Die Klag-Lieder Jeremia

[1646.]

Das erste Klagelied

Wie steht die waise Statt, wie steht sie so verlassen,
Sieht einer Witwen gleich, ist leer auff allen Gassen?
Muß dann der Völcker Lust, der Stätte Zier und Schein,
Der Länder Königinn, muß die jetzt zinßbar sein?
Wie weint sie, wann die Nacht, die Amme der Gestirne,
Den stillen Weltkreiß deckt? wie macht sie ihr Gehirne
Vom Heulen wüst' und matt, wie fleust der Threnen Bach
Die bleichen Wangen ab, weil ja ihr Ungemach
Kein Mensch nit trösten wil? hat dann der Freundtschafft Orden
So gar den Meineid lieb? sind alle treuloß worden?
[244]
Wie reiset Juda doch, wie reiset sie doch hin,
Bestrickt in Dienstbarkeit? Wie muß die Arme ziehn
Verachtet und betrübt von einem zu dem andern,
Bald diß bald jenes Land ohn alle Ruh durchwandern?
Es kriegt und haschet sie daselbst ein jederman,
Der sie verfolget hat, wo sie nicht fliehen kan.
Der Weg nach Zion hin liegt allerseits verwüstet,
Weil keinen auff ein Fest zu kommen mehr gelüstet;
Die Thore stehen leer, die Priester sind in Noth,
Die Jungfraun krencken sich, und sie ist selbst halb todt.
Der Widersacher Haupt muß sie empor sehn schweben,
Muß ihre Feinde sehn in Lust und Freuden leben;
Dann Gott hat sie gestrafft, hat ihrer Kinder Heer
Gefangen weg geschickt, weil sie sich hoch und schwer
An ihm versündigt hat. Man wird nun nicht mehr schauen
Der Tochter Zion Schmuck, wie Wieder nach den Auen
Gantz matt und hungrig sehn und schlägebäuchig ziehn
Ohn alle Weid' und Graß für ihrem Treiber hin,
Sind ihre Fürsten auch. Jerusalem die kräncket
Ihr Hertz' ohn Unterlaß, wann sie zurücke dencket,
Wer sie fürweilen war und wer sie nun muß sein,
Die edle werthe Statt; es frist ihr Marck und Bein,
Daß sie ihr Volck soll sehn zu ihres Feindes Füssen,
Und niemand hilfft ihr nicht, kein Mensch will von ihr wissen:
Sie ist der Feinde Lust, sie spotten sie darzu
Und lachen hönisch auß deß Sabbaths ware Ruh.
Es hat Jerusalem viel Aergerniß gegeben,
Und Gottes Rach' erweckt; drumb muß sie jetzund leben
Als ein beflecktes Weib. Dieweil man sehen kan,
Wie ihr Scham entblöst, so scheut sie jederman,
Der vormals sie geehrt; sie aber holt vom Hertzen
Viel Seufftzer tief herauß und hat für Schand und Schmertzen
Das Antlitz weggekehrt, das Antlitz, das ihr roth
Für Scham und Weinen ist, das ihre grosse Noth
Mit Stilleschweigen sagt. Es klebt ihr an dem Saume
Der Unflat jetzund noch, sie hett' ihr auch im Traume
Für diesem nie gedacht auff eine solche Zeit
Wie jetzt für Augen ist; sie ist ja gar zu weit
Und hoch herab gestürzt; und neben diesem allen
Thut niemand auff der Welt ihr so viel zu Gefallen,
Daß er sie trösten mag. Ach, Herr Gott, laß nicht mehr
Mein Elend über mir; der Feind prangt ja zu sehr.
[245]
Er hat hinweg geraubt den Vorrath von Geschmeiden,
Und ihre gantze Zier. Sie hat gesehn die Heyden
Gehn in ihr Heiligthum, da dein Befehl doch ist,
Sie solten umb das Volck, das du dir außerkiest
In Ewigkeit nicht sein. All' ihre Leute stehen
Und seufftzen für und für, sie müssen betteln gehen,
Sie geben ihren Schmuck für Brod und Speise hin,
Zu laben ihren Geist. Sieh, Herr, wie schnöd' ich bin,
Sieh' und betrachte mich. Schaut, die ihr geht fürüber,
Schaut, sag' ich, mein Noth; ist auch ein Schmertze drüber
Auff dieser weiten Welt? Diß hat der Herr gemacht,
Als seines Zornes Krafft ist grimmig auffgewacht
Und sich ergossen hat; er hat hoch auß den Lüfften
Ein Feuer hergesandt in meiner Beine Klüfften,
Und ihm Gewalt ertheilt; er hat ein Garn gestellt
Zu fangen meinen Fuß, und mich zurück geprellt.
