Oskar Panizza
Visionen
Erzählungen und Skizzen

[170] Dem Andenken

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann's

[170][173]

Die Kirche von Zinsblech

»Sind angenehm in Leibkleidern als nackend, doch tödtliche Farbe, gehen zertheilt an beiden Orten den Platz hinauf, lassen sich bloß sehen als ob sie erscheinen, ungeredet, und gehen alsdann wieder hinab in das Grab.« –

Luzerner Osterspiel, Todtenauferstehung.


Auf einer meiner einsamen Wanderungen durch Tyrol hatte ich mich eines Abends vergangen. In Folge eines am Nachmittag schief gestandenen Wegweisers fand ich mich bei längst eingetretener Dunkelheit noch mitten im Walde, während ich bei untergehender Sonne längst am Orte meines Ziels hätte eintreffen sollen. Ich kam zwar endlich in ein Dorf, welches ich aber weder in dieser Gegend vermuthete, noch, soviel ich mich erinnerte, auf einer meiner Karten verzeichnet stand. Es mochte jetzt gegen elf Uhr Nachts sein. Alle Hausthüren waren verschlossen; die Fensterscheiben schwarz. Aus Besorgniß um ein Nachtquartier klopfte ich an eine derselben, deren bleiernschepperndes Geräusch die Worte »Zinsblech! Zinsblech!« vernehmen ließ. Dies war aber nur der Laut auf den kleinen runden Scheiben mit Bleieinfassung; die größeren Scheiben, an die ich klopfte, um Einlaß zu erhalten, tönten »Pinzgau! Pinzgau!« Nirgends die Antwort einer menschlichen Stimme. Nach wenigen Schritten stieß ich auf die Ortstafel, wo das einzige Licht im Dorf zu brennen schien, bei dessen Schein es mir gelang auf derselben zu lesen: »Gemeinde Zinsblech; Landgericht Pinzgau«. Es folgten noch einige Bemerkungen bezüglich Aushebungsbezirk, Steuereinziehung u.s.w. und am Schlusse hieß es: »Das Orts-Geschenk wird im Haus Nr. 666 gereicht.« – Nachdem ich mit meinem Geklopfe »Zinsblech! – Pinzgau!« mehrere, gänzlich menschenleere Straßen durchwandert hatte, wobei mir das Unglück passirte eine Scheibe einzuschlagen, die auf diesen Mord ihres eigenen Ichs mit dem gläsernen Sterbeseufzer »Grinzsau!« antwortete, kam ich an die Kirche. Ein großes, hochaufsteigendes Gebäude im nüchtern-romanischen Stil mit wuchtigen Formen; außen rohbemörtelt; das Dach von Schiefer; [173] am Ende ein hoher Thurm mit in Zacken aufsitzendem Thurmhelm, dessen sich verjüngende Spitze ein goldenes Kreuz, und auf dem Kreuz einen Hahn trug. Merkwürdigerweise stand die Kirchenthür, die mit Schweinfurter Grün angestrichen war, sperrangelweit offen. Ich trat ein und ging, nachdem ich in unglücklicher Richtung an den kupfernen Weihkessel angestoßen war, der mit dem schilpend-abgewetzten Laut »Prinzfrech!« antwortete, vorsichtig durch die Kirchenstühle auf den Altar zu. Vor dem Altar lag eine dicke, wollige Plüschdecke. Alles war mäuschenstill. Ich war so ermüdet, daß ich mich versuchsweise hinlegte. –


Obwohl es beim Eintritt ganz dunkel war, konnte ich doch schon nach kurzer Zeit allgemeine Umrisse, Nischen und Vorsprünge unterscheiden. Die Altäre waren geschmückt mit den in Landkirchen üblichen, eingerahmten Tablettes, auf denen lateinische Sprüche stehen, mit versilberten Leuchtern, Klingelspiel, alles in einfachster, wenig kostspieliger Form; auf Sockeln an der blanken, weißgetünchten Wand herum standen einige Apostel, Märtyrer und Ortsheilige mit ihren stereotypen Werkzeugen und Symbolen in der Hand. Gesichter, Haltung und Gewandung in jener übertrieben brünstigen und pathetischen Darstellungsweise, wie sie das Spät-Rokoko um die Mitte dieses Jahrhunderts bis in die letzte Dorfkirche brachte. Rechts von dem langen Fenster, auf das mein Blick unwillkürlich vor dem Einschlafen gerichtet war, stand ein Petrus mit einem scharf zur Seite gewandten, vollbärtigen Kopfe, in dessen eigenthümlich grinzenden Zügen sich halb Stolz, halb Verschmitztheit ausdrückte; halb, schien es, blickte er auf den auf der anderen Fensterseite stehenden Jeremias, der traurig und verlegen seine Papier-Rolle gesenkt hielt, halb zum Fenster hinaus, seinen großen, schwarzen Schlüssel krampfhaft in das Mondlicht haltend, das scharf am Rand des Kirchendachs herabgleitend, langsam durch das linke Seitenschiff der Kirche strich. – Mit diesem Bild schlief ich ein. –


Wie lange ich geschlafen, kann ich nicht sagen; ich erhielt nur plötzlich einen Stoß in die Seite, wie von einem harten Gegenstand, und erwachend bemerkte ich vor mir einen Mann in einem langen, rothen Gewand, und unter dem Arm ein großes, schiefes Holzkreuz; dieses Holzkreuz war an mich angestoßen. Der Mann kümmerte sich um mich gar nicht, sondern schritt [174] ernst und gemessen dem Altare zu. Und nun erkannte ich, daß er nur Einer unter Vielen war, die in einer langen Reihe geordnet aus den Kirchenstühlen herauskamen in der Richtung zum Altar. Die ganze Kirche war taghell und prächtig erleuchtet. Auf allen Altären brannten Kerzen. Vom Chor herab tönte ein langsameinschläferndes Gesumse der Orgel. Weihrauch und Kerzendampf lagerten sich in festen, bleigrauen Schwaden zwischen die weißgetünchten Pfeiler und die Wölbung. In dem Zug der geheimnißvoll dahinschleichenden Menschen bemerkte ich eine Menge seltsamer Gestalten. Da ging an der Spitze eine junge, prächtige Frau in einem blauen, sternbesäten Kleid, die Brüste offen, die linke halb entblößt; und durch Brust und Kleid hindurch ging ein Schwert, so, daß das Kleid gerade noch getroffen war, als sollte das Kleid dadurch empor gehalten werden. Sie blickte fortwährend mit einem verzückten Lächeln an die weiße, kalkige Decke empor, und hielt die Arme in brünstiger Geberde über die Brust gekreuzt, so daß es den Eindruck gewann, als jubilire sie innerlich über einen Gedanken (wobei ich nochmals bemerke, daß das Schwert links, bei der linken Armbeuge, bis zum Heft fest darinsaß). Dies war die vorderste Person. Aus der hinter ihr folgenden Reihe fielen Manche durch ihre wunderliche Tracht auf. Die Meisten hatten bestimmte Werkzeuge in der Hand. Der Eine eine Säge; der Andere ein Kreuz; der Dritte einen Schlüssel; der Vierte ein Buch; Einer gar einen Adler; und ein Anderer trug ein Lamm auf dem Arme mit herum. Niemand wunderte sich über den Andern. Keiner sprach mit dem Andern. Aus dem Schiff der Kirche führten drei Stufen zu der erhöhten Estrade, wo der Altar stand. Jeder wartete mit seinem in bestimmter Haltung getragenen Werkzeug, bis der Vordere die drei Stufen droben war, um nicht mit ihm zusammenzustoßen. Was mich am meisten wunderte: Niemand wunderte sich über mich. Ich blieb völlig unbemerkt. Und selbst der Mann, der mit seinem schiefbalkigen Kreuz an mich angestoßen war, schien davon nichts bemerkt zu haben. Eine zweite weibliche Person fiel mir durch ihre pathetische Haltung im Zuge auf: eine blonde Frau, nicht mehr jung, mit hübschen aber verwitterten, abgelebten Zügen. Sie trug ein ganz weißes Kleid, ohne Falbe oder Borde; in der Mitte mit einem Strick gebunden. Dieser Strick war aber vergoldet; die Brüste vollständig entblößt. Doch schaute Niemand auf diese üppig [175] quellenden Brüste hin. Reiche, blonde Flechten, vollständig aufgelöst, wallten den ganzen Rücken hinab. Sie trug den Kopf tief auf die Brust gesunken, und schaute verzweifelt auf ihre, nicht wie gewöhnlich gefalteten, sondern nach auswärts umgeknickten Hände (wie es auf dem Theater Verzweifelnde machen); Thränen perlten fortwährend von ihren Wimpern, fielen von da direct auf ihre Brüste, von da auf das Kleid und auch noch auf die stellenweise unter dem Kleid hervorkommenden Füße. – Es wäre unmöglich Alle die aufzuzählen, die hier so still und selbstverständlich, wie zu einer regelmäßigen Uebung, da hinauf wanderten; aber der Mensch mit der verkniffenen Fratze, der anfangs seinen Schlüssel so energisch in das Mondlicht hielt und den ich vor dem Einschlafen unwillkürlich noch auf dem Postament betrachtet hatte, war auch dabei. – Trotz des eintönigen Orgelspiels war mir seit dem Erwachen ein eigenthümliches, zischelndes Geräusch hinter meinem Rücken am Altar nicht entgangen. Ich blickte jetzt um und bemerkte dort einen hochaufgeschossenen, ganz weiß gekleideten Menschen, der fortwährend in den an ihm vorbeiwandernden, theilweise vor ihm haltmachenden Zug hineinflüsterte: »Nehmet hin und esset! Nehmet hin und esset!« Es war eine unsäglich feine Figur: schlank, gracile Glieder, geistvolles Profil, griechische Nase, dunkle, glattgescheitelte Lockenwellen fielen über Schläfe, Ohr und Nacken; ein durchsichtiger, jünglinghafter Flaum um Kinn und Lippen. Nur bemerkte ich an seinen Händen Blut. Er stand am äußersten linken Ende des Altars und schob den je zu zwei vor ihm stillstehenden und auf einem rothen Schemel knieenden Menschen aus dem Zug ein rundes, weiß angestrichenes Stück in den Mund, daß diese unter brünstigem Augen-Aufschlag an die Decke blickten, und flüsterte immer zu: »Nehmet hin und esset! Nehmet hin und esset!« und »Nähmet hin und ässet!« prallte es von den halbkugelförmigen Hohlwänden hinter dem Altar zurück. So weit war Alles gut. Auffallend war mir zwar, woher dieser Mensch die weißen runden Stücke brachte. Er langte wohl fortwährend in den Brustlatz seines Gewandes hinein; dort konnte aber ein Vorrath, eine Tasche u. dergl. von den weißen Münzen unmöglich sein; einmal, weil dieses Austheilen ewig fortging und kein Ende nahm; ferner ein Unterkleid, wie man deutlich sehen konnte, nicht da war; und schließlich die Dünnbrüstigkeit dieses abgehärmten Menschen eine so excessive [176] war, daß, was sich im Profil darbot, nothwendig dem Körper selbst angehören mußte. Auch bewegte er die feine, höchst schlank gebaute Hand so tief nach innen, daß für mich, so weit meine allerdings der Täuschung fähigen Sinne in Betracht kamen, kein Zweifel bestand, daß er die kreidigen Zwölf-Kreuzerstücke aus seinem Körper selbst brachte. – Ich sagte, so weit war Alles gut: Die Leute, die Frau mit dem Schwert in der Brust voraus, marschirten hinter dem Altar herum, um auf der rechten Seite wieder zu ihren Plätzen in den Kirchenbänken zurückzukehren. Aber was war denn auf dieser rechten Seite? – Dort stand ein analoger Mensch, – mehr ein mythologischer Zwitter als ein Mensch, – in einem schwarzen, protestantischen Predigertalar, vorn am Hals die viereckigen, weißen Tablettes oder Bäffchen, hinter denen ein schwarz behaarter Hals zum Vorschein kam; hinten am Gesäß theilte sich das Predigerkleid, und ein schwarzer, affenartiger Wickelschwanz rollte sich dort heraus von so respectabler Länge, daß er, die Breite des Altars überspannend, mit dem Rücken des auf der linken Seite amtirenden weißen Menschen in stete Berührung kam. Unten guckten zwei hufartige Füße heraus, und oben, am Predigerhals saß ein Kopf, dessen wilder Haarwuchs verbunden mit einem gelben Kolorit, eingefurchten, denkfaltigen Zügen, und einer stumpfigen Nase einem deutschen Professoren-Gesicht an Häßlichkeit wenig nachgab. Eine goldene Brille complettirte diese aus Aerger, Bitterkeit und Ekel zusammengesetzte Physiognomie. – Eigenthümlich war es, daß er fast pendelartig dieselben Bewegungen und Gesten machte, wie sein weißes vis-à-vis, – oder Rück'- gegen Rücken – auf der andern Altarseite. – Er hielt einen schwarzen Becher in der Hand, aus dem er seiner ähnlich wie drüben vorbei-paradirenden Gesellschaft zu trinken gab. Dabei rief er in einem heiseren, grölenden Ton der jedesmal vor ihm knieenden Person zu »Nehmet hin und trinket!« Und jedesmal führte er den Becher hinter sich herum, am Gesäß vorbei, um ihn dann der nächsten Person an die Lippen zu setzen. Was war nun aber das für eine Gesellschaft auf dieser rechten Seite? Eine merkwürdige und ganz anders geartete als drüben! Da war ganz vorne ein Mensch mit einer langen Nase und zurückweichendem Kinn, einen Dreimaster am Kopfe, den ausgemergelten Körper in eine französische Uniform gesteckt à la Louis XV., mit zurückgeschlagenen rothen Rockflügeln, [177] einen Degen zur Seite, in der rechten Hand einen Krückstock, und zu allem Ueberfluß noch unter'm linken Arm eine Flöte; er hielt den Kopf immer schief und sah sehr ausdrucksvoll drein, und schien genau zu wissen, was er that. – Da war ferner ein feiner, eleganter Kerl in spanischem Kostüm, Tricots bis fast an die Lende, Pluderhosen, gestepptes, panzerartiges Wams, darüber einen goldbordirten kurzen Mantel à la Philipp II., Schnallenschuhe, Sammthut mit Straußenfeder; das Gesicht gealtert, aber noch leichtfertig aufgelegt; einen gezückten, blanken Degen in der Rechten tänzelte er, die Champagner-Arie aus Mozart trällernd, die drei Stufen zum Altar hinauf, mit Wohlwollen auf die Ceremonien des schwarzgeschwänzten Predigers sich vorbereitend. Unter den Frauenzimmern bemerkte ich eine in einem weißen, griechischen Gewand mit goldener Falbel, die Arme nackt und mit goldenen Spangen, die Brüste verführerisch halb entblößt; auf dem blonden feingeschnittenen Haupt ein Königsdiadem, und unter dem Arm eine Lyra; mit ihren fröhlichen, fast ausgelassenen Manieren bildete sie einen wirksamen Gegensatz zu der blonden, schluchzenden Frau auf der andern Seite. – Es waren noch manche wunderbare, wie es schien, aus allen Gegenden und Zeiten zusammengewürfelte Gesellen da. Da war einer in einem langen, dunkeln, schleppenden Magister-Gewand, Barett auf dem ernsten Gesicht, eine düstre, grübelnde Scholastenmiene, unter dem Arm ein geheimnißvolles Buch mit böhmischen Lettern, der mit zu Boden gewandtem Blick schweigend in der Reihe einherging. Gleich hinter ihm ging ein junges Mädchen mit mildem, weichem Gesichtsausdruck, die einen abgehauenen, bärtigen Kopf auf einer Schüssel trug. Der Kopf schien der eines Denkers zu sein; das Mädchen lächelte und schien mit einem heitern Gedanken beschäftigt zu sein. Aber weitaus die prominenteste Figur in dem ganzen Zug war ein untersetzter, starkknochiger Mann mit rundem glattrasirtem Gesicht und Stiernacken im schwarzen Predigergewand, (dasselbe Predigergewand, welches der geschwänzte Mensch rechts am Altar trug,) der mit emporgeworfenem Kopf und selbstbewußter Miene einherging, unter dem linken Arm eine Bibel, unter dem rechten eine Nonne; dies war überhaupt das einzige Paar im ganzen Zug.


