2.

Hinauf die Berge, die waldumkränzten,
Hinauf zur Burg, der erinnerungsreichen! –
Noch steht sie da ein heilig sichres Zeichen,
Daß was in ihr gekämpft ward und gestrebt
Auch wir ersiegen, wenn wir nimmer weichen
Gegrüßt! gegrüßt, Du Veste des Vaterlands,
Du deutsche Burg mit dem deutschen Namen.
»Wartburg«! Ach, nur zu deutsch,
Denn wo auch der Deutsche sich eine Burg mag bauen
Zu wahren seine heiligen Rechte,
Da läßt man ihn warten! –
Und er wartet geduldig – wie lange noch?! –
Und drinnen im hochgewölbten Rittersaal
Winkt zwischen gothischen Säulen
[80]
Das Bildnis einer Heiligen.
Ja, einer Heiligen, die ich heilig preise,
Ob ich auch oft gehöhnt und verspottet
Die heilig gesprochnen, gebeugten Gestalten,
Die 's nur mit Fasten und Träumen gehalten.
Die sich gegeißelt, die sich gemartert,
An ihrem Leibe gefrevelt
Im frechen, thörichten Wahnsinn
Um die Gunst des Himmels zu buhlen.
Ob ich auch bilderstürmerisch im Gemüte
Oft gestanden in Kirchen und Klöstern,
Wo Götzenbilder geprangt mit Heiligenscheinen
Weil sie die Menschheit frevelnd entmenschlicht, –
Es verstummte das scheltende Wort
Und der Spott auf der Lippe –
Und eine fromme Thräne trat in mein Auge
Vor Deinem Bildnis: Heil'ge Elisabeth!
Die goldene Grafenkrone,
Den eitlen schimmernden Reif
Nahm sie demütig aus den Locken
Dem gegenüber,
Der einst eine Dornenkrone getragen.
Ihm hatten nichts gegolten Purpur und Kronen,
Und nichts die Macht auf goldenen Thronen,
Ein Kind aus dem Volke
[81]
Hat er's gehalten mit den Armen und Niedrig gebornen,
Mit den Verachteten und Verstoßnen.
Die Hungernden hat er gespeist,
Die Kranken hat er geheilt, den Schwachen vergeben.
Und mochte nie den ersten Stein erheben
Auf eine schwache Sünderin.
Und wie er lebte für das arme Volk
Ist er gestorben für die Ausgestoßnen
Und hat als seine Erben hinterlassen,
Die Armen aller Völker, aller Zeiten,
Die Armen alle, die er Brüder nannte,
Und die ja um uns sind noch alle Zeit. –
Das wußte wohl Elisabeth!
Sie hat die große Erbschaft angetreten
Bei ihres Landes, ihres Volkes Armen:
Sie hielt's nicht nur mit Fasten und mit Beten,
Sie hatte für die Leidenden Erbarmen, –
Hernieder stieg sie von der Wartburg
Zu den Bekümmerten, und als graunvolle Hungersnot
Den Segen aufgezehrt und bleiches Elend
Wie ein grausiger Fluch wandeln ging durch die Lande,
Kehrte Elisabeth wieder die Flüche in Segen,
Gab was sie hatte, sich selbst nicht besser achtend
Als die Geringsten im Volke.
[82]
Doch als der Gatte ergrimmt ob so reichlicher Spenden,
Da wandelten sich unter ihren Händen
Die Brote in Rosen –
Doch war sie entronnen den Augen der Späher
Und stand unter den bleichen Gestalten der Not,
Da wurden wieder die Rosen zu Brot.
Und in der helligen Wundermäre
Ruht eine Lehre für unsere Zeiten:
Seht Ihr die Kindlein Blumen pflücken,
Den duftenden Strauß n den Händen der Not,
So wandelt die Blumen n Brot.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Gedichte. Mein Lebensgang. Abteilung 1. Aus den Jahren 1840-1850. Wartburg. 2. [Hinauf die Berge, die waldumkränzten]. 2. [Hinauf die Berge, die waldumkränzten]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6695-F