Fünfzigste Erzählung.

Ein Verliebter, der todtkrank ist, wird in der letzten Minute von der Dame seines Herzens erhört und stirbt worauf die Dame sich ebenfalls das Leben nimmt.


In Cremona lebte noch vor einem Jahr ein Edelmann, mit Vornamen Johann Peter, welcher seit langer Zeit eine Dame, die nicht weit von seinem Hause wohnte, liebte. Aber wie er es auch anstellen wollte, er konnte von ihr nicht die Antwort erhalten, nach der er verlangte, obgleich sie ihm auch mit ganzem Herzen zugethan war. Der arme Edelmann wurde darüber so unglücklich und verdrossen, daß er sich in seiner Wohnung verschloß, fest entschlossen, nicht mehr immer nur vergeblich nach einem Gut zu jagen, dessen [340] Verfolgung sein Leben aufzehrte. Um seine Gedanken abzulenken, besuchte er sie einige Tage nicht. Er wurde aber so traurig darüber, daß man ihn nicht wiedererkennen konnte. Seine Eltern ließen Aerzte rufen, und da sein Gesicht ganz gelb wurde, hielten sie es für eine Leberkrankheit und verordneten ihm einen Aderlaß. Da die Dame, die immer so streng gegen ihn gewesen war, sehr wohl wußte, daß seine Krankheit nur von ihrer Weigerung herrühre, schickte sie eines Tages eine alte Dienerin, zu der sie volles Vertrauen hatte, zu ihm und ließ ihm sagen, daß, da sie nun eingesehen habe, daß seine Liebe eine wahre und keine erheuchelte sei, sie entschlossen wäre, ihm alles, was sie ihm bisher so hartnäckig verweigert habe, zu gewähren. Sie habe ein Mittel ausfindig gemacht, sich von ihrer Wohnung nach einem Ort zu begeben, wohin er insgeheim kommen solle. Der Edelmann, dem des Morgens am Arm zur Ader gelassen worden war, fühlte sich durch diesen Bescheid schneller wieder hergestellt, als Aderlässe oder sonst eine Medicin fertig gebracht hätten, und ließ zurückmelden, er werde nicht ermangeln, zur bestimmten Stunde am angegebenen Ort sich einzufinden; sie habe ein offenbares Wunder gethan, denn mit einem einzigen Wort habe sie einen Menschen von einer Krankheit geheilt, für die alle Aerzte keine Heilmittel hätten finden können. Als der langersehnte Abend herangekommen war, machte sich der Edelmann nach dem verabredeten Orte auf, so voller Zufriedenheit, daß dieselbe nothwendig bald ihr Ende erreichen mußte, da sie sich nicht noch steigern konnte. Es dauerte auch nicht lange, nachdem er angekommen war, daß die Frau, die er mehr als seine Seele liebte, ebenfalls anlangte. Er hielt sich nicht mit vielen Reden auf, denn sein inneres Feuer ließ ihn in Eile das Ziel seiner Träume, dem nun wirklich nahe zu sein, ihm schwer fiel, zu glauben, verfolgen und mehr von Liebe und Lust durchglüht, als ihm gut war, beschleunigte er, während er auf der inneren Seite die Heilung seines Leidens erhoffte, nur seinen Tod, denn da er in Gegenwart seiner Geliebten an sich selbst nicht dachte, bemerkte er nicht, daß die Binde seines Armes sich löste, die frische Wunde sich zu öffnen begann und das Blut ihr reichlich entströmte, so daß der Edelmann ganz darin gebadet war. Er glaubte aber, daß die Müdigkeit, die ihn befiel, [341] nur eine Folge der Anstrengung war, und wollte nach Hause zurückkehren. Die Liebe aber, die sie vereint hatte, bewirkte, daß, als er seine Freundin verlassen wollte, seine Seele ihn verließ; in Folge des übergroßen Blutverlustes fiel er todt zu Füßen seiner Geliebten nieder. Diese blieb sprachlos vor Schrecken, indem sie den Verlust dieses treuesten Mannes überdachte, an dessen Tode sie allein die Schuld trug. Andererseits dachte sie neben ihrem Bedauern auch an die Schande, der sie ausgesetzt war, wenn man den Leichnam in ihrem Hause fände. Um die Sache also zu verdecken, trug sie und ein Kammermädchen, dem sie voll vertraute, die Leiche auf die Straße, wo sie sich aber nicht von dem Todten trennen konnte. Sie ergriff sein Schwert, und um seinen Tod zu theilen und ihr Herz, welches all' dieses Mißgeschick verursacht hatte, zu strafen, stieß sie sich das Schwert in die Brust und fiel todt zu Seiten ihres Freundes nieder. Als die Eltern dieses Mädchens am anderen Morgen aus ihrem Hause traten, bot sich ihren Augen dieses gräßliche Schauspiel dar, und nachdem sie diesen Unglücksfall, wie er es verdiente, beklagt hatten, begruben sie beide zusammen in einer Gruft.

