[229] Missolunghi

Die Veste des Himmels

Asia hat ausgespieen ihre gelbe Tigerbrut,
Daß sie purpurroth sich trinke in der Griechenkinder Blut;
Afrika aus ihren Wüsten stürmet über Hellas Meer
Mit des Samums Todeshauche ihre Negerhorden her.
Missolunghi, Stadt der Helden, laß die Kreuzesfahne wehn!
Zähle nicht die Ungezählten, die vor deinen Mauern stehn!
Zähle nicht des Waldes Blätter, zähle nicht den Sand am Meer,
In des Himmels Feldern zähle deines Gottes Sternenheer.
Ob sich deine Tonnen leeren, deine Scheuern werden licht,
Wäge nicht den letzten Brocken, miß den letzten Tropfen nicht.
Hat dein Heiland mit fünf Brodten nicht fünf Tausende gespeist?
Bete, bis vor deinem Rufe sich des Himmels Zelt zerreißt!
Manna regnet's aus den Wolken auf der Wüste dürren Sand:
Gott hat Manna für euch alle – Streckt nur aus die matte Hand!
Missolunghi, Stadt der Helden, wach' und bete Tag und Nacht!
Sieh, in ihren tiefen Grüften sind die Todten auch erwacht.
Sieh, auf deinen Wällen schreiten ihre Geister hoch daher,
Flammenschwerter in den Händen, doch die Wunden leuchten mehr.
Markos, Suli's Königsadler, sucht der jähen Zinne Stand,
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Und den deutschen Grafen führt er brüderlich an seiner Hand
Aber einsam auch im Tode schleicht der Brittensänger hin,
Dem des Lebens Räthsel schweben dunkel noch vor seinem Sinn.
Durch die Sterne kreist sein Auge, eine Antwort zu erspähn:
Herrscht der Christen Gott dort oben, und muß Hellas untergehn?
Missolunghi, Stadt der Helden, Hellas Hort und Ehrenstern,
Schmach der Heiden, Stolz der Christen, Missolunghi, Stadt des Herrn,
Deine martyrfesten Mauern werden nimmer untergehn:
Ist die Erde dein nicht würdig, wirst du einst im Himmel stehn,
Als die Wächterin des Thrones, wann des Höllenfürsten Macht
Wider Gott sich will empören und die Engel ruft zur Schlacht.

Missolunghi's Himmelfahrt

Missolunghi, du gefallen? – Nein, gefallen bist du nicht,
Bist in donnerndem Triumphe auf der Blitze Flammenlicht
In den Himmel aufgeflogen, Stein und Erde, Thurm und Wall,
Siegeswaffen, Heldenglieder, Alles auf in einem Knall!
Auch die Leichen, die du bargest in dem schwarzen Schoos der Gruft,
Hast sie mit hinauf getragen in des Äthers freie Luft,
Wo die Seelen, die in ihnen lebten ihres Lebens Tag,
Jauchzend wieder sie umfingen, die erlösten aus der Schmach.
Sieh, und auf der heil'gen Stätte, wo die Martyrveste stand,
Liegt ein wüster Aschenhaufen an dem blutgetränkten Strand.
Kommt, ihr hohen Christenhäupter, die ihr mit dem Schwert der Macht
Habt von ferne still gestanden und an weisen Rath gedacht,
Als die Todesglocken riefen: Helfet uns, so helf' euch Gott!
Als die Heldenherzen brachen in des Hungers grimmer Noth,
Kommt, von dieser Asche sammelt in die Purpurmäntel ein,
Streuet sie auf eure Kronen über Gold und Edelstein,
Und so tretet vor den Richter, der des Himmels Wage hält,
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Wann er euch dereinst wird rufen von den Thronen seiner Welt.
An dem Tage wird er fragen: Helfer ihr, mit meinem Schwert,
Warum habt ihr nicht geholfen, warum habt ihr nicht gewehrt,
Als der Heiden Tigerzähne würgten meine kleine Schaar,
Und mit ihrem Blut begossen meiner Kirche Hochaltar,
Als sie meines Kreuzes Banner niedertraten in den Staub,
Und die Zionsburg der Freiheit ward der Sklavenhorde Raub?

Das neue Missolunghi

Durch, ihr Brüder! Durch, ihr Brüder! Durch! Die Stunde hat geschlagen!
Durch! Aus Missolunghi's Thoren laßt uns Missolunghi tragen!
Von den freien Bergeshöhen winken schon die Feuerzeichen,
Die uns durch die weiten Lüfte ihre Flammenhände reichen,
Uns zu sich empor zu ziehen in die Burg, die Gott erbauet,
In das neue Missolunghi, das er unsrer Wehr vertrauet.
Durch! Aus Missolunghi's Thoren laßt uns Missolunghi tragen,
Und mit unsrer heil'gen Veste durch den Heidenschwarm uns schlagen!
Missolunghi in den Waffen, in den Armen, in den Herzen,
Missolunghi in dem Sturme unsrer rachefrohen Schmerzen,
Unsre Herzen deine Kirchen, deine Zinnen unsre Lanzen,
Unsre Arme deine Mauern, unsre Brüste deine Schanzen! –
Ach, und um uns her gezogen ist ein tiefer rother Graben,
Blut der Weiber und der Kinder, die sie uns geschlachtet haben.

[232] Aus dem Jahre 1826

Missolunghi ist gefallen! schreit es aus in alle Welt,
Daß das Wehgeschrei erschalle von dem Bosporus zum Belt!
Missolunghi ist gefallen, in der tapfern Christen Blut
Löscht den Christenhaß der Türken, der Ägypter schnöde Brut!
Endlich siegt die Zahl; die Waffen taugen nicht mehr zum Gefecht,
Und der Helden kleines Häuflein hat's und Schmerz geschwächt!
Schmerz, daß Alles sie verlassen, daß kein Arm sich hülfreich hebt,
Daß selbst in den nächsten Brüdern nicht der alte Geist mehr lebt!
Missolunghi ist gefallen! herzzerreißend Donnerwort,
Töne laut durch alle Länder und durch alle Zeiten fort!
Ach, zweihundert Millionen Christen wohnen rings umher,
Ihre Heere, ihre Flotten herrschen über Land und Meer!
Und sie brennen, doch vergebens, ihren Brüdern beizustehn,
Weil die Herrscher im Zerstörer Scio's nur den – Herrscher sehn!
Es bedarf nur Eines Wortes und das Morden ist vorbei
Und ein edles, hartgedrücktes Christenvolk wird kettenfrei!
Ach, dies Eine Wort, – sie sprechen's nicht, und Stambul triumphirt
Und mit Christenheldenköpfen wird sein stolzes Schloß geziert!
In der alten Christenhauptstadt sitzt der fege Großsultan,
Grinsend sieht er diese Köpfe, die er fast noch fürchtet, an;
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»Seht,« ruft er, »die Christenhunde fielen durch der Brüder Kunst,
Und der andern Christen Herrscher buhlen doch um meine Gunst!«
Missolunghi ist gefallen! o der schweren, blut'gen Schmach,
Die der Tag nur, der das Kreuz in Stambul auspflanzt, tilgen mag!
Tag der Rache, Tag der Ehre, Aller Christen Tag, brich an,
Daß des Greises müdes Auge sich in Frieden schließen kann!
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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Missolunghi. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5BF1-3