[212] Muckensturm

»Die Väter bedrängte greulicher Krieg,

Die Mucken halfen ihnen zum Sieg!«

Alte Inschrift.


Das ist die Murg, zum Fluß geworden,
Die erst als Waldbach dumpf gebraust, –
O drohe nur des Feindes Horden,
Der frech an Deinen Ufern haust!
Es kam der Reichsfeind über Rhein,
Badenser kämpfen mit Franzosen,
Und wieder heißt: ein Deutscher sein,
Sich zählen zu den Hilfelosen!
Die Festung Rohrburg ruft in Nöten
Reichstruppen auf zu Schirm und Wehr
Die Feinde drohen, brennen, töten –
Zur Rettung naht kein deutsches Heer!
Schon ist verloren Wall um Wall,
Schon stürmt der Feind an allen Thoren,
Singt trotz'ger Siegeslieder Schall –
In Rohrburg Jammerruf: »Verloren!«
[213]
Ein Bürger naht dem Kommandanten,
Ein deutscher Bürger schlicht und recht;
Der spricht: »Noch sind wir nicht zu Schanden,
Ich werde kein Franzosenknecht!
Kein Markgraf will, kein Herzog helfen,
Kein Reichssoldat, kein General –
Sie dienen Waiblingern und Welfen –
Dem deutschen Volke bleibt die Qual!«
»Mir helfen zwanzig Königinnen
Mit ihres Volkes großer Schar;
Die sollen uns den Sieg gewinnen
Und von uns wenden die Gefahr.
Hoch oben auf dem Festungsbau
Sind schon die Truppen und Kasernen –
Kommt, haltet Eure Heeresschau,
Wollt meine Mannschaft kennen lernen!«
Und oben auf den höchsten Schanzen
Des Bürgers Bienenkörbe stehen.
Ein Hurrah! – Wie zum lust'gen Tanzen
Zum Sturme die Franzosen gehen –
Und schaut! hinab in ihre Reihn
Ein Wurf in weitgeschwungnem Bogen –
Welch Summen, Brausen, Schütteln, Schrein –
Ein Korb dem seine Schar entflogen!
[214]
Und zwanzig so! – und Millionen
Von Bienen in der Feinde Heer;
Da gilt kein Rufen und kein Schonen,
Da hilft nicht Sturm und Gegenwehr!
Wie scharf und spitz der Bienenpfeil
Versandt mit zornig gift'gem Brummen, –
Und in der Flucht sucht jeder Heil
Vor diesem Stechen, diesem Summen!
Kein Mann hält Stand! die Kämpfer weichen
Vor solcher Freischar kühnem Flug.
Ihr Summen ist ihr Siegeszeichen,
Ihr Stachel mehr als Schwerter schlug.
Die Feinde rings in toller Flucht –
Sie werfen von sich Wehr und Waffen,
Im schnellen Lauf ein jeder sucht
Sich den Verfolgern zu entraffen.
Gerettet ist die deutsche Veste,
Gerettet durch den deutschen Fleiß.
Ein solcher Lohn, er ist der beste,
Der Bürger und der Arbeit Preis! –
In Baden, wo die Veste lag
Die Bienen man als Mucken kennet –
Und Rohrburg ward seit diesem Tag
Zum Danke Muckensturm benennet.

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TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Gedichte. Mein Lebensgang. Abteilung 3. Aus den Jahren 1860-1870. Muckensturm. Muckensturm. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-65DA-E