Er hat mich so verwaist, daß ich nun alle Tage
Mit Angst und Traurigkeit mich übel schänd' und plage
Und keine Ruh nicht weiß; durch seiner Straffe Macht
Ist meine schwere Last der Sünden auffgewacht
Und gantz auff meinen Halß mit hellem Hauffen kommen,
Daß alle Stärck und Krafft mir wird hinweg genommen:
Er hat mich in die Hand derselben eingethan,
In derer Härtigkeit ich nichts mich regen kan.
Der Herr hat gantz zermalmt und zornig auffgerieben
Die Starcken, so ich hatt'; er hat weit außgeschrieben
Ein Freyfest über mich, daß was für Mannschafft noch
Mir übrig blieben ist ingleichen trag' ein Joch.
Der Tochter Juda hat der Herr auß grossem Hassen
Und Eyfer über sie den Kelter tretten lassen.
Drumb wein' ich fort für fort, drumb rinnt das Wasser mir
Auß beyder Augen Quell ohn Unterlaß herfür.
Mein Hort und Auffenthalt, der meinen Geist und Sinnen
Mit Trost' erquicken soll, ist ja zu weit von hinnen,
Die Kinder sind hinweg; dieweil deß Feindes Macht
Und Stärcke mich und sie hat unter sich gebracht.
Wie streckt doch Zion auß die vormals zarten Hände
Und ist auch niemand nicht, der ihren Kummer wende
Und sprech ihr freundlich zu. Der sehr erzürnte Gott
Gibt rings umb Jacob her den Feinden ein Gebott,
Daß sein Jerusalem, mit Schmach und Hohn umbgeben,
Als die nicht redlich ist, soll zwischen ihnen leben,
Und daß sie wie ein Weib nechst ihnen wohnen muß,
Die da besudelt ist durch ihrer Blume Fluß.
[246]
Der Herr der ist gerecht, dann ich hab' ihn verletzet
Und seinem Munde mich auß Trutze widersetzet.
Hört, alle Völcker, hört, schaut meinen Schmertzen an,
Ach, meine Jungfraun sind gefänglich eingethan,
Und meine Jüngling' auch. Ich ruffte mit Verlangen
Auff meiner Freunde Schar, sie aber sind entgangen
Und haben mich beruckt. Die Eltesten der Statt
Und Priester haben auch zu essen nur nicht satt;
Ihr Magen ist verdorrt, sie müssen Stück zu Stücken
Das Brod erbitten gehn, die Seele zu erquicken.
Ach, Herr Gott, siehe doch, ich sterbe nunmehr schier
Für Angst und Bangigkeit, die Därm' erschüttern mir,
Das Hertz im Leibe wallt, dann ich bin hoch betrübet;
Von aussen ist das Schwerd, so mir viel Streiche giebet
Und nach der Seelen steht, im Hause hat der Todt
Zur Widwen mich gemacht, man höret meine Noth,
Man höret sie ja wol, ich seufftze stets und weine
Und habe keinen nicht, der mich mit Treuen meine;
Die Feinde freuen sich, daß ich so kläglich thu,
Sie hören mich mit Lust. Diß alles machest du.
Ach, daß die Sonne doch auff ihrem güldnen Wagen
Den Tag nicht jetzt bald bringt, den dir schon anzusagen
Zuvor beliebet hat, an dem es gleich so wol
Auch ihnen eben so wie mir ergehen soll!
Laß ihre böse That für dein Gesichte kommen
Und schlag sie, wie du mich hast jetzund fürgenommen
Von wegen meiner Schuld und eyfrig außgeübt,
Dann, Herr, ich seufftze viel, mein Hertz' ist hoch betrübt.

Das andere Klagelied

Wie kömpt es, daß der Herr von allem Ort' und Ecken
Die Tochter Zion doch hat wollen überdecken
Mit seinem starcken Grimm? Er hat die Herrligkeit
Und Ansehn Israels, den Ruhm der alten Zeit,
Vom Himmel abgestürtzt, daß sie nun ewig büsse;
Er hat gar nie gedacht deß Schemels seiner Füsse
Am Tage seines Zorns. Der Herr hat umbgekehrt
Deß Jacobs Wohnungen; hat biß in Grundt verheert
Der Tochter Juda Landt, hat ihre Wäll und Festen,
Darauff sie sich verließ, geschleifft' mit Strumpff und Aesten;
Der starcken Mauren Schutz gemacht der Erden gleich,
Entweihet und geschmäht ihr weites Königreich,
[247]
An ihren Fürsten auch ingleichen sich gerochen.
