[73] Römisch und Deutsch

1845


Und fühlt Ihr endlich nun des Joches Drücken
Und wollt Ihr rächen nun die lange Schmach?
Seid Ihr es müde, daß auf Deutschlands Rücken
Des Römers Fuß noch immer treten mag?
Daß immer noch das alte Stück soll spielen,
Das alte Stück aus Deutschlands Kaiserzeit,
Wo, wenn mit Frevelsflüchen Rom gedräut
Die Mächtgen selber ihm zu Füßen fielen?
Und ahnt Ihr endlich, daß die Nacht muß weichen,
In der noch finstrer Zauberwahn regiert
Und manchen Wanderer ein trügend Zeichen
Als Irrlicht in die tiefsten Sümpfe führt?
Noch einmal zuckte jene Riesenschlange,
Die zweite Hyder, welche Rom gebar,
Ihr Haupt empor und rief der Christen Schar
Zum Götzendienst mit schnödem Glaubenszwange.
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Sie meinte jubelnd schon zu triumphieren
Und überall wuchs ihr ein neues Haupt,
Da mochte wohl die Frage uns gebühren:
Wer hat dies neue Gaukelspiel erlaubt? –
Und mag es noch so glänzend sich gebärden,
Nicht fürder wachsen soll die Lügensaat,
Schon ist sie reif und eine Ernte naht,
Wo all ihr Gift uns soll zum Heilkraut werden.
Deutschland kann trotzen allen fremden Mächten
Und lieber deutsch als römisch will es sein,
Kein fremder Zwang soll seinen Glauben knechten,
Ja, seinen Glauben muß es sich befrei'n.
Umsonst schlug Hermann Romas Legionen,
Umsonst wird ihm ein ehern Mal geweiht,
Wenn Rom noch herrscht in später Enkel Zeit,
Deutschland sich beugt wo einst gesiegt Teutonen.
An uns're Zeit ergeht ein heilig Mahnen,
Ein heilig Mahnen an das Vaterland,
An Deutschlands Volk: sei würdig Deiner Ahnen,
Sei einig, knüpf in Dir ein dauernd Band.
Wir stehen fragend an der Zukunft Pforten,
Wir suchen Rat bei der Vergangenheit,
Noch ist ein Traum ja Deutschlands Einigkeit –:
Wir werden einig, wenn wir deutsch geworden!
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Ja nur erst deutsch, wir sind's nur nach den Namen,
Wohl auch im Sinn, doch nicht in Sitt und Brauch,
In unsre Heimat streut man fremde Samen,
Durch unsre Thäler weht ein fremder Hauch.
Die fremde Saat tilgt von der fremden Erde,
Das fremde Reich brecht ab vom deutschen Baum
Gebt seinem Wachstum Luft und freien Raum –
Dann erst ist's Zeit, daß Deutschland einig werde!
Du wirst Dich jetzt, mein Vaterland, erheben,
Für Deinen Glauben trittst Du in die Schranken,
Du willst nicht mehr im römschen Joche leben,
Frei forderst Du den Glauben, den Gedanken.
Heil ihm, der jüngst zuerst das Wort gesprochen,
Das in dem Vaterland ein Losungswort!
Ja, »deutschkatholisch« schallt es hier und dort
Und Rom erschrickt – der Zauber ist gebrochen.
Wir wollen lieben, segnen und vergeben,
Wir wollen Christentum in seiner Reinheit
Und eine neue Kirche wird sich heben,
Vielleicht ein würdig Sinnbild deutscher Einheit.
Wir wollen nicht in blindem Haß entflammen,
Deutschland wird frei, allein und groß bestehn,
Mag wer da will gen Rom noch gläubig sehn –
Es stürzt ja in sich selber doch zusammen.
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Nicht fürder soll es uns Gesetze schreiben,
Der Deutsche darf die lange Schande rächen,
Das römsche Recht vom Richterstuhle treiben,
Denn mündig ist er, selbst sich Recht zu sprechen!
Nur deutsches Flehn, nur deutsches Urteil sprecht
Vorm Altar, vor der Armensünderbank –
Die Güter heischt der neuen Zeiten Drang:
Die deutsche Kirche und das deutsche Recht.

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Gedichte. Mein Lebensgang. Abteilung 1. Aus den Jahren 1840-1850. Römisch und Deutsch. Römisch und Deutsch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-656E-2