Stumme Liebe

[497] [499]Es war einmal ein reicher Kaufmann, Melchior von Bremen genannt, der sich immer hohnlächelnd den Bart strich, wenn vom reichen Mann im Evangelium gepredigt wurde, den er, im Vergleich mit sich, nur für einen kleinen Krämer schätzte. Er hatte des Geldes so viel, daß er seinen Speisesaal mit harten Talern pflastern ließ. In jenen frugalen Zeiten herrschte dennoch, so gut als in den unsrigen, ein gewisser Luxus, nur mit dem Unterschiede, daß er bei den Vätern mehr als bei den Enkeln aufs Solide gestellt war. Ob ihm diese Hoffart gleich, von seinen Mitbürgern und Konsorten, [499] sehr verarget und für eine Prahlerei ausgedeutet wurde: so war's damit doch mehr auf kaufmännische Spekulation, als Aufschneiderei angesehen. Der schlaue Bremer merkte wohl, daß die Neider und Tadler dieser scheinbaren Eitelkeit nur den Ruf seines Reichtums ausbreiten und seinen Kredit dadurch mehren würden. Er erreichte diese Absicht vollkommen: das tote Kapital von alten Talern, das so weislich im Speisesaal zur Schau ausgestellet war, brachte hundertfältige Zinsen durch die stillschweigende Bürgschaft, die es in allen Handelsgeschäften für die Valuta leistete; aber endlich wurde es doch eine Klippe, woran die Wohlfahrt des Hauses scheiterte.

Melchior von Bremen starb auf einen jähen Trunk bei einem Quabbenschmause, ohne daß er Zeit hatte sein Haus zu bestellen, und hinterließ all sein Hab und Gut einem einzigen Sohne im blühenden Jünglingsalter, der eben die Jahre erreicht hatte, die väterliche Erbschaft gesetzmäßig anzutreten. Franz Melcherson war ein herrlicher Junge, und hatte von der Natur die besten Anlagen empfangen. Sein Körper war regelmäßig gebauet, dabei fest und konsistent; seine Gemütsart heiter und jovialisch, als wenn geräuchert Ochsenfleisch und alter Franzwein auf seine Existenz Einfluß gehabt hätten. Auf seinen Wangen blühte Gesundheit, und aus den braunen Augen sahe Behäglichkeit und froher Jugendsinn hervor. Er glich einer markigen Pflanze, die nur Wasser und ein magres Erdreich bedarf, um wohl zu gedeihen; in allzu fettem Boden aber geilen Überwuchs treibt, ohne Frucht und Genuß. Der väterliche Nachlaß war, wie es oft der Fall ist, des Sohnes Verderben. Kaum hatte er das Vergnügen empfunden, Besitzer eines großen Vermögens zu sein, und damit nach Belieben schalten zu können: so suchte er sich dessen, nicht anders als einer drückenden Bürde, zu entledigen, spielte den reichen Mann im Evangelium im Wortverstande, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Kein Gastmahl am Hofe des Bischofs kam den seinigen gleich an Pracht und Überfluß, und so lange die Stadt Bremen steht, wird solch ein Ochsenfest nicht wieder erlebt, als er jährlich zu begehen pflegte: an jeden Bürger in der [500] Stadt spendete er einen Krüselbraten aus und ein Krüglein spanischen Wein. Davor ließ die ganze Stadt den Sohn des Alten hoch leben 1, und Franz war der Held des Tages.

Bei diesem fortwährenden Taumel von Schwelgerei wurde an keine Bilanzrechnung gedacht, die ehemals das Vademekum der Handelsleute war, jetzt aber immer mehr außer Brauch kommt, daher das Zünglein der merkantilischen Waage sich oft, mit magnetischer Kraft, zum Fallissement neiget. Einige Jahre verliefen, ohne daß der verschwenderische Gauch eine Abnahme seiner Renten spürte; denn bei des Vaters Hinscheiden waren Kisten und Kasten voll. Die gefräßige Schar der Tischfreunde, das luftige Völklein der lustigen Brüder, die Spieler, Lungerer und alle, die von dem verlornen Sohn Nutz und Gewinn hatten, sahen sich wohl vor, ihn zu einiger Besonnenheit kommen zu lassen; sie rissen ihn von einem Vergnügen zum andern fort, und erhielten ihn immer im Atem, damit nicht ein nüchterner Augenblick die Vernunft aufwecken, und ihren räuberischen Klauen die Beute entführen möchte.

Aber plötzlich versiegte das Brünnlein des Wohllebens, die Tonnen Goldes, aus dem väterlichen Nachlaß, waren abgezapft bis auf die Hefen. Franz kommandierte eines Tages eine große Zahlung, der Kassierer war außerstand, die Ordre seines Herrn zu honorieren und gab sie mit Protest zurück. Das fuhr dem jungen Schlemmer mächtig vor die Stirn; doch fühlte er nur Verdruß und Unwillen über seinen widerspenstigen Diener, dem er allein, keinesweges aber seiner eignen übeln Wirtschaft, die Unordnung in seinen Finanzen beimaß. Er gab sich auch keine weitere Mühe, die Ursache davon zu ergründen, sondern, nachdem er zu der gewöhnlichen Litanei des Unsinns seine Zuflucht genommen und einige Dutzend Flüche abgedonnert hatte, ließ er an den achselzuckenden Haushalter den lakonischen Befehl ergehen: Schaff Rat.

Die Geldmäkler, die Wucherer und Wechsler wurden nun [501] in Tätigkeit gesetzt. Gegen hohe Zinsen flossen, im Kurzen, wieder große Summen in die ledigen Kassen: der Saal mit harten Talern gepflastert galt damals, in den Augen der Gläubiger, mehr als in unsern Tagen ein offener Kreditbrief des amerikanischen Generalkongresses, oder aller dreizehn vereinigten Staaten. Das Palliativ leistete eine Zeitlang gute Dienste; doch unter der Hand breitete sich das Gerücht in der Stadt aus, das silberne Pflaster im Speisesaal sei in aller Stille aufgehoben und mit einem steinernen vertauscht worden. Die Sache wurde von Stund an, auf Verlangen der Darleiher, gerichtlich untersucht und in der Tat also befunden. Nun war nicht zu leugnen, daß ein Pflaster von buntfarbigem Marmor, à la mosaique, sich in einem Speisesaal ungleich besser ausnahm, als die verblichenen alten Taler; allein die Gläubiger respektierten den feinen Geschmack des Eigentümers so wenig, daß sie ohne Verzug ihre Zahlung forderten, und da diese nicht erfolgte, wurde der Konkursprozeß eröffnet, das väterliche Haus nebst allen annexis, Vorratshäusern, Gärten, Feldgütern, auch allen Mobilien, bei brennender Kerze versteigert, und der Besitzer, der sich zur Notwehr mit einigen rechtlichen Schikanen noch verbollwerkt hatte, judizialiter exmittiert.

Jetzt war's zu spät über seine Unbesonnenheit zu philosophieren, da die vernünftigsten Betrachtungen nichts bessern und die heilsamsten Entschließungen den Schaden nicht mehr heilen konnten. Nach der Denkungsart unsers verfeinerten Zeitalters hätte nun der Held mit Würde von der Bühne abtreten, seine Existenz auf irgend eine Art vernichten, die große Reise in die weite Welt antreten oder sich entgurgeln müssen, da er in seiner Vaterstadt nicht mehr, als ein Mann von Ehre, leben konnte. Franz tat indessen weder das eine noch das andere. Das qu'en dira-t-on? 2 welches die gallische Sittlichkeit, als Zaum und Gebiß für Torheit und Unbesonnenheit, erfunden hat, sie damit zu zähmen, war dem zügellosen Wicht bei seinem Wohlstande nicht eingefallen, und sein Gefühlssinn war noch nicht fein genug, die Schande seiner mutwilligen Verschwendung zu empfinden. [502] Es war ihm wie einem berauschten Zecher zu Mute, der eben aus dem Weintaumel wieder erwacht, und sich nicht zu besinnen weiß, was mit ihm vorgegangen ist. Er lebte nach der Weise verunglückter Verschwender, schämte sich nicht und grämte sich nicht. Zum Glück hatte er noch einige Reliquien aus dem Familienschmucke vom Schiffbruch geborgen, die ihn noch eine Zeitlang für drückenden Mangel schützten.

Er bezog ein Quartier in einem abgelegnen Gäßgen, in welches die Sonne das ganze Jahr nicht schien, außer in den längsten Tagen, wenn sie ein wenig über die hohen Dächer blickte. Hier fand er, für seine jetzt sehr eingeschränkten [503] Bedürfnisse, alles was er brauchte: die frugale Küche des Wirts schützte ihn für Hunger, der Ofen für Kälte, das Dach für den Regen, die vier Wände für den Wind; nur für die peinliche Langeweile wußte er weder Rat noch Zuflucht. Das lockere Gesindel der Schmarotzer war mit dem Wohlstande davon geflohn, und von seinen ehemaligen Freunden kannte ihn keiner mehr. Die Lektüre war damals noch kein Zeitbedürfnis, man verstund sich nicht auf die Kunst, mit den hirnlosen Spielen der Phantasie, die gewöhnlich in den seichtesten Köpfen der Nation spuken, die Zeit zu töten. Es gab keine empfindsamen, pädagogischen, psychologischen, komischen, Volks- und Hexenromane; keine Robinsonaden, keine Familien- noch Klostergeschichten, keine Plimplamplaskos, keine Kakerlaks, und die ganze fade Rosenthalsche Sippschaft hatte ihren Höckenweibermund noch nicht aufgetan, die Geduld des ehrsamen Publikums mit ihren Armseligkeiten zu ermüden. Aber doch tummelten sich die Ritter schon wacker auf der Stechbahn herum, [504] Dietrich von Bern, Hildebrand, der gehörnte Seyfried, der starke Rennewart gingen auf die Drachen- und Lindwurmsjagd, und erlegten Riesen und Zwerge von zwölf Mannsstärke. Der ehrwürdige Theuerdank war das höchste Ideal von deutscher Art und Kunst, und damals das neueste Produkt des vaterländischen Witzes, doch nur für die schönen Geister, Dichter und Denker seines Jahrhunderts. Franz gehörte zu keiner von diesen Klassen, daher wußte er sich mit nichts zu beschäftigen, als daß er seine Laute stimmte und zuweilen drauf klimperte, hiernächst zur Abwechselung aus dem Fenster schauete und Wetterbeobachtungen anstellte, aus welchen sich gleichwohl so wenig ein Resultat ergab, als aus der verlornen Mühe unsrer windsüchtigen Meteorologen. Sein Beobachtungsgeist bekam indessen bald eine andere Nahrung, wodurch der leere Raum in Kopf und Herzen auf einmal ausgefüllet wurde.

In dem engen Gäßgen, seinem Fenster gerade gegenüber, wohnte eine ehrbare Matrone, die auf Hoffnung beßrer Zeiten, sich kümmerlich vom langen Faden nährte, den sie nebst einer wunderschönen Tochter durch die Spindel gewann, sie zogen tagtäglich denselben so lang aus, daß sie die ganze Stadt Bremen, mit Wall und Graben und allen Vorstädten, leicht damit hätten umspannen mögen. Die beiden Spinnerinnen waren eigentlich nicht für die Spindel geboren, sie waren von gutem Herkommen, und lebten ehedem im behäglichen Wohlstande. Der schönen Meta Vater hatte ein eignes Schiff auf der See, das er selbst befrachtete und damit jährlich nach Antwerpen fuhr: aber ein schwerer Sturm begrub das Schiff, mit Mann und Maus und einer reichen Ladung, in den Abgrund des Meeres, als Meta noch nicht ihre Kinderjahre zurückgelegt hatte. Die Mutter, eine verständige gesetzte Frau, ertrug den Verlust ihres Gatten und des sämtlichen Vermögens, mit weiser Standhaftigkeit, entschlug sich, aus edlem Stolze, bei ihrer Dürftigkeit, aller Unterstützungen des wohltätigen Mitleids ihrer Freunde und Anverwandtschaft, die sie für schimpfliche Almosen hielt, solange sie noch in ihrer eignen Tätigkeit Mittel zu finden glaubte, durch ihrer Hände Fleiß sich zu ernähren. Sie [505] überließ ihr großes Haus und all das köstliche Geräte darin, den harten Gläubigern ihres verunglückten Mannes, bezog eine kleine Wohnung im engen Gäßgen, und spann vom frühen Morgen an bis in die späte Nacht, ob ihr dieser Broterwerb gleich schwer einging, und sie den Faden oft mit heißen Tränen netzte. Dennoch erreichte sie, durch diese Emsigkeit, den Endzweck von niemand abzuhangen und keinem Menschen einige Verbindlichkeit schuldig zu sein. In der Folge lehrte sie die heranwachsende Tochter zu gleicher Beschäftigung an, und lebte so genau, daß sie von ihrem Erwerb noch einen Sparpfennig zurücklegte, den sie anwendete, nebenher einen kleinen Flachshandel zu treiben.

Sie vermeinte jedoch keinesweges, in diesem dürftigen Zustande ihr Leben zu beschließen, vielmehr stärkte die wackere Frau ihren Mut mit günstigen Aussichten in die Zukunft, hoffte dereinst wieder in eine behägliche Lage zu kommen und in dem Herbste des Lebens auch noch ihren Weibersommer zu genüßen. Diese Hoffnung gründete sich nicht so ganz auf leere Träume der Phantasie, sondern auf eine planmäßige und vernünftige Erwartung. Sie sahe ihre Tochter wie eine Frühlingsrose aufblühen, dabei war sie tugendlich und sittsam, und mit so vielen Talenten des Geistes und Herzens begabt, daß die Mutter Freude und Trost an ihr empfand, und sich den Bissen aus dem Munde absparte, um nichts an einer anständigen Erziehung mangeln zu lassen. Denn sie glaubte, wenn ein Mädchen der Skizze gleich käme, welche Salomon der weise Philogyn von dem Ideal einer vollkommnen Gattin entworfen hat 3: so könne es nicht fehlen, daß eine so köstliche Perl zum Hausschmuck eines rechtlichen Mannes werde aufgesucht und darum gehandelt werden: denn Schönheit und Tugend miteinander vereinbart, galten zu Mutter Brigittens Zeiten gerade soviel in den Augen der Freier, als in unsern Tagen Sippschaft und Vermögen. Zudem gab es auch mehr Ehekompetenten: man hatte damals den Glauben, die Frau sei der wesentlichste, nicht aber nach der verfeinerten ökonomischen Theorie, der entbehrlichste Hausrat in der Wirtschaft. Die [506] schöne Meta blühete zwar nur wie eine köstliche seltene Blume im Gewächshaus, nicht unter Gottes freiem Himmel; sie lebte unter mütterlicher Aufsicht und Gewahrsam höchst eingezogen und stille, ließ sich auf keiner Promenade und in keiner Gesellschaft blicken; kam im ganzen Jahre kaum einmal vors Tor ihrer Vaterstadt, und das schien den Grundsätzen einer gesunden Mutterpolitik gerade entgegen. Die alte Frau E** in Memel verstund's weiland anders, schickte die reisende Sophie, wie klar am Tage liegt, eigentlich nur auf Heuratsspekulation von Memel nach Sachsen, und erreichte ihre Absicht vollkommen: wie viel Herzen steckte die wandernde Nymphe in Brand, wie viel Kompetenten warben um sie! Wenn sie als ein häusliches sittsames Mädchen daheim geblieben wär, würde sie in der Klausur ihrer jungfräulichen Zelle vielleicht abgeblühet haben, ohne sogar an dem Magister Kübbuz eine Eroberung zu machen. Andere Zeiten, andere Sitten. Töchter sind bei uns ein Kapital, das in Umlauf muß gesetzt werden, wenn's rentieren soll; ehemals wurden sie wie Spargeld unter Schloß und Riegel aufbewahrt; aber die Wechsler wußten doch, wo der Schatz verborgen lag und wie ihm beizukommen sei. Mutter Brigitta steuerte sich auf einen wohlhabenden Eidam, der sie einst wieder aus dem babylonischen Gefängnis im engen Gäßgen, in das Land des Überflusses, wo Milch und Honig innen fleußt, zurückführen würde, und vertrauete fest darauf, die Urne des Schicksals werde das Los ihrer Tochter mit keiner Niete zusammen paaren.

Eines Tages, als Nachbar Franz zum Fenster ausschauete, um Wetterbeobachtungen anzustellen, erblickte er die reizende Meta, welche mit der Mutter aus der Kirche zurückkam, wo sie täglich Messe zu hören nicht verfehlte. In seinem Glücke hatte der unstete Wüstling für das schöne Geschlecht keine Augen gehabt, die feinern Gefühle schliefen noch in seiner Brust, und alle Sinnen waren, von dem unaufhörlichen Rausche des Wohllebens, gleichsam umnebelt. Jetzt hatten sich die stürmischen Wellen der Ausgelassenheit gelegt, und bei der großen Windstille wirkte das kleinste Lüftgen auf die Spiegelfläche seiner Seele. Er wurde von [507] dem Anblick der lieblichsten weiblichen Figur, die ihm jemals vorgeschwebt hatte, bezaubert, gab von Stund an das dürre meteorologische Studium auf, und stellte nun ganz andere Beobachtungen an zu Beförderung der Menschenkunde, die ihm weit unterhaltendere Beschäftigung gaben. Er zog bei seinem Wirt bald Kundschaft von der angenehmen Nachbarschaft ein, und erfuhr das größtenteils, was wir bereits schon wissen.

Jetzt fiel ihm der erste reuige Gedanke über seine unbesonnene Verschwendung auf, es regte sich ein geheimes Wohlwollen in seinem Herzen gegen die neue Bekanntschaft, und er wünschte nur um deswillen sein väterliches Erbgut wieder zurück, die liebenswürdige Meta damit auszusteuern. Das Quartier im engen Gäßgen war ihm jetzt so [508] lieb, daß er's nicht mit dem Schudding 4 würde vertauscht haben. Er kam den ganzen Tag nicht mehr vom Fenster hinweg, um die Gelegenheit zu erlauren, das liebe Mädchen zu beäugeln, und wenn sie sich sehen ließ, fühlte er mehr Entzücken in seiner Seele, als der Beobachter Horockes zu Liverpool empfand, da er zum erstenmal die Venus durch die Sonne wandern sah.

Zum Unglück stellte die wachsame Mutter Gegenbeobachtungen an, und merkte bald, was der Lungerer gegenüber im Schilde führte, und weil er als ein Wüstling ohnehin bei ihr gar schlecht akkreditiert war, so entrüstete sie dieses tägliche Angaffen so sehr, daß sie ihr Fenster mit einer Schleierwolke verhüllte und die Vorhänge dichte zuzog. Meta erhielt strengen Befehl, sich nicht mehr am Fenster sehen zu lassen, und wenn die Mutter mit ihr in die Messe ging, hing sie ihr ein Regentuch übers Gesichte, vermummte sie wie eine Favoritin des Großherrn, und sputete sich, daß sie mit ihr um die Ecke des Gäßleins herumkam, um dem Auflaurer aus den Augen zu gehen.

Franz stund eben nicht im Rufe, daß der Scharfsinn sein vorzüglichstes Talent sei; aber die Liebe weckt alle Fähigkeiten der Seele auf. Er merkte, daß er durch sein unbescheidenes Spähen sich verraten hatte, und zog sich alsbald von seinem Fensterposten zurück, mit dem Entschluß, nicht wieder auszuschauen, wenn auch das Venerabile vorbeigetragen würde. Dagegen sann er auf einen Fund, seine Beobachtungen dennoch unbemerkt fortzusetzen, und das gelang seiner Erfindsamkeit ohne große Mühe.

Er heuerte den größten Spiegel der aufzutreiben war, und hing diesen, in seiner Stube, unter einer solchen Richtung auf, daß er durch denselben alles, was in der Wohnung seiner Nachbarinnen vorging, deutlich bemerken konnte. Da man in vielen Tagen nichts mehr von dem Lauerer wahrnahm, öffneten sich allmählich die Gardinen wieder, und der große Spiegel empfing zuweilen die Gestalt des herrlichen Mädchens, und gab sie, zur großen Augenweide seines [509] Inhabers, getreulich zurück. Je tiefer die Liebe in seinem Herzen Wurzel schlug 5, desto mehr erweiterten sich seine Wünsche. Jetzt kam es darauf an, der schönen Meta seine Leidenschaft zu veroffenbaren, und ihre gegenseitige Gesinnung zu erforschen. Der gewöhnliche und gangbarste Weg, den Verliebte unter einer solchen Konstellation ihrer Neigungen und Wünsche einzuschlagen pflegen, war ihm in seiner gegenwärtigen Lage ganz unzugänglich. In jenem sittsamen Zeitalter hielt es überhaupt schwer für verliebte Paladins, sich bei den Töchtern vom Hause zu introduzieren: Toiletten-Besuche waren noch nicht Sitte, trauliche Zusammenkünfte unter vier Augen, waren mit dem Verluste des guten Rufs von seiten der weiblichen Teilhaberschaft verpönt, Promenaden, Esplanaden, Maskeraden, Pickeniks, Goutés, Soupés, und andere Erfindungen des neuern Witzes, die süße Minne zu begünstigen, gab es noch nicht; nur die verschwiegene Ehekammer gestattete die Konkurrenz beider Geschlechter, zur Erörterung ihrer Herzensangelegenheiten. Demungeachtet gingen alle Dinge ihren Gang, so gut wie bei uns. Gevatterschaften, Hochzeitschmäuse, Leichenmahle, waren, vornehmlich in Reichsstädten, privilegierte Vehikel, Liebschaften anzuspinnen und Ehetraktaten zu betreiben, darum sagt das alte Sprüchwort: Es wird keine Hochzeit vollbracht, es wird eine neue erdacht. Aber einen verarmten Schlemmer begehrte niemand in seine geistliche Verwandtschaft aufzunehmen, er wurde zu keinem Hochzeitmahl, zu keinem Leichenessen geladen. Der Schleifweg, durch die Zofe, durch die junge Magd oder einen andern dienstbaren Geist von Unterhändlerin zu negoziieren, war hier versperrt: Mutter Brigitta hatte weder Magd noch Zofe, der Flachs- und Garnhandel ging allein durch ihre Hand, und sie verließ die Tochter so wenig als ihr Schatten.