In tausend Stück hat er dem Israel zerbrochen
Sein Horn und gantze Macht, vor heissem Grimm entbrand,
Hat, als der Feind ankam, die Hülff' und gute Hand
Gezogen hinter sich, hat Feuer angestecket
In Jacob rings umbher und einen Brandt erwecket,
Erwecket einen Brandt, der nichts läst unverzehrt,
Der als ein wildes Thier sich hin und wider kehrt
Und bringet alles hin; hat seinen schnellen Bogen,
Wie ärgste Feinde thun, sehr schädlich angezogen;
Hat seine rechte Hand zu streiten gantz geschickt
Nach Widersacher Art, erwürget und zerstückt,
Was mit Ergetzlichkeit und Anmuth war zu schauen
In Zions schönem Zelt, er hat sie weggehauen,
Der Augen beste Lust, er hat weit außgestreckt
Sein Wüten als die Glut, so Lufft und Wolcken deckt.
Der Herr war wie ein Feind; hat Israels Palläste
Und sie darzu vertilgt, zerstöret ihre Feste,
Der Tochter Juda Hertz' auch hoch und sehr verletzt
Biß auff den letzten Gradt und sie in Leyd gesetzt.
Wie wann ein grimmes Thier in einen Garten reisset,
Wühlt Stämm' und Stauden umb und alle Frucht zerbeisset,
So macht es jetzt der Herr mit seinen Zelten auß;
Er hat die Hand gelegt an sein selbst eignes Hauß,
Sich Zions Feyertag und Sabbath lassen enden,
Die König' in dem Zorn und ihre Priester schenden.
Der Herr hat weit hinweg geworffen sein Altar
Und auch sein Heiligthumb verbannet gantz und gar;
Hat in deß Feindes Hand die Mauren der Palläste
Gelieffert, daß sie da als wie auff einem Feste
Geschrien und gejauchtzt. Der Herr hat ihm gedacht
An Zions Mauren gantz zu weisen seine Macht,
Hat umb und über sie die Richtschnur angezogen
Und nicht eh' abgesetzt, biß daß sie auffgeflogen.
Die Zwinger neigen sich, die Wälle sind nichts werth
Und von den Mauren wird der Boden nun gekehrt;
Die Thore sind versenckt, die Riegel gantz zerbrochen
Und sämptlich abgewürgt; so hat sich Gott gerochen
An ihren Königen und ihrer Fürsten Pracht,
Sie haben nun hinfort gar keinen Fug noch Macht
Zu üben das Gesetz! Er saget den Propheten
Durch kein Gesichte mehr was etwan sey von Nöthen,
[248]
Der Tochter Zion Zier, die Eltesten der Statt
Thun nur den Mund nicht auff und wissen keinen Rath.
Sie liegen hingestreckt zur Erden und bedecken
Ihr graues Haupt mit Staub und kleiden sich mit Säcken,
Das junge Weibesvolck Jerusalems bedenckt
Die Angst und hat den Kopff tieff unter sich gehenckt.
Mein' Augen beyde sind wie blutroth, daß man meinet
Es sey ein rohes Fleisch, sie sind fast außgeweinet,
Daß mir das Eingeweyd' hiervon zerbersten wil
Und daß die Leber mir für meine Füsse fiel',
Als ich die Traurigkeit und Jammer sah' umbfassen
Die Tochter meines Volcks, als Seugling' auff den Gassen
Und Kinder wegen Speis' und Tranck verschmachtet sind.
Wie kläglich war es doch, wann so ein liebes Kind
Zu seiner Mutter sprach: Last ihr mich Hungers sterben?
Ist gar kein Brod noch Wein? Sie musten doch verderben
Wie der, so tödlich wund, und gaben ungespeist
Der Mutter in dem Arm' auff ihren jungen Geist.
O Kind Jerusalems, wem sol ich dich vergleichen,
O Jungfrau, Zions Kind, wem nenn' ich, dem du weichen
An Pein und Schmertzen kanst, wen stell ich immer für,
Dem es noch ärger hat gegangen, als jetzt dir?
Dein Schaden ist so groß, als sich von allen Theilen
Der Welt die See erstreckt. Mein Kind, wer soll dich heilen?
