes wies!
Wie so stolz ihr Auge suchte Marathon und Salamis!
Da zerrissen wir die Ketten, brachen jedes Joch entzwei,
Und sie sprach: Seid werth der Freiheit, und ihr seid auf ewig frei,
Frei wie in Thessaliens Pässen 1 Sparta's auserwählte Schaar,
Frei wie über Erdennebel kreist im Sonnenstrahl der Aar.

Fußnoten

1 Thermopylä (Gs).

Alexander Ypsilanti aus Munkacs

Alexander Ypsilanti saß in Munkacs 1 hohem Thurm,
An den morschen Fenstergittern rüttelte der wilde Sturm,
Schwarze Wolkenzüge flogen über Mond und Sterne hin –
Und der Griechenfürst erseufzte: Ach, daß ich gefangen bin!
An des Mittags Horizonte hing sein Auge unverwandt:
Läg' ich doch in deiner Erde, mein geliebtes Vaterland!
Und er öffnete das Fenster, sah in's öde Land hinein;
Krähen schwärmten in den Gründen, Adler um das Felsgestein.
Wieder fing er an zu seufzen: Bringt mir Keiner Botschaft her
Aus dem Lande meiner Väter? – Und die Wimper ward ihm schwer –
War's von Thränen? war's von Schlummer? und sein Haupt sank in die Hand.
Seht, sein Antlitz wird so helle – Träumt er von dem Vaterland?
Also saß er, und zum Schläfer trat ein schlichter Heldenmann,
Sah mit freudig ernstem Blicke lange den Betrübten an:
Alexander Ypsilanti, sei gegrüßt und fasse Muth!
In dem engen Felsenpasse, wo geflossen ist mein Blut,
Wo in einem Grab die Asche von dreihundert Spartern liegt,
Haben über die Barbaren freie Griechen heut' gesiegt
Diese Botschaft dir zu bringen ward mein Geist herabgesandt.
Alexander Ypsilanti, frei wird Hellas heil'ges Land!
Da erwacht der Fürst vom Schlummer, ruft entzückt: Leonidas!
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Und er fühlt, von Freudenthränen sind ihm Aug' und Wange naß.
Horch, es rauscht ob seinem Haupte, und ein Königsadler fliegt
Aus dem Fenster, und die Schwingen in dem Mondenstrahl er wiegt.

Fußnoten

1 Bergfestung in Ungarn (Gs).

Die Einschiffung der Athener

(Als Athen von den Türken wieder eingenommen wurde.)


Freies Element der Wogen, sei der Freiheit Kindern hold!
Willst hinab du Opfer schlingen, schlinge Sklaven, schlinge Gold!
Nicht des Wuchers Dämon treibt uns in das schwanke Bretterhaus,
Nicht nach Menschenraube schiffen in die Fluthen wir hinaus;
Nach der Freiheit Hafen haben wir die Segel ausgespannt –
Heil uns, wenn dereinst wir rufen: Land! Land! Freies Griechenland!
Was uns drückte, was uns engte, ließen wir am Strande stehn,
Nicht nach Städten, nicht nach Burgen wollen wir zurücke sehn;
Vorwärts schweifen unsre Blicke in die weite See hinaus,
Und sie grüßt der Freiheit Flagge hoch mit donnerndem Gebraus.
Freies Element der Wogen, unbegrenzte Meeresfluth!
Mag der Krämer falsch dich nennen, zitternd für sein eitles Gut –
Hellas kennt aus alten Tagen deine feste Treue noch:
Als Athen, die Burg der Freiheit, unterlag dem Sklavenjoch,
Als die Felsenwälle brachen, als die Thürme sanken ein,
Da, da wolltest du der Freiheit letzter Hort und Heiland sein;
Und empor auf deinem Rücken ein Athen auf Brettern stieg,
Und du trugst es fort zum Kampfe, und du trugst es hin zum Sieg.
Freies Element der Wogen, sei den späten Enkeln treu,
Wie du es den Vätern warest! Sieh, die alte Zeit wird neu!
[193]
Sieh, Athen, die Burg der Freiheit, ist in der Barbaren Hand!
Sieh, in deinen Fluthen spiegelt roth sich ihrer Tempel Brand!
Nehmt uns ein, Ihr Brettermauern! Hebt vom Ufer euch geschwind!
Auf, die Segel! Nach der Insel Salamis weht frischer Wind.

