Johannisnacht im Münster zu Straßburg
Johannisnacht! Johannisnacht,
Du senkst Dich mild hernieder,
An Stunden arm, doch reich an Macht
Voll Nachtigallenlieder.
Voll Sternenschein und Zauberglanz,
Ja selbst die Käfer funkeln,
Des Abendrotes Rosenkranz
Umblüt Dich noch im Dunkeln.
Und hallt es Mitternacht vom Turm
Auf Straßburgs Kathedrale –
Ein Glockenklang als läut' es Sturm –
Beginnt mit einem male,
Rings in des Münsters weitem Schoß
Ein seltsam buntes Leben,
Bald sanftes Säuseln, bald Getos,
Ein Schwirren und ein Schweben.
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Die Toten steigen aus der Gruft,
Die einst den Münster bauten,
Der Meister sie zur Stelle ruft,
Daß sie das Werk beschauten;
Das Werk, das noch den Meister lobt
Durch langer Zeiten Stürme,
Daß Kunst und Dauer wohl erprobt
Die Wölbung, wie die Türme.
Sarg und Gewölbe, Schloß und Thür
's ist alles aufgesprungen!
Die Werkleut' haben sich herfür
Aus ihrem Grab geschwungen.
Mit Zirkel und mit Meisterstab,
Das Richtscheit in den Händen,
So schweben sie hinauf, hinab –
Lang' will der Zug nicht enden.
Mit Händedruck und frohem Blick
Sich grüßen die Genossen
Und denken an die Zeit zurück,
Die seit dem Bau verflossen.
Durch Streben, Gänge allzumal
Zum Turme kommt's gezogen,
Um Säulen, Pfeiler und Portal
Unendlich Geisterwogen.
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Am Himmel hält der Mond die Wacht,
Es flüstern Geisterklänge
Leis' durch die stille, laue Nacht
Wie froher Engel Sänge;
Da schwirrt es sanft und rasch empor
Im Schiff und auf den Gräten,
Und sieh: auf Erwins Bau hervor
Der Meister ist getreten.
Erwin von Steinbach – sei gegrüßt!
Er schwebt zur höchsten Spitze,
Wie ihn des Mondes Licht umfließt
Auf seines Thrones Sitze!
Und zu ihm auf zur selben Zeit
Ein Mägdlein schwebt mit Winken,
Mit goldnem Haar und weißem Kleid,
Den Meißel in der Linken.
Jungfrau Sabina hold verklärt
Vom Sternenglanz umflossen,
Wie ist die Künstlerin geehrt
Von allen Werkgenossen!
»Mich trieb Begeistrung –« spricht die Maid –
»Gott und der Kunst zu dienen,
So bin auch ich voll Freudigkeit
Zu dieser Stund' erschienen.«
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Und alle neigen sich vor ihr
Und vor dem Meister nieder:
»Gegrüßt! gegrüßt! so sehen wir
Auf Jahr und Tag uns wieder.
Das ist der rechte Hüttentag,
Den freie Maurer halten,
Baubruder! komme was da mag!
Dies Werk wird nie veralten!«
Und horch! da hallt es eins vom Turm
Auf Straßburgs Kathedrale.
Ein Glockenklang als läut' es Sturm!
Und husch mit einem male
Vom Turm und in des Münsters Schoß
Ein Sausen und ein Brausen,
Bald sanftes Säuseln, bald Getos,
Bald innen und bald außen.
Dann alles still. – Zur Ruh' hinab
Die Geister sind gegangen
Und alle hält das kühle Grab
Nun wieder still umfangen,
Bis wieder zur Johannisnacht
Zwölf Schläge sie befreien,
Und sie das Werk, das sie vollbracht,
Mit Segensgrüßen weihen. –