»Hieraus ersieht man, meine Damen«, sagte Dagoucin, »wie eine übergroße Liebe nur ein großes Unglück zur Folge haben kann.« Simontault sagte: »Mir gefällt das, wenn eine Liebe so gleich der anderen ist, daß, wenn der Eine stirbt, auch der Andere nicht mehr am Leben bleiben will. Wenn Gott mir die Gnade erwiesen hätte, eine solche Frau zu finden, so glaube ich, daß kein Mann jemals tiefer geliebt hätte als ich.« »Immerhin meine ich«, sagte Parlamente, »daß die Liebe Euch nicht so verblendet haben würde, daß Ihr Euren Arm nicht besser verbunden hättet als jener; denn die Zeit ist vorüber, wo die Männer ihr Leben für die Damen in die Schanze schlugen.« »Aber nicht vorüber ist«, erwiderte Simontault, »daß die Damen das Leben ihrer Getreuen neben ihrem Vergnügen gering achten.« »Ich glaube nicht«, sagte Emarsuitte, »daß es eine Frau auf der Welt giebt, der der Tod eines Mannes, und sei es auch ihr Feind, Vergnügen bereite. Wenn aber die Männer sich selbst das Leben nehmen wollen, können die Damen sie nicht davor bewahren.« Hier sagte Saffredant: »Eine Frau aber, welche einem armen Verhungerten ein Stück Brot verweigert, wird doch für seine [342] Mörderin gehalten.« Oisille antwortete: »Wenn Eure Bitten so vernünftig wären, wie die eines Armen, der um das Nothwendigste fleht, so würden die Damen, wenn sie Euch zurückweisen, mit Recht für grausam gehalten werden; Gott sei Dank aber tödtet diese Krankheit nur diejenigen, welche den Tod schon in sich trugen.« »Ich finde nicht«, sagte Saffredant, »daß es eine größere Drangsal giebt, als die, welche alle übrigen vergessen läßt; denn wenn die Liebe stark ist, giebt es für den Liebenden kein Brot und kein Fleisch, sondern nur den Anblick und die Gesellschaft der Geliebten.« »Und ließe die Euch fasten«, antwortete Oisille, »ohne Euch wirkliche Nahrung zu geben, so würdet Ihr schon bald Euer Benehmen ändern.« Jener sagte: »Es mag richtig sein, daß der Leib schwach werden könnte, nicht aber das Herz und die Gesinnung.« Parlamente sagte: »Dann hat Gott Euch nur eine Gnade erwiesen, Euch zu Frauen zu führen, die Euch so wenig befriedigten, daß Ihr Euch mit Speise und Trank stärken mußtet; das scheint Ihr auch so vorzüglich zu verstehen, daß Ihr Gott für jene Grausamkeit dankbar sein müßt.« Er antwortete: »Ich bin so reichlich mit Drangsal versehen worden, daß ich bald die Uebel als etwas Gutes ansehen werde, über die Andere sich beklagen.« Longarine sagte: »Das liegt vielleicht nur daran, daß Euer Klagen Euch von der Gesellschaft entfernen würde, wo Eure Genügsamkeit Euch sonst gern gesehen macht; denn nichts ist so unangenehm, als ein aufdringlicher Liebhaber.« »Sagt lieber, als eine grausame Frau«, sprach Simontault. »Wenn wir seine Gründe bis zu Ende anhören wollten«, sagte Oisille, »so denke ich, da die Frage ihn persönlich berührt, wir würden an Stelle der Vesper die Komplete finden. Deshalb wollen wir Gott danken gehen, daß dieser Tag ohne großen Streit vergangen ist.« Sie erhob sich zuerst, und alle anderen folgten. Simontault und Longarine ließen jedoch von ihrem Streit nicht ab, in aller Freundschaft aber, und zwar gewann Simontault, indem er zeigte, daß eine starke Leidenschaft die größte Drangsal verursacht. Hiermit gingen sie in die Kirche, wo die Mönche sie erwarteten. Nach der Messe setzten sie sich zu Tisch, und ihre Unterhaltung dauerte die ganze Zeit fort; auch am Abend noch, bis Oisille ihnen sagte, daß sie lieber zur Ruhe gehen möchten, denn [343] da die fünf Tage so reich an schönen Geschichten gewesen seien, befürchte sie sehr, daß der sechste ihnen nicht gleichen möchte. Denn auch wenn sie sich nun aufs Erfinden legen wollten, würden sie nicht bessere Erzählungen vorbringen können, als sie bisher nur der Wahrheit entsprechende in ihrer Gesellschaft erzählt hatten. Guebron aber sagte, daß, so lange die Welt stände, alle Tage beachtenswerthe Dinge passirten; »denn«, fuhr er fort, »die Schlechtigkeit der schlechten Menschen bleibt immer dieselbe, ebenso wie die Güte der Guten; und so lange Schlechtigkeit und Güte auf der Erde existiren werden, werden sie stets neue Begebenheiten zu Tage fördern, obgleich geschrieben steht, daß sich nichts Neues unter der Sonne ereignet. Wir aber, die Gott besonders in seine Gnade genommen hat, kennen dennoch nicht die ersten Ursachen und finden deshalb alle Dinge neu und um so bewundernswerther, je weniger wir sie thun möchten oder können. Fürchtet deshalb nicht, daß die folgenden Tage den vergangenen sich nicht würdig anreihen werden, und seid nur Eurerseits darauf bedacht, Eure Pflicht gut zu thun.« Oisille sagte, sie überlasse das Gott, in dessen Namen sie ihnen eine gute Nachtruhe wünschte. So zog sich die ganze Gesellschaft zurück und beendete den fünften Tag.

[344]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Fünfter Tag. 50. Erzählung: [Ein Verliebter, der todtkrank ist]. 50. Erzählung: [Ein Verliebter, der todtkrank ist]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F3F-A