[285] Lieder aus Franzensbad bei Eger

Auf der Höhe von Schönberg

Berge schauen über Berge,
Aus den Tannen steigt der Schnee,
Weiße Wolken ziehn wie Schwäne
Durch des Äthers blauen See.
Und die Felsenwarten strecken
Spitze Thürme himmelan,
Jede Wolke spöttisch fragend,
Ob sie weiter sehen kann.
Sehnsucht, regst du deine Flügel
Um mich her mit starkem Schlag?
Ach, durch meinen Busen zittern
Ihre Schauer leise nach.
Aber zu dem großen Zuge,
Den der Sturm der Höhe lenkt,
Will mein Herz sich nicht gesellen,
Wenn es seiner Liebe denkt.
Unten in dem Wiesengrunde
Sucht es einen stillen Ort,
Und des Bächleins Wellen tragen
Seine Grüß' und Seufzer fort.

[286] In Schönberg

Nicht auf die Höhe will ich steigen,
Nicht in die Ferne will ich sehn.
Wie weit sich ihm die Räume zeigen,
Es bleibt mein Herz erschrocken stehn.
Wo Berg' und Nebel blau verschwimmen,
Wie fern von mir, von dir wie fern!
So hoch die müden Augen klimmen,
Sie reichen nicht an meinen Stern.
Mit anderm Maße will ich messen
Der langen Trennung öden Raum;
Die Meilen hat das Herz vergessen,
Und ruft nach dir in seinem Traum.
Da sinken alle Berge nieder,
Die weiten Flächen ziehn sich ein;
Du kömmst, du gehst, ich kehre wieder,
Und unser Pfad ist still und klein.

Der Egerfluß

Da fließt er in dem weichen Bette,
Mit Rasenborden eingefaßt,
Als ob er Lust zu schlafen hätte
In jeder grünen Schattenrast.
Des Ufers bunte Bilder liegen
Auf seinem Spiegel unbewegt,
Die Blätter, die hernieder fliegen,
Hab' Acht, ob er sie weiter trägt.
So magst du seinen Gang belauschen,
Woher er kömmt, wohin er will,
Und hört dein Ohr ein leises Rauschen,
Die Wipfel sind's, der Fluß ist still.
O wandle durch das steile Leben
Dem tiefen Wiesenbache nach,
Und deines Herzens starkes Streben
Regiere ruhig und gemach.
[287]
So wirst du dich mit ihm ergießen
Und voll und eben in das Meer.
Laß nur voran den Brauser schießen –
Vor seiner Mündung ist er leer.

Der Gießbach bei Seeberg

Alle Felsen will er zerbrechen,
Und er zerbricht und zerschäumet nur sich.
Von Klippe zu Klippe
Springt er mit Brausen,
Spritzend und sprudelnd,
Als hätt' er Meere
So zu vergeuden.
Und unten im Thale,
Wo ist er geblieben?
Im Sande schleicht er
Matt und verschmachtend,
Und die Berge
Stehn und schauen
Stolz und höhnend
Auf ihn nieder.
Oder meinen sie dich,
Erdensöhnchen,
Das wie der Gießbach
Stürmet und stürzet und brauset durch's Leben?

Am Brunnen

Sie schreiten fremd an mir vorbei,
Ich frage Keinen, wer er sei;
Wir wandeln auf und wandeln nieder,
Und sehn vielleicht uns nimmer wieder.
Und ziehen dennoch allzumal
Nach einem Ziel in Lust und Qual,
Dem Erdenquell, dem ewig vollen,
Aus dem das Heil wir trinken wollen.
[288]
Aus einem Borne schöpfen wir,
Ein Tempel über dir und mir.
Laß Hand in Hand uns hier verbinden:
Am Himmelsquell auf Wiederfinden!

Ebendaselbst

Ich trink' alle Morgen zehn Becher leer
Mit hundert Leuten und mehr und mehr.
Zehn Tage trinken wir schon vereint,
Und Keiner weiß, wie's der Andre meint.
Sie trinken und ziehen ein saures Gesicht,
Sie gucken mich an und verändern es nicht.
O Wasser, ist das die Wunderkraft,
Die allen Leiden Genesung schafft?
Ich wollt', in dem Sprudel flösse Wein,
Und es schöpfte die schönste der Nymphen ein.
Beim ersten Becher entflöh' der Harm,
Beim zweiten wären wir wohl und warm.