Was der Propheten Volck dir fürgepredigt hat,
Ist Blindwerck und Geschwätz', es hat die Missethat
Dir nicht geoffenbahrt, sonst werest du entgangen
Dem Uebel, das dich trifft, und legest nicht gefangen.
Sie haben dir Gewäsch und Lügen fürgesagt
Und durch ihr falsches Wort zum Land hinauß gejagt.
Kein Mensch ist, der dich sieht, der in die Handt nicht klopffe
Und pfeiffe dich nicht an und wincke mit dem Kopffe
Dir, Kind Jerusalems. Ist diß die schöne Statt,
Von der ein jederman bißher gesaget hat,
Sie sey deß Landes Lust, die Königinn der Erden,
Deß Himmels Nachbarin, der nichts wird gleiche werden,
Nichts gleiche war, noch ist. Jetzt freut der Feind nun sich,
Pfeifft höhnisch, macht ein Maul, bleckt alle Zähn auff dich
Und spricht: Noch ist sie fort, wir haben es erlanget,
Wir haben sie vertilgt, die vor so sehr gepranget.
O den gewünschten Tag! Der Herr hat so gethan,
Als wie er längst gewollt; er hat dich umb und an
Verwüstet und verheert, sein Wort recht war zu machen,
Er hat den Feind erfüllt mit grosser Lust und Lachen,
[249]
Sein stoltzes Horn erhöht. Ihr Hertz und gantzer Sinn
Schrey' auff deß Herren Hülff' in ihren Nöthen hin.
O Mau'r, betrübte Mau'r der Tochter Zion, klage,
Laß fliessen als ein Quell die Thränen Nächt' und Tage:
Schrey' allzeit, schone dein und deiner Augen nicht,
Steh' auff, steh' auff und schrey eh' als der Tag anbricht;
Steh' auff in Mitternacht, wann die Gestirne sincken,
Und wann das erste Licht wil auff den Hügeln blincken,
So schütte dein Hertz' auß für dein gerechten Gott
Als einen starcken Strom; heb' auff in deiner Noth
Die Hände gegen ihm umb deiner Kinder willen,
Die ihren Hunger jetzt nicht haben mehr zu stillen,
Die schmächtig und halb todt dir im Gesichte gehn
Und einem Schatten gleich' an allen Gassen stehn.
O drey mal grosser Gott, schau her doch, nim zu Hertzen
Und dencke, wen du schlägst mit solchen grossen Schmertzen.
Gestehst du, was ein Weib auß Hungersnöthen thut?
Ist ihres Leibes Frucht, ihr Kind, ihr Fleisch und Blut,
Kaum einer Spannen lang? Ach, soll man die Propheten
Und Priester deines Volcks im Heyligthumbe tödten?
Die Gassen waren gantz mit Leichen vollgefüllt
Durch beyden Alters Volck: manch junges Weibesbild,
Und meine Jüngling' auch sind durch das Schwerd gefallen,
Du hast den heissen Zorn so lassen bey dir wallen,
Hast alles hingewürgt und weit und breit umbher
Beruffen meinen Feind, als wann ein Festtag wer',
Auff daß ja niemand nicht vermöchte zu entrinnen.
Die so ich hab ernehrt, die mein Gemüt und Sinnen
Mehr als sich selbst geliebt, für die ich Tag und Nacht
Getreue Sorge trug, sind feindlich umgebracht.

Das dritte Klagelied

O Ich betrübter Mann, der ich mit kranckem Muthe
Muß seinen Eyfer sehn, und seines Grimmes Ruthe!
Er hat mich nur hieher in Finsterniß geführt,
Da niemand weder Liecht, noch Tag, noch Sonne spürt,
Ist gäntzlich wider mich, wer hett' es glauben sollen,
Daß er mich für und für so übel halten sollen?
Er hat mein Fleisch und Haut verwelckt und alt gemacht,
Zerschlagen mein Gebein und gantz mich hingebracht.
[250]
Er hat mich so verbaut, mit Gall' und Müh umbgeben,
In Finsterniß gelegt, als die, so nicht mehr leben
Und liegen schon verdeckt; er hat mich umb und an
Vermauret und bestrickt, daß ich nicht loß gehn kan,
Mir Fessel angelegt, im Fall ich gleich will ruffen,
So läst er dennoch mich vergebens auff ihn hoffen,
Und stopfft die Ohren zu. Er hat mir meinem Weg
Mit Steinen hoch vermaurt und alle Straß' und Steg
Zerstört und umbgekehrt, er ist mir nachgeschlichen,
Als wie ein Beer sich pflegt im Holtze zu verkriechen
Und wie ein grimmer Löw' an seiner Hölen liegt,
Biß er ein schwächer Wild in seinen Rachen kriegt.