Unter diesen Umständen war's unmöglich, daß Nachbar Franz der geliebten Meta sein Herz entweder mündlich oder schriftlich entdecken konnte. Er erfand aber bald ein Sprachidiom, das für die Darstellung der Leidenschaften ausdrücklich [510] gemacht scheinet. Zwar gebühret ihm nicht die Ehre der ersten Erfindung: lange vor ihm hatten die empfindsamen Seladons in Welschland und Spanien, schmelzende Harmonien bei ihren Serenaden, die Sprache des Herzens, unter dem Balkon ihrer Donna, reden lassen, und dieses [511] melodische Pathos soll in Liebesdeklarationen des Zwecks nicht leicht verfehlen, und nach dem Geständnis der Damen herzanfassender und hinreißender sein, als weiland die Wohlredenheit des ehrwürdigen Vaters Chrysostomus, oder die Beredsamkeit des schulgerechten Cicero und Demosthenes. Aber davon hatte der schlichte Bremer nie ein Wort gehöret, folglich war die Erfindung, seine Herzgefühle in musikalische Akkorde überzutragen, und sie der geliebten Meta vorzulautenieren, ganz die seinige.

In einer empfindsamen Stunde ergriff er sein Instrument, ließ es jedoch nicht wie sonst bei dem bloßen Stimmen bewenden, sondern lockte rührende Melodien aus den harmonischen Saiten hervor, und in minder als einem Monat, schuf die Liebe den musikalischen Stümper zum neuen Amphion um. Die ersten Versuche schienen eben nicht bemerkt zu werden; aber bald wurde im engen Gäßgen alles Ohr, wenn der Virtuos einen Akkord anschlug, die Mütter schwiegen die Kinder, die Väter wehrten den lärmenden Knaben vor den Türen, und er hatte das Vergnügen, durch den Spiegel zu bemerken, daß Meta mit ihrer alabasternen Hand zuweilen das Fenster öffnete, wenn er anfing zu präludieren. War's ihm gelungen sie herbeizuziehen, daß sie ihm das Ohr lieh, so rauschten seine Phantasien im frohen Allegro, oder hüpften in scherzenden Tanzmelodien daher; hielt sie aber der Umtrieb der Spindel oder die geschäftige Mutter ab, sich sehen zu lassen, so wälzte ein schwerfälliges Andante sich über den Steg der seufzenden Laute, welches in schmachtenden Modulationen ganz das Gefühl des Kummers ausdrückte, den Liebesqual in seine Seele goß.

Meta war keine ungelehrige Schülerin, und lernte bald [512] diese ausdrucksvolle Sprache verstehen. Sie machte verschiedene Versuche, zu prüfen, ob sie sich alles recht verdolmetscht hätte, und fand, daß sie nach ihrer Willkür die Virtuosenlaune des unsichtbaren Lautenschlägers regieren konnte: denn die stillen sittsamen Mädchen haben, wie bekannt, einen ungleich schärfern Gefühlblick, als die raschen flatterhaften Dirnen, die mit schmetterlingsartigem Leichtsinn von einem Gegenstande zum andern forteilen, und an keinen ihre Aufmerksamkeit heften. Sie fand ihre weibliche Eitelkeit dadurch geschmeichelt, und es behagte ihr, durch eine geheime Zaubermacht, die nachbarliche Laute bald in den Ton der Freude, bald in den wimmernden Klageton stimmen zu können. Mutter Brigitta aber hatte mit dem Erwerb im Kleinen immer den Kopf so voll, daß sie nicht darauf achtete, und die schlaue Tochter hütete sich wohl, ihr die gemachte Entdeckung mitzuteilen, und dachte vielmehr darauf, eine Gelegenheit auszuspähen, diese harmonischen Apostrophen an ihr Herz, aus einem gewissen Wohlwollen gegen den girrenden Nachbar, oder aus Eitelkeit, um ihren hermenevtischen Scharfsinn zu veroffenbaren, durch eine symbolische Gegenrede zu erwidern. Sie äußerte ein Verlangen, Blumentöpfe vor dem Fenster zu haben, und dieses unschuldige Vergnügen ihr zu gestatten, fand bei der Mutter keine Schwierigkeit, die nichts mehr von dem lauersamen Nachbar fürchtete, nachdem sie ihn nicht mehr vor Augen sahe.

Nun hatte Meta einen Beruf ihre Blumen zu warten, zu begießen, für den Sturmwinden sie zu sichern und anzubinden, auch ihr Wachstum und Gedeihen zu beobachten. Mit unaussprechlichem Entzücken erklärte der glückliche Liebhaber diese Hieroglyphen ganz zu seinem Vorteil, und die beredte Laute ermangelte nicht, seine frohen Empfindungen in das horchsame Ohr der schönen Blumenfreundin, über das enge Gäßgen hinüberzumodulieren. Das tat in dem zarten jungfräulichen Herzen Wunder. Es fing an sie heimlich zu kränken, wenn Mutter Brigitta, bei ihren weisen Tischreden, wo sie mit der Tochter zuweilen ein Stündchen zu kosen pflegte, den musikalischen Nachbar in die Zensur nahm, ihn einen Taugenichts und Lungerer schalt; oder mit [513] dem verlornen Sohne verglich. Sie nahm immer seine Partei, wälzte die Schuld seines Verderbens auf die leidige Verführung, und legte ihm nichts zur Last, als daß er das goldne Sprüchlein nicht erwogen hätte: Junges Blut spar dein Gut! Indessen verteidigte sie ihn mit schlauer Vorsicht, daß es schien, es sei damit mehr auf die Unterhaltung des Gesprächs abgesehen, als daß sie an der Sache selbst Anteil nähm.

Während daß Mutter Brigitta innerhalb ihrer vier Wände gegen den jungen Wildfang eiferte, hegte dieser für sie gleichwohl die besten Gesinnungen und machte die ernsthafteste Spekulation, wie er nach Vermögen ihre dürftigen Umstände verbessern, und die wenige Habe, die ihm noch übrig war, mit ihr teilen möchte, so daß es ihr doch gänzlich verborgen blieb, daß ein Teil seines Eigentums in das ihrige übergegangen sei. Eigentlich war's mit dieser milden Spende freilich nicht auf die Mutter, sondern auf die Tochter abgesehen. Unter der Hand hatte er vernommen, daß der schönen Meta nach einem neuen Leibrock gelüste, welchen zu kaufen die Mutter ihr abschlug, unter dem Vorwand schwerer Zeiten. Er urteilte aber ganz recht, daß ein Geschenk oder ein Stück Zeug, von unbekannter Hand, wohl schwerlich dürfte angenommen werden, oder die Tochter sich darein kleiden möchte, und daß er alles verderben würde, wofern er sich als der Geber zu der Spende legitimieren wollte. Unversehens führte der Zufall eine Gelegenheit herbei, diesen guten Willen auf die schicklichste Art zu realisieren.

Mutter Brigitta beklagte sich gegen eine Nachbarin, der Flachs sei nicht geraten, und koste mehr im Einkauf, als die Abnehmer dafür bezahlen wollten, daher sei dieser Nahrungszweig vor der Hand nichts anders als ein dürrer Ast. Horcher Franz ließ sich das nicht zweimal sagen, er lief alsbald zum Goldschmied, und vermäkelte die Ohrenspangen seiner Mutter, kaufte einige Steine Flachs ein, und ließ sie durch eine Unterhändlerin, die er gewann, seiner Nachbarin für einen geringen Preis anbieten. Der Handel wurde geschlossen, und wucherte so reichlich, daß die schöne Meta, auf Allerheiligentag, in einem neuen Leibrock prangte. Sie leuchtete in diesem Prunk dem spähenden Nachbar dergestalt [514] in die Augen, daß er die heilgen eilftausend Jungfrauen samt und sonders würde vorbeigegangen sein, wenn ihm vergönnt gewesen wär, sich ein Herzgespiel darunter zu suchen, um die reizende Meta zu wählen.

Doch eben da er sich über den guten Erfolg seiner unschuldigen List in der Seele freuete, wurde das Geheimnis verraten. Mutter Brigitta wollte der Flachströdlerin, die ihr so reichlichen Erwerb eingebracht hatte, zur Vergeltung auch eine Güte tun, und bewirtete sie mit einem wohlgezuckerten Reisbrei 6 und einem Quartiergen spanischen Sekt. Diese Näscherei setzte nicht nur den zahnlosen Mund, sondern auch die geschwätzige Zunge der Alten in Bewegung, sie verhieß den Flachshandel fortzusetzen, wenn ihr Kommittent sich ferner geneigt dazu finden ließ, wie sie aus guten Gründen vermute. Ein Wort gabs andere. Mutter Evens Töchter forschten, mit der ihrem Geschlechte gewöhnlichen Neugier so lange nach, bis sie das morsche Siegel der weiblichen Verschwiegenheit auflösten. Meta erbleichte für Schrecken über diese Entdeckung, die sie würde entzückt haben, wenn nicht die Mutter Teilhaberin derselben gewesen wäre. Aber sie kannte ihre strengen Begriffe von Sittlichkeit und Anstand, und die machten ihr für den Verlust des neuen Leibrocks bange. Die ernste Frau geriet nicht minder in Bestürzung über diese Novelle, und wünschte [515] ihrerseits gleichfalls, daß sie allein Notiz von der eigentlichen Beschaffenheit ihres Flachshandels möchte erhalten haben, denn sie fürchtete, die nachbarliche Großmut möchte auf das Herz der Tochter einen Eindruck machen, der ihren ganzen Plan verrückte. Daher beschloß sie, den noch zarten Keim des Unkrautes, auf frischer Tat, aus dem jungfräulichen Herzen zu vertilgen. Der Leibrock wurde, aller Bitten und Tränen der lieblichen Besitzerin ungeachtet, vorerst in Beschlag genommen, und des folgenden Tages auf den Trödelmarkt geschickt, das daraus gelöste Geld, mit dem übrigen aufs gewissenhafteste berechneten Gewinn von dem Flachsnegoz, zusammengepackt und als eine alte Schuld unter der Aufschrift: an Herrn Franz Melcherson, seßhaft in Bremen, durch Beihülfe des Hamburger Boten zurückspediert. Der Empfänger nahm auf guten Glauben das Päcktgen Geld als einen unvermuteten Segen an, wünschte, daß alle Schuldner seines Vaters in Abzahlung der alten Reste so gewissenhaft sein möchten, als dieser biedere Unbekannte, und ahndete nichts von dem wahren Zusammenhange der Sache; die schwatzhafte Mäklerin hütete sich auch wohl, von ihrer Plauderei ihm Confidence zu machen, sie begnügte sich nur ihm zu sagen, Mutter Brigitta habe den Flachshandel aufgegeben.

Unterdessen belehrte ihn der Spiegel, daß gegenüber die Adspekten in einer Nacht sich gar sehr verändert hatten. Die Blumentöpfe waren insgesamt verschwunden, und die Schleierwolken bedeckten wieder den freundlichen Horizont der gegenseitigen Fenster. Meta war selten sichtbar, und wenn sie ja einmal auf einen Augenblick zum Vorschein kam, wie der Silbermond in einer stürmischen Nacht aus dem Gewölke, so erschien sie mit gar trübseligem Gesicht, das Feuer ihrer Augen war verloschen, und ihm bedünkte, sie zerdrücke zuweilen ein perlendes Tränlein mit dem Finger. Das griff ihm gewaltsam ans Herz, und die Laute hallete schwermutsvolle Mitempfindung in weichen lydischen Tönen. Er quälte sich und sann, die Ursache des Trübsinns seiner Liebschaft zu erforschen, ohne mit seinem Dichten und Denken etwas zu enden. Nach Verlauf einiger Tage bemerkte [516] er mit großer Bestürzung, daß sein liebster Hausrat, der große Spiegel, ihm völlig unbrauchbar sei. Er lagerte sich an einem heitern Morgen in den gewöhnlichen Hinterhalt, und wurde gewahr, daß die Wolken gegenüber alle wie nächtliche Nebel verschwunden waren, welches er anfangs einer großen Wäsche zu schrieb; aber bald sah er, daß inwendig im Zimmer alles öd und ledig war: die angenehme Nachbarschaft war abends zuvor in aller Stille dekampieret, und hatte das Quartier verändert.

Nun konnte er mit aller Muße und Bequemlichkeit wieder der freien Aussicht genüßen, ohne zu befürchten, irgend jemand durch sein Ausschauen lästig zu fallen; allein für ihn war's ein peinlicher Verlust, des wonnigen Anblicks seiner platonischen Liebschaft entbehren zu müssen. Stumm und fühllos stund er da, wie ehemals sein Kunstgenoß der harmonische Orpheus, als der geliebte Schatten seiner Eurydice wieder zum Orkus hinabschwand, und wenn zu seiner Zeit das Tollhäuslergefühl unserer Kraftmänner, die im abgewichenen Jahrzehend toseten, nun aber, wie die Hummeln beim ersten Froste, verschwunden sind, zur Existenz wär gediehen gewesen: so würde diese Windstille in einen plötzlichen Orkan übergegangen sein. Das wenigste was er hätte tun können, wäre gewesen, sich die Haare auszuraufen, auf der Erde sich herumzuwälzen, oder den Kopf gegen die Wand zu rennen, den Ofen und die Fenster einzuschlagen, und seiner als ein Unsinniger zu beginnen. Alles das unterblieb, aus dem ganz einleuchtenden Grunde, weil wahre Liebe nie Toren macht, sondern das Universale ist, kranke Gemüter von Torheit zu heilen, der Ausschweifung sanfte Fesseln anzulegen, und jugendliche Unbesonnenheit, von dem Wege des Verderbens, auf die Bahn der Vernunft zu leiten: denn der Wüstling, welchen die Liebe nicht wieder zurechte bringt, ist unwiederbringlich verloren.

Sobald sich sein Geist wieder gesammlet hatte, stellte er über das unerwartete Phänomenon am nachbarlichen Horizont mancherlei lehrreiche Betrachtungen an. Er vermutete allerdings, daß er der Hebel gewesen sein möchte, der die [517] Bewegung im engen Gäßgen veranlaßt und die Auswanderung der weiblichen Kolonie bewirket habe; der Geldempfang, der eingestellte Flachshandel, und die darauf erfolgte Emigration dienten einander zu wechselseitigen Exponenten, ihm alles aufzuklären. Er merkte, daß Mutter Brigitta hinter seine Geheimnisse gekommen sei, und sahe aus allen Umständen, daß er nicht ihr Held war, und diese Entdeckung munterte eben seine Hoffnung nicht sehr auf. Die symbolische Rücksprache der schönen Meta hingegen, welche sie, mittelst der Blumentöpfe, auf seine harmonischen Liebesanträge mit ihm genommen hatte, ihr Trübsinn, und die Zähre, die er kurz vor der Auswanderung aus dem engen Gäßgen in ihren schönen Augen bemerkt hatte, belebten seine Hoffnung wieder und erhielten ihn bei gutem Mute. Sein erstes Geschäfte war, auf Kundschaft auszugehen und in Erfahrung zu bringen, wo Mutter Brigitta ihre Residenz hinverlegt habe, um das geheime Einverständnis mit der zärtlichen Tochter auf irgend eine Weise zu unterhalten. Es kostete ihn wenig Mühe, ihren Aufenthalt zu erfahren, gleichwohl war er zu bescheiden, ihr mit wesentlicher Wohnung zu folgen, und begnügte sich nur die Kirche auszuspähen, wo sie nun Messe hörten, um sich das Vergnügen des Anblicks seiner Geliebten täglich einmal zu verschaffen. Er verfehlte nie, ihr auf dem Heimwege zu begegnen, bald da bald dort in einem Laden, oder in einer Haustür, wo sie vorübergehen mußte, ihr aufzupassen und sie freundlich zu grüßen, welches so viel galt als ein Billet doux und auch die nämliche Wirkung tat.

War Meta nicht allzu klostermäßig erzogen, und von der strengen Mutter wie ein Schatz von den Augen eines Geizigen bewacht worden, so hätte Nachbar Franz, mit seiner verborgenen Werbung auf ihr Herz, ohne Zweifel wenig Eindruck gemacht. Aber sie war in dem kritischen Alter, wo Mutter Natur und Mutter Brigitta, mit ihrer guten Lehr und Unterricht, immer in Kollision kamen. Jene lehrte sie durch geheimen Instinkt Empfindungen kennen, und pries ihr solche als die Panazee des Lebens an, für die sie keinen Namen hatte; diese warnte sie für den Überraschungen [518] einer Leidenschaft, die sie nicht mit dem wahren Namen benennen wollte, die aber, ihrer Sage nach, für junge Mädchen schädlicher und verderblicher sein sollte als Blattergift. Jene belebte im blühenden Lenz des Lebens, nach Beschaffenheit der Jahreszeit, ihr Herz mit wohltätiger Wärme; diese wollte, daß es immer so frostig und kalt als ein Eiskeller bleiben sollte. Dieses ganz entgegengesetzte pädagogische System zweier guten Mütter, gab dem lenksamen Herzen der Tochter die Richtung eines Schiffs, das gegen den Wind gesteuert wird, und weder dem Winde noch dem Ruder folgt, sondern ganz natürlich eine dritte Direktion nimmt. Sie behielt die Sittsamkeit und Tugend bei, die ihr durch die Erziehung von Jugend an war eingepräget worden, und ihr Herz war aller zärtlichen Empfindungen empfänglich. Weil nun Nachbar Franz der erste Jüngling war, der diese schlafenden Gefühle aufgeweckt hatte: so empfand sie ein gewisses Behagen an ihm, das sie sich kaum selbst gestand, das aber jedes minder unerfahrne Mädchen würde für Liebe erkläret haben. Darum ging ihr der Abschied aus dem engen Gäßgen so nahe, darum zitterte ein Tränlein von ihren schönen Augen, darum dankte sie dem lauersamen Franz so freundlich, wenn er sie auf dem Kirchwege grüßte, und wurde rot dabei bis an die Ohren. Beide Liebenden hatten zwar nie ein Wort miteinander gesprochen; aber er verstand sie, sie verstand ihn so vollkommen, daß sie unter vier Augen sich gegeneinander nicht deutlicher würden haben erklären können, und beide Kontrahenten schwuren, jeder Teil für sich im Herzen, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dem andern den Bund der Treue.

In dem Viertel, wo Mutter Brigitta eingemietet hatte, gab's auch Nachbarschaften, und unter diesen auch Mädchenspäher, denen die Wohlgestalt der reizenden Meta nicht verborgen bleiben konnte. Gerade ihrer Behausung gegenüber wohnte ein wohlhabender Brauherr, den die Scherztreiber, weil er sehr bei Mitteln war, nur den Hopfenkönig nannten. Er war ein junger flinker Witwer, dessen Trauerjahr eben zu Ende lief, und nun, ohne die Gesetze des Wohlstandes zu übertreten, berechtiget war, sich nach einer [519] anderweiten Gehülfin in der Wirtschaft umzusehen. Er hatte gleich nach dem Hinscheiden der selgen Frau, mit seinem Schutzpatron, dem heilgen Christoph, in aller Stille den Kontrakt gemacht, ihm eine Wachskerze zu opfern, so lang als eine Hopfenstange und so dicke als ein Schürbaum, wenn er es ihm mit der zweiten Wahl, nach dem Wunsch seines Herzens, würde gelingen lassen. Kaum hatte er die schlanke Meta erblickt, so träumte ihm, der heilige Christoph sähe, im zweiten Geschoß des Hauses 7, zum Fenster des Schlafgemachs herein und mahne seine Schuld ein. Das dünkte dem raschen Witwer ein himmlischer Beruf zu sein, unverzüglich das Netz auszuwerfen. Am frühen Morgen berief er die Mäkler der Stadt, und gab ihnen Kommission auf gebleicht Wachs, drauf putzte er sich heraus wie ein Ratsherr, sein Heuratsgewerbe zu betreiben. Er hatte keine musikalischen Talente, und in der geheimen Symbolik der Liebe war er ein roher Idiot; aber er hatte ein reiches Brauerbe, ein bares Kapital auf der Stadtkämmerei, ein Schiff auf der Weser, und einen Meierhof vor der Stadt. Unter diesen Empfehlungen hätte er auch wohl ohne Beistand des heiligen Christophels, auf einen erwünschten Erfolg seiner Werbung rechnen können, besonders bei einer Braut ohne Heuratsgut.