Schon oben sagte ich: Soweit war die Sache ganz gut. Und die Sache wäre auch weiterhin ganz gut gewesen: Der linke Zug [178] ging, wie ich mir die Intention dachte, rechts um den Altar herum, der rechte links herum, um auf diese Weise in ihre respective Kirchenstühle zurückzukehren. Wie aber, wenn diese zwei Züge von so heterogenem Charakter sich hinter dem Altar begegneten. Und das mußten sie! – Ich versäumte leider dieses Zusammentreffen. Fortwährend beschäftigt mit dem Durchmustern besonders des rechten Zuges hörte ich nur plötzlich eine gelle heisere Lache aufschlagen. Ich wandte mich um, und sah den schwarzgeschwänzten Menschen, der auf der rechten Seite den Kelch mit dem verdächtigen Inhalt kredenzte, sich mit einer höhnischen Fratze nach der andern Seite umsehen, wo der weiße, sanfte Mann bleich und starr wie ein Todter stand. Hinter dem Altar sah ich die Spitzen beider Züge sich mit verdächtigen Mienen gegenseitig messen. In diesem Moment verlöschten sämmtliche Kerzen; ein dicker, schweflicher Dampf verbreitete sich im ganzen gewölbten Haus; das einschläfernde Summen der Orgel wurde von einem keifenden, gilfenden Aufschrei, wie von einem blechernen Accord unterbrochen, als hätte man eine der Orgelpfeifen mit einem Beil verwundet. Es entstand ein fürchterlicher Tumult; man hörte harte Körper stürzen, Werkzeuge aufschlagen, Leuchter und Schüsseln zu Boden fallen, weibliches Wehklagen, männliche Kernflüche, Lachen und Schreien und dazwischen rief eine mokante, kropfige Stimme (die, glaube ich, dem Schwarzen angehörte) mit einem eigenthümlichen, jüdelnden Jargon: »Ja, ja! – Nähmet hin und ässet! – Ja, ja! – Nähmet hin und trinket!« – Halb aus Furcht erschlagen zu werden, halb aus Unmöglichkeit in der stickigen Luft weiter zu athmen, tappte ich mich im Finstern dem Ausgang zu, der, ich wußte, zur Rechten lag. Im Vorübergehen streifte ich am Weihkessel an, der mit einem »Springsau!« mir den Abschied gab, und gelangte glücklich ins Freie. –


Es war noch immer Nacht; doch sah man im Osten die Dämmerung heraufkommen. Ich eilte so rasch wie möglich diejenigen Gassen entlang, von denen ich glaubte, daß sie mich am schnellsten ins Freie bringen; ich kam an einem erleuchteten Fenster vorbei; Bäcker schoben dort gerade auf langen Brettern das neue Brod in die Röhren; ich war nur froh mich wieder in irdischer Gesellschaft zu finden. Doch eilte ich, aus dem Dorf zu kommen, holte, auf der Landstraße angekommen, tüchtig aus, und gelangte nach mehrstündigem Marsch gegen Morgen in eine [179] kleine Ortschaft von harmlosem Aussehen mit freundlichen Leuten, überall offenen Thüren, und einer wenig präponderirenden Kirche, dagegen mit einem vortrefflichen Wirthshaus, wo ich nicht säumte, mich zu restauriren. –


Acht Tage später las ich, – inzwischen in die Kreisstadt gelangt, – im Amtsblatt folgende Bekanntmachung:


»In vergangener Nacht wurden in der hiesigen Ortskirche grauenhafte Zerstörungen angerichtet. Die Bildsäulen der Heiligen und Kirchenväter wurden von ihren Sockeln gestürzt, die Embleme ihnen aus der Hand gebrochen, Arme und Beine abgeschlagen ec. – Da die ziemlich leicht zugängliche Armenbüchse unberührt gelassen, auch sonst Werthvolles nicht entwendet worden, stellt sich das Ganze als ein Akt rohen Muthwillens und moralischer Verderbtheit dar. Verdacht richtet sich gegen einen Handwerksburschen, der spät Nachts in's Dorf kam und es gegen Morgen in der Richtung nach –* verließ. Es wird gebeten, auf denselben zu vigiliren. Derselbe, von dem jede nähere Beschreibung fehlt, ist im Betretungsfalle festzunehmen und anher einzuliefern.« –


Gemeinde Zinsblech. Landgericht Pinzgau. Der Bürgermeister** (Datum.)

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Eine Negergeschichte

Tantam vim et efficaciam nonnulli phantasiae et imaginationi in proprium imaginantis corpus tribuerunt.

Benedicti XIV;

de imaginatione et ejus viribus.


Erst ganz kurz hatte ich mich in einer der östlichen Vorstädte Hamburgs als Arzt und junger Anfänger niedergelassen. Der große Weltverkehr dieser Seestadt hatte stets einen eigenthümlichen Reiz auf mich ausgeübt. Durch billiges Honorar und unentgeldliche Armen-Behandlung hatte ich mir bald eine zahlreiche Clientèle, freilich meist geringere Leute, herangezogen. Ich wohnte ganz frei, fast wie auf dem Land. Ich hatte den Sommer als ersten Aufenthalt gewählt, um von der mir noch ganz fremden Stadt, meinem künftigen Aufenthaltsort, einen möglichst günstigen Eindruck zu bekommen. Auf einer großen Wiese vor meinen Fenstern lagerten immer große Carawanen oder kleinere Trupps seltener Thiere oder fremdartiger Menschen, die meist von London herübergekommen waren, und hier ihre weiteren Verschickung in's Innere Europas warteten. Ganz in meiner Nähe lag auch die Irrenanstalt. –

Es war ein schöner Junimorgen. Meine Sprechstunde sollte eben beginnen. An der Thüre, die zum Wartezimmer führte, hörte ich ein seit einer Viertelstunde immer wachsendes Summen und Schwirren, unterbrochen von Kindergeschrei, von dort wartenden, meist ärmeren Leuten, – als plötzlich die Thüre meines Wohnzimmers, die zum Hausgang führte, mit einem energischen Griff aufgerissen wurde, und ein Neger zu mir in's Zimmer trat. Gleich hinter dem Neger kam mein Aufwarte-Mädchen mit besorgten Blicken hereingestürmt, um mir das unreglementmäßige Eintreten des Fremden zu erklären und zu entschuldigen. Ohne sich irgend wie abhalten zu lassen, sei der schwarze Mensch, als er meinen Namen an der Zimmerthüre gelesen, an ihr vorbeigeschossen und habe die Thüre aufgerissen..... so oder ähnlich drückte sie sich aus. Ich erwog, welche Bestürzung der schwarze Mensch im Wartezimmer, wo sich Kinder befanden, verursacht haben würde, und, indem ich mein [181] Warte-Mädchen beruhigte und abtreten ließ, forderte ich den Neger mit einer freundlichen Handbewegung zum Sitzen auf. Dieser Mensch hatte mich aber bereits mit einer Fluth von Phrasen und einem Durcheinander von Kauderwelsch übergossen: »»..... halloo! Sie sind der Dokter? – You are the doctor!«« – »Jawohl!« – »»Ich habe Ihnen eine wichtige Consultation vorzutragen; – ich habe Ihnen aine sehr wichtige Mittheilung, aine sehr erfreuliche Mittheilung zu machen; – sehr wichtig und sehr erfreulich vor mich; ich waiß nicht, ob auch vor Sie. – Aber ich glaube, daß Sie ein guter Docter sind, der hat ain Herz, – at least I presume; – Sie werden kaum glauben, was ich Ihnen werde erzählen, das haißt, Sie können kaum glauben, wenn Sie gesunde Kopf haben, – ich meine, Sie werden höchst wahrscheinlich nicht glauben, – aber es ist doch wahr, – es ist furchtbar wahr, – es ist fast zu toll, um wahr zu sain. – I'm a nigger; – that is, I have been a nigger! – Ich habe Neger gewesen! –oh, – ich bin Neger gewesen! – Ich bin Neger nicht mehr!......«« –