Er hat noch Lust daran, im Fall er mich berücket,
Daß ich deß Weges fehl'; er hat mich gantz zerstücket
Und endlich durchgebracht; er hat als auff ein Spiel
Den Bogen auffgespannt, auß mir gemacht ein Ziel,
Den Köcher außgeleert und mir durchschiessen lassen
Die Nieren in dem Leib'. Ich bin ein Spott und Hassen,
Ein täglich Lied deß Volcks. Er hat mir auch geschenkt
Zur Speise Bitterkeit, mit Wermut mich getrenckt,
Die Zähne mir zermalmt, in Asche mich verschorren.
Jetzt ist nun meine Seel', jetzt ist sie gantz verworren
Ohn allen Rast und Ruh; ich muß ins Elend ziehn,
Muß lernen ärmer sein. Ich sprach: Mein Schutz ist hin
Und Hoffnung auff den Herrn; sieh' her doch und bedencke
Wie gar verwaist ich sey, wie Wermut mein Getrencke
Und herbe Galle war. Du denckst ja noch daran;
Mein Hertze sagt es mir, daß deines doch nicht kan
So gar mich lassen gehn; diß tröstet meine Sinnen,
Drumb hoff' ich fest' und steiff, ich will dich noch gewinnen.
Deß Herren Gnade macht, daß uns kein Trost gebricht
Und seine Gütigkeit die hat kein Ende nicht;
So offt es morgen wird, so offt auch wird sie neue
Und scheinet über uns. Sehr groß ist deine Treue.
Der Herr der ist mein Theil, spricht meine Seel in mir,
Drumb will ich auch auff ihn mich lassen für und für.
Der Herr ist freundlich dem, der hertzlich auff ihn bauet;
Er ist der Seelen Trost, die nach ihm fragt und schauet.
Es ist ein köstlichs Ding in aller Noth und Pein
Vertrauen auff den Herrn und recht gedultig sein.
Es ist ein köstlichs Ding, noch in den jungen Jahren,
Im Lentzen seiner Zeit, viel leiden und erfahren,
[251]
Nicht widerspenstig sein, wann sich die Sonne stellt,
Als scheine sie nicht mehr, und uns was überfellt,
Den Mund thun in den Staub, die Zeit mit Hoffnung tragen,
Sich lassen Schmach anthun und auff die Backen schlagen;
Dann Gott ist nicht ein Herr, der ewig zürnen kan,
Und ob er schon betrübt, doch nimpt er wider an,
Und liebt uns mehr als vor nach seiner grossen Güte.
Ja wann er uns schon plagt, so gehts nicht von Gemüte,
Das Hertz ist nicht darbey. So muß ein Vatter sein,
Verstecken seine Lieb' und nach dein Augenschein
Uns hassen noch so sehr. Er thut, als all' auff Erden,
Die so gefangen sind, zertretten musten werden
Von seiner Füsse Krafft und gäntzlich umgebracht,
Als eines Mannes Recht für Gottes starcker Macht
Gebeuget muste sein, und dem zuviel geschehen,
Der gute Sache hat, als köndt er diß nicht sehen,
Der Herr der alles sieht, dem nichts sich bergen kan,
So weit von Ost in West die Sonn' auff ihrer Bahn
Was Welt heist überschaut. Wer darff dann nun wol sagen,
Daß diß ohn sein Gebott bey uns sich zu kan tragen,
Daß dieser Erdenbau ist ausser seiner Hut,
Und macht uns nichts zu thun, auch selber nichts nicht thut?
Wie murren dann die Leut' in ihrem sichern Leben?
Ein jeder der mag Zanck mit seiner Sünd anheben.
Last uns in unsern Sinn und in uns selber gehn,
Zu suchen, was wir thun, und für den Herren stehn,
Mit wahrer Buß und Reu hin nach dem Himmel wenden
Und heben zu ihm auff das Hertze mit den Händen.
Wir haben deinen Zorn durch Sünd herfür gelockt,
Drumb hast du uns gar recht mit schwerer Handt gedruckt,
Hast billich dich ergrimmt und under deinem Volcke
So sehr herumb gewürgt, hast eine dicke Wolcke
Rings umb dich her gespannt, hast allen Weg und Bahn
Dem Beten abgestrickt, daß niemand für dich kan.