Er ging, dem alten Herkommen gemäß, gerade vor die rechte Schmiede, und entdeckte der Mutter freundnachbarlich seine christliche Absicht auf ihre tugendliche und ehrsame Tochter. Keine Engelerscheinung hätte die gute Frau mehr entzücken können, als diese frohe Botschaft. Sie sahe jetzt die Frucht ihres klugen Plans und die Erfüllung ihrer Hoffnung reifen, aus der bisherigen Dürftigkeit zu ihrem ersten Wohlstand zurückzukehren; segnete den guten Gedanken, aus dem Winkelgäßgen weggezogen zu sein, und in der ersten Aufwallung der Freude, da sich tausend heitere Ideen in ihrer Seele aneinanderreiheten, dachte sie auch an[520] den Nachbar Franz, der die Veranlassung dazu gegeben hatte. Ohngeachtet er eben nicht ihr Schoßjünger war, gelobte sie ihm doch, als dem zufälligen Werkzeuge ihres aufgehenden Glückssterns, eine heimliche Freude mit irgend einer Spende zu machen, und da durch zugleich Abtrag für den wohlgemeinten Flachshandel zu leisten.

In dem mütterlichen Herzen waren die Heuratspräliminarien so gut als unterzeichnet, doch erlaubte der Wohlstand nicht, in einer so wichtigen Sache zu rasch zu Werke zu gehen, daher nahm sie den Antrag ad referendum, um nebst ihrer Tochter die Sache mit Gebet zu überlegen, und bestimmte eine achttägige Frist, nach deren Verlauf sie den ehrsamen Brautwerber, wie sie sagte, mit genüglicher Antwort zu kontentieren verhoffte, welches er sich, als die gewöhnliche Prozedur, gar gern gefallen ließ und sich empfahl. Kaum hatte er den Rücken gewendet, so wurden Spindel und Weife, Schwingstock und Hechel, ohne Rücksicht [521] auf ihre treugeleisteten Dienste, und so unverschuldet als zuweilen die Pariser Parlamentsherren, ins Elend verwiesen, und als unnütze Gerätschaften in die Rumpelkammer gestellt. Wie Meta aus der Messe zurückkam, erstaunte sie über die plötzliche Katastrophe in dem Wohnzimmer, es war alles aufgeputzt wie an einem von den drei hohen Festen im Jahr. Sie begriff nicht, wie die emsige Mutter an einem Werkeltage ihre tätige Hand so lässig in den Schoß legen konnte; doch ehe sie noch Zeit gewann, über diese Reform im Hause die freundlich-lächelnde Mutter zu befragen, kam ihr diese schon mit Aufklärung des Rätsels entgegen. Die Suada saß auf ihren Lippen, und es ergoß sich ein Strom von weiblicher Wohlredenheit aus ihrem Munde, das bevorstehende Glück mit den lebhaftesten Farben abzuschildern, die ihre Einbildungskraft nur immer auftreiben konnte. Sie erwartete von der keuschen Meta das sanfte Erröten der jungfräulichen Verschämtheit, welches das Noviziat in der Liebe ankündiget, und dann eine völlige Resignation in den mütterlichen Willen. Denn bei Heuratspropositionen waren ehedem die Töchter in dem Fall unserer Fürstentöchter, sie wurden nicht um ihre Neigung befragt, und hatten keine Stimme bei der Wahl ihres legalen Herzgespiels, als das Jawort vor dem Altar.

Allein Mutter Brigitta irrte sich in diesem Punkte gar sehr: die schöne Meta wurde, bei dieser unvermuteten Notifikation, nicht rot wie eine Rose, sondern totenblaß wie eine Leiche. Ein hysterischer Schwindel umnebelte ihre Sinnen, und sie sank ohnmächtig in den mütterlichen Arm. Nachdem ihre Lebensgeister mit kaltem Wasser wieder waren aufgefrischt worden, und sie sich in etwas erholet hatte, flossen ihre Augen von Tränen, als wenn ihr groß Unglück begegnet wäre. Daraus merkte die verständige Mutter bald ab, daß ihr das Heuratsgewerbe nicht zu Sinne sei, worüber sie sich denn höchlich verwunderte, und weder Bitten noch Ermahnungen sparte, die Gelegenheit, durch eine gute Heurat ihr Glück zu machen, nicht aus Eigensinn und Widerspenstigkeit zu verscherzen. Aber Meta war nicht zu überreden, daß ihr Glück von einer Heurat abhinge, wozu ihr [522] Herz nicht seinen Assent gäbe. Die Debatten zwischen Mutter und Tochter dauerten verschiedene Tage, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, der Termin zum Bescheid rückte heran, die gigantische Wachskerze für den heilgen Christoph, deren sich der König Og von Basan nicht würde geschämet haben, wenn sie als hochzeitliche Fackel bei seinem Beilager ihm vorgeleuchtet hätte, war auch bereits fertig und gar herrlich mit lebendigen Blumen bemalt, wie ein buntes Licht, ob der Heilige sich gleich so untätig für seinen Klienten, die ganze Zeit über bewiesen hatte, daß diesem das Herz der schönen Meta verriegelt und verschlössert blieb.

Indessen hatte sie sich die Augen ausgeweint, und die mütterliche Überredungskunst hatte so gewaltsam gewirket, daß sie, wie eine Blume von schwüler Sonnenhitze, zusammenwelkte und sichtbarlich abzehrte. Geheimer Kummer nagte an ihrem Herzen, sie hatte sich ein strenges Fasten auferlegt, und seit drei Tagen keinen Mundbissen genossen, auch mit keinem Tropfen Wasser ihre trocknen Lippen benetzt. Des Nachts kam ihr kein Schlaf in die Augen, und darüber wurde sie zum Sterben krank, daß sie die Letzte Ölung begehrte. Da die zärtliche Mutter die Stütze ihrer Hoffnung wanken sah, und bedachte, daß sie Kapital und Zinsen auf einmal verlieren könnte, fand sie nach genauer Überlegung, daß es ratsamer sei, die letztern schwinden zu lassen, als beide zu entbehren, und bequemte sich nach der Tochter Willen mit freundlicher Nachgiebigkeit. Es kostete [523] ihr zwar große Überwindung und manchen schweren Kampf, eine so vorteilhafte Partie von der Hand zu weisen; doch gab sie sich endlich, wie es die Ordnung des Hausregiments mit sich bringt, ganz in den Willen ihres lieben Kindes, und machte der Kranken deshalb weiter keine Vorwürfe. Da auf den bestimmten Tag der flinke Witwer sich anmeldete, in dem guten Vertrauen, daß sein himmlischer Geschäftsträger alles nach Wunsch zur Richtigkeit würde gebracht haben, erhielt er ganz gegen seine Erwartung abschlägige Antwort, die jedoch mit so vielem Glimpf versüßt war, daß sie ihm einging wie Wermutwein mit Zucker. Er fand sich indessen leicht in sein Schicksal und beunruhigte sich so wenig darüber, als wenn sich ein Malzhandel zerschlagen hätte. Im Grunde war auch keine Ursache vorhanden, warum er sich hätte kränken sollen: seine Vaterstadt hat nie Mangel gehabt an liebenswürdigen Töchtern, die der Salomonschen Skizze gleichen, und sich zu vollkommnen Gattinnen qualifizieren; überdies verließ er sich, ungeachtet der mißlungenen Ehewerbung, mit festem Vertrauen auf seinen Schutzpatron, der ihn auch anderweit so gut bediente, daß er, ehe ein Monat verlief, mit großem Pomp, die gelobte Kerze vor den Altar des Heiligen pflanzte.

Mutter Brigitta bequemte sich nun, die exilierte Spinngerätschaft aus der Rumpelkammer zurück zu berufen und wieder in Aktivität zu setzen. Alles ging wieder seinen gewöhnlichen Gang. Meta blühete bald von neuem auf, war tätig zur Arbeit und ging fleißig in die Messe, die Mutter hingegen konnte den heimlichen Gram über fehlgeschlagne Hoffnung, und die Vernichtung ihres Lieblingsplans nicht verbergen, sie war mürrisch, mißmütig und kleinlaut. Besonders quälte sie an dem Tage üble Laune, wo der Nachbar Hopfenkönig Hochzeit hielt. Als der Brautzug in die Kirche begann, und voraus von den Stadtpfeifern trommetet und schalmeiet wurde, wimmerte und erseufzete sie wie in der Unglücksstunde, da ihr die Hiobspost gebracht wurde, die wütige See habe ihren Mann mit Schiff und Gut verschlungen. Meta sahe das Brautgepränge mit großer Gleichmütigkeit [524] vorüberziehen, selbst der herrliche Schmuck, die Edelgesteine in der Myrthenkrone, und die neun Reihen Zahlperlen um den Hals der Braut, machten auf ihre Gemütsruhe keinen Eindruck, welches zu verwundern war, da eine neue Pariser Haube, oder sonst ein Meteor des modischen Flitterputzes, doch so oft die Zufriedenheit und häusliche Glückseligkeit eines ganzen Kirchspiels störet. Nur der herznagende Kummer ihrer Mutter beunruhigte sie, und umnebelte den heitern Blick ihrer Augen. Sie war bemüht durch tausend Liebkosungen und kleine Aufmerksamkeiten sich ihr anzuschmeicheln; es gelang ihr damit nur insoweit, daß die gute Mutter doch wieder etwas gesprächig wurde.

Auf den Abend, als der Brautreihen anhub, sprach sie: »Ach Kind! diesen frohen Reihen könntest du jetzt anführen. Welche Wonne! wenn du die Mühe und Sorgen deiner Mutter mit dieser Freude belohnt hättest. Aber du hast dein Glück verschmähet, und nun erleb ich's nimmer, dich zum Altar zu geleiten.« »Liebe Mutter«, sprach Meta, [525] »ich vertrau dem Himmel, wenn's droben angeschrieben stehet, daß ich zum Altar geführet werden soll, so werdet Ihr mir den Kranz wohl schmücken: denn wenn der rechte Freier kommt, wird mein Herz bald ja sagen.« – »Kind, um Mädchen ohne Heuratsgut ist kein Drang, müssen kaufen wer mit ihnen kaufen will. Die jungen Gesellen sind heutzutage gar kehrisch, freien um glücklich zu werden, aber nicht um glücklich zu machen. Zudem weissagt dir dein Planet nicht viel Gutes, du bist im April geboren. Laß sehen, wie steht im Kalender geschrieben? Ein Mägdlein in diesem Monat geboren, ist holdseligen freundlichen Angesichts und schlanken Leibes, aber veränderlichen Gemüts, hat Belieben zum Mannsvolk. Mag ihr Ehrkränzlein wohl in acht nehmen, und so ein lachender Freier kommt, mag sie ihr Glück nicht verpassen. Das trifft zu aufs Haar! Der Freier ist dagewesen und kommt nicht wieder: du hast ihn verpaßt.« – »Ach Mutter, was der Planet sagt, laßt Euch nicht kümmern, mein Herz sagt mir, daß ich den Mann, der mich zum ehelichen Gemahl begehrt, ehren und lieben soll, und wenn ich den nicht finde, oder der mich nicht sucht, will ich mich nähren meiner Hände Arbeit bei heiterm Mute, Euch beistehn und Euer pflegen dereinst im Alter, als einer frommen Tochter ziemt. Kommt aber der Mann meines Herzens, so segnet meine Wahl, auf daß es Eurer Tochter wohlgehe auf Erden, und fraget nicht, ob er sei vornehm, reich oder geehrt, sondern ob er sei gut und bieder, ob er liebe und geliebet werde.« – »Ach Tochter, die Liebe hat gar eine dürftige Küche, und nährt nur kümmerlich bei Salz und Brot.« – »Aber doch wohnt Eintracht und Zufriedenheit gern bei ihr, und würzet Salz und Brot mit fröhlichem Genuß des Lebens.«

Die reichhaltige Materie von Salz und Brot wurde bis in die späte Nacht erörtert, solange sich noch eine Geige auf dem Hochzeitgelag hören ließ, und die große Begnügsamkeit der bescheidenen Meta, die bei Schönheit und Jugend, doch nur auf ein ganz eingeschränktes Glück Anspruch zu machen schien, nachdem sie eine sehr vorteilhafte Partie ausgeschlagen hatte, brachte die Mutter auf die Vermutung, [526] daß sich der Plan zu einem solchen Salzhandel in ihrem jungfräulichen Herzen wohl schon möchte angesponnen haben. Sie erriet auch leicht den Handelskompagnon im engen Gäßgen, von dem sie nie geglaubt hatte, daß er der Baum sein würde, der in dem Herzen der liebenswürdigen Meta wurzeln würde. Sie hatte ihn nur als einen wilden Ranken betrachtet, der sich nach jedem nahgelegnen Stäudchen hinbreitet, um sich daran hinaufzustängeln. Diese Entdeckung machte ihr wenig Freude, sie ließ sich gleichwohl nicht merken, daß sie solche gemacht habe. Nach ihrer strengen Moral aber verglich sie ein Mädchen, das vor der priesterlichen Einsegnung Liebe im Herzen hatte einnisten lassen, einem wurmstichichen Apfel, der nur fürs Auge tauge, nicht aber für den Genuß, und den man irgendwo auf einen Schrank stelle, ohne seiner weiter zu achten: denn der schädliche Wurm zehre am innern Mark und sei nicht heraus zu bringen. Sie verzagte nun ganz daran, in ihrer Vaterstadt jemals wieder empor zu kommen, ergab sich in ihr Geschick, und ertrug schweigend, was sie meinte das nicht mehr zu ändern stehe.

Unterdessen lief das Gerücht in der Stadt um, die stolze Meta habe dem reichen Hopfenkönig den Korb gegeben, und erscholl auch bis ins enge Gäßgen. Franz war außer sich vor Freuden, als er diese Sage bestätigen hörte, und die geheime Sorge, daß ein bemittelter Nebenbuhler ihn aus dem Herzen des lieben Mädchens verdrängen möchte, quälte ihn nicht mehr. Er war nun seiner Sache gewiß, und wußte sich das Rätsel, welches der ganzen Stadt ein unauflösliches Problem blieb, ganz leicht zu erklären. Die Liebe hatte zwar aus dem Wüstling einen Virtuosen gebildet: doch dieses Talent war für einen Brautwerber damals gerade die kleinste Empfehlung, welches in jenen rohen Zeiten weder so geehrt noch genährt wurde, wie in unserm üppigen Jahrhundert. Die schönen Künste waren noch nicht Kinder des Überflusses, sondern des Mangels und der Dürftigkeit. Man wußte von keinen reisenden Virtuosen, als den Prager Studenten, deren gellende Symphonien vor den Türen der Reichen, um einen Zehrpfennig sollizitierten; die Aufopferung [527] des lieben Mädchens war auch zu groß, um sie mit einer Serenade zu vergelten. Jetzt wurde ihm das Gefühl seiner jugendlichen Unbesonnenheit ein Stachel in der Seele. Manch herziges Monodrama fing er mit einem O und Ach an, das seinen Unsinn beseufzete: »Ach Meta«, sprach er zu sich selbst, »warum hab ich dich nicht früher gekannt! du wärst mein Schutzengel gewesen, und hättest mich vom Verderben errettet. Könnt ich meine verlornen Jahre wieder zurückleben, und sein der ich war, so wär mir jetzt die Welt Elysium, und dir wollt ich sie zu einem Eden machen! Edles Mädchen, du opferst dich einem Elenden, einem Bettler auf, der nichts im Besitz hat, als ein Herz voll Liebe und Verzweiflung, daß er dir kein Glück, wie du es verdienest, anbieten kann.« Unzählichmal schlug er sich, bei den Anwandlungen solcher empfindsamen Launen, voll Unmut vor die Stirn, mit dem reuvollen Ausruf: »O Unbesonnener! o Tor! zu späte wirst du klug.«

Die Liebe ließ indessen ihre Schöpfung nicht unvollendet, sie hatte bereits in seinem Gemüte eine heilsame Gärung hervorgebracht, das Verlangen nämlich, Tätigkeit und Kräfte anzuwenden, sich aus seinem gegenwärtigen Nichts [528] hervorzustreben: sie reizte ihn nun zum Versuch, diesen guten Willen auszuführen. Unter mancherlei Spekulationen, die er gemacht hatte, seinen zerrütteten Finanzen aufzuhelfen, war die vernünftigste, welche einen guten Erfolg zu verheißen schien, diese, daß er die Handelsbücher seines Vaters durchging, und die Kaduzitäten, die als Verlust eingetragen waren, notierte, in der Absicht, das Land zu durchziehen und eine Ährenlese anzustellen, um zu versuchen, ob aus diesen verlornen Halmen sich noch ein Maß Weizen sammlen ließ. Diesen Ertrag wollte er anlegen, einen kleinen Handel zu beginnen, welchen seine Einbildungskraft bald in alle Teile der Welt ausbreitete. Es dünkte ihn, er sähe schon Schiffe in der See, die mit seinem Eigentum befrachtet wären. Er ging rasch dran, sein Vorhaben auszuführen, machte das letzte goldne Nestei aus der Erbschaft, das Stundenei 8 seines Vaters zu Gelde, und kaufte dafür einen Reitklepper, der ihn, als einen Bremer Kaufmann, in die weite Welt tragen sollte.

Nur die Trennung von der schönen Meta ging ihm schwer ein. »Was wird sie«, sprach er zu sich, »von dieser plötzlichen Verschwindung denken, wenn ich ihr nicht mehr auf dem Kirchweg begegne? Wird sie mich nicht für treulos halten, und aus ihrem Herzen verbannen?« Dieser Gedanke beunruhigte ihn außerordentlich, und er wußte lange keinen Rat, wie er sie von seinem Vorhaben verständigen sollte. Aber die erfindungsreiche Liebe gab ihm den glücklichen Einfall ein, von öffentlicher Kanzel seine Abwesenheit und deren Absicht ihr kund machen zu lassen. Er erkaufte deswegen in der Kirche, welche bisher das geheime Verständnis der Liebenden begünstiget hatte, eine Vorbitte für einen jungen Reisenden, zu glücklicher Ausrichtung seiner Geschäfte, diese sollte so lange dauren, bis er den Groschen für die Danksagung erlegen würde.

Bei der letzten Begegnung hatte er sich reisefertig gekleidet, und strich ganz nahe an seinem Liebchen vorbei, grüßte sie bedeutsam und mit mindrer Vorsicht als sonst, daß sie [529] darüber errötete, und Mutter Brigitta zu mancherlei Randglossen Gelegenheit bekam, ihr Mißfallen über die Zudringlichkeit des unbesonnenen Laffen, der ihre Tochter noch ins Gerede bringen würde, zu erkennen zu geben, und letztere damit den lieben langen Tag, eben nicht auf die angenehmste Weise, zu unterhalten. Von der Zeit an wurde Franz in Bremen nicht mehr gesehen, und von dem schönsten Augenpaar seiner Vaterstadt vergeblich gesucht. Oft hörte Meta die Vorbitte verlesen, aber sie achtete nicht darauf, denn sie war äußerst bekümmert, daß sich ihr Geliebter verunsichtbart hatte. Diese Verschwindung war ihr unerklärbar, und sie wußte nicht, was sie davon denken sollte. Nach Verlauf einiger Monate, da die Zeit ihren geheimen Unmut in etwas gemildert hatte, und ihr Gemüte ruhiger seine Abwesenheit ertrug, fiel ihr einsmals, als ihr eben die letzte Erscheinung ihres Herzgespiels vorschwebte, die Vorbitte sonderbar auf. Sie reimte und erriet den Zusammenhang der Sache, und die Absicht dieser Notifikation. Ob nun gleich kirchliche Bitte, Gebet und Vorbitte, eben nicht im Geruch großer Wirksamkeit stehen, und für die andächtigen Seelen, die sich darauf steuren, nur ein schwacher Stab sind, indem das Feuer der Andacht in der christlichen Gemeinde, beim Schluß der Predigt, zu verlöschen pflegt; so fachte bei der frommen Meta das Verlesen der Vorbitten solches erst recht an, und sie unterließ nie, den jungen Reisenden seinem Schutzengel bestens zu empfehlen.

Unter dieser unsichtbaren Geleitschaft, und den guten Wünschen seiner Geliebten, setzte Franz die Reise nach Brabant fort, um in Antwerpen einige beträchtliche Summen einzumahnen. Eine Reise von Bremen nach Antwerpen war zu der Zeit, wo es noch Wegelagerungen gab, und jeder Grundherr einen Reisenden, der keinen Geleitsbrief gelöset hatte, zu plündern und im Verließ seines Raubschlosses verschmachten zu lassen sich berechtiget hielt, mit mehr Gefahren und Schwürigkeiten verknüpft, als jetziger Zeit von Bremen bis nach Kamschatka: denn der Landfriede, den Kaiser Maximilian hatte ausrufen lassen, galt durchs Reich zwar als Gesetz, an vielen Orten aber noch nicht als Observanz. [530] Demungeachtet gelang es dem einsamen Reisigen, das Ziel seiner Wallfahrt zu erreichen, ohne daß ihm mehr als ein einziges Abenteuer aufstieß.

