[141] Devisen zu Bonbons

Amor in der Vigne

Jüngst fand in einer Vigne
Ich Amorn mit den Andern,
Die zu den losen Streichen
Ihm nimmer fehlen dürfen.
Die Kinder spielten Schaukel,
Auf Weinguirlanden sitzend,
Die hoch von Baum zu Baume
Der Winzer pflegt zu ziehen.
Flugs riß die beste Schaukel,
Und Amor lag am Boden,
Umsonst nach Hülfe schreiend;
Denn die Gespielen flohen
Und riefen: Diebe! Diebe!
Aus vollem Halse lachend.
Ich hob den armen Kleinen
Vom Boden auf, befühlte
Die umgeknickten Federn
Und stäubt' ihm ab die Locken.
Da rafft' er sich zusammen,
Und ohne mir zu danken,
Ging's fort, husch in die Lüfte!
Noch stand ich, fast betroffen,
Und sah ihm nach, dem Schalke,
Da rief ein süßes Stimmchen
Gar drohend mir entgegen:
Seid ihr der Dieb der Trauben?
[142]
Es war das Winzermädchen,
Und hinter ihr ganz leise
Hört' ich den Kleinen flüstern:
Halt fest den losen Buben!
Und sie hat's gut verstanden.

Der Wildfang

Wie eine Gemse springt sie hin,
Entgegen frisch dem Winde!
Roth, feuerroth brennt Wang' und Kinn
Dem lieben, wilden Kinde.
Ihr langes Haar vom Nacken fliegt,
Die Bäume könnten's fassen,
Doch jeder Zweig sich schüchtern schmiegt,
Sie ruhig ziehn zu lassen.
Die losen Disteln wagen's kaum,
Die rüstige zu necken,
Und nach des leichten Kleides Saum
Die Stacheln auszustrecken.
Amor, was soll's, daß wir im Thal
Uns auf die Lauer legen?
Sie ruht nicht – Wagen wir's einmal,
Und treten ihr entgegen!

Der Elfentraum

In Nachtviolenkelchen eingeschlossen,
Verschliefen einen heißen Tag die Elfen.
Nun öffnen sie die schummertrunknen Augen
Und blinzeln, weil zu nah die Funkenwürmchen
Um ihre Lager schwärmen. – Gut geschlafen?
Frägt Ariel sein Liebchen Ariella. –
Ach nein, mein Herz, ich hatte bange Träume.
Ich sahe dich, du warst in einen Tropfen
Eiskalten Thau, der tief versteckt im Kelche
Der Nachtviole lag, hineingefallen.
[143]
Ich schrie und rief zu Hülfe, was von Elfen
Im ganzen Kelche war – sie kamen alle,
So weit sie meine Stimme nur vernahmen,
Bis von den allerhöchsten Blätterspitzen –
Ach ja, die Noth lehrt schreien, mein Geliebter!
Und flugs hing eins sich an des andern Flügel,
Wie Glieder einer Kette sich verbindend,
Und unsre Kette ward so lang, mein Herzchen,
So lang, wie ich gesehn noch keine andre,
Selbst nicht bei unsres Königs Hochzeitfeier,
Im großen Reigen, welchen alle Gäste
Mittanzen mußten auf dem Lilienplane.
Ich war das unterste der Glieder, wurde
Hinabgelassen in den tiefen Tropfen,
Und sahe dich – du lagst und zappeltest
Und strecktest sehnlich deine lieben Arme
Zu mir empor – ich aber sehnt' und dehnte
Mich aus mit allen Kräften – Ach, vergebens!
Die Kette war zu kurz, und alle Elfen
Schrien hinter mir: Sie reißt, sie reißt, die Kette!
Da wacht' ich auf und lag in deinen Armen
Und mußte dich mit meinen Küssen wecken,
Zu sehn, ob du auch wirklich unversehrt bist.

Märzschnee

Schnee im Märzen,
Schmerz im Herzen,
Er zergeht am Sonnenstrahl,
Mag die blaue Luft ihn schicken,
Mag er auch aus blauen Blicken
Fallen in die Brust herein.
Schnee im Märzen,
Schmerz im Herzen,
Er zergeht am Sonnenstrahl.