Die Sklavin in Asien

Schwestern, weint mit mir! Ich weine über meine Ketten nicht.
Sollt' es mich denn gleich zerdrücken, dieses eiserne Gewicht,
Das so lange hat getragen unser edles Vaterland,
Und es konnt' ihm doch nicht lähmen seine alte Heldenhand?
Schwestern, weint mit mir! Ich weine nicht um unsrer Arbeit Schweiß.
Keiner soll des Polsters pflegen, der den Leib zu rühren weiß,
Wenn das Vaterland in Nöthen laut nach seinen Kindern schreit –
Wer nicht wehren kann und stürmen, sei zu leiden doch bereit.
Schwestern, weint mit mir! Ich weine nicht um meiner Brüder Tod.
Ihre sel'gen Geister schweben oft um mich im Abendroth,
Wehn mit ihren Siegeskränzen kühlen Trost von fern mir zu –
Sollt' ich denn durch eitle Thränen stören ihre Grabesruh'?
Schwestern, weint mit mir! Ich weine auch um meinen Liebling nicht.
Lebt er, o so weiß ich, daß er, als ein Held – für mich auch ficht;
Sank er, will ich Lorbeerbäume pflanzen über sein Gebein,
Und die Stätte wird ein Tempel für die freie Hellas sein.
Schwestern, weint mit mir! Ich weine, weine, daß ich bin kein Mann –
Daß ich nicht ein Roß besteigen, keine Lanze schwingen kann,
Daß ich nicht kann Eisen sprengen, schwimmen durch die wilde Fluth –
Drüben in dem freien Lande frei verspritzen freies Blut!

[194] Der kleine Hydriot

Ich war ein kleiner Knabe, stand fest kaum auf dem Bein,
Da nahm mich schon mein Vater mit in das Meer hinein,
Und lehrte leicht mich schwimmen an seiner sichern Hand,
Und in die Fluthen tauchen bis nieder auf den Sand.
Ein Silberstückchen warf er dreimal in's Meer hinab,
Und dreimal mußt' ich's holen, eh' er's zum Lohn mir gab.
Dann reicht' er mir ein Ruder, hieß in ein Boot mich gehn,
Er selber blieb zur Seite mir unverdrossen stehn,
Wies mir, wie man die Woge mit scharfem Schlage bricht,
Wie man die Wirbel meidet und mit der Brandung ficht.
Und von dem kleinen Kahne ging's flugs in's große Schiff,
Es trieben uns die Stürme um manches Felsenriff.
Ich saß auf hohem Maste, schaut' über Meer und Land,
Es schwebten Berg' und Thürme vorüber mit dem Strand.
Der Vater hieß mich merken auf jedes Vogels Flug,
Auf aller Winde Wehen, auf aller Wolken Zug;
Und bogen dann die Stürme den Mast bis in die Fluth,
Und spritzten dann die Wogen hoch über meinen Hut,
Da sah der Vater prüfend mir in das Angesicht –
Ich saß in meinem Korbe und rüttelte mich nicht –
Da sprach er, und die Wange ward ihm, wie Blut, so roth:
Glück zu, auf deinem Maste, du kleiner Hydriot! –
Und heute gab der Vater ein Schwert mir in die Hand,
Und weihte mich zum Kämpfer für Gott und Vaterland.
Er maß mich mit den Blicken vom Kopf bis zu den Zehn,
Mir war's, als thät' sein Auge hinab in's Herz mir sehn.
Ich hielt mein Schwert gen Himmel, und schaut' ihn sicher an,
Und däuchte mich zur Stunde nicht schlechter, als ein Mann.
Da sprach er, und die Wange ward ihm, wie Blut, so roth:
Glück zu, mit deinem Schwerte, du kleiner Hydriot!