Tief in dem öden Westfalen ritt er an einem schwülen Tage bis in die sinkende Nacht, ohne eine Herberge zu erreichen. Es türmten sich gegen Abend Gewitterwolken auf, und ein heftiger Platzregen durchnäßte ihn bis auf die Haut. Das fiel dem Zärtling, der von Jugend an aller ersinnlichen Bequemlichkeiten gewohnt war, sehr beschwerlich, und er befand sich in großer Verlegenheit, wie er die Nacht in diesem Zustande hinbringen sollte. Zum Trost erblickte er, nachdem das Ungewitter vorüber gezogen war, ein Licht in der Ferne, und bald darauf langte er vor einer dürftigen Bauerhütte an, die ihm wenig Trost gewährte. Das Haus glich mehr einem Viehstalle als einer Menschenwohnung, und der unfreundliche Wirt versagte ihm Wasser und Feuer, wie einem Geächteten, denn er war eben im Begriff, neben seine Stiere sich auf die Streue zu wälzen, und zu träge, um des Fremdlings willen das Feuer auf dem Herde wieder anzufachen. Franz intonierte aus Unmut ein klägliches Miserere, und verwünschte die westfälischen Steppen mit emphatischen Flüchen. Der Bauer ließ sich das wenig anfechten, [531] blies mit großer Gelassenheit das Licht aus, ohne von dem Fremdling weiter Notiz zu nehmen, denn er war der Gesetze des Gastrechts ganz unkundig. Weil aber der Wandersmann vor der Tür nicht aufhörte, ihm mit seinen Lamenten Überlast zu machen, die ihn nicht einschlafen ließen, suchte er mit guter Art seiner los zu werden, bequemte sich zum Reden und sprach: »Landsmann, so Ihr Euch wollt gütlich tun und Euer wohl pflegen, so findet Ihr hier nicht was Ihr suchet. Aber reitet dort, linker Hand, durch den Busch, dahinter liegt die Burg des ehrenfesten Ritters Eberhard Bronkhorst, der herbergt jeden Landfahrer, wie ein Hospitalier die Pilger vom Heilgen Grabe. Nur hat er einen Tollwurm im Kopf, der ihn bisweilen zwickt und plagt, daß er keinen Wandersmann ungerauft von sich läßt. So Euch's nicht irret, ob er Euch das Wams bläuet, wird's Euch bei ihm baß behagen.«

Für eine Suppe und einen Schoppen Wein die Ribben einer Bastonade preiszugeben, ist freilich nicht jedermanns Ding, obwohl die Schmarotzer und Tellerlecker sich rupfen und zausen lassen, und alle Kalamitäten der Übermütler willig dulden, wenn ihnen der Gaumen dafür gekitzelt wird. Franz bedachte sich eine Weile, und war unschlüssig, was er tun sollte, endlich entschloß er sich dennoch, das Abenteuer zu bestehen. »Was liegt daran«, sprach er, »ob mir hier auf einer elenden Streu der Rücken geradebrecht wird, oder vom Ritter Bronkhorst? Die Friktion vertreibt wohl gar das Fieber, das im Anzuge ist, und mich wacker schütteln wird, wofern ich die nassen Kleider nicht trocknen kann.« Er gab dem Gaul die Sporen, und langte bald vor der Pforte eines Schlosses von altgotischer Bauart an, klopfte ziemlich deutlich an das eiserne Tor, und ein ebenso vernehmliches »Wer da?« hallete ihm von innen entgegen. Dem frostigen Passagier kam das lästige Passagezeremoniell der Torwächterinquisition so ungelegen als unsern Reisenden, die mit Recht über Wächter- und Mautamtsdespotismus, bei Toren und Schlagbäumen, seufzen und fluchen. Gleichwohl mußte er sich dem Herkommen unterwerfen und duldsam abwarten, ob der Menschenfreund im Schlosse [532] bei Laune sei, einen Gast zu prügeln, oder geruhen würde ihm ein Nachtlager unter freiem Himmel anzuweisen.

Der Eigentümer der alten Burg hatte von Jugend an, als ein rüstiger Kriegsmann im Heere des Kaisers, unter dem wackern Georg von Fronsberg gedienet, und ein Fähnlein Fußvolk gegen die Venediger angeführet, sich nachher in Ruhe gesetzt, und lebte auf seinen Gütern, wo er die Sünden der ehemaligen Feldzüge abzubüßen, viel gute Werke verrichtete, die Hungrigen speiste, die Durstigen tränkte, die Pilger herbergte, und die Beherbergten wieder aus dem Hause prügelte. Denn er war ein roher wüster Kriegsmann, der des martialischen Tons sich nicht wieder entwöhnen konnte, ob er gleich seit vielen Jahren in stillem Frieden lebte. Der neue Ankömmling, der bereitwillig war, gegen gute Bewirtung sich der Sitte des Hauses zu unterwerfen, verzog nicht lange, so rasselten von innen die Riegel und Schlösser am Tor, die keuchenden Türflügel taten sich auf, als wenn sie durch den Jammerton, den sie hören ließen, den eintretenden Fremdling warneten, oder beseufzeten. Dem bangen Reisigen überlief's mit einem kalten Schauer nach dem andern den Rücken herab, als er durch das Tor einritt, demungeachtet wurde er wohl empfangen: einige Bediente eilten herbei, ihm aus dem Sattel zu helfen, erzeigten sich geschäftig das Gepäck abzuschnallen, den Rappen in den Stall zu ziehen, und den Reuter zu ihrem Herrn in ein wohlerleuchtetes Zimmer einzuführen.

Das kriegerische Ansehn des athletischen Mannes, der seinem Gaste entgegenkam, und ihm so nachdrücklich die Hand schüttelte, daß er hätte laut aufschreien mögen, auch ihn mit stentorischer Stimme willkommen hieß, als wenn der Fremdling taub gewesen wär, übrigens ein Mann in seinen besten Jahren schien, voll Feuer und Tatkraft, setzte den scheuen Wanderer in Furcht und Schrecken, also, daß er seine Zagheit nicht verbergen konnte, und am ganzen Leibe erbebte. »Was ist Euch, junger Gesell«, frug der Ritter, mit einer Donnerstimme, »daß Ihr zittert wie ein Espenlaub, und erbleichet als woll Euch eben der Tod schütteln?« Franz ermannete sich, und weil er bedachte, daß seine [533] Schultern nun einmal die Zeche bezahlen müßten, ging seine Poltronnerie in eine Art Dreustigkeit über. »Herr«, antwortete er traulich, »Ihr seht, daß mich der Platzregen durchweicht hat, als sei ich durch die Weser geschwommen. Schaffet, daß ich meine Kleider mit trocknen wechseln kann, und lasset zum Imbiß ein wohlgewürztes Biermus auftragen, das den Fieberschauer vertreibe, der an meinen Nerven zuckt: so wird mir wohl ums Herz sein.« »Wohl!« gegenredete der Ritter, »heischt was Euch not tut. Ihr seid hier zu Hause.«

Franz ließ sich bedienen wie ein Bassa, und weil er nichts anders als Podoggen zu erwarten hatte, so wollte er sie verdienen, foppte und neckte die Diener, die um ihn geschäftig waren, auf mancherlei Weise, es kommt, dacht er bei sich, doch alles auf eine Rechnung. »Das Wams«, sprach er, »ist für einen Schmerbauch, bringt mir eins, das genauer auf den Leib paßt; dieser Pantoffel brennt wie Feuer auf dem Hühnerauge, schlagt ihn über den Leisten; diese Krause ist steif wie ein Brett und würgt mich wie ein Strick, schafft eine herbei, die mir sanfter tue, und durch keinen Stärkenbrei gezogen sei.«

Der Hausherr ließ über diese bremische Freimütigkeit so wenig einen Unwillen spüren, daß er vielmehr seine Diener antrieb, hurtig auszurichten, was ihnen befohlen war, und sie Pinsel schalt, die keinen Fremden zu bedienen wüßten. Als der Tisch bereitet war, setzten sich Wirt und Gast, und ließen sich beide das Biermus wohl behagen. Bald darauf trug jener: »Begehret Ihr auch etwas zur Nachkost?« Dieser erwiderte: »Laßt auftragen was Ihr habt, daß ich sehe, ob Eure Küche wohl bestellt sei.« Alsbald erschien der Koch und besetzte den Tisch mit einer herrlichen Mahlzeit, die kein Graf würde verschmähet haben. Franz langte fleißig zu, und wartete nicht bis er genötiget wurde. Als er sich gesättiget hatte, sprach er: »Eure Küche, seh ich, ist nicht übel bestellt, wenn's um den Keller auch so stehet, so muß ich Eure Wirtschaft fast rühmen.« Der Ritter winkte dem Kellner, dieser füllte flugs den Willkommen mit dem gewöhnlichen Tischwein und kredenzte ihn seinem Herrn, [534] der ihn auf die Gesundheit des Gastes rein ausleerte. Drauf tat Franz dem Junker ehrlichen Bescheid, welcher sprach: »Lieber, was saget Ihr zu diesem Weine?« »Ich sage, daß er schlecht sei«, antwortete Franz, »wenn's vom besten ist, den Ihr auf dem Lager habt, und daß er gut sei, wenn's Eure geringste Nummer ist.« »Ihr seid ein Schmecker«, entgegnete der Ritter: »Kellner, zapf uns aus dem Mutterfasse!« Der Schenke brachte einen Schoppen zum Kostetrunk, und als ihn Franz versucht hatte, sprach er: »Das ist echter Firnewein, dabei wollen wir bleiben.«

Der Ritter befahl einen großen Henkelkrug zu bringen, und trank sich mit seinem Gaste heiter und froh, fing an von seinen Kriegszügen zu reden, wie er gegen die Venediger zu Felde gelegen, die feindliche Wagenburg durchbrochen und die welschen Scharen wie die Schafe abgewürgt habe. Bei dieser Erzählung geriet er in einen solchen kriegerischen Enthusiasmus, daß er Flaschen und Gläser niedersäbelte, das Trenchiermesser wie eine Lanze schwang, und seinem Tischgenossen dabei so nahe auf den Leib rückte, daß diesem für Nase und Ohren bange war.

Es wurde spät in die Nacht, gleichwohl kam dem Ritter kein Schlaf in die Augen, er schien recht in seinem Elemente zu sein, wenn er auf den Kriegszug gegen die Venediger zu reden kam. Die Lebhaftigkeit der Erzählung mehrte sich mit jedem Becher, den er ausleerte, und Franz fürchtete, daß dieses der Prolog zu der Haupt- und Staatsaktion sein [535] möchte, bei welcher er die interessanteste Rolle spielen sollte. Um zu erfahren, ob er innerhalb oder außerhalb des Schlosses pernoctieren werde, begehrte er einen vollen Becher zum Schlaftrunk. Nun meinte er, werde man ihm den Wein erst einnötigen, und wenn er nicht Bescheid tät, ihn unter dem Scheine eines Weinzwistes, nach der Sitte des Hauses, mit dem gewöhnlichen Viatikum fortschicken. Gegen seine Erwartung, wurde ihm ohne Widerrede gewillfahrt, der Ritter riß augenblicklich den Faden seiner Erzählung ab, und sprach: »Zeit hat Ehre, morgen mehr davon!« »Verzeihet, Herr Ritter«, antwortete Franz, »morgen wenn die Sonne aufgehet, bin ich über Berg und Tal, ich ziehe einen fernen Weg nach Brabant und kann hier nicht weilen. Darum beurlaubt mich heut, daß mein Abschied morgen Eure Ruhe nicht störe.« »Tut, was Euch gefällt«, beschloß der Ritter; »aber scheiden sollt Ihr nicht von hinnen, bis ich aus den Federn bin, daß ich Euch noch mit einem Bissen Brot und einem Schluck Danziger zum Imbiß labe, dann bis an die Türe geleite, und nach Gewohnheit des Hauses verabschiede.«

Franz bedurfte zu diesen Worten keiner Auslegung. So gern er dem Hauspatron die letzte Höflichkeit der Geleitschaft bis in die Haustür entlassen hätte, so wenig schien dieser geneigt, von dem eingeführten Ritual abzuweichen. Er befahl den Dienern den Fremden auszukleiden, und ins Gastbette zu legen, wo sich Franz wohl sein ließ, und auf elastischen Schwanenfedern einer köstlichen Ruhe genoß, daß er sich, ehe ihn der Schlaf übermannte, selbst gestund, eine so herrliche Bewirtung sei, um eine mäßige Bastonade, nicht zu teuer erkauft. Bald umflatterten seine Phantasie angenehme Träume. Er fand die reizende Meta in einem Rosengehege, wo sie mit ihrer Mutter lustwandelte und Blumen pflückte. Flugs verbarg er sich hinter eine dichtbelaubte Hecke, um von der strengen Domina nicht bemerkt zu werden; wiederum versetzte ihn die Einbildungskraft in das enge Gäßgen, wo er durch den Spiegel die schneeweiße Hand des lieben Mädchens, mit ihren Blumen beschäftiget, sah; bald saß er neben ihr im Grase, wollte ihr seine heiße [536] Liebe erklären, und der blöde Schäfer fand keine Worte dazu. Er würde bis an den hellen Mittag geträumet haben, wenn ihn nicht die sonore Stimme des Ritters und das Geklirr seiner Sporen aufgeweckt hätte, der bei Anbruch des Tages schon in Küch und Keller Revision hielt, ein gutes Frühstück zuzurichten befahl, und jeden Diener auf den ihm zugeteilten Posten stellte, um bei Handen zu sein, wenn der Gast erwachen würde, ihn anzukleiden und zu bedienen.

Es kostete dem glücklichen Träumer viel Überwindung, sich von dem sichern gastfreundlichen Bette zu scheiden, er wälzte sich hin und her; doch die grelle Stimme des gestrengen Junkers engte ihm das Herz ein, und einmal mußte er in den sauren Apfel beißen. Also erhob er sich von den Federn, und sogleich waren ein Dutzend Hände geschäftig ihn anzukleiden. Der Ritter führte ihn ins Speisegemach zu einer kleinen wohl zugeschickten Tafel; aber da es jetzt zum Abdrücken kam, fühlte der Reisende wenig Eßlust. Der Hauswirt ermunterte ihn: »Warum langt Ihr nicht zu? Genießt etwas für den bösen Nebel.« »Herr Ritter«, antwortete Franz, »mein Magen ist noch zu voll von Eurem Abendmahl; aber meine Taschen sind leer, die mag ich wohl füllen für den künftigen Hunger.« Er räumte nun wacker auf, und bepackte sich mit dem Niedlichsten und Besten, was transportabel war, daß alle Taschen strotzten. Wie er sahe, daß sein Gaul wohl gestrichelt und aufgezäumt vorgeführet wurde, trank er ein Gläslein Danziger zum Valet, in der Meinung, das werde die Losung sein, daß ihn der Wirt beim Kragen fassen und sein Hausrecht werde fühlen lassen.

Aber zu seiner Verwunderung schüttelte er ihm, wie beim Empfang, traulich die Hand, wünschte ihm Glück auf die Reise, und die Riegeltür wurde aufgetan. Er säumte nun nicht den Rappen anzustechen, und zak zak war er zum Tor hinaus, ohne daß ihm ein Haar gekrümmt wurde.

Jetzt fiel ihm ein schwerer Stein vom Herzen, da er sich in völliger Freiheit befand, und sahe, daß er so mit heiler Haut davongekommen war, er konnte nicht begreifen, warum ihm der Wirt die Rechnung kreditiert hatte, die seinem [537] Bedünken nach hoch an die Kreide lief, und umfaßte nun den gastfreien Mann mit warmer Liebe, dessen faust- und kolbengerechten Arm er gefürchtet hatte; trug aber noch groß Verlangen, Grund oder Ungrund des ausgestreueten Gerüchtes an der Quelle selbst zu erforschen. Darum wendete er flugs den Gaul und trabte zurück. Der Ritter stund noch im Tor, und glossierte mit seinen Dienern, zu Beförderung der Pferdekunde, die sein Lieblingsstudium war, über Abkunft, Gestalt und Bau des Rappen und seines harten Trabes, wähnte, der Fremdling vermisse etwas von seinem Reisegepäck, und sahe die Diener wegen ihrer vermeinten Unachtsamkeit scheel an. »Was gebricht Euch, junger Gesell«, rief er dem Kommenden entgegen, »daß Ihr umkehret, da Ihr wolltet förderziehen?« »Ach, noch ein Wort, ehrenfester Ritter!« antwortete der Reisige. »Ein böses Gerücht, das Euch Glimpf und Namen bricht, sagt, daß Ihr jedes Fremdlings wohl pfleget, der bei Euch einspricht, um ihn, wenn er wieder davon scheidet, Eure starken Fäuste fühlen zu lassen. Dieser Sage hab ich vertrauet, und nichts gesparet, die Zeche Euch abzuverdienen: ich gedachte bei mir, der Junker wird mir nichts schenken, so will ich ihm auch nichts schenken. Nun laßt Ihr mich in Frieden ziehen, sonder Strauß und Gefährde, das nimmt mich wunder. Lieber, sagt mir darum, ist einiger Grund oder Schein an der Sache; oder soll ich das faule Geschwätz Lügen strafen?« Der Ritter entgegnete: »Das Gerücht hat Euch keinesweges mit Lügen berichtet; es treibt sich keine Rede im Volk um, es liegt ein Körnlein Wahrheit darinnen. [538] Vernehmt den eigentlichen Bericht, wie die Sache stehet. Ich beherberge jeden Fremdling, der unter mein Dach eingehet, und teile meinen Mundbissen mit ihm, um Gottes Willen. Nun bin ich ein schlichter deutscher Mann, von alter Zucht und Sitte, rede wie mir's ums Herz ist, und verlange, daß auch mein Gast herzig und zuversichtlich sei, mit mir genüße was ich habe, und frei sage was er bedarf. Aber da gibt's einen Schlag Leute, die mir mit allerlei Faxen Verdruß tun, foppen und äffen mich mit Kniebeugen und Bücklingen, stellen all ihre Worte auf Schrauben, machen viel Redens ohne Sinn und Salz; vermeinen mit glatten Worten mir zu hofieren, gebärden sich bei der Mahlzeit, wie die Weiber beim Kindtaufschmause. Sag ich: ›Langt zu!‹ so erwischen sie aus Reverenz ein Knöchlein von der Schüssel, das ich meinem Hunde nicht böt; sprech ich: ›Tut Bescheid!‹ so netzen sie kaum die Lippen aus dem vollen Becher, als wenn sie Gottes Gabe verschmäheten; lassen sich zu jedem Dinge lang nötigen, tät schier not, auch zum Stuhlgang. Wenn mir's nun das leidige Gesindel zu bunt und kraus macht, und ich nimmer weiß, wie ich mit meinem Gaste dran bin: so werd ich endlich wild und brauche mein Hausrecht, fasse den Tropf beim Fell, balge ihn weidlich und werf ihn zur Tür hinaus. Das ist bei mir so Sitt und Brauch, und so halt ich's mit jedem Gaste, der mir Überlast macht. – Aber ein Mann von Eurem Schlag ist mir stets willkommen: Ihr sagtet rund und deutsch heraus, was Euch zu Sinne war, wie's der Bremer Art ist. Sprecht getrost bei mir ein, wenn Euch der Weg wieder vorbeiträgt. Damit Gott befohlen.«

Franz trabte nun, mit heiterm frohen Mute, nach Antwerpen zu, und wünschte allenthalben eine so gute Aufnahme zu finden, als bei dem Ritter, Eberhard Bronkhorst genannt. Beim Einzug in die ehemalige Königin der flämischen Städte, schwellte ein günstiger Wind das Segel seiner Hoffnung auf. In allen Straßen begegneten ihm Reichtum und Überfluß, und es schien, als wenn Not und Mangel aus der betriebsamen Stadt Landes verwiesen sei. Wahrscheinlicherweise, dacht er bei sich, ist mancher von den alten Schuldnern meines Vaters wieder empor gekommen[539] und wird mir bereitwillig gute Zahlung leisten, wenn ich ihm meine rechtmäßige Forderung dokumentiere. Nachdem er sich von der Ermüdung der Reise erholet hatte, zog er in dem Gasthofe, wo er eingekehret war, vorläufige Nachricht von dem Zustande seiner Schuldleute ein. »Wie steht's mit Peter Martens«, frug er eines Tages seine Tischgenossenschaft bei der Mahlzeit, »lebt er noch, und macht er viel Geschäfte?« – »Peter Martens ist ein solider Mann«, antwortete einer aus der Gesellschaft, »treibt Speditionshandel, und zieht viel reinen Gewinn davon.« »Ist Fabian von Plürs noch in gutem Zustande?« – »Oh! der weiß seines Reichtums kein Ende, sitzt im Rate, und seine Wollmanufakturen geben reiche Ausbeute.« – »Hat Jonathan Frischkier guten Vertrieb mit seinem Gewerbe?« – »Ei der wär jetzt ein Kapitalmann, wenn sich Kaiser Max nicht hätte von den Franzosen die Braut weghaschen lassen 9. Ihm war die Lieferung der Kanten zum Brautputz verdungen; aber der Kaiser hat den Kauf, wie ihm die Braut den Handel, aufgesagt. Wenn Ihr ein Liebchen habt, das Ihr mit den Kanten bedenken wollt, so verläßt er sie Euch ums halbe Geld.« – »Ist das Handelshaus op de Bütekant gesunken, oder hält sich's noch?« – »Dort hat's vor einigen Jahren im Gesparre geknackt; aber die spanischen Karavellen 10 haben eine neue Strebemauer drangesetzt, daß es nun wohl halten wird.«

Franz erkundigte sich nach mehrern Handelsleuten, an die er Forderungen hatte, erfuhr, daß die meisten sich in blühenden Umständen befanden, die zu seines Vaters Lebzeiten bonis zediert hatten, und merkte daraus ab, daß ein verständiger Bankerott von jeher die Fundgrube zukünftigen Erwerbs gewesen sei. Diese Nachrichten heiterten sein Gemüt sehr auf, er säumte nicht seine Papiere in Ordnung zu bringen, und bei der Behörde die alten Schuldscheine zu produzieren. Aber es erging ihm mit den Antwerpern, wie seinen peregrinierenden Landsleuten mit den Krämern in [540] den deutschen Städten, sie genüßen allenthalben einer freundlichen Aufnahme, und werden an keinem Orte gern gesehen, wenn sie kommen Schulden einzutreiben. Einige wollten von den alten Sünden nichts wissen, und meinten, sie wären aus der Konkursmasse, mit fünf Prozent, judizialiter rein abgetan. Es sei des Gläubigers Schuld, daß er die Zahlung nicht akzeptiert hätte. Andere wußten sich keines Melchiors von Bremen zu entsinnen, schlugen ihre infallibeln Bücher auf, fanden keine Schuldpost für diesen unbekannten Namen angemerkt; noch andere brachten eine starke Gegenberechnung zum Vorschein, und es vergingen keine drei Tage, so saß Franz im Schuldturm, um für den väterlichen Kredit zu haften, wo er nicht eher herauskommen sollte, bis er den letzten Heller bezahlen würde.