Liebe

Aus Schaum ist sie entsprungen,
Mit Schaum will sie uns nähren,
Wie Schaum muß sie zerfließen.
[144]
So laßt uns denn die Schäume,
Eh' sie zu Wasser werden,
In vollen Zügen schlürfen.
Ihr preist ja den Champagner,
Je flüchtiger er schäumet:
Was wollt ihr von der Liebe?

Rosenknospe und Thautropfen

So oft ich einen Tropfen Thau
Seh' an der Rosenknospe hangen,
Erkenn' ich meiner Liebe Bild.
Die Rosenknospe bist du selbst,
Die, kalt und starr, vor jedem Strahle
Der Sonne noch das Herz verschließt.
Ich aber bin der Tropfen Thau,
Der, weil dein Herz ihm ist verschlossen,
Sich in der Sonne Brand verzehrt.

Frühling der Liebe

Draußen tobt der böse Winter,
Und die Blumen, die er knickte,
Malt er höhnisch an die Fenster
Mir in bleichen, starren Bildern.
Winter, stürme nur und brause!
Machst mich doch nicht mehr erzittern.
Denn aus meines Herzens Grunde
Lass' ich einen Frühling sprießen,
Den der Schnee nicht kann bedecken,
Den das Eis nicht macht gefrieren,
Einen Frühling, dessen Sonne
Ist das Auge meiner Liebsten,
Dessen Luft und Duft ihr Odem,
Dessen Rosen ihre Lippen,
Und ich schweb' als junge Lerche
Drüber hin mit meinen Liedern.

[145] Ein Rosenblättchen zwischen zwei Lippen

Ein junges Rosenblättchen,
Der Knospe kaum entwunden,
Will gar sich unterfangen,
Mit deines Mundes Röthe
Sich prahlend zu vergleichen.
Da kommen die Zephyre
Und blasen es herunter,
Und tragen es gerade
Auf deine Purpurlippen,
Wo es in Schimpf und Schande
Sich büßend muß verzehren.

Amors Feder

Jüngst sah ich einen Knaben
Mit rosenrothen Flügeln
An einem Rohre schnitzen.
Dacht' ich: 'S ist eine Feder:
Und bat darum den Kleinen.
Er warf sie mir entgegen
Grad' auf die Brust, und lachte.
Was hat er denn zu lachen?
Fragt' ich mich selbst und setzte
Mich nieder, um zu schreiben
An meine gute Mutter.
Doch ach, die arge Feder!
Ich kann kein andres Wörtchen
Damit, als Liebe, schreiben,
Und immer, wenn ich schreibe,
Denk' ich an schmucke Mädchen.

Amor in einer Rosenknospe

Frau Venus wollte neulich
Ihr loses Söhnchen schlagen:
Da ist er ihr entlaufen
Und hat sich still gekauert
In eine Rosenknospe.
Kommt, ruft er, kommt, ihr Mädchen,
[146]
Und pflückt euch eine Rose!
Und Eine, selbst ein Röschen,
Brach sich die Blum' und steckte
Sie an den kleinen Busen.
Das ist ihr schlecht bekommen!
Denn Amor, ohne Bogen
Und Pfeile, rupft ein Dörnchen
Sich von dem Rosenstiele,
Und sticht damit die Arme,
Daß sie es viele Sommer
Noch wird im Busen fühlen.

Amors Fangeball

Amor wollte Fangebällchen
Neulich mit den Nymphen spielen.
Diese ließen Knabenherzen,
Die in Träumen sie gestohlen,
Durch die Lüft', als Bälle, fliegen.
Amor hatte nichts zu werfen;
Alsobald sandt' er die Blicke
Durch die weiten Himmelsräume,
Und das Erste, was er sahe,
War der Weltkreis, welcher ruhte
In des Götterkönigs Rechten.
Amor zielt' und traf die Kugel
Grade durch die beiden Pole,
Daß sie flugs vom hohen Äther
Niederfiel zu seinen Füßen.
Jetzt, ihr Nymphen, kann er spielen!