Wir sind durch deinen Grimm Koth, Wust und Unflat worden
Für dieser gantzen Welt und aller Völcker Orden.
Sie sperren auff ihr Maul, so viel der Feinde sind;
Uns plaget Noth und Angst, die Bach der Thränen rinnt
Mir strömig Tag und Nacht, im Fall ich solche Schmertzen
Der Tochter meines Volcks mir neme recht zu Hertzen.
Mein' Augen sind ein See, ein Quell, das nicht vergeht,
Das allzeit weiter fleust und doch voll Wassers steht,
Biß daß mir noch der Herr hoch auß der Lufft wird geben
Den Anblick seiner Gunst. Mein Auge frist mein Leben,
[252]
Weil sie so elend' ist, die Tochter meiner Statt.
Wie wann ein Steller sich bey seinem Garne hat
In den gemachten Pusch betrüglich hingesetzet
Und rückt die Vögel weg; so hat mich auch behetzet
Deß argen Feindes List, sie haben eine Grufft
Und Grube mir gemacht, daselbsten unverhofft
Mein Leben hingeraubt und mich umbher verschlossen
Mit Steinen allerseits, mit Wasser übergossen
Mein kranckes Häupt und mich, daß ich versuncken bin;
Da sprach ich bey mir selbst: Nun bin ich gar dahin,
Doch rief ich gleichwol noch, Herr, auß dem tieffen Grunde
Auff deinen Namen zu, und du hast auff der Stunde
Mein Flehen angehört. O meines Lebens Liecht,
Verstopffe ja dein Ohr für meinem Seufftzen nicht:
Komm, nahe dich zu mir, komm wann ich sehnlich ruffe,
Sprich zu mir: Sey getrost, erharre mein und hoffe.
Herr, rette meine Seel' und führ ihr Recht hinauß;
Sey meines Lebens Schutz, sonst ist es mit ihm auß.
Herr, laß mich weiter nicht so grosses Unrecht leiden,
Sitz auff den Richterstul, hilff meine Sach entscheiden.
Du siehest, wie sie sind, wie falsch und liftiglich
Sie wenden alles Thun und Trachten wider mich.
Du hörest ihre Schmach, es ist dir unverborgen
(Was birget sich vor dir?) daß ihre gantze Sorgen
Auff meinen Schaden gehn, daß sie sich, wann die Nacht
Uns überschatten will und wann Aurora wacht,
Bereden wider mich; all' ihre Red' und Sagen
Gehn einig nur dahin, wie sie zusammen tragen,
Was mein Verderben sey; wann man sie auffstehn sieht
Und gleichfals schlaffen gehn, so muß ich sein ihr Lied.
Vergilt es ihnen, Herr, und gib, was sie erwerben,
Laß sie in Furcht und Angst durch deinen Fluch verderben,
Verfolge sie mit Grimm, o grosser starcker Heldt,
Tilg' ihren Nahmen auß auff dieser gantzen Welt.

Das vierdte Klagelied

Wie hat das schöne Gold so häßlich können werden?
Wie tunckel sieht es auß? Wie ligt doch auff der Erden
Der Bau deß Heyligthumbs? Wie sind doch weit und breit
Die Marmor deß Pallasts zerbrochen umbgestreut?
[253]
Wie kömpt es immermehr, daß Zions edle Kinder
Als irrdne Töpffe sind, die jederman nicht minder
Dann Gold zuvor geschätzt? Jetzt sind sie Koth und Wust.
Die Drachen reichen ja den Jungen noch die Brust,
Wie grausam sie auch sind, und geben ihren Früchten
Die gelbicht weisse Milch mit treuen Mutterpflichten,
Biß daß sie selbst hernach sich richten auffs Gebein;
Die Tochter meines Volcks muß unbarmhertzig sein,
Muß härten ihren Sinn, als wie in stiller Wüsten
Der unbedachte Strauß pflegt in den Sand zu nisten,
Läst aber unbesorgt die waisen Eyer stehn,
Es mag auch ihnen gleich gut oder übel gehn.
Der Seugling stirbet schon und fängt kaum an zu leben,
Die Zunge bleibt ihm für Durst am Gaumen kleben,
Die Kinder heischen Brod und niemand bricht es nicht.