Ich muß hier den Leser auf einen Punkt aufmerksam machen. Der Neger, der hier vor mir stand, und sich um keinen Preis setzen wollte, war schwarz. Dieß wird vielleicht Manchem als eine höchst überflüssige Bemerkung erscheinen; sie ist es aber nicht, wie der Leser am Schlusse dieser absonderlichen Sprech-Zimmer-Debatte, womit die Geschichte überhaupt zu Ende ist, erkennen wird. Ich füge hinzu: Der Neger war nicht nur schwarz; es fehlten auch jene bräunlichen Tinten und helleren Flecke, wie man sie bei den etwas entfernter vom Aequator wohnenden Stämmen findet. Der Mann war ganz schwarz; jene Schwärze mit bläulichem Anhauch, wie es bei uns ein frisch gewichstes Ofenrohr darbietet; mit einem Wort, ein echter Sudan-Neger. – Er war abendländisch gekleidet, trug einen hellcarirten, doppelten Ueberzieher im englischen Schnitt, einen eleganten braunen, façonirten Filzhut, keine Handschuhe, dicke, auffallend große Stiefel, die er fertig gekauft zu haben schien, und, in Unkenntniß ihres Bau's, rechts und links verwechselt hatte; die ganze Gestalt kräftig, untersetzt; das Gesicht bartlos, wulstige Lippen, breitgequetschte Nase, ein großes sprechendes Auge, kurze aber gut entwickelte Stirn, und, ich wiederhole nochmals, die Haut ganz schwarz. – Ich muß sagen, das Erscheinen dieses Menschen in meiner Sprechstunde war mir nicht besonders angenehm; der wilde schwarzblütige Pathos, [182] mit dem er sich, wie der Leser bemerkt haben wird, ziemlich aufdringlich bei mir eingeführt hatte, ließ mich befürchten, ich möchte nicht so rasch mit ihm fertig werden. Inzwischen war es l Uhr geworden. Im Wartezimmer neben drängte und stieß es an die Thüre; es war jedenfalls schon voll; und fortwährend klingelte es, und es kamen neue Patienten. – Auf der andern Seite beunruhigte mich der Gedanke, daß ich in orientalischen Krankheiten und unter den Tropen vorkommenden Leiden höchst ungenügend orientirt war; in Neger-Pathologie wußte ich nun schon gar nichts. – Die Suada, die der Mann mit immer heftigerer Gesticulation hervorbrachte, ließ sogleich erkennen, daß er ursprünglich englische Cultur-Verhältnisse durchgemacht, und dann erst von hier aus sich das Deutsche angeeignet hatte, welches er mit englischem Accent sprach. – Das Haupt-Leiden der Engländer, wenn sie sich in tropischen Gegenden aufhalten, – sagte ich mir rasch, – ist das Saufen; sie leiden alle an der Leber; – und die erste Leidenschaft, die wilde, uncivilisirte Völker bei ihrer Berührung mit Abendländern diesen nachmachen, ist der Schnapsgenuß; – vielleicht, – dachte ich mir, – leidet der Mann an der Leber. Und in diesem Sinne unterbrach ich das unaufhörliche Kauderwelsch dieses Menschen, das ich dem Leser unmöglich Alles vorführen kann, mit den Worten: »Mein lieber Freund, sind Sie krank, und wo fehlt es Ihnen?« – »»Krank?«« – replicirte mein schwarzesVis-à-vis sehr heftig, und riß die Augen auf, – »»krank, – nein! ich sein nicht krank; ich bin ganz gesund, gesünder als vorher...«« – »Ja, was wollen Sie dann von mir?« – frug ich etwas ärgerlich. – »»Bitte, Docter, – haben Sie gute Herz und hören Sie mich an!«« – In diesem Moment kam mir der Gedanke, daß der Bursche ein Almosen verlange, und, um dasselbe möglichst groß ausfallen zu machen, im Begriff sei, mir eine Schicksals-Tragödie zu erzählen. Ich griff daher in mein Portemonnaie, nahm ein kleines Geldstück und hielt es ihm hin. »»Was haben Sie Docter?«« frug der Neger und wich vor meiner Hand zurück. – »Eine Kleinigkeit für Sie, – um Ihnen zu helfen!« – »»Geld?«« – schrie er, – »»ich brauch kein Geld, hab' ich selbst Geld,«« – und hieb mit der rechten übermäßig großen Hand auf seine rechte Hosentasche; – »»Geld ist Schmutz!«« – fügte er hinzu, und holte mit der enormen schwarzen Pratze einen Haufen Münzen aus der Hosentasche, und hielt sie mir zitternd vor das Gesicht. – »»Hier Docter, [183] wollen Sie Geld? – Geld ist Schmutz!«« schnaubte der Neger, und war einen Schritt näher auf mich zugekommen, mich mit den weißen Kugeln seiner Augen bedrohlich beobachtend. Wie ich diese schwarze Hohlhand, in der bunt durcheinander Gold-, Silber- und Kupferstücke von nicht unbeträchtlichem Werth lagen, vor meinen Augen zittern sah, und sah die kittgelben schmutzigen Nägel, und die affenartige Krümmung derselben, und roch den eigenthümlichen Neger-Schweiß, kam mir das Gefühl, ich befände mich einem Thier gegenüber, welches mich jeden Moment mit einem Schlag seiner Pranke zerschmettern könne. Ich beschloß daher so sanft wie möglich diesem erregten Menschen gegenüber zu verfahren. –

»»Sait ßwai Jahren war ich eccentric dancer imRoyal Garden in London, – Docter! – und hab viel schmutzig Geld gemacht;«« – nahm mein Besucher den Discurs wieder auf, und zeigte vor Freude die zwei Reihen seiner großkalibrigen Zähne; denn die Bestürzung, in die er mich gebracht, war ihm nicht entgangen. – »Sagen Sie mir, wo es Ihnen fehlt,« – begann ich nun meinerseits sehr ruhig und entgegenkommend, – »damit ich Ihnen helfen kann; da drinnen warten einige fünfzig Personen!« – fügte ich hinzu, auf die geschlossene Thür des Warte-Zimmers weisend. – »»All right!«« – sagte der Neger, brachte das Riesen-Stück-Fleisch mit den gelben Fingernägeln leer wieder aus der rechten Hosentasche zurück, trat einen Schritt weg, stellte sich in Positur und fuhr dann fort: »»Ich bin aus Pululi.....«« – »Von mir aus von wo der Pfeffer wächst!« – entgegnete ich mißmuthig, und stand vom Stuhl auf. – »»Nein! – nicht von Pfeffer-Küste!«« – replicirte der Schwarze mit einer heftigen Gesticulation, ohne meine Wendung verstanden zu haben, – »»Pfeffer-Küste ist weiter gegen Sonnen-Untergang;«« – »Weiter, weiter, weiter! – Damit wir zu ihrer Krankheit kommen.« – »»Ich uar der bestedancer in mein Dorf; wir tanzen auf Holzschuhen und singen sehr schöne Lieder dazu – so!«« – in diesem Moment machte der Neger einen Luftsprung, während dessen er mit dem rechten Fuß die Decke meines ziemlich hohen Zimmers berührte, von da ein kleines Stückchen Speis mit herabnehmend; dabei stieß er einen offenbar Freude andeutenden, lange-gurgelnden, scheußlichen Laut aus, und fiel zuletzt mit dem herabkommenden Fuß mit solcher Wucht auf den Boden, daß mehrere Gläser auf meinem Schreibtisch umstürzten, [184] und er selbst wie in eine Staubwolke eingehüllt schien. Im Neben-Zimmer fing ein Kind heftig zu schreien an. – »»Ja, Docter, ich uar beste dancer inNikowikdwanga! Aber zu maine große Unglück. Ich habe nie in Wasser gesehen, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Völker, sich in Wasser zu sehen; und Spiegel haben wir nicht. Ich habe nie in Wasser gesehen. Ich habe nicht gewußt, daß ich schwarz bin. Und das dancing hat mich in Unglück gestürzt!....«« – »Was soll aber ich mit dem Allen?« – entgegnete ich, – »Kommen Sie zu Ihrer Krankheit!« – »»Aine schöne Tag kommt ain Mann zu mir, und fragt mich, ob ich will gehen zu mächtige Volk von Engländer, die am ganze Körper Kleider tragen, und dancing und singen in ein Haus voll mit ein Meer von Licht; – und er zeigt mir Hand mit schmutzig Gold, – so!«« – und dabei griff mein schwarzer Besucher wieder in die rechte Hosentasche und hielt mir einen Haufen stinkenden Geldes in dem schwarzen Kübel seiner Hand dicht vor die Nase. Und ich traute mich nicht zurückzuweichen, aus Furcht, der Neger möchte mir noch näher auf den Leib rücken. Ich sagte nur: »Und dann?« – »»Ich bin gegangen mit diesem Mann, weil ich glaubte, daß Geld rein ist und nicht schmutzig. Und hab' bestiegen eine große englische Schiff, und wir sind gefahren ßuai Monate auf dem Meer, und während ßuai Monate ich hab' nicht gesehen in Wasser, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Volk, sich im Wasser zu sehen. Und ich hab' nicht gewußt, daß ich war schwarz. Und dann, wir kamen nach Liverpool.«« – »Weiter, weiter, weiter!« drängte ich. – »»In Liverpool, Docter! sah ich kolossal viel blinzelnde Menschen zwischen große Häuser spazieren mit Gesicht wie Mehl und Kreide, – scheußlich! – scheußlich!«« – »Weiter, weiter! – Haben Sie das Klima nicht vertragen?« – »»Klima? – Was ist Klima? – Luft war gut; Essen war gut; Wohnung sehr hart; aber diese Menschen! mit das grinsende Gesicht! und alle dicht hintereinander spazierend, und mich anstarrend mit dem Kalk-Gesicht!«« – »Daran gewöhnt man sich doch!?« – »»Oh yes, Docter! – daran gewöhnt man sich; ich habe mich auch daran gewöhnt; ich habe sogar englisch gelernt; – aber aine Tag, als ich in Lancaster-Street spazieren gehe, schaue ich durch ein Block Wasser.....«« – »Ein Block Wasser, – was soll das heißen?« – »»Ich schaue durch ein Block Wasser, welches in einem Haus ist, und hinter dem die Leute hin- und hergehen und schöne Sachen zum Verkauf[185] aufstellen.«« – »Es wird ein Schaufenster gewesen sein?« – – »»Well, es uar ein Block festes Wasser.«« – »Es war eine Glasscheibe!« – »»Well, Glas ist festes Wasser!«« – »Wenn Sie wollen, in Gottes Namen! – Was weiter?« – »»Well, Docter, ich schau in den Block; es uar ein Versehen, weil der große Neger-Geist verbietet Sudan-Volk in festes Wasser zu sehen; aber ich schaue hinein, und Docter, was sehe ich?«« – »Nun, vielleicht war es gutes Spiegelglas; Sie werden sich selbst gesehen haben?« – »»Ein schwarzes Scheusal! – Ein fletschender Gorilla! – Ich glaubte zuerst ein Thier stehe im Laden und schaut heraus; aber die uaißen Menschen, die vorüber gingen, haben sich auch in dem Block Wasser gesehen; und jetzt sah ich, daß ich uar das scheußliche Thier;jetzt ich wußte, daß ich uar schwarz; und daß Abends die Engländer applaudiren, wenn ich thu singing und dancing, weil ich uar schwarzes Neger-Thier; und daß sie spritzen aus hundert Röhren künstliches Licht, damit sie mich besser sehen können!«« – »Mein Gott, Sie fassen die Sache höchst sonderbar auf; auf diese Unterschiede in der Hautfarbe konnten Sie doch schon früher kommen!« – »»Ja, und jetzt hab' ich gefunden Kalk-Gesichter von uaiße Engländer und noch mehr von Engländerinnen sehr pretty, – ja, sehr schön; – und dann hab' ich geflucht dem großen Neger-Geist, der Sudan-Volk hat schwarz angestrichen; und ich habe beschlossen, daß ich muß werden uaiß....«« – »Sie haben beschlossen weiß zu werden? – Ja, das wird Sie wenig helfen!« – »»Was? Docter, wissen Sie nicht, daß wir haben was in unser Kopf, das Alles kann ändern?!«« – »Was haben wir in unserem Kopfe?« – »»Wir haben Etwas, das Alles kann machen, wie es will!«« – »Das versteh' ich nicht; was soll das heißen?« – »»Well, wenn schwarze, häßliche Sudan-Volk hat so Etwas in sein Hirn, dann muß Engländer und Deutsche auch haben?«« »Ja, wir haben doch keinen Farbtopf, der Alles anstreicht, wie wir wollen?!« – »»Nix Farbtopf! – oder Farbtopf im Kopfe; – nix falsche Farb, – echte Farb!«« – »Ja, und was war das Resultat Ihrer Anstrengungen?« – »»Well, Docter, nachdem ich ßuai Monate bin jeden Tag gegangen zu dem Wasser-Block und hab' hineingeschaut, und hab' mir gesagt: Poppy, du mußt uaiß werden, und hab' fast nichts mehr gegessen, und nicht mehr geschlafen, und bin so schwach geworden, daß ich konnt' nicht mehr dancing und singing, und Mister hat mich weggeschickt,[186] und bin ganze Nächte herumgelaufen, um zu suchen ein Wasser-Block, zum Hineinschauen, weil Nachts alle sind verschlossen, und bin dann zum Fluß gelaufen, und habe hineingeschaut ein Stunden, ßuai Stunden, ganze Nacht, – endlich, Docter, nach ßuai Monate, – nachdem ich uar wie ein Hund, – konnt' nicht mehr reden, nicht schlucken, aber immer noch in mein Kopf das helle Bild von mein Gesicht, das wunderschöne uaiße Negerbild.....«« – »Nun?« frug ich voller Erwartung. – »»Well, Docter, nach ßuai Monat, eines Tags, plötzlich, – it was a wonderfall sight! – ich bin geworden uaiß...«« – »Weise oder weiß?« – »»Well, – eine Morgen, in Lancaster-Street, wie ich schaue in Wasser-Block, – ich bin gehabt, – oh, ichhabe gehabt uaiße Farb, – wunderschöne uaiße Gesicht, – oh, I teil you Docter, ich uar schönste Mann in Liverpool; und alle Leute haben mich angeschaut; und ich bin gegangen zu main Master, und hab' gesagt, ich kann wieder dancing und singing. Aber der hat mich auf Schiff geschickt nach Hamburg....««

