2. Argula von Grumbach

Argula hat des Lebens Glück genossen –
Die Liebe führte sie zum Traualtar,
Froh ward das heilig feste Band geschlossen,
Das »Ja« entquoll der Lippe frei und wahr,
Und treu vereint dem liebenden Gefährten
Ward ihr des Weibes schönstes Los auf Erden!
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Doch lange nicht – in edler Liebe Feier,
Nur wenig Jahre waren hingerauscht,
Da hat ihr junges Haupt den Wittwenschleier
Nur zu schnell für den Brautkranz eingetauscht!
Die blühnden Kinder wiegt als vaterlose
Die Trauernde auf ihrem Mutterschoße.
Im tiefen Schmerze möchte sie vergehen,
Sich flüchten aus dem öden Weltgewühl,
Durch Thränenflöre nur zum Himmel sehen
Zum Gatten auf im sehnenden Gefühl –
Doch ihre Kinder mahnen sie ans Leben,
Sie muß als Mutter, Vater für sie streben.
So sei das heil'ge Erbe angetreten!
Sie weiht sich ganz des Lebens ernster Pflicht,
Recht Handeln gilt ihr mehr als weinend Beten,
Und mehr als Dulden, Streben nach dem Licht;
Die Mutterpflicht gibt ihr den Mut, die Stärke,
Ihr Teil zu fordern an dem Fortschrittswerke.
Dem Fortschrittswerke, das der Mönch begonnen,
Der kühne Luther, durch den Kampf mit Rom.
Auch ihr war ja die Bibel längst der Bronnen,
Aus dem sie schöpfte der Begeistrung Strom,
Die Kraft auf seine Seite sich zu stellen,
Mit solchem Licht die Menschheit zu erhellen.
[181]
Um ihrer Kinder, um der Menschheit willen
Tritt Argula aus ihrem Fraungemach
Hinaus ins Leben, so den Drang zu stillen
Der auch in ihr von Licht und Freiheit sprach;
Vor Luther selbst weiht sie sich seiner Sache
Und hält für ihn, für Glaubensfreiheit Wache.
Sie sucht die Welt, nicht nur ein Stück vom Himm
Ihr Horizont ist unbegrenzt und weit.
Sie dient dem Ew'gen in der Welt Getümmel,
Sie dient mit freiem Geiste ihrer Zeit.
Sie fürchtet nicht, daß was im Innern blühe
In Sonn' und Sturm und frischer Luft verglühe.
Sie sucht nicht im Gebet in Klostermauern
Des Gottes gnadenreiche Gegenwart;
Ihr hat er sich in gleichen Ahnungsschauern
Im Tempel der Natur geoffenbart;
So dient sie ihm bis auf des Todes Winken
Die treuen Hände segnend niedersinken.
[182]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Gedichte. Mein Lebensgang. Abteilung 2. Aus den Jahren 1850-1860. Zwei Frauen aus der Reformationszeit. 2. Argula von Grumbach. 2. Argula von Grumbach. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6601-E