Das waren nicht die besten Adspekten für den jungen Mann, der Hoffnung und Vertrauen auf die Antwerper Beförderer seines Glücks gesetzt hatte, und nun die schöne Seifenblase verschwinden sah. Er befand sich in seinem engen Gewahrsam in dem qualenvollen Zustande einer Seele im Fegfeuer, nachdem sein Schifflein auf den Strand gelaufen und mitten im Hafen, wo er gegen die Stürme Sicherheit zu finden vermeinte, gescheitert war. Jeder Gedanke an Meta war ihm ein Dorn im Herzen; es war kein Schatten von Möglichkeit mehr vorhanden, jemals aus dem Strudel, in welchen er versunken war, wieder emporzukommen, um seine Hand nach ihr auszustrecken; und gesetzt, er hätte den Kopf auch wieder über Wasser gebracht, so war sie, ihrerseits, doch außerstande ihn aufs Trockene zu heben. Er fiel in eine stumme Verzweiflung, hegte keinen Wunsch als den zu sterben, um mit einem Male der Marter abzukommen, und machte wirklich den Versuch, sich durch Hunger zu töten. Aber das ist eine Todesart, die nicht jedermann zu Gebot stehet, wie dem abgezehrten Pomponius Attikus, dem seine Verdauungswerkzeuge den Dienst bereits versagt hatten; ein gesunder rüstiger Magen ergibt sich nicht so leicht in die Beschlüsse des Kopfs und des Herzens. Nachdem der Sterbenslustige zwei Tage der Speise sich enthalten hatte, bemächtigte sich ein despotischer [541] Heißhunger plötzlich der Herrschaft über den Willen, und verrichtete alle Operationen, die sonst der Seele zukommen; er gebot der Hand in die Schüssel zu greifen, dem Munde die Speise anzunehmen, den Kinnladen sich in Bewegung zu setzen, und er selbst verrichtete die gewöhnliche Funktion der Verdauung ungeheißen. Also scheiterte auch dieser Entschluß, an einer harten Brotrinde, der im siebenundzwanzigsten Lebensjahre in der Tat etwas Heroisches hat, das im siebenundsiebenzigsten ganz daraus verschwunden ist.

Im Grunde war's der hartherzigen Antwerper Meinung nicht, Geld von dem angeblichen Schuldner zu erpressen, sondern nur keins an ihn zu bezahlen, da sie seine Forderungen nicht als liquid anerkannten. Es sei nun, daß die kirchliche Vorbitte in Bremen wirklich zu den Vorhöfen des Himmels gelanget war; oder daß die vermeinten Gläubiger nicht Lust hatten, einen überlästigen Kostgänger auf Lebenszeit zu verpflegen: gnug, nach Verlauf von drei Monaten wurde Franz seiner Gefangenschaft unter dem Beding entlediget, innerhalb vierundzwanzig Stunden die Stadt zu räumen, und der Antwerper Grund und Boden nie wieder zu betreten. Zugleich empfing er fünf Gulden Reisegeld, aus den getreuen Händen der Justiz, die sich seines Rappens und Gepäcks bemächtiget, und den Ertrag, des daraus gelösten Geldes, für Gerichts-und Atzungskosten gewissenhaft berechnet hatte. Mit schwermütigem Herzen verließ er, mit dem Pilgerstabe in der Hand, ganz demütig die reiche Stadt, in die er vor einiger Zeit voll hochfliegender Hoffnung eingeritten war. Mutlos und unschlüssig, was er nun beginnen sollte, oder vielmehr gedankenlos wankte er durch die Straßen, zum nächsten Tor hinaus, ohne sich darum zu bekümmern, wo der Weg hinführe, den der Zufall ihn hatte nehmen lassen. Er grüßte keinen Wanderer und fragte nach keiner Herberge, bis ihn Ermüdung oder Hunger nötigten, die Augen aufzuheben, und sich nach einer Kirchturmspitze, oder sonst einem Merkzeichen von Menschenwohnung umzusehen, wenn er von Menschen Beistands bedurfte. Viele Tage war er ohne Zweck und Ziel [542] in der Irre herumgeschweift, und ein verborgner Instinkt hatte ihn unvermerkt, vermöge seiner gesunden Füße, geraden Weges nach seiner Heimat hinwärts geführet, als er gleichsam aus einem schweren Traum erwachte, und inne ward, auf welcher Straße er sich befand.

Er stand augenblicklich stille, um zu überlegen, ob er förder gehen, oder wieder umkehren sollte. Scham und Verwirrung bemächtigten sich seiner Seele, wenn er bedachte, daß er als ein Bettler, mit dem Stempel der Verachtung gebranntmarkt, in seiner Vaterstadt herumgehen, und die Wohltätigkeit seiner Mitbürger, denen er es ehedem an Reichtum und Wohlstand allen zuvorgetan, nun in Anspruch nehmen sollte. Und wie konnte er der schönen Meta, ohne die Wahl ihres Herzens zu beschämen, in dieser Gestalt unter die Augen treten? Er ließ seiner Einbildungskraft nicht Zeit, dieses traurige Gemälde zu vollenden, sondern nahm den Rückweg mit solcher Eile, als wenn er schon vor dem hohen Tore in Bremen stünd, und die Gassenbuben sich versammleten, ihn mit Hohn und Spott durch die Straßen zu begleiten. Sein Entschluß war gefaßt, er wollte einen Seehafen in den Niederlanden zu erreichen suchen. Matrosendienste auf einem spanischen Schiffe nehmen, nach der Neuen Welt segeln, und nicht eher nach seinem Vaterlande zurückkehren, bis er, in dem goldreichen Peru, die Reichtümer wieder erwerben würde, die er so unachtsam verschleudert hatte, ehe er den Wert des Geldes kannte. Bei Anlegung dieses neuen Plans, kam die schöne Meta zwar weit im Hintergrunde zu stehen, daß sie auch dem schärfsten Seherauge, nur als ein dämmernder Schatten, in der Ferne vorschwebte; doch begnügte sich der wandernde Projektant damit, daß sie nun wieder in den Plan seines Lebens eingewebt war, und machte große Schritte, als wenn er, durch [543] diese Eilfertigkeit, sie desto eher zu erreichen vermeinet hätte.

Schon befand er sich wieder an der niederländischen Grenze, und langte unfern von Rheinberg, bei Sonnenuntergang, in einem kleinen Flecken an, Rummelsburg genannt, welcher nachher im Dreißigjährigen Kriege ganz ist zerstöret worden. Eine Karawane Lyker Fuhrleute hatten bereits das Wirtshaus angefüllt, also, daß der Wirt keinen Platz hatte, ihn zu herbergen, und ihn aufs nächste Dorf verwies; besonders, weil er wegen seiner jetzigen Landstreicherphysiognomie zu ihm eben nicht das beste Vertrauen hegte, und ihn für einen Diebsspion hielt, der auf das Lyker Fuhrmannsgut eine Absicht habe. Er mußte sich, der großen Ermüdung ungeachtet, zur weitern Wallfahrt rüsten, und sein Reisebündel wieder auf den Rücken nehmen.

Indem er beim Abzuge einige bittere Klagen und Verwünschungen, über die Hartherzigkeit des Wirtes, zwischen den Zähnen hervormurmelte, schien dieser mit dem Zustande des Fremdlings einiges Mitleiden zu empfinden, und rief ihm aus der Tür nach: »Hört doch, junger Gesell, was ich Euch sagen mag, wenn Ihr hier zu rasten begehret, will ich Euch wohl unterbringen. Hier oben im Schlosse sind der ledigen Zimmer gnug, wenn's Euch da nicht zu einsam ist, es wird nicht bewohnt, und ich habe die Schlüssel dazu.« Franz nahm den Vorschlag mit Freuden an, rühmte ihn als ein Werk der Barmherzigkeit, bat nur um Dach und Fach und um ein Abendbrot, sei's gleich in einem Schloß, oder in einer Baurenhütte. Der Wirt war aber ein heimlicher Schalk, dem's wurmte, daß der Fremdling einige halblaute Schmähungen gegen ihn sich hatte entfallen lassen, und wollte sich dafür durch einen Plagegeist rächen, der in der alten Bergfeste hauste, und die Einwohner seit langen Jahren daraus vertrieben hatte.

Das Schloß lag nahe am Flecken auf einem schroffen Felsen, gerade dem Gasthof gegenüber, so daß es nur durch die Fahrstraße und einen kleinen Forellenbach davon geschieden wurde. Der angenehmen Lage halber, wurde es [544] noch immer im baulichen Stande erhalten, war auch mit allem Hausgeräte wohl versehen, und diente dem Eigentümer zum Jagdschloß, der oft darin den Tag über bankettierte; aber sobald die Sterne am Himmel funkelten, mit seinem Hofgesinde davonzog, um den Insulten des Poltergeistes, der die Nacht über darinne tosete, zu entweichen, denn am Tage ließ das Gespenst sich nicht vermerken. So unangenehm für den Grundherrn das Gespilde seines Schlosses mit dem nächtlichen Ungetüm war, so vorteilhaft war ihm der Spukgeist, in Rücksicht der großen Sicherheit für Diebe. Der Graf hätte keinen treuem und wachsamern Hüter des Schlosses bestellen können, als eben das Nachtgespenst, das die verwegensten Diebesbanden in Respekt hielt. Daher wußte er keinen sichrern Ort, zu Aufbewahrung seiner Kostbarkeiten, als dieses alte Bergschloß, in dem Flecken Rummelsburg bei Rheinberg gelegen.

Hinunter war der Sonnenschein, die finstre Nacht brach stark herein, als Franz, mit einer Laterne in der Hand, vor der Pfortentür des Schlosses, unter Geleitschaft des Wirtes anlangte, der in einem Korbe Lebensmittel trug, nebst einer Flasche Wein, die, wie er sagte, nicht in Rechnung kommen sollte. Auch hatte er ein Paar Leuchter und zwo Wachskerzen [545] mitgenommen: denn im ganzen Schlosse war weder Licht noch Leuchter, weil man nie länger des Abends [als] bis zum Zwielichten daselbst verweilte. Unterwegs bemerkte Franz den knisternden schwer beladenen Korb und die Wachslichter, deren er nicht zu bedürfen, und sie doch bezahlen zu müssen glaubte. Darum sprach er: »Wozu dieser Überfluß und Unrat, als bei einem Gastmahl. Das Licht in der Leuchte ist hinreichend dabei zu sehen, bis ich mich aufs Lager strecke, und wenn ich erwache, wird die Sonne hoch herauf sein; denn ich fühle große Ermüdung, und werde auf beiden Ohren schlafen.« »Ich will Euch nicht verhehlen«, antwortete der Wirt, »daß sich ein Gerücht umtreibt, es gehe irre im Schlosse, und wohne ein Spukgeist darinnen. Ihr dürft Euch das gleichwohl nicht irren lassen, wir sind, wie Ihr sehet, nahe genug, daß Ihr uns errufen könnt, wenn Euch etwas Unnatürliches zustoßen sollte; ich werde mit meinem Gesinde flugs bei der Hand sein, Euch Beistand zu leisten. Unten im Hause wird's die ganze Nacht nicht ruhig, und es bleibt immer jemand wach. Ich wohne nun seit dreißig Jahren hier im Orte, kann gleichwohl nicht sagen, daß ich je was gesehen hätte. Wenn's ja zuweilen in der Nacht Gepolter gibt, so sind's Katzen und Marder, die auf dem Kornboden rasaunen. Aus Vorsorge hab ich Euch mit Licht versehen: die Nacht ist doch keines Menschen Freund, und die Kerzen sind geweiht, deren Schimmer die Gespenster, wenn welche im Schlosse vorhanden sind, gewiß scheuen werden.«

Der Wirt sagte daran keine Unwahrheit, daß er nie von einem Gespenste im Schlosse was innen worden sei, bei Nacht hatte er sich wohl in acht genommen, jemals einen Fuß hineinzusetzen, und bei Tage ließ sich der Geist nicht sehen; auch jetzt wagte der Schalk sich nicht über die Grenze. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, reichte er dem Wandrer den Korb mit den Viktualien, wies ihn zurechte, und wünschte gute Nacht. Franz trat, ohne Furcht und Scheu, in das Vorhaus, vermeinte, die Spukgeschichte sei leeres Geschwätz, oder eine mißverstandene Tradition irgend einer wirklichen Ereignis, woraus die Phantasie ein[546] unnatürlich Abenteuer gebildet hätte. Er gedachte an die Sage, von dem wackern Ritter Eberhard Bronkhorst, für dessen schwerem Arm ihm so bange war gemacht worden, und bei welchem er dennoch einer so gastfreien Aufnahme genoß. Darum hatte er sich's aus seinen Reiseerfahrungen zur Regel gemacht, von der gemeinen Sage gerade das Gegenteil zu glauben, und ließ das Körnlein Wahrheit, das nach der Meinung des weisen Junkers darin verborgen liegen sollte, ganz aus der Acht.

Nach Anweisung des Wirts, stieg er die steinerne Wendeltreppe hinauf, und kam vor eine verschlossene Tür, die er mit dem Schlüssel öffnete. Eine lange düstre Galerie, wo sein Fußtritt widerhallete, führte ihn in einen großen Saal, und aus diesem eine Seitentür in eine Reihe Gemächer, die mit allen Gerätschaften, zur Zierde und Bequemlichkeit, reichlich versehen waren. Er wählte sich eins darunter zum Schlafgemach, das ihm am freundlichsten schien, wo er ein wohlgepolstertes Ruhebette fand, und aus dessen Fenstern er, gerade unter sich, in den Gasthof sahe, auch jedes laute Wort, das daselbst geredet wurde, vernehmen konnte. Er zündete die Wachskerzen an, beschickte seine Tafel, und speiste mit solcher Gemächlichkeit und Wohlgeschmack, als ein Nobili von Otaheite. Die gebauchte Flasche ließ ihn dabei keinen Durst leiden. So lange die Zähne in voller Arbeit waren, hatte er nicht Zeit, an die angebliche Spukerei im Schlosse zu gedenken; wenn sich auch zuweilen etwas in der Ferne regte, und ihm die Furchtsamkeit zurief: Horch auf! horch auf! jetzt kommt der Poltergeist, so antwortete die Herzhaftigkeit: Possen! es sind Katzen und Marder, die sich beißen und balgen. Aber in dem Dauungsviertelstündgen nach der Mahlzeit, da der sechste Sinn, die Empfindung des Hungers und Dursts, die Seele nicht mehr beschäftigte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit, unter den fünf übrigen, allein auf das Gehör, und da flüsterte die Furcht schon immer drei bängliche Gedanken dem Horcher ins Ohr, ehe die Herzhaftigkeit einmal drauf antwortete.

Vor den ersten Anlauf schloß er die Tür ab, schob den Nachtriegel vor, und nahm seine Retirade auf den gemauerten [547] Sitz des gewölbten Fensters. Er öffnete solches, sahe, um sich in etwas zu zerstreuen, an den gesternten Himmel, blickte in den genärbten Mond, und zählte wie oft sich die Sterne putzten. Auf der Straße unter ihm wurd's öde, und ungeachtet der ihm angerühmten nächtlichen Lebhaftigkeit im Gasthofe, wurden die Türen verschlossen, die Lichter ausgetan, und es wurde darinnen so still, als in einer Totengruft. Dagegen stieß der Nachtwächter ins Horn, und ließ sein: »Hört ihr Herren«, über den ganzen Flecken erschallen, intonierte auch, zur Beruhigung des bangen Astronomen, der seine Augen noch immer an den funkelnden Sternen weidete, ein gellendes Abendlied gerad unter dem Fenster, also, daß Franz leicht mit ihm Unterredung hätte pflegen können, welches er, um der Geselligkeit willen, auch gern getan hätte, wenn er vermuten können, daß ihm der Wächter zur Rede stehen würde.

In einer volkreichen Stadt, mitten unter einer zahlreichen Hausgenossenschaft, wo des Getümmels so viel ist als in einem Bienenkorbe, mag's für den Denker eine angenehme Erholung sein, über die Einsamkeit zu philosophieren, sie als die lieblichste Gespielin des menschlichen Geistes zu gestalten, ihr alle vorteilhafte Seiten abzugewinnen, und nach ihrem Genusse zu verlangen. Aber da, wo sie einheimisch ist, auf der Insel Juan Fernandez, wo ein einzelner, dem Schiffbruch entronnener Eremit, lange Jahre mit ihr verlebt; oder bei schauervoller Nacht, in einem tiefen Walde; oder in einem unbewohnten alten Schlosse, wo öde Mauren und Gewölbe Grausen erwecken, und nichts Leben atmet, außer die traurige Eule, in dem zerfallnen Turne: da ist sie, in Wahrheit, nicht die angenehmste Gesellschafterin für den [548] scheuen Anachoreten, der darinne übernachtet, besonders wenn er sich, alle Augenblicke, der Erscheinung eines Poltergeistes gewärtigen muß. Da kann's leicht der Fall sein, daß eine Unterredung mit dem Nachtwächter zum Fenster heraus, eine bessere Unterhaltung gewähret für Geist und Herz, als die anziehendste Lektür eines Panegyrikus über die Einsamkeit. Wenn Freund Zimmermann in Freund Franzens Stelle sich befunden hätte, auf dem Schloß Rummelsburg an der westfälischen Grenze, so würde er ohne Zweifel, in dieser Situation, die Grundideen zu einer ebenso interessanten Schrift über die Geselligkeit ausgesponnen haben, als ihn, allem Vermuten nach, eine lästige Assemblee bestimmt hat, aus der Fülle des Herzens der Lobredner der Einsamkeit zu werden.