Den vormahls Speiß unnd Tranck, so weit der Sonnen Liecht
Die grosse Rundt bestralt, zu ihrem reichen Tische
Ward mit Gefahr gesucht, den kaum genungsamb Fische,
Die grosse Mittelsee und Nilus hat geschickt,
Die gehn jetzt schmächtig her; den Purpur ward gestickt
Zu Tyrus und Sidon am Palestiner Strande,
Die liegen jetzt im Koth und sind ihr' eigne Schande.
Ich weiß, daß sie mehr Schuld auff ihren Halse hat,
Die Tochter meines Volcks, und grösser Uebelthat
Als Sodom, welche doch vom Himmel ward verzehret
Durch strenge Regenglut und plötzlich umbgekehret,
Wo Asphalites noch an seinen todten Randt
Das schwartze Hartz außwirfft unnd zeigt auff diesen Brandt.
Ihr heil'ges Priestervolck, die keuschen Nazarener,
Die waren rein' als Schnee, viel klärer noch und schöner,
Als eine weisse Milch, und ihre grosse Zier
War röter, als Corall, ihr Ansehn wie Saffir.
Nun sind sie schwartz wie die, so stets der Mittag brennet,
Und sehn vertunckelt auß, daß niemand sie mehr kennet,
Die Haut hengt am Gebein' und ist nun gar zu weit,
Der gantze Cörper ist noch dürrer als ein Scheidt,
Das an der Sonnen liegt. Die durch das Schwerdt verdorben,
Die kamen besser umb als die, so endlich sturben
Auß Durst' und Hungerspein unnd worden erst hernach
Vom Feinde hingewürgt, weil Frucht und Korn gebrach.
Die Mütter, derer Hertz' auß Liebe sonst zerbrochen,
Die musten (ach der Angst) ihr' eigne Kinder kochen
Zu stillen ihren Bauch in solcher grossen Noth
Der Tochter meines Volcks. Der Herr, der starcke Gott,
[254]
Hat seinen Grimm vollbracht, hat gantz und gar zusammen
Geschüttet über uns deß heissen Zornes Flammen,
Hat eine wilde Glut in Zion angesteckt,
Daß nun ihr Grund und sie den wüsten Boden deckt.
Kein König, der jetzt lebt, noch alle Leut' auff Erden,
Die hetten je gegläubt, daß diß wahr köndte werden,
Das mein Jerusalem, der Außzug dieser Welt,
Deßgleichen nicht die See in ihren Armen helt,
Deß frembden Feindes Macht würd' öffnen Thor und Angel.
Daß aber diß geschehn, ist der Propheten Mangel
Und grobe Missethat; der Priester Laster macht,
Daß Gott sie hefftig strafft, die so viel umbgebracht
Ohn alle Schuld und Recht; sie giengen wie die Blinden
In ihrer Hoffart her, befleckt mit Blut und Sünden
Und rührten jener Kleid auch nicht auß Hochmuth an;
Sie rieffen auff sie zu: Weicht, geht uns auß der Bahn;
Weicht, ihr Unreinen, weicht! Dann sie sie anzuschauen
Nicht ihnen ohne Scheu vermochten zu getrauen
Und flohen ihr Gesicht' auffs beste möglich war,
Daß jederman gesagt auch bey der Feinde Schar:
Es ist unmöglichs Ding, sie können nicht verbleiben
Und werden dieses Thun die Länge schwerlich treiben,
Drumb hat sie so zerstreut deß Herren grimme Handt,
Er hat sein Antlitz gar von ihnen abgewandt.
Sie haben sämptlich nicht die Priester ehren wollen,
Und ihren Aeltesten, die sie doch lieben sollen,
Als Vättern gütig sein, je dennoch gafften wir
Das Maul und Augen auff und hofften für und für
Auff Hülffe die nicht hilfft, biß daß wir müde waren
Vom Warten auff ein Volck, das uns mit seinen Scharen
Und Waffen wenig nutzt, wir musten doch noch gehn
Und durfften letzlich nur nicht auff den Gassen stehn.
Daselbst hat unser Thun sein endlichs Ziel genommen,
Die Tage sind nun auß, es ist zur Neige kommen.
Wie deß Geflügels Herr, der Adler, Wind und Lufft
Mit seinen Federn trennt und schwingt sich in die Klufft
Der grünen Thäler hin auff eine schwache Taube,
So war auch unser Feind; er hat uns seinem Raube
Biß auff die hohen Berg' und Felsen nachgesetzt
Und in den Wüsten uns mit Hinterlist verletzt.
Den uns der Herr gesalbt, die Hoffnung unnd Verlangen,
Die Zuflucht unsers Volcks ist worden auffgefangen,
Da als man uns zerstört; er ist anjetzt dahin,
In dessen Schatten wir vertrauten Hertz' und Sinn.