In diesem Moment fuhr draußen vor meiner Wohnung ein Wagen vor, und ich hörte zwei Männer eilfertig vom Bock springen. Ich war von der Rede meines Besuchers fast starr geworden. Das Geräusch des Wagens hatte, wie es schien, auch ihn stutzig gemacht. Noch zitternd und glühend von der Aufregung seiner Erzählung stand der Neger erwartungsvoll vor mir; das Blut-Roth seines Gesichtes hatte seiner schwarzen Farbe die Mischung von Bronce geliehen. Die weißen Augen waren gespannt und erwartungsvoll auf mich gerichtet. Aber gleichzeitig zeigte mir sein beschleunigter Athem und die furchtsamen Kopfwendungen nach der Thür, daß er irgend welche Gefahr wittere, mir unbekannt woher. Inzwischen hörte ich draußen an dem Gesumme und Gemurmel an der Hausthür, daß etwas Außergewöhnliches vorgegangen sein müsse. Auch das Sprechzimmer nebenan kam in Unruhe. Vielleicht hatte man einen plötzlich Verunglückten gebracht. – »Ja, und womit kann ich Ihnen nun dienen?« – frug ich jetzt mit der größten Ruhe mein Vis-à-vis. – »»Well, Docter, ich bitte Sie um ain Zeugniß, daß ich bin uaiß, – die schwarzen Teufel, die mich....«« Ich konnte den Rest seiner Rede nicht hören, denn ich unterbrach ihn mit den Worten: »Ja, mein lieber Freund, Sie sind aber schwarz; Sie sind schwarz wie ein Sudan....« In diesem Moment fühlte ich mir die Kehle zugeschnürt, hörte einen Schrei [187] ausstoßen, wie ihn vielleicht die Hyäne hervorbringt, und vor meinen Augen tauchte das lechzende blutrünstige Gesicht des Negers mit vorgetriebenen, weißen Augäpfeln und heißem Athem auf.... Ich hätte wohl bald die Besinnung verloren, aber gleichzeitig waren zwei Männer, beide im gleichen gestreiften Drilch-Anzug in's Zimmer gestürzt, von denen der Eine zum Andern sagte: »Da ist er!« – Bei ihrem Anblick ließ der Neger, der mir wie ein Panther an die Kehle gesprungen war und mich zu drosseln angefangen, mich los, und stürzte sich mit den Worten »Da sind sie, die schwarzen Teufel!« auf sie. Es entstand ein fürchterlicher Kampf zwischen den zwei uniformirten Leuten, in denen ich Irrenhaus-Wärter erkannte, und dem herkulisch gebauten Sudanesen. Die Gold- und Silber-Stücke des Negers fielen, da er oftmals verkehrt in der Luft schwebte, zerstreut da und dort auf den Boden. Er schrie immer und immer wieder: »Docter, helfen Sie mich gegen die schwarzen Teufel!«; dabei waren seine Augen derart aus ihren Höhlen getreten, daß sie das ganze, mundschäumende Gesicht wie mit einem weißen Schimmer überzogen. Im Wartezimmer nebenan hatten die Kinder fürchterlich zu schreien angefangen, und bleich und entsetzt stand an der weitoffenen Zimmerthür mein Aufwarte-Mädchen. – Endlich wurde der Neger überwältigt und geknebelt. Er warf mir noch einen langen, schrecklichen, weißen Blick zu. Dann ward er gepackt, hinausgetragen, in den Wagen geschoben, und huida! – hast du nicht gesehen? – – fort ging's in's Irrenhaus.

[188]

Ein Criminelles Geschlecht

»Er wußte Nichts von den Geschlechts-Unterschieden der Menschen, und unterschied die Leute nur nach den Kleidern.« –

Bericht über Kaspar Hauser.

(1828.)


Es war um die Zeit, als ich in dem von Deutschland neugewonnenen Straßburg studirte, daß ich eines Tags einem Criminal-Commissarius vorgestellt wurde, der bei der damals kurz nach dem deutsch-französischen Kriege nothwendig gewordenen Neu-Ordnung der Dinge aus dem Norden Deutschlands dahin versetzt worden war. Wir trafen uns öfter. Es war ein äußerst verschlossener Mann; accurat, streng gegen sich und andere, aufrichtig, wahrheitsliebend, gottesfürchtig, von fast puritanischer Gesinnung, dabei gescheit, bis zum Grüblerischen schlau und mißtrauisch, aber, wie mir schien, ohne jede weltmännische Bildung, von der er sich absichtlich zu entfernen schien. Er mußte ausgezeichnete Zeugnisse besessen haben, die ihn, vielleicht einen Vierziger, auf diesen einflußreichen Posten gelangen ließen. Er war unverheirathet und protestantisch.

Eines Sonntags Nachmittag auf einem unserer Spaziergänge, als die Unterhaltung, wie schon so oft, zu stocken schien, da er immer in sich hinein horchte, und dem Gesprochenen nur halbes Ohr lieh, konnte ich mich nicht enthalten, an ihn die etwas vorlaute Frage zu richten, sintemal er viel älter war wie ich: »Herr Commissar, Sie scheinen mit außerordentlichen Schwierigkeiten hier betraut zu sein, und Ihr neuer Posten muß ganz absonderliche Aufgaben an Sie stellen, da Ihre Zerstreutheit, fast Geistesabwesenheit.....?« – Bei diesen letzten Worten sah der Commissar scharf zu mir herüber, halb mißtrauisch, halb erschrocken darüber, daß ich versucht, seines Inneres zu durchforschen. Da ich seinen Blick naiv auf mir ruhen ließ, so sah er weg, und ging schweigend mit auf den Rücken gelegten Armen einige Zeit neben mir her. Dann sah er mich noch einmal scharf, durchdringend an, und, wie es schien, von der Prüfung zufrieden gestellt, begann er folgenden Discurs: »»Mein lieber Studiosus, Sie sind noch jung, aber ich glaube, ich darf Ihnen in Etwas vertrauen. – In der That, es sind ganz absonderliche Aufgaben, [189] vor die meine Regierung mich gestellt hat. – Ich komme hoch aus dem Norden, aus einem kleinen Bezirksstädtchen, wo ein paar Vagabunden und Felddiebe unsere einzige Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen..... Ich hätte nicht geglaubt, daß die Welt so complicirt ist; ich konnte mir nicht denken, daß hier herunten, wo die Völkermischung eine größere, so unerhörte Dinge sich im Geheimen abspielen......«« – Mein Begleiter, der sehr rasch sprach, unterbrach sich hier. Ich hatte die Empfindung, als begänne eine große Last sich von dem Herzen des in seinem Innersten erschütterten Beamten loszuwälzen, und vermied es daher, ihm in die Rede zu fallen. – »»... Es ist nur so schwer, – begann er wieder, – das in Wort zu kleiden, das, was ich Ihnen sagen will, Ihnen mit den bisherigen Hülfsmitteln der deutschen Sprache begreiflich zu machen..... Sie sind Mediziner, – Sie werden vielleicht Manches besser verstehen, mir vielleicht sogar in Manchem einen Wink geben können.....«« – »Sind es sanitäre Maßregeln, mit denen Sie hier betraut wurden?« – wagte ich anzudeuten. – »»Sanitär? – Ja, gewiß, sanitär, – aber sanitär ist zu wenig, sanitär drückt die Sache zu mild aus; es ist weit mehr criminell!.....«« – »?« – Auf mein fragendes Zaudern wandte der Commissar seinen Kopf zu mir herüber, und schaute mich wieder mit jenem seltsamen Blicke an, der mir vorhin schon aufgefallen war. Doch war es diesmal weniger Furcht, ob er mir vertrauen könne, als Auskundschaften, was ich zu seinen bisherigen Worten meine. – »»Ja, – so, glaube ich, kann ich's Ihnen am besten begreiflich machen, – fuhr mein Begleiter dann fort, – denken Sie sich, ich bin von der Regierung beauftragt worden, einer criminellen Vereinigung, – einer betrügerischen Sippe, – einem Geschlecht nachzuforschen, welches sich hier seit Aufhebung der Belagerung herumtreibt, aus Frankreich herüberkommt, sich in bestimmten Schlupfwinkeln festgesetzt hat, und rücksichtslos im Geheimen sein Zerstörungswerk verrichtet!«« – Der Commissar hatte diesen Satz mit der größten Sorgfalt, den Finger an die Nase gelegt, construirt, und Wort für Wort vorgetragen, als handle es sich um eine wissenschaftliche Definition, oder als fürchte er, durch eine einzige Umstellung, oder ein unvorsichtiges Adjektiv, mir eine unrichtige Vorstellung von dem zu geben, was in seinem Innern selbst noch nicht ganz klar erkannt worden war. Dann warf er den Kopf wieder plötzlich zu mir herüber, um sich auf meinem Gesicht zu [190] orientiren. – »Hm! – sagte ich – ist die Vereinigung politischer Natur?« – »»Nein!«« – replizirte der Commissar mit einer fast schnalzenden Lebhaftigkeit, als freue er sich, daß ich diesen Einwurf gemacht, und brachte nun auch die andere Hand hinter dem Rücken hervor, um sie mit einer heftigen Gesticulation nach vorne zu werfen, – »»nein!«« – wiederholte er noch einmal mit einem eigenthümlich saccadirten Laut, um dann beide Zahnreihen längere Zeit auf dem »n« ruhen zu lassen, – »»politisch ist sie nicht, sonst wäre sie leichter zu fassen; leider ist sie gar nicht politisch; sie ist sogar politisch indifferent; sie ist die persönlichste und subjektivste Geheim-Coalition, die mir vorgekommen ist, dabei von einem Egoismus, von einer Sicherheit des Egoismus, von einer Tadellosigkeit der Geschäfts-Praktik, daß sie unter sich gar keiner Verständigungsmittel, keiner Parole, keines Augenzwinkerns bedarf, von einer Untrügbarkeit des Erfolges, daß man meinen könnte, eine neue Race, ausgestattet mit den unfehlbaren Organen ihres Gewerkes, sei auf die Welt gekommen!«« – »Ach, mein Gott, – sagte ich nach einiger Ueberlegung und wie enttäuscht, – meinen Sie dieJuden?« – »»Nein!«« – rief er wieder lebhaft, und wie vorbereitet auch auf diesen Einwurf, – »»die sind es nicht; die wären mild; es ist eine geheimnißvoll vorgehende Vereinigung, die lautlos und unbeachtet, unbeachtbar, unfaßbar, sowohl durch unsere Landesgesetze, als für unsere Polizei-Organe, ihre Thätigkeit ausübt, ja, die sich fast unserem Denken entzieht.....!«« – ».... die sich unserem Denken entzieht?« – wiederholte ich ganz perplex; – »».... die sich unserer denkenden Erwägung entzieht....!«« – erklärte es der Commissar ausführlicher. –.....die sich unserer denkenden Erwägung entzieht?« – syllabirte ich nochmals Wort für Wort für mich hin. – »».....hinsichtlich, – nahm der Commissar nochmals den Satz auf, – hinsichtlich ihrer geheimen Triebfedern, ihrer letzten Motive, sich unserem Denken entzieht!«« – »..... hinsichtlich ihrer geheimen Triebfedern und letzten Motive sich unserem Denken entzieht!« – sagte ich auch diese letzte Fassung zu meiner eigenen Bestärkung mir nochmals vor. – Dabei fühlte ich, ohne hinzusehen, wie die Augen dieses Mannes heftig auf mich hingerichtet waren; wie dieser Mann angstvoll irgend ein Wort von mir erwartete, welches ihn in seiner eigenen Gedankenführung bestärken könnte; ich fühlte, wie dieser Mensch, der sich seit zehn Minuten[191] vollständig verändert hatte, dessen Miene, Bewegungen, Athmung, Schläfe, Blick eine ungeheure Erregung verriethen, an einem Problem herumlaborire, welches selbst für die ungewöhnliche Intensität seines Geistes zu hoch schien. –