Mitternacht heißt die Stunde, wo die intellektuelle Welt Leben und Tätigkeit gewinnt, wenn die vergröberte animalische Natur in tiefem Schlummer begraben liegt. Franz wünschte um deswillen lieber, diese bedenkliche Stunde zu verschlafen, als zu durchwachen, darum tat er das Fenster zu, ging nochmals die Runde im Zimmer, durchspähete Winkel und Ecken, zu sehen, ob alles geheuer sei; schneuzte die Lichter, daß sie heller brennten, und streckte sich flugs aufs Ruhebette, welches seinem ermüdeten Körper gar sanfte tat. Dennoch konnt er nicht so bald, als er wünschte, in Schlaf kommen. Ein kleines Herzpochen, welches er einer Wallung im Blute von der Hitze des Tages zuschrieb, erhielt ihn noch eine Zeitlang wach, und er unterließ nicht, diese Frist zu benutzen, und einen so kräftigen Abendsegen zu beten, als er seit vielen Jahren nicht gebetet hatte, dieser tat die gewöhnliche Wirkung, daß er sanft dabei einschlief. Nach Verlauf einer Stunde, seinem Bedünken nach, erwachte er mit einem plötzlichen Schreck, welches bei einem unruhigen Blute eben nichts Ungewöhnliches ist. Dadurch wurde er ganz munter, horchte, ob alles ruhig sei, und hörte nichts als die Glocke, die eben zwölfe schlug, welche Neuigkeit der Nachtwächter bald darauf, im ganzen Flecken, mit lautem Gesange ankündigte. Franz lauschte noch eine Weile, legte sich aufs andre Ohr, und war eben im Begriff wieder [549] einzuschlafen, da war's ihm, als knarre von ferne eine Tür, und gleich darauf schlug sie mit dumpfem Getöse zu. O wehe! wehe! raunte die Furcht ihm ins Ohr, das ist fürwahr der Poltergeist! Es ist der Wind und weiter nichts, tröstete die Herzhaftigkeit. Doch bald kam's näher, immer näher, wie ein schwerer Mannestritt. Geklingel hier, Geklingel dort, als rasselte ein Delinquent mit schweren Ketten; oder als ging der Pförtner, mit seinem Schlüsselbund, im Schloß umher. Das war kein Windesspiel, die Herzhaftigkeit verstummte, die bange Furcht trieb alles Blut dem Herzen zu, daß es pochte wie ein Schmiedehammer.

Jetzt war die Sache außerm Spaß. Wofern die Furcht die Herzhaftigkeit noch einmal hätte lassen zum Worte kommen, so würde diese den Verzagten an den Subsidien-Traktat mit dem Wirte erinnert und ihn angetrieben haben, die stipulierte Hülfe laut aus dem Fenster zu reklamieren; aber da gebrach's an Entschließung. Der ängstlich Zagende nahm seine Zuflucht zur Matratze, der letzten Schutzwehr der Furchtsamen, und zog sie dichte übern Kopf, wie Vogel Strauß das Haupt hinter ein Sträuchlein birgt, wenn er dem Jäger nicht mehr entrinnen kann. Draußen ging's Tür auf, Tür zu, mit gräßlichem Gepolter, und nun kam's auch ans Schlafgemach. Es drehte rasch am Schloß, versuchte viele Schlüssel, bis es den rechten fand; doch hielt der Riegel noch die Türe fest, bis sie ein harter Schlag, gleich einem Donnerschlag, eröffnete, daß Niet und Riegel sprang. Da trat herein ein langer hagrer Mann, mit einem schwarzen Barte, in alter Tracht und finsterm Angesicht, die Augenbraunen senkten sich zu tiefem Ernste, von der Stirn herab. Um seine linke Schulter schlug er einen Scharlachmantel, und auf dem Haupt [550] trug er einen spitzen Hut. Er zog, mit schwerem Tritt, dreimal das Zimmer schweigend auf und ab, besah die geweihten Kerzen und putzte sie, damit sie heller leuchteten. Drauf ließ er seinen Mantel fallen, schnürte einen Schersack auf, den er darunter barg, und kramte ein Barbierzeug aus, strich flugs ein blankes Schermesser auf dem breiten Riemen, den er am Gürtel trug.

Franz schwitzte Judasschweiß unter der Matratze, befahl sich in den Schutz der Heilgen Jungfrau, und spekulierte ängstlich, was dies Manövre sollte, wußte nicht, ob's damit auf die Gurgel oder auf den Bart gemeinet sei. Zu seiner Beruhigung, goß das Gespenst, aus einer silbernen Flasche, Wasser in ein silbern Becken, und schlug, mit beinerner Hand, die Seife zu leichtem Schaum, rückte einen Stuhl zurechte, und winkte, mit ernster Miene, den angstvollen Lauerer aus seinem Hinterhalt hervor.

Gegen diesen bedeutsamen Wink galt so wenig eine Einwendung, als gegen die strengen Befehle des Großherrn, wenn er einem exilierten Wesir den Engel des Todes, den Capichi Baschi, mit der seidnen Schnur nachschickt, seinen Kopf in Empfang zu nehmen. Das Vernünftigste, was sich in diesem kritischen Falle tun läßt, ist, der Notwendigkeit nachzugeben, zum bösen Spiel gute Miene zu machen, und sich, mit stoischer Gelassenheit, die Kehle gemachsam zuschnüren zu lassen. Franz honorierte die empfangne Ordre: die Matratze begann sich zu heben, er sprang rasch vom Bette auf, und nahm den ihm angewiesenen Platz auf dem Schemel ein. So wundersam auch dieser schnelle Übergang, von der äußersten Verzagtheit zur kühnsten Entschlossenheit scheinen mag, so natürlich wird dennoch das psychologische Journal uns diese Erscheinung zu erklären wissen.

Der spukende Barbier band seinem zitternden Bartkunden alsbald das Schertüchlein vor, ergriff drauf Kamm und Schere, beschnitt ihm Haar und Bart. Dann seifete er ihn kunstmäßig ein, zuerst den Bart, hernach die Augenbraunen, zuletzt die Schläfe, Scheitel und das Hinterhaupt, und schor ihn von der Gurgel bis zum Nacken so glatt und kahl, wie einen Totenkopf. Als er mit dieser Operation zustande war,[551] wusch er ihm das Haupt, trocknete es säuberlich, machte seinen Reverenz, und schnürete den Schersack zu, hüllte sich in den Scharlachmantel, und schickte sich zum Rückzug an. Die geweihten Kerzen brannten vortrefflich helle bei der ganzen Verhandlung, und Franz sahe, vermöge ihres Schimmers, im Spiegel, daß ihn der Scherer in einen chinesischen Pagoden verwandelt hatte. Er bedauerte herzlich den Verlust der schönen braunen Locken, gleichwohl schöpfte er nun wieder frischen Atem, da er merkte, es sei mit diesem Opfer alles abgetan, und der Geist habe weiter keine Macht an ihm.

So verhielt sich's auch in der Tat, der Rotmantel ging nach der Tür, stillschweigend wie er gekommen war, ohne Gruß und Valet, und schien ganz das Widerspiel seiner geschwätzigen Professionsverwandten. Kaum war er aber drei Schritte zurück, so stund er stille, sahe sich mit trauriger Gebärdung nach seinem wohlbedienten Kunden um, und strich mit der flachen Hand über den schwarzen Bart. Eben das tat er zum andern Male, und nochmals, als er eben zur Tür hinaus schreiten wollte. Franz geriet dadurch auf die Vermutung, daß das Gespenst etwas verlange, und durch eine schnelle Kombination der Ideen riet er darauf, daß es vielleicht den nämlichen Dienst von ihm er warte, den es ihm vorher geleistet habe, und er traf's damit glücklicher, als weiland Geisterseher Oeder, der das renommierte Braunschweiger Gespenst inquirierte, wie ein Amtmann den Delinquenten, ohne daß er es zum Geständnis brachte, was es eigentlich mit seiner frivolen Erscheinung wolle.

Da der Geist, ungeachtet seines trübsinnigen Anblicks, mehr zu Schimpf als Ernst aufgelegt schien, und seinen Gast geschabernackt, nicht aber gemißhandelt hatte: so war bei diesem jetzt fast alle Furcht verschwunden. Also wagte er den Versuch, und winkte dem Geiste, sich auf den Schemel zu setzen, welchen er eben verlassen hatte. Sogleich gehorchte das Gespenst, warf den roten Mantel ab, legte das Barbierzeug auf den Tisch, und setzte sich auf den Stuhl, in die Stellung eines Menschen, der sich will den Bart abnehmen lassen. Franz beobachtete sorgfältig die nämliche Prozedur, die der Geist zuvor mit ihm vorgenommen hatte, [552] stutzte ihm den Bart mit der Schere, schnitt ihm das Haar ab, seifete ihm den ganzen Kopf ein, und das Gespenst hielt still wie ein Haubenstock. Der ungeschickte Gesell wußte das Messer schlecht zu regieren, hatte noch nie eins in der Hand gehabt, schor den Bart gerade gegen den Strich, wobei der Geist ebenso seltsame Grimassen machte, wie der Affe des Erasmus, indem er das Bartputzen seines Herrn nachahmte. Dabei wurde dem unkundigen Pfuscher doch nicht wohl zu Mute, er dachte mehr als einmal an die sinnreiche Sentenz: Was deines Amts nicht ist, laß deinen Vorwitz, indessen zog er sich, so gut er konnte, aus der Affäre, und schor das Gespenst so kahl als er selbst war.

[553] Bisher war die Szene, zwischen dem Geiste und dem Wandrer, pantomimisch abgehandelt worden, jetzt wurde die Handlung dramatisch. »Fremdling«, sprach jener mit freundlicher Gebärde, »habe Dank für den Dienst, den du mir geleistet hast: durch dich bin ich der langen Gefangenschaft nun ledig, die mich dreihundert Jahre in diese Mauren gekerkert hat, und zu welcher meine abgeschiedene Seele so lange, einer Übeltat halber, verdammt ward, bis ein Sterblicher das Vergeltungsrecht an mir üben und tun würde, was ich bei meinen Lebzeiten andern tat.

Wisse, daß hier ehemals ein frecher Übermütler wohnte, der sein Gespött mit Pfaffen und mit Laien trieb. Graf Hartmann hieß sein Name, war keines Menschen Freund, erkannte kein Gesetz und keinen Oberherrn, übte eitel Mutwillen und Schälkelei, und schändete des Gastrechts Heiligkeit. Den Fremdling, der unter sein Dach einging; den Dürftigen, der ihn um eine milde Gabe bat, entließ er nie, ohne einen bösen Tück ihm zu beweisen. Ich war sein Schloßbarbier, trieb Liebedienerei, und tat was ihm gefiel. So manchen frommen Pilger, der vorüberging, lockt ich mit Freundlichkeit ins Schloß, bereitete das Bad für ihn, und wenn er meinte seiner wohl zu pflegen, schor ich ihn glatt und kahl, und wies mit Hohn und Spott ihn aus der Tür. Da schauete Graf Hartmann aus dem Fenster, und sah mit Lust, wie sich die Otternzucht der Knaben, aus dem Flecken, versammlet hatte, den Geschändeten zu höhnen, und über ihn, wie über den Propheten einst die freche Knabenrotte, Kahlkopf! Kahlkopf! schrie. Des freute sich der Schadenfroh, und lachte teuflisch drüber, daß er den Speckwanst hielt, und ihm die Augen tränten.

Einst kam ein heilger Mann aus fernen Landen, er trug, gleich einem Büßenden, ein schweres Kreuz auf seiner Schulter, und hatte sich fünf Nägelmal, an Händen, Füßen und der Seite, aus Andacht eingenarbt; auf seinem Haupte stund ein Kranz von Haaren, gleich der Dornenkrone. Er sprach hier an, begehrte Wasser seine Füße zu waschen, und einen Bissen Brot. Flugs bracht ich ihn ins Bad, um ihn nach meiner Weise zu bedienen, und respektierte nicht die heilge [554] Glatze, schor ihm die Krone rein vom Haupte weg. Da sprach der fromme Pilger einen schweren Bannfluch über mich: ›Verruchter wisse, daß nach dem Tode, der Himmel und die Hölle, und des Fegfeuers eherne Pforte, deiner armen Seele verschlossen ist. Sie soll als Plagegeist so lang in diesen Mauren tosen, bis ungefordert, ungeheißen, ein Wandrer das Vergeltungsrecht an dir verüben wird.‹

Von Stund an wurd ich siech, das Mark in den Gebeinen vertrocknete und ich verging gleichwie ein Schatten. Mein Geist verließ den abgezehrten Leichnam, und blieb an diesen Ort gebannt, wie ihm vom heiligen Mann ward auferlegt. Vergebens harrt ich der Erlösung aus diesen qualenvollen Fesseln, die mich noch an die Erde ketteten: denn du sollst wissen, daß, wenn die Seele von dem Körper scheidet, sie nach dem Ort der Ruh verlangt, und diese heiße Sehnsucht macht ihr die Jahre zu Aeonen, solange sie in einem fremden Elemente schmachtet. Zu eigner Qual, setzt ich das traurige Geschäfte fort, das ich bei Leibesleben trieb. Ach! bald verödete mein Tosen dieses Haus! Nur sparsam kam ein Pilger, hier zu übernachten. Ob ich gleich allen tat wie dir, so wollte keiner dennoch mich verstehn, und mir, wie du, den Dienst erweisen, der meinen Geist aus dieser Sklaverei befreite. Hinfort wird sich kein Poltergeist in diesem Schloß mehr regen, ich gehe nun zur langgewünschten Ruhe ein. Nun, junger Fremdling, nochmals meinen Dank, daß du mich nun erlöset hast. Wär ich der Hüter tiefverborgner Schätze, sie wären alle dein; doch Reichtum war im Leben nie mein Los, es liegt in diesem Schlosse auch kein Schatz vergraben. Hör aber guten Rat. Verweile hier, bis Bart und Haupthaar Kinn und Glatze wieder decken, dann ziehe heim in deine Vaterstadt, und harre auf der Weserbrücke daselbst, zur Zeit wenn Tag und Nacht im Herbst sich gleichen, auf einen Freund, der dir begegnen wird, der wird dir sagen, was du tun sollst, daß dir's wohlergeh auf Erden. – Wenn aus dem güldnen Horn des Überflusses dir Segen und Gedeihen quillt, alsdann sei meiner eingedenk, und laß, sooft der Jahrstag wiederkehret, an welchem du mich des Verwünschungsfluchs entbandest, zu meiner [555] Seelenruh, mir jedesmal drei Messen lesen.- Nun fahre wohl, ich scheide jetzt davon.«

Mit diesen Worten verschwand der Geist, nachdem er, durch seine Geschwätzigkeit, seine ehemalige Existenz als Hofbarbier, im Schlosse Rummelsburg, sattsam dokumentieret hatte, und ließ seinen Befreier voll Verwunderung über das seltsame Abenteuer. Er stund lange unbeweglich, und war zweifelhaft, ob sich die ganze Geschichte wirklich begeben, oder ob ihn nur ein schwerer Traum getäuschet habe; allein sein kahlgeschorner Kopf überzeugte ihn bald von der Wahrheit der Begebenheit. Er legte sich drauf zur Ruhe, und schlief auf das überstandene Schrecken, bis in die Mittagsstunde. Der betrügliche Wirt hatte schon von frühem Morgen an gelauret, wenn der Wanderer mit der Glatze zum Vorschein kommen würde, um ihn mit heimlichem Hohngelächter, unter dem Anschein der Verwunderung über das nächtliche Abenteuer, zu empfangen. Da ihm dieser aber zu lang zögerte, und schon der Mittag herannahete, wurde ihm die Sache bedenklich, und er fing an zu fürchten, das Gespenst möchte etwas unsanft mit dem fremden Gaste gefahren sein, ihn erdrosselt, oder in so übermäßige Furcht versetzt haben, daß er vor Entsetzen gestorben sei; und seine mutwillige Rache so weit zu treiben, war gleichwohl seine Absicht nicht. Er schellete dem Gesinde, lief mit Knecht und Magd in aller Eile auf die Burg, und kam vor das Zimmer, in welchem er des Abends Licht bemerkt hatte. Er fand einen unbekannten Schlüssel an der Tür; aber diese war von innen verriegelt; denn nach der Verschwindung des Geistes hatte Franz sie wieder verwahret. Er pochte mit ängstlicher Heftigkeit an, daß die heiligen Siebenschläfer von dem Getöse würden aufgewacht sein. Franz wurde munter, und meinte in der ersten Bestürzung, der Geist stünd wieder vor der Tür, und habe ihm einen nochmaligen Besuch zugedacht. Da er aber des Wirts Stimme vernahm, der nichts mehr verlangte, als daß sein Gast ein Zeichen des Lebens von sich geben sollte, raffte er sich auf und öffnete das Gemach.

Mit scheinbarem Entsetzen sprach der Wirt, indem er die Hände zusammenschlug: »Bei Gott und allen Heiligen! der [556] Rotmantel ist hier gewesen, (unter diesem Namen war das Gespenste den Einwohnern bekannt,) und hat Euch zum Kahlkopf geschoren, nun ist's vor Augen, daß die alte Sage kein Märchen ist. Aber berichtet mich, wie sahe der Poltergeist aus, was hat er geredt, und wie hat er getan?« Franz, der den Frager vollkommen ausgemerket hatte, antwortete: »Der Geist glich einem Mann in einem roten Mantel, wie er getan hat, ist Euch nicht verborgen, und was er sprach, des bin ich wohl eingedenk: ›Fremdling‹, sprach er, ›trau keinem Wirte, der den Schalk im Schilde führt: was dir begegnen sollte, war ihm wohl bewußt. Gehab dich wohl, ich ziehe fort aus diesem alten Aufenthalte, denn meine Zeit ist aus. Hinfort wird hier kein Poltergeist mehr spuken; ich werde nun zum stillen Alp, will baß den Gastwirt plagen, ihn kneipen, zwicken, drücken, wofern er seine Schuld nicht büßt, dir Dach und Fach und freie Zehrung gibt, bis um dein Haupt sich wieder braune Locken krümmen.‹«

Der Wirt erbebte bei diesen Worten, schlug ein großes Kreuz vor sich, und gelobte, bei der Heiligen Jungfrau, dem Abenteurer freie Zeche, solang er bei ihm verharren wollte, führte ihn in sein Haus und bediente ihn aufs beste. Es fehlte wenig, daß der Fremdling nicht in den Ruf eines Geisterbanners kam, da sich das Gespenst von nun an nicht mehr sehen ließ. Er übernachtete oft in der alten Burg, und ein [557] Waghals aus dem Orte hatte den Mut, ihm Gesellschaft zu leisten, ohne daß er zum Kahlkopf geschoren wurde. Da der Gutsherr erfuhr, daß der fürchterliche Rotmantel nicht mehr in Rummelsburg spuke, ward er darüber sehr froh, und erteilte Befehl, des Fremdlings wohl zu pflegen, der ihn seiner Meinung nach weggebannt habe.

Um die Zeit, als sich der Wein färbte, und der herannahende Herbst die Äpfel an den Bäumen rötete, kräuselten sich die braunen Locken wieder, der Wandrer schnürte sein Reisebündel: seine Sinnen und Gedanken waren auf die Weserbrücke gerichtet, um den Freund aufzusuchen, der ihm, nach der Verheißung des nächtlichen Barbiers, Anweisung geben sollte, wie er sein Glück machen könnte. Indem er sich vom Wirt verabschiedete, zog dieser ein Pferd, mit Sattel und Zeug, aus dem Stalle, womit der Gutsherr aus Dankbarkeit ihn beschenkte, daß er sein Schloß wieder wohnbar gemacht hatte; auch ließ er ihm einen nachhaltigen Zehrpfennig reichen, und so kam Franz flink und wohlgemut in seine Vaterstadt wieder angeritten, wie er vor Jahresfrist daraus gezogen war. Er suchte sein altes Quartier im engen Gäßgen auf, hielt sich aber gar still und eingezogen, und forschte nur unter der Hand, wie's mit der schönen Meta stünd, ob sie noch lebe, und unvermählt sei. Auf diese Frage erhielt er eine befriedigende Antwort, und begnügte sich vor der Hand daran: denn er wagte es nicht, ehe sein Schicksal entschieden wäre, ihr unter die Augen zu treten, oder seine Ankunft in Bremen ihr vermerken zu lassen.

Mit heißer Sehnsucht erwartete er die Tag- und Nachtgleiche, seine Ungeduld machte ihm bis dahin jeden Tag zu einem Jahre. Endlich erschien der langgewünschte Termin. Die Nacht vorher konnte er, vor Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, kein Auge zutun; das Blut waltete und pochte in den Adern, wie im Schlosse Rummelsburg, da er des Besuchs von einem Poltergeiste sich versahe. Um den unbekannten Freund nicht zu verfehlen, stund er schon vor Tagesanbruch auf, und begab sich in der ersten Morgendämmerung auf die Weserbrücke, die noch leer und ledig von Passanten war. Er ging verschiedenemal einsam darauf [558] hin und wider, mit einem Vorgefühl freudiger Ahndung, das den eigentlichen Genuß aller irdischen Glückseligkeit in sich faßt, denn nicht die erreichten Wünsche, sondern die unbezweifelte Hoffnung, sie zu erreichen, gewähret dem menschlichen Geiste das volle Maß des höchsten und innigsten Vergnügens. Er machte eine Menge Entwürfe, wie er sich im Besitz seines zu erwartenden Glücks, bei der geliebten Meta produzieren wollte; ob es ratsamer sei, sich ihr in vollem Glanze zu zeigen, oder nur im ersten Schimmer des Morgenlichtes, aus seiner bisherigen Dunkelheit hervorzugehen, und sie nach und nach die glückliche Veränderung seiner Lage wahrnehmen zu lassen. Die Neugierde tat bei dieser Gelegenheit tausend Fragen an den Verstand: Wer mag der Freund sein, der mir auf der Weserbrücke begegnen soll? Ob's wohl einer meiner alten Bekannten ist, bei denen ich, seit meinem Verfall, ganz vergessen bin? Wie wird er mir den Weg zum Glücke bahnen? Und wird dieser Weg kurz oder lang, bequem oder mühsam sein? Auf alles das wußte der Verstand, seines Sinnens und Spekulierens ungeachtet, keine Antwort.