Der Mainottin Unterricht

Viele weiße Schwäne schwimmen still auf des Eurotas Wogen,
Viele schwarze Raben kommen kreischend durch die Luft gezogen.
Weiße Schwäne, woher schwimmt ihr? Wißt ihr Kunde nicht zu sagen,
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Ob mein Sohn sich wie ein Sparter in dem flachen Land geschlagen?
Schwarze Raben, woher fliegt ihr? – Saht ihr nicht auf euren Zügen
Viele blut'ge Türkenschädel in den Siegesfeldern liegen?
In den grünen Lorbeersträuchen, die zum Flusse niederschauen,
Wo die Schwäne ihre Nester unter dichtem Laube bauen,
Hängen viele weiße Federn, die will ich zusammenraffen,
Und daraus für meinen Knaben schneiden spitze Köcherwaffen;
Will dann oben in den Lüften zeigen ihm die schwarzen Raben,
Sag' ihm: Das sind Türken, die den Vater dir gemordet haben!

Die Eule

Vogel der Weisheit
Ward ich genannt;
Ich saß auf Minervens Altare,
Ihr heiliges Feuer hütend.
Nun liegt er in Trümmern,
Der Tempel der Göttin
Auf Cecrops Burg,
Erloschen und verweht
Von ihrem Hochaltare
Die letzten Opferfunken.
Da hab' ich der Nacht mich ergeben,
Und schlafe den langen Tag;
Und wann die Menschen träumen,
Dann schau' ich mit blitzenden Augen
Über die dunkle Erde
Und schreie Wehe! Wehe!
Über die Thorheit des hellen Tages!
Aber die Menschen verstehn mich nicht;
Sie zittern, wenn sie mich hören,
Nennen mich Weheverkünderin,
Und ich verkünde doch Wahrheit nur.
Über Hellas flog ich hin
Um Mitternacht;
Am Himmel war kein Stern zu sehn,
[196]
Und blutigroth in Nebelwolken
Schwamm des Mondes Sichel hin.
Aber von flammenden Städten,
Aber von rauchenden Hütten,
Aber von glühenden Scheiterhaufen
War es weit und breit so hell,
Hell wie der Tag,
Und ich rief Wehe! Wehe!
Über den Schimmer des hellen Tages.
Ich hörte blutende Säuglinge winseln
An gemordeter Mütter Brüsten,
Sah aus den Klausen heilige Jungfraun
Schleifen zur Schlachtbank rasender Lust,
Sahe die Tempel des Kreuzes
Niedergerissen in Trümmern liegen,
Und die zerstückten Gebeine
Ihrer Priester dazwischen
Über die Steine gestreut.
Da drückt' ich die blitzenden Augen zu
Und unter mir hört' ich noch lange
Ein Heulen, ein Jammern, ein Wimmern,
Ein Jauchzen, ein Fluchen, ein Knirschen –
Dann ward es still.
Und ich schlug die blitzenden Augen auf,
Da standen an eines Flusses Ufer
Heere des Kreuzes zu Roß und zu Fuß;
Ich konnte sie nicht absehen,
So hoch ich mich mochte schwingen.
Und Waffen trugen sie in den Händen,
Und ihre Blicke glühten,
Wie ihre Lanzenspitzen,
Nach Blut.
Da rief ich Wehe! Wehe!
Da rief ich Rache! Rache!
Da rief ich Hülfe! Hülfe!
Und lange hätt' ich noch geschrien,
Da ward's im Morgen helle,
Und in die Augen flimmerte
Verblendend mir das Tageslicht.
[197]
Und ein Schwarm von höhnischem Luftgesindel
Flog schnarrend und pfeifend mir um das Haupt,
Mein Schreien übertäubend.
Da rief ich Wehe! Wehe!
Über die Thorheit des hellen Tages!

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Lieder der Griechen, zweites Heft. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-58BB-C