»Arbeitet diese von Ihnen überwachte Vereinigung mit geistigen oder physischen Waffen?« – frug ich endlich, um auf eine vernünftige Spur zu kommen. – »»Mit physischen, realen, recht eigentlich körperlichen Waffen, d.h. dem äußeren Anschein nach, wenn nicht noch etwas dahinter steckt, was ich stark vermuthe.«« – »Sie sagen, aus Frankreich kommt diese neue polizeiwidrige Clique?« – »»So lautet meine Instruction; ich war ja vorher nicht hier; jedenfalls der Mehrzahl nach, und die gefährlichsten aus Frankreich.«« – »Du lieber Himmel!« – sagte ich, und wandte mich freundschaftlich zu meinem Nachbar, – »sind es vielleicht Franctireurs?« – »»Ha!«« – rief der Commissar mit einer gellenden Lache, – »»so einfach müssen Sie sich die Sache nicht vorstellen;«« – dann nach einer Pause: »»Ich sage Ihnen, die Gesellschaft ist unfaßbar und uncontrollirbar; Franctireurs kann man auf der That erwischen, und vor ein Kriegsgericht stellen; diese lassen sich fast nie in Flagranti ertappen; in einem Hui! ist alles vorbei; und Verrath ist von dem Complicen, den sie im Moment der Thathandlung eben erst zum Complicen machen, nicht zu befürchten, weil der Betreffende sofort sich als zu dem Bunde gehörig fühlt, sofort eo ipso in die Kaste eintritt; und, – worin ich gerade Ihr Urtheil als Mediziner hören möchte, – bei Ausübung ihrer Handlungen ist fast nur ihr Körper betheiligt; obwohl ich Grund habe zu vermuthen, daß ihr Geist dahinter zittert und bebt, ist fast nur ihr Körper betheiligt; und nur mit ein paar Rucke; so daß, wenn die Kleider geschickt geordnet sind, es fast unsichtbar hinter den Kleidern vor sich gehen kann; daher die Schwierigkeit!«« – »Mein Gott« – sagte ich, von einer plötzlichen Ahnung erfaßt, – »sind es Männer oder Weiber?« – »»Es ist ganz gleich, ob es Männer oder Weiber sind,«« – replicirte der Commissar à tempo, sichtbar ärgerlich, über diesen Punkt gefragt zu werden, – »»Verbrecher sind Verbrecher; der Staat kann keine zweierlei Gesetze für Männer und für Weiber machen. Mir ist es überhaupt unerfindlich, wie man wegen eines winzigen Anhängsels solche generelle Unterschiede aufstellen kann, und die Menschheit in die Zwangsjacke von Unterrock und Hose einschnüren mag, die [192] noch dazu von Tag zu Tag in der Mode wechseln; – das eine hat ein Anhängsel, das andere hat keins; und da macht man einen generalen Strich durch die Menschheit, und sagt: Ihr heißt Euch so, und müßt Euch so kleiden, und Ihr heißt Euch so, und müßt Euch anders kleiden.?! – Welche Willkür! – Da könnte man ebensogut die Nasen hernehmen; der eine hat 'ne Adlernase, der andre hat 'ne platte Nase; und zu diesen sagen: Ihr heißt Euch mit Rücksicht auf Eure Nase so, und kleidet Euch darnach; und zu Jenen: Ihr heißt Euch, weil Ihr 'ne gequetschte Nase habt, anders, und kleidet Euch anders. Oder die Ohrläppchen hernehmen, und die Menschheit nach den Ohrläppchen eintheilen, und ihr mit Rücksicht darauf Namen und Kleidermoden vorschreiben! – Männer oder Weiber?! – Nach dieser Seite ist mir das sonst recht rationelle Weltganze immer unverständlich geblieben, immer als eine Tollheit, als ein Mißgriff erschienen. – Verbrecher ist Verbrecher! – Doch dies nebenbei. – Nein, lieber Doctor!«« – fuhr der Commissar, sichtlich zufrieden mit seiner Expectoration, directer zu mir gewandt, weiter, – »»das möcht' ich von Ihnen als Mediziner wissen, wie eine solche Clique es dahin bringen kann, mit solchem Raffinement, mit solcher Vupticität, die physiologische Anlage ihres Leibs zu geheimen, destructiven Umtrieben zu benützen.....?«« – »Ja, bei allen Heiligen!« – rief ich, fast unwillig, und im Begriff den Verstand über diesen Auseinandersetzungen zu verlieren, – »was thun denn die Leute?« – »»Was sie thun?«« – rief der Commissar – »»ja, wenn ich das so mir nichts dir nichts sagen könnte; was sie thun? Darüber habe ich seit Wochen Tag und Nacht nachsimulirt. Was sie thun?«« – wiederholte der Commissar, und preßte die Hände vor die Stirn, – »»Wenn man das in einer umfassenden Definition klipp und klapp aussprechen könnte! Was die Leute thun? – wenn Sie's hören wollen, wie ich mir die Sache zurechtgelegt: sie treiben criminelle Fabrication mit ihrem Körper!«« – »Criminelle Fabrication mit ihrem Körper?!« – wiederholte ich, und platzte, wie von einer Bombe getroffen, zurück. – Wir waren beide unwillkürlich stehen geblieben, hatten Front gemacht, und starrten uns nun gegenseitig an. Der Mann sah aus wie ein Schauspieler, der sein bestes Stichwort losgelassen, seinen wirksamsten Coup absolvirt, und jetzt auf den Applaus der Zuschauer wartet, aber noch nicht weiß, ob es eingeschlagen hat. Fiebernd, zitternd, überhitzt, die mageren [193] Hände noch wie zu einer pathetischen Geste erhoben, der Augenstern fibrirend und in seinem Reflex wie zerfahren, die natürliche Gesichtsfaltung vertieft und lederartig eingeschnürt, der ganze Mann das Bild der Sorge, und das Opfer eines kranken Gedankengangs, – so stand der Commissar vor mir, der verschlossene, ruhige Beamte von ehedem kaum wiederzuerkennen. Und der Grundzug, der durch diese stumme Situation ging, war die Angst bei diesem Mann, was ich, der Harmlose, der Unbetheiligte, der Gesunde, dazu sagen werde. Ich hatte eine innere Scheu, die Discussion jetzt da fortzusetzen, wo sie stehen geblieben war. Am liebsten hätte ich den braven Mann ruhig nach Hause geleitet. – »Criminelle Fabrication mit ihrem Körper,« – wiederholte ich flüsternd für mich, um den Mann nicht zu beleidigen, und setzte gleichzeitig schlürfend meinen Weg fort, – »Criminelle Fabrication mit ihrem Körper treiben die, die dieser Sicherheitsbeamte als destructive Gesellschaft aufspüren und aufheben soll!« – sagte ich leise in meinem Innern, unschlüssig, wie die Peinlichkeit dieser Scene zu beendigen, – »hat,« – fuhr ich dann laut fort zu meinem Begleiter, der mir zögernd gefolgt war, – »hat Ihre Regierung sich dieser Wendung, der von Ihnen soeben gebrauchten Worte, bedient zur Charakterisirung der betreffenden staatsgefährlichen Coalition?« – »»Nein««, – antwortete der Commissar schlagfertig, wie ein Fechter, der auf die Parade wartet, – »»die Regierung drückt sich vorsichtig, allgemein, andeutend, sogar versteckt aus; der Gegenstand scheint ihr zu difficil zu sein; sie hat wohl auch keine intimere Kenntniß der betreffenden Vorgänge; hier hat eben der Beamte einzugreifen; bei uns wird in solcher Stellung viel verlangt: – nein, Doctor, die Wendung stammt von mir, sie schien mir die bureaukratisch zulässigste, dabei correcteste, bei der Dunkelheit der Vorgänge genügend andeutende, und dazu alle betreffenden Bestrebungen umfassende, – ich sage Ihnen, Herr Studiosus, der Gegenstand ist eine Tarnkappe, langen Sie zu, haben Sie einen Frosch oder eine Schlange in der Hand, und wissen nicht einmal, ob nur die echt sind.«« – Der Commissar sprach jetzt wieder viel freier. Man fühlte aus seinem Redefluß heraus, daß er sich, was man sagt redressirt habe; er saß jetzt wieder fester auf dem Gaul; nachdem er seine Definition losgelassen, nachdem er den wundesten Punkt seines Systems geoffenbart, und die Discussion darüber nicht zu Fall gekommen, [194] hatte er neue Kraft geschöpft, und man merkte, er suche durch breitere, erschöpfende Darstellung das an Boden zu gewinnen, was er vorhin moralisch bei seinem Partner durch Angst und Unsicherheit eingebüßt. – Ich war unentschlossen, ob ich die Unterredung über den Gegenstand weiterführen sollte. Sie auf ein anderes Thema vorsichtig überzuleiten, wäre wohl das Beste gewesen, wenn dies nur einem so mißtrauischen Menschen, wie meinem Begleiter gegenüber, Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Wir waren inzwischen außerhalb der Stadt gekommen; vor einer Stunde hatte ich keine Hoffnung mich anständigerweise von ihm entfernen zu können. – In der ganzen Erörterung gab es einen Punkt, gab es eine Stelle, die für mich geradezu undiscutable war, die, um mich vorsichtig auszudrücken, ganz auf Rechnung der eigenthümlichen Gehirn-Arbeit dieses Mannes kam; ich weiß nicht, ob der Leser hier das gleiche Gefühl hat, wie ich; mit andern Worten: es war ganz gut möglich, es war wohl zweifellos, daß die neue Regierung dem eifrigen und als spürsichtig bekannten Beamten Andeutungen und discretionäre Vorschriften zur Aufhebung einer geheimen Gesellschaft gab, die ihr, der Regierung, bei der Reorganisation der Dinge in den neuerworbenen Landestheilen unangenehm im Wege stand; aber so, wie der Commissar seinen Gegenstand vortrug, hatte man den Eindruck, als ob dieser Mann, durch die Schwierigkeit angeeifert, und bei dem Mangel an Thatsächlichem ganz auf seine Combinationen angewiesen, nach irgend einer Richtung in seinen Denk-Operationen sich so verrannt habe, daß das End-Resultat mit dem ursprünglichen Auftrag seiner Regierung in schreiendem Widerspruch stand; und dann schien es wieder, als ob ein einziger Punkt, den vielleicht ein Kind hätte finden können, genügend beachtet, der ganzen vertrackten und bureaukratischen Salbaderei und Geheimthuerei eine Wendung hätte geben können, die dann Alles im hellsten Licht hätte erscheinen lassen, ein Punkt, den aber unser Beamter in Folge seiner Verranntheit, Verstocktheit und mangelhaften Kenntniß der geheimen Triebfedern im Menschen nicht fand. – Ich war noch mit diesen Gedanken beschäftigt, als ich plötzlich dicht vor mir eine Nase und darüber die scharf vigilirenden Augen des Commissars mit solcher Intensität und solchem Mißtrauen auf mich gerichtet sah, daß ich unwillkürlich zurückfuhr und dann stotterte: »Mein Gott, Herr N. – Sie überraschen mich, – ich war [195] gerade im Nachdenken darüber, wie....« – »»Ja, – denken Sie nur,«« – antwortete mein Begleiter mit fast höhnischem Ton, – »»Sie kommen zu keinem andern Resultat; die Angelegenheit ist unentwirrbar, unauffindbar, sie entzieht sich unseren tastenden Händen, und,«« – setzte er in verzweifelndem Ton hinzu, – »»ich verliere noch meinen Posten darüber!«« – Mich erfaßte jetzt Mitleid für den Mann, und ich beschloß, mit Rücksicht auf ihn, mich der weiteren Discussion nicht zu entziehen. – »Was Sie da criminelle Fabrikation nennen,« – begann ich zögernd, und selbst im Unklaren, wie ich die Sache wenden solle, – »das muß doch in irgend einer Weise zu Tage treten!« – »»Das thut es auch, – schrecklich, unsagbar, destructiv!«« – »Aber Sie sagen, daß es im Geheimen geschieht; wie soll es denn so klar zu Tage treten?« – »»Das Uebel schleicht im Verborgenen; die Consequenzen werden schließlich offenbar, und schreien durch ihre Gräßlichkeit gen Himmel!«« – »Ja, aber was thun denn die Betreffenden,« – frug ich ungeduldig und eindringlich, – »was fabriziren sie denn?« – »»Einen Stoff!«« – »Einen Stoff?« – »»Ja, einen Stoff!«« – »Ist es ein Gift?« – »»Wenn Sie wollen ein Gift, aber ein angenehmes Gift, ein Gift dessen Production ihnen Vergnügen macht, zu dessen Verwendung sie aber noch einen Nebenmenschen brauchen!«« – »Und vergiften sie also ihre Nebenmenschen?« – »»Ja, wenn Sie es so bezeichnen wollen, – aber nicht im gewöhnlichen Sinne des Vergiftens; – der Vergiftete oder zu Vergiftende muß einverstanden sein, und es scheint auch diesem die Aufnahme des Giftes unaussprechliches Vergnügen zu bereiten, da Beide zusammen ein Complot bilden und Keiner den Andern verräth.« – »Mein Gott, – sind es Branntwein-Schänken, wo die arbeitende Bevölkerung durch Fusel langsam zu Grunde gerichtet wird?« – »»Oh, – Sie sind hundert Meilen weit entfernt? – Sie gäben einen schlechten Commissarius!«« – »Ja, wo liegt die Sache denn dann? Was ist das für ein Gift, dessen Production dem Giftmischer wie dem Opfer Vergnügen gewährt, so daß Beide ihre Handlung....« – »»ihre staatsgefährliche, criminelle Handlung!«« – interpellirte der Commissar mit gewichtigem Pathos, – »nicht verrathen?« – ergänzte ich, – »was ist das für ein Stoff? Ist es eine Essenz?« – »»Essenz ist kein schlechtes Wort. – Fluidum ist vielleicht besser; das Regierungs-Rescript drückt sich hier höchst reservirt aus; ich mußte da fast Alles neu schaffen; die Terminologie dieses neuen Verbrechens [196] ist von mir; leider stehen wir noch fast in den Anfängen!«« – »Also ein Fluidum ist dieses merkwürdige Gift?« – »»So scheint es.«« – »Und dasselbe wird von den betreffenden Geheimbündlern mit ihrem eigenen Körper fabricirt?« – »»Verbrecherischer Weise fabricirt!«« – »Und unter den Kleidern, sagten Sie?« – »»In der That, – mit kolossaler Vupticität, – die Augen werden nur ein wenig glasig dabei.«« – »Nun, und mit diesem Fluidum vergiftet das Eine den Andern?« – »»Das Fluidum, – vielleicht ist es nur ein Hauch! – wird von dem Einen auf den Andern übertragen; ohne daß viel dabei gesprochen wird; es ist fast ein Muß!«« – »Ein Muß?!« – »»Es gehen einige Blicke vorher, einige Gesticulationen, etwas saccadirtes Athmen, etwas Glossolalie, dummes Gepappel, – und dann ist es geschehen.«« – »Was ist dann geschehen?« – »»Der Andere ist dann so gut wie bezaubert, und muß sich willenlos der Vergiftung stellen!«« – »Nun, und?« – »»Diese wird dann rasch vom ersteren vollzogen, und – der Andere windet sich in Krämpfen!«« – »Höchst merkwürdig!« – »»Das ist nicht Alles! – Die Leute verbinden mit dem Ganzen eine Art Cultus, eine Art Religion; – ein nie vorher dagewesener Enthusiasmus durchglüht ihre Brust; sie sprechen unhaltbare Schwüre aus, geloben sich unverbrüchliches Stillschweigen, entziehen sich ihren einfachsten Verpflichtungen, und geben sich oft den Tod!«« – »Das ist ja die allermerkwürdigste Religions Gesellschaft, die existirt; es sind doch keine Quäker?« – »»Oh nein! – Sie haben kein transscendentales System. Ihr Glaube ist auf materiellste Irdischkeit gegründet!«« – »Aber worin besteht nun ihre Staatsgefährlichkeit?« – »»Sie hindern den glatten Vollzug der vom Staat gestatteten Privatverbindung zweier Personen in der sogenannten Ehe!«« – »Wie so das? – Was hat die Ehe mit dieser Geheimbündelei zu thun?« – »»Je nachdem der eine oder andere Theil der Ehegatten in diese Vergiftungs-Sphäre geräth, die Verzückungs-Uebungen dieser geheimen Gesellschaft mitmacht, wird er zu Hause unfähig zu der vom Staat in der sog. Ehe gestatteten und dem Staate erwünschten physiologischen Körperleistung!«« – »Wie so?« – »»Er wird für seine häusliche, eheliche Pflicht unfähig; sinkt zu den kraftlosen Bewegungen einer Puppe herab; vollführt gleichsam nur das Schema seiner legalen Empfindungen.«« – »Das ist ja die merkwürdigste Einwirkung, die man sich denken kann!« – »»Ja, es liegt eine[197] förmliche Vergiftung vor. – Und meist ist es der andere Ehetheil, durch den die Sache zur Anzeige kommt. Da er aber bei dem eigentlichen Verbrechen nie dabei ist, also auch keine Aussagen machen kann, die eigentlichen Criminellen aber durch ungeheure Schwüre sich Stillschweigen auferlegen, so ist der Staat fast nur auf Combinationen angewiesen, und muß hilflos einem Corruptions-Verfahren zusehen, welches in dieser Gegend tausendmal schlimmer wirken soll, als die Opiumkneipen in China und London!«« – »Und Franzosen, sagen Sie, sind vorwiegend dabei betheiligt?« – »»Ja, die Völkermischung hier, und die Freizügigkeit, und die mangelhafte Ordnung in den neuen Verhältnissen hat die Sache entsetzlich verschlimmert!«« –