Nach Verlauf einer Stunde, fing's an auf der Brücke lebhaft zu werden, es wurde darüber geritten, gefahren und gegangen, auch viel Kaufmannsgut hin und her gebracht. Die gewöhnliche Tagwache, von Bettlern und preßhaften Personen, besetzte nach und nach diesen zu ihrem Gewerbe wohlgelegnen Posten, um die Wohltätigkeit der Vorübergehenden in Kontribution zu setzen: an Armenanstalten und Arbeitshäuser hatte die weise Polizei damals noch nicht gedacht. Der erste von der zerfetzten Kohorte, der den jovialischen Spaziergänger, welchem frohe Hoffnung aus den Augen lachte, um eine milde Gabe ansprach, war ein verabschiedeter Kriegsmann, der mit dem militärischen Ehrenzeichen eines hölzernen Stelzfußes versehen war, das ihm, als er weiland fürs Vaterland focht, zum Lohn seiner Tapferkeit verliehen wurde, mit der Gerechtsame, zu betteln wo er wollte, und der nun, als Physiognomist, das Studium der Menschenkunde auf der Weserbrücke mit so gutem Erfolg trieb, daß er selten eine Fehlbitte um ein Almosen tat. [559] Auch diesmal irrte sich sein Beschauungsblick keinesweges, indem ihm Franz, in der Freudigkeit seines Herzens, einen blanken Engelgroschen 11 in den Hut warf.

Zur Zeit der ersten Morgenstunden, wo nur der arbeitsame Handwerker tätig ist, der vornehmere Städter aber noch der trägen Ruhe pfleget, erwartete er die Erscheinung des verheißenen Freundes eigentlich noch nicht: er suchte ihn nicht in den niedrigsten Volksklassen, und nahm daher von den Passanten nur wenig Notiz. Um die Stunde der Gerichtszeit aber, als die Proceres von Bremen, in stattlichen Amtskleidern, zu Rat fuhren, und um die Börsenzeit, war er ganz Auge und Ohr, spähete die Kommenden von ferne, und wenn ein rechtlicher Mann über die Brücke kam, geriet sein Blut in Bewegung, und er vermeinte an ihm den Schöpfer seines Glücks zu finden. Es verging indessen eine Stunde nach der andern, die Sonne rückte hoch herauf; bald machte die Mittagszeit einen Stillstand in den Geschäften; das Getümmel verlor sich, und der erwartete Freund zögerte noch immer mit seiner Ankunft. Franz promenierte jetzt ganz allein die Brücke auf und nieder, hatte keine andre Gesellschaft neben sich, als die Bettler, die sich ihre kalte Küche servierten, ohne den Platz zu verlassen. Er trug ebenfalls Bedenken dieses zu tun, und weil er nicht mit Lebensmitteln versehen war, kaufte er einiges Obst, und nahm sein Mittagsmahl ambulando ein.

Dem ganzen Klub, der auf der Weserbrücke tafelte, fiel der junge Mann auf, der vom frühen Morgen an bis an den Mittag hier gelauret hatte, ohne mit jemand Unterredung zu pflegen, oder ein Geschäft auszurichten. Sie hielten ihn für einen Müßiggänger, und ungeachtet sie alle seine Mildtätigkeit erfahren hatten, entging er ihrem Spotte doch nicht: sie nannten ihn scherzweise den Brückenvogt. Der Physiognomist mit dem Stelzfuße aber bemerkte, daß seine Miene nicht mehr so heiter war als in der Morgenstunde, er schien einer Sache ernstlich nachzudenken, hatte den Hut tief ins [560] Gesichte gedrückt, seine Bewegung war langsam und bedächtlich, er nagte lange Zeit an einem Apfelkröbse, ohne daß er dieses selbst zu wissen schien. Aus dieser Beobachtung vermeinte der Menschenspäher Vorteil zu ziehen, darum setzte er sein natürliches und sein hölzernes Bein in Bewegung, begab sich an das andre Ende der Brücke, und lauerte dem Denker auf, um unter dem Anschein eines [561] neuen Ankömmlings, ihn nochmals um eine Beisteuer anzugehen, und dieser Fund gelang ihm aufs beste. Der tiefsinnige Philosoph richtete keine Aufmerksamkeit auf den Bettler, griff mechanisch in die Tasche, und warf ihm ein Sechsgrotstück in den Hut, um seiner loszuwerden.

Nach der Mittagszeit kamen wieder tausend neue Gesichter zum Vorschein, der Harrende war nun des Verzugs seines unbekannten Freundes müde, demungeachtet hielt die Hoffnung noch immer seine Aufmerksamkeit gespannt; er trat jedem Vorübergehenden unter die Augen, hoffte, daß ihn einer freundschaftlich umarmen sollte; aber alle gingen kaltsinnig ihres Weges, die mehresten bemerkten ihn gar nicht, und wenige erwiderten seinen Gruß mit einem kleinen Kopfnicken. Die Sonne neigte sich bereits zum Untergange, die Schatten wurden länger, die Frequenz auf der Brücke nahm ab, und das Bettlerpikett zog nach und nach heim, in seine Kasernen auf der Mattenburg. Eine tiefe Schwermut überfiel den Hoffnungslosen, da er seine Erwartung getäuscht und die herrliche Aussicht, die er des Morgens vor Augen hatte, am Abend nun verschwinden sahe. Er geriet in eine Art mißmutiger Verzweiflung, war nahe dabei über Bord zu springen und sich von der Brücke herab in die Weser zu stürzen. Aber ein Gedanke an Meta hielt ihn zurück, und bewog ihn, dieses Vorhaben so lange aufzuschieben, bis er sie noch einmal gesehen hätte; er beschloß den folgenden Tag sie zu belauschen, wenn sie gehen würde Messe zu hören, zum letzten Mal aus ihrem reizenden Anblick Wonne zu trinken, und dann flugs die heiße Liebe in dem kalten Weserstrom auf ewig abzukühlen.

Indem er sich anschickte, die Brücke zu verlassen, begegnete ihm der verabschiedete Lanzknecht mit dem Stelzfuß, der mancherlei Spekulationen zum Zeitvertreib gemacht hatte, was des jungen Mannes Intent sei, daß er, vom frühen Morgen bis zum Abend, die Brücke bewacht hätte. Er hatte um seinetwillen länger als gewöhnlich verzogen, um ihn auszuharren. Weil er's ihm aber zu lange machte, reizte ihn die Neugierde, sich an ihn selbst zu wenden und ihn darum zu befragen. »Nichts vor ungut, lieber Herr«,[562] redete er ihn an, »vergönnt mir eine Frage.« Franz, der eben nicht bei gesprächiger Laune war, und die Ansprache, die er von einem Freunde so sehnlich erwartet hatte, nun aus dem Munde eines Krüppels vernahm, antwortete etwas mürrisch: »Nun was ist's? Alter Graubart, rede!« »Wir zwei beide«, fuhr jener fort, »sind heut die ersten hier auf dieser Brücke gewesen, und sind nun auch die letzten. Was mich und andere meines Gelichters betrifft, uns führt der Beruf hierher, Almosen einzusammlen; aber Ihr seid doch, wahrlich! nicht von unsrer Gilde, und habt gleichwohl hier den ganzen Tag gelauret. Lieber, sagt mir, wenn's kein Geheimnis ist, welche Ursach bringt Euch hierher; oder welcher Stein liegt Euch auf dem Herzen, den Ihr hier abwälzen wolltet?« »Was kann's frommen, Alter«, sprach Franz launisch, »ob du weißt, wo mich der Schuh drückt; oder welch Anliegen ich auf dem Herzen habe, dich wird's wenig kümmern.« – »Herr, ich will Euch wohl, darum, daß Ihre Eure Hand gegen mich aufgetan, und mir zweimal Almosen gegeben habt, das Euch Gott belohne! Aber Euer Angesicht war am Abend nicht so heiter wie am Morgen, und das frißt mir 's Herz.« Diese gutmütige Teilnehmung des alten Kriegsknechtes gefiel dem Misanthropen, daß er nun das Gespräch gern unterhielt. »Ei nun«, antwortete er, »wenn dir daran gelegen ist, zu erfahren, warum ich mich hier die Langeweile habe plagen lassen, so wisse, daß ich einen Freund suchte, der mich hierher beschied, und nun vergeblich auf sich warten läßt.« »Mit Verlaub«, entgegnete der Stelzfuß, »daß ich frei reden mag, Euer Freund, sei er auch, wer er sei, ist 'n Schurke, daß er Euch so am Narrenseile führt. Tät er mir das, so sollt er, wahrlich! meine Krücken fühlen, wo er mir unter die Augen trät. War er verhindert Wort zu halten, sollt er es kund tun, und Euch nicht wie einen Knaben äffen.« »Ich kann ihm«, entschuldigte Franz, »sein Ausbleiben gleichwohl nicht verargen, er hat mir nichts versprochen; es war nur ein Traum, der mir verhieß, hier meinen Freund zu treffen.« Die Gespenstergeschichte war ihm zu erzählen zu weitläuftig, darum hüllte er sie in einen Traum. »Das ist ein andres«, sprach der Alte, »wenn[563] Ihr auf Träume baut, so wundert's mich nicht, daß Euch Eure Hoffnung betrügt. Mich hat in meinem Leben viel tolles Zeug geträumet; aber ich bin nie ein solcher Tor gewesen, darauf zu achten. Hätt ich all die Schätze, die mir im Traume sind beschert gewesen, die Stadt Bremen wollt ich damit kaufen, wo sie feilgeboten würde. Aber ich habe nie an Träume geglaubt, auch weder Hand noch Fuß geregt, ihren Wert oder Unwert zu prüfen, ich wußte wohl, daß es vergebne Mühe damit sei. Ha! ich muß Euch ins Gesichte lachen, daß Ihr um eines leeren Traumes willen, einen schönen Lebenstag verschleudert, den Ihr, bei einem fröhlichen Gelag, besser zugebracht hättet.« – »Der Erfolg beweist, daß du recht hast, Alter, und daß Träume öfters trügen. Aber«, verteidigte sich Franz, »ich träumte so lebhaft und umständlich, vor länger als drei Monden, daß ich an eben diesem Tage und an diesem Orte einen Freund antreffen sollte, der mir Dinge von großer Wichtigkeit zu sagen habe, daß es wohl der Mühe lohnte, zu erfahren, ob der Traum zutreffen würde.« – »Oh«, versetzte der Stelzfuß, »niemand träumt lebhafter als ich! Einen Traum vergeß ich doch in meinem Leben nicht. Träumte mich, weiß nicht vor wie viel Jahren, mein Schutzengel stünd an meinem Bette, in Gestalt eines Jünglings, mit goldgelockten Haaren, und zwei silberfarbenen Fittichen auf dem Rücken, und sprach zu mir: ›Berthold, vernimm die Worte meiner Rede, daß keins verloren gehe aus deinem Herzen. Es ist dir ein Schatz beschieden, den du heben sollst, um dir davon gütlich zu tun, die übrige Zeit deines Lebens. Morgen abend, wenn die Sonne zum Untergang sich neiget, nimm Schippe und Spaten auf deine Schulter, gehe aus von der Mattenburg, über die Tieber rechter Hand, nach der Balgenbrücke, an dem Johanniskloster hin, bis zum großen Roland. Dann nimm deinen Weg über den Domhof durch den Schüsselkorb, daß du gelangest außer der Stadt an einen Garten, der das Merkzeichen hat, daß eine Steige von vier steinernen Stufen von der Straße hinunter zu dessen Eingang führet. Harre hier abseits, im Verborgnen, bis die Mondssichel dir leuchtet: dann stemme dich mit Mannskraft gegen die leicht verwahrte [564] Tür, die dir nur schwach widerstehen wird. Tritt getrost ein in den Garten, und wende dich nach dem Traubengeländer, das den Bogengang beschattet, hinter demselben linker Hand überragt ein hoher Apfelbaum das niedrige Gebüsch, tritt an den Stamm dieses Baums, das Angesicht gerade gegen den Mond gekehret, schaue drei Ellen breit vor dich auf die Erde, so wirst du zwei Zimtrosensträuche erblicken, dort schlage ein und grabe drei Spannen tief, bis du eine steinerne Platte findest, darunter liegt der Schatz begraben, in einer eisernen Truhe voll Gold und Geldeswert. Ob sie wohl schwer und unbehülflich ist, so scheue doch die Arbeit nicht, sie aus der Gruft zu heben, sie wird deiner Mühe wohl lohnen, wenn du den Schlüssel suchest, der unter der Truhe verwahrt ist.‹«

Vor Verwunderung starrte und staunte Franz den Träumer an, über das was er hörte, und würde seine Verwirrung nicht haben verbergen können, wo nicht die nächtliche Dämmerung ihm zustatten gekommen wär. Er erkannte, aus allen angegebenen Merkzeichen, seinen eignen vom Vater ererbten Garten, der des guten Mannes Steckenpferd bei seinem Leben gewesen war; um deswillen aber dem Sohne nicht behagte, vermöge der Erfahrungsregel, daß selten Vater und Sohn in einer Lieblingsneigung, wenn sie kein Laster ist, sympathisieren; denn im letztern Fall fällt der Apfel, wie man spricht, selten weit vom Stamme. Vater Melchior hatte den Garten ganz in seinem eignen Geschmacke angelegt, so bunt und seltsam wie sein Urenkelssohn, der sein Elysium durch eine originelle Beschreibung verewiget hat 12. Er hatte zwar keine gemalte Menagerie darinne zur Schau ausgestellt; aber er unterhielt gleichwohl eine sehr zahlreiche daselbst, von springenden Rossen, geflügelten Löwen, Adlern, Greifen, Einhörnern und andern Wundertieren, allesamt von reinem Gold geprägt, die er aber für jedermanns Augen sorgfältig verhehlte, und unter die Erde verbarg. Dieses väterliche Tempe hatte der verschwenderische Sohn, zur Zeit seiner Wildfangsepoche, um ein Spottgeld verschleudert.

[565] Jetzt wurde ihm der Stelzfuß auf einmal höchst interessant, da er merkte, daß eben dieser der Freund war, an den ihn das Nachtgespenst im Schlosse Rummelsburg adressiert hatte. Gern hätt er ihn umarmen, und im ersten Entzücken Freund und Vater nennen mögen; doch hielt er sich zurück und fand ratsamer, sich gegen ihn über die mitgeteilte Nachricht nicht weiter auszulassen. Darum sprach er: »Das laß ich mir einen umständlichen Traum sein! Aber, Alter, was tatest du am Morgen beim Erwachen? Befolgtest du nicht, wozu der Schutzengel dich anmahnte?« »Ei wie sollt ich«, antwortete der Träumer, »vergebne Arbeit tun? Es war ja nichts als ein leidiger Traum. Wenn mir mein Schutzengel erscheinen wollte, so hab ich der schlaflosen Nächte in meinem Leben gar viel gehabt, wo er mich wachend hätte finden können; aber er hat sich wohl nie sehr um mich bekümmert, sonst würde ich nicht, zu seiner Schande, auf diesem Stelzfuß hinken.« Franz zog sein letztes Silberstück hervor, das er bei sich trug. »Nimm«, sprach er, »alter Vater, diese Gabe noch von mir, zu einem Schoppen Wein für den Abendtrunk, dein Gespräch hat meine üble Laune verscheucht. Verabsäume nicht, dich fleißig auf dieser Brücke einzufinden, wir sprechen, hoff ich, uns hier wieder.« Der lahme Greis hatte seit langer Zeit kein so reiches Almosen eingeerntet, als an diesem Tag, er segnete dafür seinen Wohltäter, krückte sich in ein Wirtshaus und tat sich eine Güte; Franz aber eilte, von neuer Hoffnung belebt, seiner Wohnung im engen Gäßgen zu.

Am folgenden Tage setzte er alles in Bereitschaft, was zum Schatzgraben erforderlich ist. Die außerwesentlichen Requisita, Beschwörungsformeln, Zaubersegen, Zaubergürtel, hieroglyphische Charaktere und dergleichen mangelten ihm gänzlich; sie sind aber auch entbehrlich, wenn nur die drei Haupterfordernisse nicht fehlen, Schippe, Spaten, und vor allen Dingen der Schatz unter der Erde. Das nötige Arbeitszeug schaffte er kurz vor Sonnenuntergang an Ort und Stelle, und verbarg es einsweils in eine Hecke; was aber den Schatz selbst betraf, so hatte er den festen Glauben, daß der Geist im Schlosse, und der Freund auf der Brücke, an [566] ihm nicht würden zu Lügnern werden. Mit sehnlichem Verlangen erwartete er nun den Aufgang des Mondes, und als dieser seine Silberhörner durchs Gebüsche streckte, gab er sich frisch an die Arbeit, beobachtete alles genau, was ihm der alte Invalid gelehret hatte, und hob den Schatz glücklich, ohne ein Abenteuer dabei zu bestehen; ohne daß ihn ein schwarzer Hund erschreckt, oder ein blaues Flämmlein dazu geleuchtet hätte.

Vater Melchior, der aus weiser Vorsicht diesen Notpfennig hier vergrub, hatte keinesweges die Absicht, seinem Sohne diesen beträchtlichen Teil der Erbschaft zu entziehen, der Verstoß lag nur darinne, daß Freund Hein auf eine andre Manier den Erblasser aus der Welt geleitete, als dieser vermutet hatte. Er war gänzlich überzeugt, daß er alt und lebenssatt, mit allen Formalitäten eines ordentlichen Krankenlagers, das Zeitliche gesegnen würde, wie ihm in der Jugend war prophezeiet worden. Da wollte er nun, wenn er nach Kirchengebrauch die Letzte Ölung empfangen hätte, seinen geliebten Sohn ans Sterbebette zu sich rufen, nachdem er alle Umstehenden zuvor entlassen hätte, ihm den väterlichen Segen erteilen, und zum Valet, den im Garten vergrabenen Schatz nachweisen. Es wäre auch alles in seiner Ordnung gegangen, wenn das Lebenslicht des guten Alten ausgelöscht wär wie ein brennendes Tocht, dem es an Öl gebricht; da es aber der Tod hinterlistigerweise auf einem Gastmahl ausputzte, so nahm er, wider Willen, sein Mammonsgeheimnis mit ins Grab, und es waren beinahe so viel glückliche Konkurrenzen erforderlich, ehe das verscharrte Patrimonium an den rechten Erben kam, als wenn es durch die Hand der Gerechtigkeit an die Behörde wäre befördert worden.

[567] Mit unermeßlicher Freude nahm er die unförmlichen spanischen Matten in Empfang, die der eiserne Kasten, nebst einer großen Anzahl anderer Sorten von feinerm Gepräge, getreulich verwahret hatte. Nach dem der Taumel der ersten Wonnetrunkenheit etwas verraucht war, überlegte er, wie der Schatz unbemerkt und sicher ins enge Gäßgen zu transportieren sein möchte. Die Bürde war zu schwer, sie ohne Gehülfen fortzubringen, daher wachten mit dem Besitz des Reichtums auch alle damit verknüpfte Sorgen auf. Der neue Krösus wußte sich nicht anders zu raten, als sein Kapital einem hohlen Baume, der hinterm Garten auf einer Wiese stund, auf Treu und Glauben anzuvertrauen; den ausgeleerten Kasten vergrub er wieder in das Rosengebüsch, und ebnete den Platz so gut er konnte. In Zeit von drei Tagen, war der Schatz aus dem hohlen Baume wohlbehalten ins enge Gäßgen eingelotset, und nun glaubte der Inhaber, mit Ehren sein strenges Inkognito ablegen zu können. Er kleidete sich aufs beste, ließ die Vorbitte in der Kirche abstellen, und begehrte dagegen eine christliche Danksagung für einen Reisenden, bei der Wiederkehr in seine Vaterstadt, nach glücklicher Ausrichtung seiner Geschäfte. Er verbarg sich in der Kirche in einen Winkel, wo er unbemerkt die schöne Meta beobachten konnte, verwendete von ihr kein Auge, und trank aus ihrem Anblick alles das Entzücken, dessen Vorempfindung ihn von dem Hallorumsprunge, von der Weserbrücke, zurückhielt. Wie's an die Danksagung kam, blickte frohe Teilnehmung aus allen ihren Gesichtszügen, und die jungfräulichen Wangen glüheten vor Freude. Die gewöhnliche Begegnung auf dem Heimwege war so sprechend, daß sie auch dem dritten Mann, der darauf gemerket hätte, wäre verständlich gewesen.

