Das vierdte Klagelied

Wie hat das schöne Gold so häßlich können werden?
Wie tunckel sieht es auß? Wie ligt doch auff der Erden
Der Bau deß Heyligthumbs? Wie sind doch weit und breit
Die Marmor deß Pallasts zerbrochen umbgestreut?
[253]
Wie kömpt es immermehr, daß Zions edle Kinder
Als irrdne Töpffe sind, die jederman nicht minder
Dann Gold zuvor geschätzt? Jetzt sind sie Koth und Wust.
Die Drachen reichen ja den Jungen noch die Brust,
Wie grausam sie auch sind, und geben ihren Früchten
Die gelbicht weisse Milch mit treuen Mutterpflichten,
Biß daß sie selbst hernach sich richten auffs Gebein;
Die Tochter meines Volcks muß unbarmhertzig sein,
Muß härten ihren Sinn, als wie in stiller Wüsten
Der unbedachte Strauß pflegt in den Sand zu nisten,
Läst aber unbesorgt die waisen Eyer stehn,
Es mag auch ihnen gleich gut oder übel gehn.
Der Seugling stirbet schon und fängt kaum an zu leben,
Die Zunge bleibt ihm für Durst am Gaumen kleben,
Die Kinder heischen Brod und niemand bricht es nicht.
Den vormahls Speiß unnd Tranck, so weit der Sonnen Liecht
Die grosse Rundt bestralt, zu ihrem reichen Tische
Ward mit Gefahr gesucht, den kaum genungsamb Fische,
Die grosse Mittelsee und Nilus hat geschickt,
Die gehn jetzt schmächtig her; den Purpur ward gestickt
Zu Tyrus und Sidon am Palestiner Strande,
Die liegen jetzt im Koth und sind ihr' eigne Schande.
Ich weiß, daß sie mehr Schuld auff ihren Halse hat,
Die Tochter meines Volcks, und grösser Uebelthat
Als Sodom, welche doch vom Himmel ward verzehret
Durch strenge Regenglut und plötzlich umbgekehret,
Wo Asphalites noch an seinen todten Randt
Das schwartze Hartz außwirfft unnd zeigt auff diesen Brandt.
Ihr heil'ges Priestervolck, die keuschen Nazarener,
Die waren rein' als Schnee, viel klärer noch und schöner,
Als eine weisse Milch, und ihre grosse Zier
War röter, als Corall, ihr Ansehn wie Saffir.
Nun sind sie schwartz wie die, so stets der Mittag brennet,
Und sehn vertunckelt auß, daß niemand sie mehr kennet,
Die Haut hengt am Gebein' und ist nun gar zu weit,
Der gantze Cörper ist noch dürrer als ein Scheidt,
Das an der Sonnen liegt. Die durch das Schwerdt verdorben,
Die kamen besser umb als die, so endlich sturben
Auß Durst' und Hungerspein unnd worden erst hernach
Vom Feinde hingewürgt, weil Frucht und Korn gebrach.
Die Mütter, derer Hertz' auß Liebe sonst zerbrochen,
Die musten (ach der Angst) ihr' eigne Kinder kochen
Zu stillen ihren Bauch in solcher grossen Noth
Der Tochter meines Volcks. Der Herr, der starcke Gott,
[254]
Hat seinen Grimm vollbracht, hat gantz und gar zusammen
Geschüttet über uns deß heissen Zornes Flammen,
Hat eine wilde Glut in Zion angesteckt,
Daß nun ihr Grund und sie den wüsten Boden deckt.
Kein König, der jetzt lebt, noch alle Leut' auff Erden,
Die hetten je gegläubt, daß diß wahr köndte werden,
Das mein Jerusalem, der Außzug dieser Welt,
Deßgleichen nicht die See in ihren Armen helt,
Deß frembden Feindes Macht würd' öffnen Thor und Angel.
Daß aber diß geschehn, ist der Propheten Mangel
Und grobe Missethat; der Priester Laster macht,
Daß Gott sie hefftig strafft, die so viel umbgebracht
Ohn alle Schuld und Recht; sie giengen wie die Blinden
In ihrer Hoffart her, befleckt mit Blut und Sünden
Und rührten jener Kleid auch nicht auß Hochmuth an;
Sie rieffen auff sie zu: Weicht, geht uns auß der Bahn;
Weicht, ihr Unreinen, weicht! Dann sie sie anzuschauen
Nicht ihnen ohne Scheu vermochten zu getrauen
Und flohen ihr Gesicht' auffs beste möglich war,
Daß jederman gesagt auch bey der Feinde Schar:
Es ist unmöglichs Ding, sie können nicht verbleiben
Und werden dieses Thun die Länge schwerlich treiben,
Drumb hat sie so zerstreut deß Herren grimme Handt,
Er hat sein Antlitz gar von ihnen abgewandt.
Sie haben sämptlich nicht die Priester ehren wollen,
Und ihren Aeltesten, die sie doch lieben sollen,
Als Vättern gütig sein, je dennoch gafften wir
Das Maul und Augen auff und hofften für und für
Auff Hülffe die nicht hilfft, biß daß wir müde waren
Vom Warten auff ein Volck, das uns mit seinen Scharen
Und Waffen wenig nutzt, wir musten doch noch gehn
Und durfften letzlich nur nicht auff den Gassen stehn.
Daselbst hat unser Thun sein endlichs Ziel genommen,
Die Tage sind nun auß, es ist zur Neige kommen.
Wie deß Geflügels Herr, der Adler, Wind und Lufft
Mit seinen Federn trennt und schwingt sich in die Klufft
Der grünen Thäler hin auff eine schwache Taube,
So war auch unser Feind; er hat uns seinem Raube
Biß auff die hohen Berg' und Felsen nachgesetzt
Und in den Wüsten uns mit Hinterlist verletzt.
Den uns der Herr gesalbt, die Hoffnung unnd Verlangen,
Die Zuflucht unsers Volcks ist worden auffgefangen,
Da als man uns zerstört; er ist anjetzt dahin,
In dessen Schatten wir vertrauten Hertz' und Sinn.
[255]
Sey fro und schaue ja, daß du der Lust nicht schonest,
Die so du im Land Uz, o Tochter Edom, wohnest,
Dann dieser Kelch wird auch noch kommen über dich,
Wirst werden gleicher Weis' entblösset, wie vor ich.
O Tochter Zion, wol, dein Creutze hat ein Ende;
Er wird dich Feinden nicht mehr lieffern in die Hände.
Ietzt aber, Edoms Kind, liegt seine Straff' auff dir;
Es wird nun deine Schuld entdecken, als wie mir.

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TextGrid Repository (2012). Opitz, Martin. Gedichte. Geistliche Dichtungen. Die Klag-Lieder Jeremia. Das vierdte Klagelied. Das vierdte Klagelied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-62F7-4