Wir gingen lange Zeit wieder schweigend nebeneinander einher. Die letzten Erörterungen hatten mir den Kopf so voll gemacht, daß ich keine Veranlassung hatte weiter zu fragen; oder wenigstens nicht in solange, als ich nicht das merkwürdige Verhältniß dieser Geheimbündler zur Ehe und die intimsten Vorgänge dabei einigermaßen verdaut hatte. – Wir waren schon auf dem Rückweg begriffen; die Stadt mit ihrem schönen Münster-Thurm lag vor uns. Mein Begleiter, der für landschaftliche Reize kein Interesse zu haben schien, und immer den Kopf zur Erde steckte, holte plötzlich ein Notizbuch heraus, in das er rasch eine Aufzeichnung machte.

»»Ich habe da einen neuen Gedanken,«« – sagte er, als er merkte, daß ich ihn verwundert ansah, und fügte dann gleich hinzu: »»Es ist nur so schade, daß man fast gar nichts aus persönlicher Anschauung feststellen kann, sondern Alles im Kopfe erst construiren und ausrechnen muß.«« – »Ist Ihnen nie einer von den Criminellen zu Gesicht gekommen?« – frug ich, an diese eigenthümliche Äußerung anschließend. – »»Vermuthungsweise. – Ich schaue auf der Straße Jeden darauf an und vigilire in allen Lokalen seit Monaten!«« Bei diesen Worten nahm mich der Commissar scharf in's Auge, um gleich darauf mit Lächeln seine Prüfung aufzugeben. »Mein Gott,« sagte ich, »die Betreffenden müssen doch faßbar sein, es sind doch Menschen?« – Erst nach einer längeren Pause antwortete mein Begleiter: »»Menschen, – das wohl!«« mit einem Ton, als wär' es ihm lieber gewesen, wenn es keine wären, oder etwas Anderes und Tieferliegendes; setzte dann aber doch hinzu: »»Sie sollen sehr schön sein!«« – »Ich muß noch einmal, Herr Commissar,«[198] – bemerkte ich jetzt, um einen neuen Faden anzufangen, – »die Frage an Sie richten: Sind es Männer oder Weiber? Ich glaube, hier kommt man zuerst auf die Spur. Sie kennen als gewiegter Criminalbeamter gewiß den alten französischen Grundsatz: Où est la femme?«

Schon bei den ersten Worten hatte der Beamte seine Miene zu einem Essig-Gesicht zusammen gezogen und heftig mit der rechten Hand abgewehrt; »»Ach,«« – fing er dann endlich an, – »»ich glaube Sie sind auf der falschen Spur; aber um Ihnen zu willfahren, kann ich Ihnen sagen: es sind Männer und Weiber, obwohl Sie wissen, wie gering ich da die Unterschiede anschlage.«« – »Männer und Weiber?« – frug ich. – »»Männer sowohl wie Weiber!«« – »Haben Sie denn nie mit einem Collegen darüber gesprochen, der in diesen Dingen etwas zu Hause ist, – es kommen da so manche intime Vorgänge in Betracht?« – »»Ach,«« – sagte er, – »»mit einem Collegen über solche Sachen reden, da gibt man das Heft schon aus der Hand; und dann, Sie wissen, was ich über die zufällige Eintheilung der Menschen in Männer und Weiber denke; Verbrecher ist Verbrecher; obwohl regierungsseitlich sogar ganz bestimmte Aeußerungen in dieser Hinsicht vorliegen.«« – »Was meint die Regierung in diesem Punkt? – wenn es nicht ungeschickt ist von mir, soweit in Sie zu dringen?« – »»Die Regierung unterscheidet in dieser criminellen Sache jene beiden Parteien, die sich seit Alters her auf so sonderbare Weise anziehen, – die Männer und die Weiber.«« – »So, also doch!« – bemerkte ich verwundert. »»Ja, aber«« – fügte der Commissar ärgerlich hinzu, – »»es scheinen lediglich formelle Unterschiede zu sein.«« – »Welche denn?« – »»Männer und Weiber arbeiten hier auf ganz getrennten Gebieten. Erstere viel geheimer und verschlagener; letztere weit offenkundiger und ausgedehnter; beide Parteien haben übrigens keinerlei Verkehr mit einander; kennen sich nicht und sind nur durch die polizeiliche Recherche nebeneinander gebracht; auch scheint es, daß das verbrecherische Fabrikat, mit dem die Weiber operiren, weit weniger faßbar ist, – fast nur ein Hauch, – als das der Männer; dagegen sind die Männer den religiösen Krämpfen mehr ausgesetzt; während bei den Weibern Alles mehr formelle Uebung, todter Maschinengang ist. Aber, wie gesagt, diese kleinen Unterschiede kommen nicht in Betracht; wir wollen den Verbrecher fassen, der mit seiner Mischung von religiöser[199] Schwärmerei und körperlicher Niederträchtigkeit das Volk ansteckt, und die ›moralischen Fundamente der heutigen Gesellschafts-Ordnung untergräbt‹, wie der Regierungs-Passus lautet; wer es ist, ist uns gleich; wird einmal Eines von ihnen gefaßt, dann lügen sie sich doch in gleicher Weise hinaus, und schwören und betrügen, weil sie wissen, daß ihnen das Gesetz mildernde Umstände zuerkennen wird; weil sie meinen, mit ihrer reservatio mentalis, die viel mehr eine corporalis ist, kämen sie überall durch!«« – »Mein Gott, – es sind doch keine Jesuiten?« – frug ich unwillkürlich. – »»O nein,«« – antwortete der Commissar, – »»aber von derselben Pfiffigkeit und Geriebenheit!«« – und fügte dann nach einiger Zeit mit dem Ton tiefer Resignation hinzu: »»Die haben keinen Namen, die sind namenlos; oder man nennt sie, wie man alle Anderen auch nennt; oder wenn sie Special-Namen haben, dann wendet man diese sofort auch auf die übrige Menschheit an, und der Verwirrung ist kein Ende. In Frankreich haben sie an die fünfzig Bezeichnungen; frägt man dann auf der Straße: Wo ist ein solcher? dann deutet der Gefragte auf den nächsten besten Menschen, und lacht. – Nein, diese Verschworenen und Proselytenmacher schauen sich in's Auge, und geben sich die Hand, und dann wissen sie Alles; und die Polizei vigilirt, und zerbricht sich den Kopf, und setzt Himmel und Erde in Bewegung und erfährt Nichts!«« – »Du lieber Himmel, das klingt ja wieFreimaurer!« – »»O nein!«« – sagte mein Begleiter, und mir fiel das Verzweifelnde in Stimme und Geberde auf, – »»diese Sekte hat keine Kirche, diese Vereinigung hat keine Symbole, diese Verwegenen mischen Religionen und Verbrechen, und setzen sich mit einer einzigen kühnen That über gesellschaftliche Ordnung und bürgerliche Gesetze hinweg. O, ich fürchte,«« – brach mein Begleiter plötzlich in krampfhaftes Schluchzen aus, und eilte laut demonstrirend und mit den Armen fuchtelnd voraus, – »»ich fürchte, diese Rotte weiß, daß ich zu ihrer Vernichtung ausgesandt bin, sie hetzt ihre Mordgesellen auf mich, und wird nicht eher ruhen, bis ein kalter Stahl meiner spüren den Gedanken-Arbeit ein Ziel gesetzt hat....!«« – »Mein Gott, Herr Commissar,« – eilte ich hinterdrein, – »beruhigen Sie sich!« – Wir waren bereits an die ersten Straßen der Stadt gekommen. Einige Leute wurden auf das Gebahren des Beamten aufmerksam. Ich nahm meinen Begleiter unter den Arm, und es gelang mir, ihn unter Hinweis auf die Wichtigkeit seines [200] tadellosen Verhaltens als Criminal-Beamter soweit zu beruhigen, daß er äußerlich ruhig neben mir herging. – Es wurde jetzt nichts mehr gesprochen. Mein Begleiter war auch vollständig erschöpft. Nach einer Viertelstunde etwa kamen wir an die Wohnung des Commissars, nicht weit vom Polizei-Gebäude; sie lag im vierten Stock; es war ein kleines Stübchen, in dem außer den nothwendigsten Möbeln und einigen Büchern eine große Menge älterer und neuerer selbstgefertigter Manuscripte aufgehäuft zu sehen waren, und machte den Eindruck des Aufenthaltsorts eines armen, fleißigen, nüchternen, braven Junggesellen. Erst nachdem ich mich überzeugt, daß der erschütterte Mann, dessen Miene das Bild tiefer Desolation bot, sich in Etwas erholt, und er mir versprochen, sich sofort zu Bett zu begeben, verließ ich die Wohnung. –