Amor, ein Schmetterlingsfänger

Ich fange Schmetterlinge
Zu meinem Zeitvertreibe.
Wo aber soll ich alle
Die bunten Thierchen lassen?
Ich werfe gleich die Pfeile
Heraus aus meinem Köcher,
Und lasse sie indessen
Im hohen Grase liegen.
[147]
Und wenn die Schnitterinnen
Mit bloßen Füßen kommen
Heut' Abend von der Wiese,
So sollen sie sich ritzen;
Denn meine Pfeile dürfen
Mir nimmer müßig liegen.

Amor, ein Schneider

Amor ist ein Schneider worden,
Näht die ersten runden Mieder
Für die jungen Erdentöchter,
Näht hinein viel kleine Seufzer,
Viele leise, blöde Wünsche,
Bange Neugier, scheue Lüstchen,
Und viel süßes Namenloses.
Manche Nadel bleibt zerbrochen
Zwischen Zeug und Futter sitzen,
Die nachher den Busen stachelt
Und das Herz lebendig kitzelt.
Auch manch Tröpfchen seines Blutes
Läßt der Gott aus Nadelwunden
In das weiche Linnen fallen.
Hütet euch vor solcher Waare!
Denn die rothen Tropfen brennen,
Unaufhaltsam, unerlöschlich,
Sich durch Adern, Fleisch und Nerven
Bis in's tiefste Herzensgrübchen.

Amor, ein Bettler

Verbannet aus dem Himmel
Um seine losen Streiche,
Muß Amor hier auf Erden
Verstohlen betteln gehen.
Er klopft an alle Herzen,
Und bettelt um ein Stübchen,
Er schaut in jedes Auge,
Und bettelt um ein Flämmchen,
[148]
Er geht an alle Lippen,
Und bettelt um ein Küßchen.
Ach, wenn von allen Mädchen
Ihm Eine, die ich meine,
Die milden Gaben gäbe,
So würd' er seinen Himmel
Auf Erden wiederfinden.

Amor, ein Sprachlehrer

Amor ist ein Sprachverderber,
Wortverdreher, Lautverwirrer,
Der beim großen Thurm zu Babel
Schon die Händ' im Spiele hatte.
Wenn ich weine, raunt er leise
Mir in's Ohr etwas von Wonne;
Wenn ich schmachte, läßt er dennoch
Reden mich von Seligkeiten.
In dem lauten Schwarm der Feste
Muß ich, diesem Lehrer folgend,
Sagen, daß ich einsam stehe,
Und im einsam stillen Haine
Darf ich mich allein nicht nennen.
Bittersüß und lieblichherbe,
Grausam mild und labend schmerzlich,
Solche Reden hat er viele
Stehn in seinem Wörterbuche,
Das die größten Sprachgelehrten
Mir nicht auszudeuten wagen,
Und mit dem ich alle Tage
Mehr mein bißchen Deutsch verlerne.

Die Schlummernde

Mein Mädchen war entschlummert
In einer Rosenlaube;
Da sandt' ihr gleich Kupido
Ein Heer von Liebesgöttern.
Der schlug die goldnen Flügel,
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Die Wangen ihr zu kühlen,
Der band sich Myrtensträuße,
Die Mücken wegzujagen,
Und Andre winkten drohend
Den Vögeln in den Lüften,
Die sie erwecken wollten
Mit fröhlichen Gesängen.
O nektarsüßer Schlummer,
Wie hingest du voll Liebe,
So wohlgefällig lächelnd,
An ihren Augenwimpern!
Und Amoretten blickten
Mit großen Flammenaugen
Aus ihren blonden Locken,
Und ließen Pfeil' auf Pfeile
Wie spielend um sich fliegen.
Und doch, ihr kleinen Schützen,
Auch spielend mit dem Bogen,
Habt ihr mein Herz getroffen!
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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Devisen zu Bonbons. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5A60-2