[308] 6. Pfingstsonne
Laßt folgen mich der Sonne Winken,
Dem Pfingstenrufe der Natur,
Laßt mich des Daseins Wonne trinken,
Die Luft des himmlischen Azur.
Laßt mich dem hohen Ruf gehorchen,
Der noch aus jeder Blüte sprach,
Aus Lerchenlied am Pfingstenmorgen
In einem Hauch: der Sonne nach!
Der Sonne nach: – O wie ihr Walten
Den dunklen Himmelsdom durchbricht,
Ein neues Leben zu entfalten
Im Schöpfungswort: es werde Licht!
Und alles blüt und alles singet
Und grüßt den heil'gen Pfingstentag,
Der neues Licht und Leben bringet,
Und alles drängt der Sonne nach.
Ihr strebt die Lerche froh entgegen,
Die zwitschernd hebt ihr Schwingenpaar,
Zu ihr mit kühnen Flügelschlägen
Steigt stolz empor der junge Aar.
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Und rings vom Pfingstenruf durchglühet
Drängt alles zu dem Licht hervor,
Wo nur ein Sonnenfunken sprühet
Klingt auch der Ruf: Empor! empor!
So wird des Geistes Ruf vernommen,
Der alle Wesen aufwärts zieht,
Er ist auch mir, auch mir gekommen,
Empor mein Aug', empor mein Lied!
Empor mein Sinnen und mein Denken,
Der Sonne nach, dem Lichte zu!
Und will die Erde dich beschränken
So wage höh'ren Flug auch du!
Wag ihn und sink ans Herz der Sonnen,
Aus dem die Gottheit zu dir sprach:
Der Menschheit Heil wird nur gewonnen,
Strebt sie empor – der Sonne nach!
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