Es waren vielleicht sechs Wochen seit dieser Unterredung vergangen. Ich hatte nichts mehr vom Commissar gehört, und vermied es, seine Bekannten, wenn ich sie traf, nach ihm auszufragen, um nicht unnöthige Aufmerksamkeit auf eine Person zu lenken, die in erster Linie Ruhe und Schonung bedurfte. Ja, ich hatte die ganze Angelegenheit in dem Mancherlei des Studentenlebens fast vergessen. – Aber eines Nachmittags begegneten wir einander auf der Place Kléber. Der Commissar sah blühend aus. Sobald er meiner ansichtig wurde, eilte er schon von ferne auf mich zu. Er schaute mir lang in's Auge, und, als er aus meinem Gesicht wohl merkte, daß die ganze Erinnerung an jenen Sonntag-Nachmittag in mir aufgetaucht sei, und es an ihm sei, mit einer Erklärung herauszurücken, begann er: »»Nun, lieber Doktor, in der Zwischenzeit hat sich viel verändert; wir haben die Gesellschaft; wenigstens einen Theil; die eine Sparte; aber wundern Sie sich nicht, wenn nach all dem, was ich Ihnen damals sagte, nach all den Anstrengungen, die wir damals machten, um der Sache auf die Spur zu kommen, eine trockene Notiz Sie dafür entschädigen muß, was eine ungeheure criminelle Organisation ist, die, wie ich jetzt zu glauben anfange, über die ganze civilisirte Erde ausgebreitet ist.«« – Er zog ein Zeitungsblatt aus der Tasche, und wies mir im lokalen Theil eine blau angestrichene, stark abgegriffene Stelle. »»Hier lesen Sie, welche klägliche Zusammenschrumpfung unter dem bureaukratischen Beobachtungsglas einer nüchternen Polizeibehörde eine Sache erfährt, die.....«« hier machte der Commissar eine aufgeregte [201] Gestikulation, und fügte dann hinzu: »»ich will mich nicht weiter ausdrücken.«« –

Die Lokalnotiz lautete: »Straßburg, den... 187. – Gestern wurde eine größere Anzahl französischer Dirnen aus der Umgebung von Besançon und Belfort, die zum Theil noch aus der Belagerungszeit hier waren, zum Theil mit dem Einzug der deutschen Truppen sich hier festgesetzt hatten, auf Grund des Niederlassungs-Gesetzes für Elsaß-Lothringen und der neuen polizeilichen Verordnungen für Straßburg, Stadt, (Sitten-Controlle) von hier ausgewiesen und per Schub über die Grenze gebracht.«

»Also das war der Gegenstand Ihrer eifrigen Nachspürungen!« – sagte ich nach einer Pause absichtlich verstellten Erstaunens, und fest entschlossen, kein einziges Wort mehr über diesen Gegenstand mit dem Commissar zu verhandeln. – Er schaute mich an mit einem Gesicht, als hätte er jetzt erst die Anfangsgründe einer neuen und der denkbar schwierigsten Sprache erlernt. – Und dann, nach einer Pause, als Niemand eine passende Wendung zum Auseinandergehen fand, frug ich noch: »Nun, und die andere Sparte? Was ist mit den Männern?« – »»Die,«« – sagte der Commissar mit traurigem Kopfschütteln, – »»die werden wir nie fassen! Die kommen unter den höchsten Ständen selbst vor! – Die.....«« (hier sagte mir der Commissar etwas leise in's Ohr)! – Dann gab er mir die Hand, und wir schieden stumm von einander. –

[202]

Der Corsetten-Fritz

Aus alten Märchen winkt es

Hervor mit weißer Hand,

Da singt es und da klingt es

Von einem Zauberland.

Heine


Ich bin der Sohn eines protestantischen Pfarrers. Ich wuchs in einem ganz kleinen Städtchen auf. Wir waren vielleicht achthundert Seelen. Jedes kannte das Andere; fast bis auf die Gedanken. Von früh auf leitete mein Vater selbst meine Erziehung. Ich mußte Lateinisch lernen, wogegen sich mein Kopf, wie gegen ein exotisches Gift, sträubte. Die sicherste und intensivste Erinnerung, die ich aus dieser Zeit habe, ist ein gewisser Zustand, eine Disposition meines Kopfes, eine Art psychischer Anfall, der mich jedesmal in der Kirche überraschte. Mein Vater predigte ganz anders, als er zu Hause sprach. Auf der Kanzel hatte er eine plärrende, heulende Redeweise. Zu Haus war er knapp, bestimmt, coramisirend. So befand ich mich in der Kirche einer ganz anderen Persönlichkeit gegenüber. Und die Wirkung war eine ganz neue. Kaum hatte die Gemeinde mit ihrem Rock-Geräusch sich auf die Bänke niedergelassen, und das geistliche Geheul meines Vaters erfüllte widerprallend mit doppeltem und dreifachem Echo das kleine Gottes-Haus, so war meine Seele entflohen. Und auf mir nur zu bekanntem Weg, und immer auf demselben, lief sie fort, und trieb sich umher, und suchte etwas, und lief auf die Dörfer in der Umgebung, und wollte überall eindringen, in die Häuser, durch die Fenster der Menschen, in die Schränke, ja sogar in die Menschenleiber, und wollte überall horchen, und suchen, und spähen, ohne zu wissen, was; das Schluß-»A-män!« – und meine Seele kehrte wie der Geier zurück, ich erwachte; vor mir lag das Gesangbuch mit seinen schwarzen Lettern; am Altar waren die Kerzen tief herabgebrannt; mein Vater wischte sich den Schweiß von der rothen Stirn; die Leute rutschten feierlich und ergriffen; und auf dem Chor begann die Orgel ein leises Smorzando-Spiel. – Dieß ist die intensivste Erinnerung aus meinen Kinderjahren: dieses Davonlaufen der Seele bei jeder günstigen Gelegenheit; dieses Herumsuchen[203] nach etwas Unbekanntem, nach etwas Aufzustöberndem; und dieses Nichts-Nach-Hause-Bringen. –


Später, als es Zeit war, in die Lateinschule einzutreten, kam ich in ein kleines Provinzstädtchen; zu Leuten, die mich ebenso streng von allem, was man Welt nennt, abschlossen, wie mein Vater; und die mir ebenso unermüdlich wie meine Eltern eintrichterten: Zweck meines Daseins sei, Doctor der Theologie zu werden, und Sonntags Leute in Seidenkleidern und schwarzen Tuchröcken mit frappirendem geistlichen Inhalt zu füllen, plärrend und pfauchend, wie mein Vater. Dieses Programm war mir vollkommen geläufig; ich hatte mich auch vollständig mit ihm ausgesöhnt; aber, was meine Seele dazu sagen werde, jenes Wanderthier, welches auf eigene Faust auf Eroberungen ausging, und jeder Clausur, jedem Stubenarrest spottete, das wußte ich natürlich nicht. –


Ich heiße Fritz. Und als die Lateinschule mit vierzehn Jahren absolvirt war, mußte man mich wohin bringen, wo auch ein Gymnasium war. Dies that mein Vater nur schweren Herzens. Denn das nächste Gymnasium war die Residenz. Eine Residenz, in der damals Künste und aller mögliche Luxus in reichster Blüthe stand. Und vor dieser irdischen Blüthe der Welt wollte mich mein Vater um jeden Preis bewahren. In der Residenz wohnte ein Onkel von mir, von nicht minder rigorosen Grundsätzen, wie mein Vater. Zu diesem wurde ich, nach Vorausgang eines intensiven Briefwechsels, endlich gebracht, und hatte von hier aus, unter strengster Ueberwachung, sozusagen unter Clausur, das nahgelegene Gymnasium zu besuchen.


Die Häuser, die Eisenbahnen, das Schreien einer fieberhaften Menge, die geheimnißvollen Telegrafen-Drähte hoch quer in der Luft, die Schaufenster, die prunkenden Kirchen, die erstaunlichen Lettern mit ihren Behauptungen an den Straßen-Ecken, und was ich sonst auf der Reise und bei der Ankunft an großstädtischem Leben erwischte, machte auf mich einen fast lähmenden Eindruck. Ich schluckte alles hinunter, und wartete, wie es wirkte; und sagte gar nichts. Ich sah, man beobachtete mich, wie eine Taube, der man Cigarrenrauch in die Nasenlöcher geblasen. Ich wußte aber auch, ich ahnte, daß in dieser Stadt ein kolossales Geheimniß für mich verborgen lag. –


Soweit ging alles gut. Meine Leistungen in der Schule waren zwar wenig zufriedenstellend. Man schob es auf den plötzlichen [204] Wechsel von Lehrer und System. Täglich wurde ich zur Schule gebracht und abgeholt; unter den höhnischen Bemerkungen meiner Kameraden. Mit Niemandem durfte ich verkehren. Nur meine Tante, eine Frau, die wohl damals schon mein Inneres durchschaute, mit jener instinctiven Sicherheit, die den Männern abgeht, nahm mich auf ihren Ausgängen und Commissionen mit. – Ich war etwa vierzehn Tage in der Residenz, und ziemlich exact fünfzehn Jahr alt, als mich eines Abends meine Tante im Flüsterton fortschickte, ihr ein Packet zu holen, welches sie in einem Hause hatte liegen lassen, und das sie noch für den gleichen Abend zu einer Einladung benöthigte. Es war sechs Uhr. Ich flog wie ein Reh. Diesmal zum erstenmal befand ich mich, und jenes Ding in mir, welches quasi ohne jeden Zusammenhang mit der Welt, als Seele, sozusagen auf eigene Verantwortung, in mir fungirte, beide miteinander im Einklang. Wir eilten auf Windesfüßen. Der Auftrag war bald vollbracht. Einmal im Besitz des Packets, merkte ich erst, daß ich unbewußt so geeilt war, um zeitlich einen Vorsprung zu gewinnen. Ich beschloß, ihn so gut wie möglich auszunützen. Ich wollte etwas von der fürchterlich tosenden Welt sehen. In der Ferne lag ein großer, dampfender, hellerleuchteter, mit Menschenlärm und Wagen-Gemurmel erfüllter Platz. Dort beschloß ich hinzugehn. Zum erstenmal war ich mit meinem Instinct ganz allein und souverän in der Welt. Ich konnte hin und zurück, ohne mich in der Zeit auffällig zu verspäten. Ich hatte ja noch Zeit gut. Bereits war ich auf dem Wege, und eben im Begriff, auf einer der radiär auslaufenden Straßen den großen Platz zu gewinnen, als ich plötzlich, gerade knapp vor der Ecke, vor einem großen Glasfenster, wie vom Blitz getroffen, stehen blieb, und fassungsund willenlos, wie ein angeschossenes Thier, dort hineinstarrte, und mich, mein Packet, meine Umgebung, meinen Auftrag vollständig vergaß.