Franz erschien nun wieder auf der Börse, fing ein Gewerbe an, das in wenig Wochen schon ins Große ging, und da sein Wohlstand täglich mehr in die Augen fiel, urteilte Freund Neidhard der Lästerzüngler, er müsse bei Einkassierung der alten Schulden mehr Glück als Verstand gehabt haben. Er mietete ein großes Haus, dem Roland gegenüber auf dem Markte, nahm Buchhalter und Handelsdiener an, [568] und trieb seine Geschäfte unverdrossen. Da handhabte das leidige Völklein der Schmarotzer wieder fleißig die Klingel an der Tür, kamen zu Hauf und erdrückten ihn schier mit Freundschaftsversicherungen und Glückwünschen, zu erneuertem Wohlergehen; vermeinten ihn wieder, mit ihren räuberischen Klauen, zu erfassen. Aber er war durch Erfahrung klug worden, bezahlte sie mit ihrer eignen Münze, speiste ihre falsche Freundlichkeit mit glatten Worten ab, und ließ sie mit leerem Magen abziehen, welches souveräne Mittel, das lästige Geschmeiß der Gutschmecker und Schranzen zu vertreiben, die beabsichtete Wirkung tat, daß sie wegblieben.

In Bremen war der neu emporschwebende Franz das Märchen des Tages, die Fortüne, die er auf eine unbegreifliche [569] Art in der Fremde, wie man glaubte, gemacht hatte, war der Inhalt aller Gespräche auf Ehrengelagen, vor den Gerichtsschranken, und auf der Börse. Doch in dem Maße, wie der Ruf von seinem Glück und Wohlstand wuchs, nahm die Zufriedenheit und Gemütsruhe der schönen Meta ab. Der Freund in petto war, ihrer Meinung nach, jetzt wohl dazu qualifiziert, ein lautes Wort zu sprechen. Demungeachtet blieb seine Liebe noch immer stumm, und außer der Begegnung auf dem Kirchwege, ließ er nichts von sich hören. Selbst diese Art von Aufwartung wurde sparsamer, und dergleichen Adspekten deuteten nicht auf warme, sondern auf kalte Witterung in der Liebe. Die traurige Harpyie Celäno Eifersucht umflatterte, zur Nachtzeit, ihr Kämmerlein, und girrete, wenn der goldne Schlaf ihr kaum die blauen Augen zugedrückt hatte, manche bange Ahndung der Erwachenden ins Ohr. »Laß die süße Hoffnung schwinden, einen Unbeständigen zu fesseln, der als ein leichter Ball von jedem Winde umgetrieben wird. Er liebte dich und war dir treu, solang sein Glück dem deinigen die Waage hielt: nur gleich und gleich gesellet sich. Jetzt hebt ein günstger Los den Wankelmütigen weit über dich empor. Ach! nun verschmähet er die reinsten Triebe im dürftigen Gewand, da Prunk und Pracht, und Reichtum wieder um ihn braust, und buhlt, wer weiß um welche stolze Schöne, die ihn verstieß, als er im Staube lag, und mit Sirenenruf nun wieder zu sich lockt. Vielleicht hat ihn des Schmeichlers Stimme von dir abgewendet, der zu ihm mit verführerischen Worten sprach: Dir blüht der Garten Gottes in deiner Vaterstadt, Freund, du hast jetzt die Wahl von allen Mädchen, drum wähle mit Verstand, nicht mit den Augen nur. Es gibt der Mädchen viel, und viel der Väter, die heimlich auf dich lauren; dir weigert keiner seine Lieblingstochter. Nimm Glück und Ehre mit der Schönsten, auch Sippschaft und Vermögen hin. Die Ratsherrn-Würde kann dir nicht entgehen, wo der Gefreundschaft Stimme viel in der Stadt vermag.«

Diese Eingebungen der Eifersucht beunruhigten und quälten ihr Herz unablässig, sie musterte ihre schönen Zeitgenossinnen [570] in Bremen durch, und maß den großen Abstand so vieler glänzenden Partien, gegen sich und ihre Verhältnisse, und da fiel das Resultat nicht für sie günstig aus. Die erste Nachricht von der Glücksveränderung ihres Geliebten, hatte sie im Geheim entzückt, nicht in der eigennützigen Absicht, Teilhaberin eines großen Vermögens zu werden, sondern um der guten Mutter Freude zu machen, die auf alles Erdenglück Verzicht getan, nachdem die Heurat mit dem Nachbar Hopfenkönig sich zerschlagen hatte. Jetzt wünschte Meta, der Himmel möchte die kirchliche Vorbitte nicht erhöret, und den Verrichtungen des Reisenden keinen so glücklichen Erfolg verliehen, sondern ihn vielmehr bei Salz und Brot erhalten haben, welches er gern mit ihr teilen würde. Die schöne Hälfte der Menschheit ist ganz und gar nicht geschickt, ein geheimes Anliegen zu verhehlen: Mutter Brigitta merkte bald den Trübsinn ihrer Tochter, und erriet auch, ohne eben eines Scharfblicks dazu benötiget zu sein, dessen Grund und Ursach vollkommen. Das Gerücht, von dem wieder aufgegangenen Glücksstern ihres ehemaligen Flachsspediteurs, der jetzt als ein Muster eines ordentlichen, verständigen und tätigen Handelsmannes gepriesen wurde, war ihr ebenso wenig, als die Gesinnung der holden Meta gegen ihn verborgen, und sie urteilte, wenn es mit seiner Liebe auf Ernst gemeinet sei, so wär's unnötig, so lange zu zaudern, ohne sich deutlich zu erklären. Doch zu Schonung ihrer Tochter erwähnte sie nie etwas davon; bis dieser endlich das Herz so voll war, daß sie die gute Mutter zur Vertrauten ihres Kummers machte, und ihr die wahre Ursache desselben offenbarte. Die kluge Frau erfuhr dadurch wenig mehr, als sie bereits schon wußte. Aber dieses freie Geständnis gab Gelegenheit, daß sich Mutter und Tochter gegeneinander, über diese Herzensangelegenheit expektorierten. Jene machte dieser diesfalls keine Vorwürfe weiter, sie glaubte, zu geschehenen Dingen müsse man das Beste reden; sie wendete vielmehr alle ihre Beredsamkeit an, die Niedergeschlagne zu trösten und anzumahnen, fehlgeschlagne Hoffnung mit standhaftem Mute zu ertragen.

[571] In dieser Absicht buchstabierte sie ihr das sehr vernünftige moralische a-b-ab vor: »Kind, du hast a gesagt«, sprach sie, »nun muß du auch b sagen; du hast dein Glück verschmäht, da es dich suchte, nun mußt du dich auch drein ergeben, wenn es dir nicht wieder begegnet. Die Erfahrung hat mich gelehret, daß die zuversichtlichste Hoffnung am ersten trügt. Darum folge meinem Beispiel, entsage der schönen Gleisnerin, so wird sie deine Zufriedenheit nicht stören. Rechne nicht auf eine Verbesserung deines Schicksals, so wirst du dich mit deinem Zustande begnügen. Ehre die Spindel, die dich nährt, was kümmern dich Glück und Reichtum, wenn du ihrer entraten kannst?« Auf diese herzige Oration folgte eine rauschende Symphonie der Schnappweife und des Spinnrads, um die durch das Gespräch verlorne Zeit wieder beizubringen. Mutter Brigitta philosophierte in der Tat aus dem Herzen heraus: sie hatte den Plan ihres Lebens, nachdem sich die Anlage zu Wiederherstellung ihres ehemaligen Wohlstandes verschoben hatte, so vereinfacht, daß das Schicksal darin nichts mehr verwirren konnte; aber Meta war noch weit von diesem philosophischen Ruhepunkte entfernt. Daher wirkten diese Lehre, Vermahnung und Trost ganz anders, als sie gemeinet waren: die gewissenhafte Tochter betrachtete sich jetzt, als die Zerstörerin der süßen mütterlichen Hoffnung, und machte sich tausend Vorwürfe deswegen. Ob sie gleich den mütterlichen Heuratsplan nie adoptieret, und nur auf Salz und Brot in der zukünftigen Ehe gerechnet hatte: so waren ihre Küchenprojekte, nachdem sie von der wieder aufblühenden Handlung und dem Reichtum ihres Herzgespiels Kundschaft erhalten hatte, schon auf sechs Schüsseln gestiegen, und es war für sie ein entzückender Gedanke, durch ihre Wahl den Wunsch der guten Mutter dennoch zu realisieren, und sie wieder in den ehemaligen Wohlstand versetzt zu sehen.

Dieser schöne Traum verschwand nun allgemach, da Franz nichts mehr von sich hören ließ, dazu kam noch eine Sage, die in der ganzen Stadt umlief, er lasse sein Haus, zu seiner bevorstehenden Vermählung mit einer reichen Antwerperin, aufs herrlichste ausschmücken, und die Braut sei [572] schon im Anzuge. Diese Hiobspost brachte das liebevolle Mädchen ganz aus der Fassung: sie sprach von Stund an dem Abtrünnigen das Verbannungsurteil aus ihrem Herzen, gelobte sich, nicht mehr an ihn zu gedenken, und netzte dabei den ausgezognen Faden mit Tränen. In einer der schwermutsvollen Stunden, wo sie dies Gelübde brach, und wider Willen an den Treulosen dachte, – denn sie hatte eben einen angelegten Rocken abgesponnen, und von der Mutter war ihr ehemals ein Sprüchlein gelehrt, zu Fleiß und Arbeit sie zu ermuntern, das lautete:


Spinn, Töchterlein, spinn,
der Freier sitzt drin!

An dieses Sprüchlein dachte sie, sooft sie einen Rocken aufgesponnen hatte, und dabei mußte ihr notwendig der Wankelmütige einfallen, – in einer solchen schwermutsvollen Stunde pochte ein Finger gar zierlich an die Tür. Mutter Brigitta sahe hinaus, da stund der Freier davor. – Und wer war's? – Wer anders, als Freund Franz aus dem engen Gäßchen? Er hatte sich mit einem prächtigen Feierkleide herausgeputzt, und seine wohlgekämmten lichtbraunen Locken düfteten Wohlgeruch. Dieser stattliche Aufzug ominierte allerdings eine andere Absicht, als ein Flachsnegoz; Mutter Brigitta bestürzte; sie wollte reden, aber die Worte versagten ihr. Meta erhob sich beklommen vom Sessel, glühete wie eine Purpurrose und schwieg. Franz aber war der Sprache mächtig, legte dem zärtlichen Adagio, das er ihr ehemals vorlauteniert hatte, nun einen schicklichen Text unter, und erklärte ihr seine stumme Liebe mit deutlichen Worten. Hierauf tat er um sie bei der Mutter feierliche Anwerbung, und legitimierte sich dadurch, daß die Zubereitungen [573] in seinem Haus zum Empfange einer Braut, auf die reizvolle Meta wären gemeinet gewesen.

Die umständliche Frau wollte, nachdem sie ihre Sensationen wieder ins Gleichgewicht gestellet hatte, den Antrag, nach Gewohnheit, in achttägige Überlegung ziehen; ob ihr gleich die Freudentränen über die Wangen rollten, die auf kein Hindernis ihrerseits, sondern vielmehr auf beifällige Resolution deuteten. Franz war aber so dringend in seinem Gewerbe, daß sie zwischen dem mütterlichen Kostum und dem Verlangen des Freiwerbers einen Mittelweg suchte, und die holde Meta bevollmächtigte, das Decisum in der Sache nach ihrem Gutbefinden zu fällen. In dem jungfräulichen Herzen hatte sich, seit Franzens Eintritt ins Zimmer, eine merkliche Revolution ereignet. Seine Erscheinung war der redendste Beweis seiner Unschuld, und da sich während der Unterredung deutlich ergab, daß der scheinbare Kaltsinn nichts anders als Eifer und Betriebsamkeit gewesen [574] war, teils Handelsgeschäfte in Gang zu bringen, teils das Nötige zur bevorstehenden Eheverbindung zu veranstalten: so lag der geheimen Wiederaussöhnung kein Stein des Anstoßes im Wege. Sie verfuhr mit dem Verbanneten, wie Mutter Brigitta mit der außer Aktivität gesetzten Spinngerätschaft, oder der erstgeborne Sohn der Kirche mit einem exilierten Parlement, berief ihn mit Ehren in ihr hochklopfendes Herz zurück, und verlieh ihm darin alle vormalige Gerechtsame. Das entscheidende bilitteralische Wörtlein, das das Glück der Liebe bestätiget, gleitete mit unaussprechlicher Anmut von ihren sanften Lippen, daß der erhörte Liebhaber sich nicht enthalten konnte, solches mit einem feurigen Kusse aufzufangen.

Das zärtliche Paar hatte nun Zeit und Gelegenheit, alle Hieroglyphen ihrer geheimnisvollen Liebe zu entziffern und zu paraphrasieren, welches die angenehmste Unterhaltung gab, die jemals zwei Liebende miteinander gepflogen haben. Sie fanden, was sich unsre Exegeten wünschen sollten, daß sie den Grundtext immer richtig verstanden und interpretieret hatten, ohne jemals den wahren Sinn ihrer wechselseitigen Unterhandlungen zu verfehlen. Es kostete dem entzückten Bräutigam beinahe ebensoviel Überwindung, sich von der reizenden Braut zu scheiden, als an dem Tage, da er seinen Kreuzzug nach Antwerpen antrat. Er hatte aber noch einen notwendigen Gang zu tun, den er in Person zu verrichten sich nicht entbrechen wollte, daher wurd's endlich Zeit, sich zu beurlauben.

Dieser Gang war auf die Weserbrücke gerichtet, zum Freund Stelzfuß, der ihm noch unvergessen war, ob er gleich lange verzogen hatte, demselben Wort zu halten. So scharf der spähende Graukopf, seit der Entrevue mit dem freigebigen Pflastertreter, alle Passanten aufs physiognomische Korn genommen hatte, so wenig konnte er seiner doch wieder ansichtig werden, ob er ihm gleich einen anderweiten Besuch verheißen hatte. Seine Gestalt war ihm indessen noch nicht aus dem Gedächtnis verschwunden. Sobald er den schöngeputzten Mann von ferne erblickte, kam er auf ihn zu und bewillkommte ihn freundlich. Franz [575] erwiderte des Alten Gruß, und sprach: »Freund, kannst du mit mir wohl einen Gang in die Neustadt tun, um ein Gewerbe auszurichten? Deine Mühe soll nicht unvergolten bleiben.« – »Warum das nicht?« antwortete der Altvater, »ob ich gleich ein hölzern Bein habe, so kann ich doch damit so rüstig schreiten, als der lahme Zwerg, der die Stadtflur umkrochen hat 13: denn der hölzerne Fuß, sollt Ihr wissen, hat die Eigenschaft, daß er niemals ermüdet. Aber verzieht noch kurze Zeit, bis das Grauröcklein vorüber ist, das zwischen Tag und Nacht nicht verfehlt, über die Brücke zu wandeln.« – »Was ist's mit dem Grauröcklein?« frug Franz, »laß mich wissen, welche Beschaffenheit es damit habe?« – »Das Grauröcklein bringt mir täglich einen Silbergroschen um die Abendzeit, weiß nicht von wannen. Es frommet auch nicht, jedem Dinge viel nachzugrübeln, drum laß ich's bleiben. Fällt mir bisweilen ein, das Grauröcklein sei gar der Teufel, der meine Seele mit dem Geld erkaufen wolle. Doch sei er's, oder sei er's nicht, was kümmert's mich? Ich bin den Kauf nicht eingegangen, so kann er auch nicht gelten.« – »Ich denke wohl«, sprach Franz, mit lachendem Munde, »dem Grauröcklein läuft der Schalk hinterdrein. Folge du mir, der Silbergroschen soll dir drum nicht fehlen.«

Der Stelzfuß machte sich auf, hinkte seinem Geleitsmanne nach, und dieser führte ihn Straß auf Straß ab, in eine entlegne Gegend der Stadt nahe am Walle, blieb vor einem kleinen neuerbauten Hause stehen und klopfte an die Tür. Da solche aufgetan wurde, sprach er: »Freund, du hast mir einen heitern Abend im Leben gemacht, es ist billig, daß ich dir den Abend deines Lebens auch heiter mache. Dieses Haus, mit allem Zubehör, und dem Garten, worauf es stehet, ist dein Eigentum; Küch und Keller ist gefüllt, ein Aufwärter bestellt, dein zu pflegen, und den Silbergroschen obendrein [576] wirst du jeden Mittag unter deinem Teller finden. Es soll dir daneben unverhalten bleiben, daß das Grauröcklein mein Diener ist, den ich sandte, dir täglich ein ehrliches Almosen zu reichen, bis ich diese Wohnung für dich zubereiten ließ. Willst du, so magst du mich für deinen guten Engel halten, weil's dein Schutzengel dir nicht zu Danke gemacht hat.«

Er führte den Alten drauf in seine Wohnung ein, wo der Tisch bereitet und alles zu seiner Bequemlichkeit und Leibespflege angeordnet war. Der Graukopf war von seinem Glück so überrascht, daß er's nicht fassen konnte. Es war ihm unbegreiflich, wie ein Reicher des Armen sich also erbarmen sollte, und es fehlte wenig, daß er nicht die ganze Begebenheit für Blendwerk hielt; Franz aber benahm ihm allen Zweifel. Ein Strom dankbarer Zähren floß von des Greises Angesicht, und sein Wohltäter begnügte sich daran, ohne abzuwarten, daß sich dieser von seiner Bestürzung erholte, um ihm mit Worten zu danken, schwand nach dieser ausgerichteten Engelbotschaft dem Altvater aus den Augen, wie die Engel pflegen, und überließ ihm, die Sache zu reimen wie er konnte.

Am folgenden Morgen war's in der Wohnung der lieblichen Braut wie Jahrmarkt. Franz schickte Kaufleute, Juwelier, Putzmacherinnen, Spitzenhändler, Schneider, Schuster und Nähterinnen zu ihr, teils allerlei Waren, teils ihre guten Dienste ihr anzubieten. Sie brachte den ganzen Tag damit zu, Stoffe, Spitzen und andere Erfordernisse zum Brautstaat auszuwählen, und sich das Maß zu neuen Kleidungsstücken nehmen zu lassen. Ihr niedlicher Fuß, der schöngestaltete Arm und die schlanke Taille, wurden so oft und so sorgfältig ausgemessen, als wenn ein kunstreicher Bildner das Modell zu einer Liebesgöttin von ihr hätte nehmen sollen. Der Bräutigam ging indessen, das Aufgebot zu [577] bestellen, und ehe drei Wochen verliefen, führte er die Braut zum Altare, mit einer Feierlichkeit, die das glänzende Hochzeitgepränge des reichen Hopfenköniges verdunkelte. Mutter Brigitta genoß die Wonne, der tugendsamen Meta den Brautkranz aufzuschmücken, erreichte den Wunsch vollkommen, ihren Weibersommer bei gutem Wohlstand zu verleben, und sie verdiente diese Zufriedenheit, als eine Belohnung um einer lobenswürdigen Eigenschaft willen, die sie besaß: sie war die leidlichste Schwiegermutter, die jemals ist erfunden worden.

[578]

Fußnoten

1 Davon schreibt sich, der Sage nach, die an einigen Orten noch gewöhnliche scherzhafte Gesundheit her: Des Alten Sohn soll leben!

2 Was wird die Welt dazu sagen?

3 Sprüchwörter Salom. 31. Kap. 11. Vers bis zu Ende.

4 Eins der ansehnlichsten Gebäude in Bremen, worinne die Konvente der Kaufleute gehalten werden.

5 απο τω όραν ερχεται το εραν

6 Ehe der Koffee bekannt war, pflegten Damen von Stande den weiblichen Besuch mit Konfekt oder anderm Backwerk und süßem Weine zu bedienen; wirtschaftlichere Hausmütter substituierten dafür Reisbrei und ein Glas Landwein. Der erstere stund als eine vorzügliche Leckerei in großem Kredit, und wurde bei den Gastmahlen der Fürsten aufgetragen. Ohne Reisbrei wurde selbst kein kurfürstlich Beilager vollzogen, wie die archivarischen Urkunden aufbewahrter alter Küchenzeddel besagen.

7 Sankt Christoph erscheinet seinen Schutzbefohlnen nie in einem einsamen Kämmerlein, wie die übrigen Heiligen, mit Himmelslicht umflossen: Für seine giganteske Natur ist jedes Zimmer zu niedrig, daher tut der heilige Enakssohn alle Geschäfte mit seinen Pfleglingen nur vor dem Fenster ab.

8 Die ältesten Taschenuhren wurden von der Form, welche man ihnen zuerst gab, Stundeneier genennt.

9 Anna von Bretagne.

10 So wurden die spanischen Schiffe ehemals genannt, die nach Amerika gingen.

11 Eine Münze, die im Erzgebürge ausgeprägt wurde, aber überall im deutschen Reiche Kurs hatte, an Wert ungefähr vier Groschen.

12 In Hirschfelds Gartenkalender vom Jahr 1783 auf der 126. u.f.S.

13 Laut einer alten Sage, verhieß eine benachbarte Gräfin den Bremern scherzweise so viel Land zu schenken, als ein Krüppel, der sie eben um ein Almosen bat, in einem Tage würde umkriechen können. Man hielt sie beim Wort, und der Krüppel kroch so gut, daß die Stadt die große Bürgerweide dadurch bekam.

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TextGrid Repository (2012). Musäus, Johann Karl August. Märchen. Volksmärchen der Deutschen. Stumme Liebe. Stumme Liebe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5DBE-9