Brunnenmetamorphose

O Wunder! Wie die kalten Erdenquellen
Von heißer Gluth durchdrungen überschwellen!
Ich trinke, Feuer fließt durch meine Glieder,
Und meinen Becher setz' ich staunend nieder.
Ich ahn' es wohl! Es sind die Wunderlippen,
Die heut' zuerst aus diesem Sprudel nippen.
Sie haben ihm den Erdenstoff genommen
Und ihn mit ihrer Himmelskraft durchglommen.
So will ich trinken und nicht mehr mich härmen,
Ob mich das Wasser kühlen mag, ob wärmen,
Und vorbereitend mich der Quelle nahen,
Aus der die Brunnen jetzt ihr Heil empfahen.

[289] Karlsbad in Franzensbad

Aus Karlsbad hast du Karlsbad mitgebracht
Und unsre kühlen Quellen heiß gemacht.
Wo wird nun Heil für meine Gluth gefunden?
Nach Karlsbad will ich gehn, um zu gesunden.
Da hat der Schmerz den Sprudel abgekühlt,
Seit er nicht mehr die holden Lippen fühlt,
Von deren Kuß er höher brausend schäumte:
Nun schläft er still, als ob von dir er träumte.

Die Buße des Weintrinkers

Das Wasser hab' ich oft gescholten,
Nun wird es grausam mir vergolten.
Ich muß es trinken nicht allein,
Ich möchte selber Wasser sein,
Im Becher deinen Mund zu fühlen,
Im Bad um deine Brust zu spülen,
Und würd' ich Wasser, – ach, wer weiß,
Dir wär's als Trunk und Bad zu heiß!

Im Bade

Kaltes über kaltes Wasser gieß' ich in das Bad hinein:
Es verdampft, wie eingesogen von der Wanne heißem Stein;
Und er kann den Brand nicht stillen in der Fluth, die ihn umspült,
Seit er einmal ihres Leibes vollen Flammendruck gefühlt.
Ach, in diesem Feuersprudel soll ich baden meine Brust?
Kühlung such' ich in dem Wasser, und es glüht von Liebeslust.
Herz, wo willst du hin dich retten? Werde Wasser, werde Stein,
Auch im Stein und Wasser zündet sie der Liebe süße Pein.

[290] Die neue Quelle

Von Quell zu Quell so zieh' ich hin und her
Und finde hier und dort mein Heil nicht mehr.
Du bist die Nymphe, die in Purpurschalen
Den Wundertrank bewahrt für meine Qualen.
O laß ihn bald aus deinem Herzen springen
Und voll zu seiner süßen Mündung dringen!
Den Becher werf' ich weg; mit meinen Lippen
Will ich des Sprudels erste Perle nippen.

Auf einem Zettel in der Badestube

Hier liege, glückliches Papier,
Bis die Geliebte blickt nach dir,
Und rollt dich auf und liest und lacht
Und denkt: Wer hat mir das gemacht?
Sie hebt dich auf, sie steckt dich ein,
Sie wirft dich weg, es könnte sein:
Dann lieg' am Boden still und stumm
Und rühr' dich nicht und sieh dich um.
Und sieh, was ich nicht denken kann,
Mit unverwandten Blicken an.
Sie fühlt bei dir sich nicht belauscht,
Die Hülle sinkt, das Wasser rauscht.
O fliege, glückliches Papier,
O fliege dann zurück zu mir!
Was ich gedacht, dir ward's vertraut,
Vertraue mir, was du geschaut.

An die Ungünstigen

Auf dem frisch gefüllten Glase
Siehst du Silberperlen stehn.
Trink', die leere Wasserblase
Wird am Munde dir zergehn.
[291]
Also spielen Liebesträume
Perlend in des Dichters Brust.
Seine Leiden sind nur Schäume,
Und sein Lied ist seine Lust.

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Lieder aus Franzensbad bei Eger. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5B37-7