[255]
Sey fro und schaue ja, daß du der Lust nicht schonest,
Die so du im Land Uz, o Tochter Edom, wohnest,
Dann dieser Kelch wird auch noch kommen über dich,
Wirst werden gleicher Weis' entblösset, wie vor ich.
O Tochter Zion, wol, dein Creutze hat ein Ende;
Er wird dich Feinden nicht mehr lieffern in die Hände.
Ietzt aber, Edoms Kind, liegt seine Straff' auff dir;
Es wird nun deine Schuld entdecken, als wie mir.

Deß Propheten Jeremias Gebett

O Herr, bedencke doch, Herr, nim dir doch zu Hertzen
Das Leyd, so uns betrifft, schau' unsre Schmach und Schmertzen
Mit Vatteraugen an, sieh' unser güld'nes Land,
Das Milch und Honig trug, ist nun in frembder Hand
Und unsre Häuser auch; wir sind zu Waisen worden
Und unsre Mütter sind im armen Widwen Orden,
Sie haben keinen Mann, wir keine Vätter nicht,
Und sind ohn Hülff' und Trost; wann Wasser uns gebricht,
Das dennoch unser ist, so lassen wir es bringen
Umb unser eygnes Geld, und müssen Holtz erzwingen,
Das uns im Pusche wächst, umb grossen Werth und Preiß.
Man treibt uns über Halß, und wann wir allen Fleiß
Zur Arbeit angewandt, so daß wir fast erliegen,
Jedennoch sind wir faul und thun nicht nach Genügen.
Wir müssen jetzt auß Noth Egypten dienstbar sein
Und Assur Gutes thun, damit uns Brot allein
Zu essen wird gereicht; es wird an uns gerochen
Was unsre Vätter schon für langer Zeit verbrochen.
Sie schlaffen unbesorgt und dencken nicht mehr her,
Ihr Uebel aber wird uns Kindern nun zu schwer.
Wir dienen Knechten jetzt, Schand über alle Schande,
Und niemand rettet uns in diesem gantzen Lande
Von ihrer Dienstbarkeit; wir holen unser Brod
Mit Aengsten und Gefahr, weil beydes Schwerd und Todt
Hier in der Wüsten sind, daß Fleisch und Beine knacken,
Die schwartze Haut sieht auß, als were sie gebacken
Im Ofen und gedört für Mangel an der Kost
Und Hunger der uns plagt. Sie haben schnöde Lust
Und Ueppigkeit verübt mit Zions schönen Weibern,
Den Jungfraun Juda auch von ihren zarten Leibern
Den besten Schatz geraubt, die Fürsten auffgeschnürt,
Die Alten nicht geehrt, als wie sich wol gebührt.
[256]
Das arme junge Volck hat Müller müssen werden,
Die Knaben bleiben schier erliegen auff der Erden,
So das ihr Hals für Last deß Holtzes brechen wil.
Kein Alter sitzt am Thor', es wird kein Seitenspiel
Von unsrer Jugend mehr, wie zwar zuvor, gerühret,
Die Laut' ist ohne Laut; kein Neigen wird geführet,
Kein Tantz nicht mehr gehegt; die Freuden sind nun auß,
Und unser Schauspielplatz wird jetzt ein Klagehauß;
Die Cron ist auch dahin; ach, ach, daß unser Leben.
Sich also gantz und gar den Sünden hat ergeben!
Drumb sind wir jetzt betrübt, drumb bricht das Hertz uns schier
Und unsern Augen kömpt fast alles finster für,
Weil Zion wüste liegt, weil Füchs' ihn untergraben
Und an der heylgen Statt die schlauen Hölen haben.
Du aber, du, o Herr, verbleibst in Ewigkeit,
Du bleibest und dein Thron wird stehn zu aller Zeit.
Wie dann vermagst du uns so gäntzlich zu verlassen
Und länger als du pflegst, den harten Sinn zu fassen?
Ists möglich, daß dein Zorn noch weiter brennen kan?
Herr, bring' uns doch nun heim und nim uns wider an;
Verjüng' uns widerumb, beschenck uns mit den Jahren,
Die also glücklich sind, als jene vormals waren;
Dann, Herr, du bist uns feind, hast keine Masse mehr
Zu straffen uns, dein Volck, und zürnest gar zu sehr.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Opitz, Martin. Die Klag-Lieder Jeremia. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-626E-B