Ich will jetzt Obacht geben, ganz genau alles so zu beschreiben, wie ich es sah, und wie ich es empfand: Hinter dem riesengroßen, spiegelblanken, aus einem Stück bestehenden Glasfenster saßen, oder schwebten, oder stacken ein bis zwei Dutzend Menschenleiber, das heißt Ausschnitte von Menschenleibern, ohne Kopf, ohne Beine, aber nicht gerade geschlachtet, sondern mehr abgehackt, ausgeschälte Rümpfe mit d'rangelassener Hüfte, aber blutlos, sogar höchst säuberlich, glänzend, [205] seidig, furchtbar graziös und elegant, und wie zum Umarmen und Küssen eingerichtet; also keine Menschenschlächterei, sondern – wie soll ich sagen! – leichenartig conservirte Hüften mit vorgequellter Brust, Menschen-Mumien, aber unter Berücksichtigung und Conservirung des kostbarsten Mittelstücks; alle in verschiedenen Farben, vom schneeigsten Weiß bis zum tiefsten Beinschwarz; die Farben nicht angestrichen, sondern das natürliche Produkt ihres Inhalts; also herausgeschwitzt, und erhärtet; die Ränder prachtvoll wieder mit anderen Farben eingefaßt; besonders ein orangegelber Leib nahm meine ganzen Sinne gefangen; er war schwarz gerändert; die Hüftenschwingung zart; die dünnste Stelle zum mit Knabenhänden umspannend ergötzlich; die Ausladung der Brust kühn und gewaltig; das Ganze eine hoheitvolle Figur, ein Ideal-Wesen. »Magst Du herkommen, wo Du willst, – rief ich innerlich mit einem überquellenden Impuls – und wenn Du auch nur ein Stück bist, so bist Du doch prachtvoll, Du gleisendes Orange-Wesen, und wenn ich Dich besäße, dann wäre wohl mein Glück gemacht!« – So sprechend beugte ich mich ganz über die quer laufende Eisenstange, welche vor der Riesenscheibe zum Anhalten diente, hinüber, um mein süßes Orange-Wesen mit den Augen ganz zu verschlingen. Aber jetzt kam mir doch ein Stück Besonnenheit, und ich begann nachzudenken, wieso diese Bruchstücke von Individuen hierherkämen. Sollte irgendwo eine so kostbare Menschenrasse leben, – begann ich zu grübeln, – von der ich noch nichts weiß, und die man mir verborgen gehalten hat? Also eine farbige, glitzernde Menschenrasse, ähnlich dem, was unter den Vögeln die Kakadus und Kolibris sind! Aber warum hat man Kopf und Hals weggehackt? Und die Beine ausgeschnitten? Offenbar weil eben die Leiber das Schönste sind. Es sind eben Menschenbälge! Aber nicht federartig, wie die Vögel; sondern seidenartig glänzend; Menschen-Hülsen von einem prachtvollen Geschlecht! Könnte man da nicht hinkommen, wo Die leben? Und glücklich sein? – Ich schaute jetzt genauer hin. In der That, der Inhalt dieser Leiber, obwohl blühend weiß und flockig wie frische Schlagsahne, war doch künstlich; war angefüllt; – oh, ich lasse mich nicht so leicht täuschen! – und es sind also veritable Menschen-Hülsen; natürlich! Man kann doch das Blut und die Eingeweide nicht drinnen lassen! Und man füllt es mit Weiß aus, um die Kostbarkeit der Rasse anzudeuten. Ob wohl solche [206] Exemplare noch lebend anzutreffen sind? – fuhr ich weiter für mich zu fragen fort. – Und wo Die sich aufhalten mögen? In einem fernen Land, wo ewiger Sonnenschein herrscht, mögen sie wohl in der Luft schweben, diese federleichte, graziöse Sippe! Und werden dort von Schurkenhand eingefangen und abgehäutet! – Einerlei – fuhr ich nach einigem Bedenken fort, – jetzt sind sie da; und jetzt gilt es, sie zu erwerben. Denn offenbar, – darüber war ich orientirt – ist das, was hinter diesen Riesenscheiben aufgestellt ist, zu verkaufen. Aber wer kann so kostbare Menschen kaufen? Wohl nur ein König! Mein Gott, rief ich, was wird dieser orangene Menschen-Vogel kosten? Gewiß einige Zehntausend Gulden. Die werde ich nie besitzen. Und so werde ich im Leben nie glücklich sein.....!


In diesem Augenblick geschah etwas Entsetzliches. Zwischen meinem Orange-Menschen und seinem dunkelblauen Kameraden nebenan erschien plötzlich ein schwarzbärtiger, gelockter Judenkopf, der mich mit einem ausgestopft-süßlichen Lächeln angrinzte, und unversehens von Hinten mit zwei Armen mein Orange-Bild umfaßte, und es liebkosend nach hinten trug. Ich war außer mir vor Wuth. Und eben wollte ich mit geballter Faust die Glasscheibe zerschmettern, um das Ideal meines Lebens zu retten, als ein brauner, eiserner Vorhang zwischen mir und der Glasscheibe mit schrillem Geräusch niederging, und mich mit einem Ruck wie vor die Felsenwand »Sesam öffne Dich!« brachte. –


Ich schaute um mich. Es war stockfinster. Nur wenige Menschen eilten schnellen Schritts vorüber. Der große Platz war leer, wie ausgestorben. Mein Paquet? Ich hatte es noch in der Hand. Ich lief zitternd vor Erregung nach Hause. Es ging auf zehn Uhr. Natürlich kam ich zu spät. Aber dieses Zuspätkommen, welches unter anderen Umständen mich tief beunruhigt hätte, ließ mich fast theilnahmslos. So hatte das vorausgehende Ereigniß auf mich gewirkt. Man forschte mich aus, wo ich gewesen. Man inquirirte mich. Onkel und Tante waren außer sich, daß ich die erste Gelegenheit des Vertrauens so schmählich mißbraucht hatte. Ich erklärte mit großen Augen, ich hätte eine seltsame Begegnung gehabt, die mich festgehalten hätte. Man schüttelte den Kopf, und wollte Näheres wissen. Ich konnte und wollte nichts Näheres sagen. Ich bat nur, zu Bett gehen zu dürfen. Ich hätte keinen Appetit. Dies wurde endlich zugestanden. [207] Im Nu war ich in meiner kleinen Schlafkammer, und hatte mich gleich darauf tief in die Bettdecken gewickelt.


In der Nacht träumte mir, und es erschien jener Rumpf-Körper, in golden-orangenes Licht getaucht, am Fußende meines Bettes. Wie ein strahlendes Wesen aus dem Jenseits. Wie eine odische Erscheinung. Ich weiß nicht, träumend oder wachend, erhob ich mich von der Lagerstatt und starrte das entzückende Bild mit offenen Augen an. Ich rutschte vor und streckte die Hände mit fibrirendem Verlangen dem Bilde entgegen. In diesem Augenblick aber erschien der Judenkopf, mit einem höhnischen, wie ein Taschenmesser zugeklappten Mund, und zog von rückwärts leis und lautlos das prachtvolle Bild an sich. Mit einem Schrei erwachte ich. –


Von diesem Morgen an war ich ein ganz anderer Mensch. Ich hatte jetzt plötzlich einen Inhalt gewonnen. Meine Seele vagirte nun nicht mehr herum. Wenn sie sich überlassen war, wußte sie, an wen sich zu halten. Sie entfloh in jene dämmerige Gasse, vor das glänzende Schaufenster, und conversirte mit jenem Orange-Wesen, dem fabelhaften Menschenrumpf, dem entzückenden Ueberbleibsel aus einem fernen, vielleicht indischen Geschlecht. Leider wurde meine Seele mit dieser ihrer phantastischen Arbeit so übermächtig, so exclusiv thätig, daß meine Aufmerksamkeit, die Fähigkeit, meine Geisteskräfte zu concentriren, immer schwächer wurde, und zuletzt unterlag. Nicht nur in der Classe, beim Uebersetzen von Cicero oder Ovid, in der Kirche, zu Hause, wenn mein Onkel ernste Aufsätze vorlas, sondern sogar beim Mittagessen, war ich schweigsam, die Aeußerlichkeiten mechanisch verrichtend, meinem Inneren zugekehrt. So kam ich in den Geruch, zumal auch meine Noten in der Classe immer ungenügender wurden, eines talentlosen, faulen, dummen Menschen.


Darüber verging etwa ein Viertel-Jahr. Mein Orange-Ideal hatte ich in der Wirklichkeit nicht wieder seit jenem Abend gesehen. Noch ein ähnliches seines Geschlechts. – Eines Nachmittags waren Onkel und Tante ausgegangen. Es war Sonntag. Die Köchin war allein noch zu Hause, und schickte sich, wie ich vermuthete, an, ebenfalls auszugehen, da es ihr freier Nachmittag war. Ich sollte zu Hause bleiben und lernen. Mißmuthig ging ich im Zimmer auf und ab. Plötzlich kam mir der Gedanke, wenn ich den ganzen Sonntag Nachmittag allein zu Hause bleiben sollte,[208] mir noch ein Glas Himbeer-Wasser von der Köchin zurecht richten zu lassen. Es war Sommer, und ein heißer Tag. Die Köchin hatte den Schlüssel zu diesen Süßigkeiten. Eben hatte ich die Thürklinke in der Hand, und war im Begriff über den Corridor zu gehen, als mich ein weiterer Gedanke auf einmal leise auftreten ließ. Die Köchin war eine hübsche Person. Sie hatte große, dunkle, vielsagende Augen. Ich war über die Unterschiede zwischen Knaben und Mädchen sehr wohl orientirt. Ich hatte durch Zufall sogar diese Abweichung in der Bildung der Scham bei kleinen Mädchen schon beobachtet. Was mich, nebenbei gesagt, hier einzig verdroß, war, daß die Urin-Bereitung mit jenen differenzierten Organen vergesellschaftet war. Das heißt, ich konnte mir nicht klar machen, warum zur Entleerung des Urins bei Knaben und Mädchen verschiedene Organe nothwendig seien. – Ich wollte durch's Schlüsselloch der Köchin in's Zimmer schauen, um zu sehen, wie sie aussehe, was sie treibe. Nahe bei der Thüre angelangt, hörte ich schon nesteln und rutschen und herumwirthschaften. Aber kaum hatte ich das Auge an's Schlüsselloch gebracht, als ich, starr vor Entsetzen, und unfähig, mich auf den Füßen zu halten, beinahe mit dem Kopfe gegen die Thüre gefallen wäre. Ich lief eilig ins Wohnzimmer zurück, wo ich keuchend mich an einem Möbel anhielt, um das Gesehene zu verdauen, zu überlegen, mir klar zu machen: Die Köchin stand mit nackten Aermen in ihrem Zimmer; an ihrem Bett; der Hals ebenfalls nackt; das Hemd war tief ausgeschnitten; zwei weiße, helle, lebende Kugeln sprangen dort, wo das Hemd aufhörte, hervor, und von diesem Rand an abwärts hatte die Köchin, sowohl gegen die Arme sich verbreiternd, als nach unten den ganzen Leib verhüllend, eine jener farbigen, eingefaßten, starren, getrockneten Menschenhülsen, wie ich sie damals hinter der Glasscheibe gesehen; wobei ich nur das Eine nicht begreifen konnte, wie die Köchin diesen fremden Menschen-Ueberzug über sich hinübergebracht hatte; denn die Köchin war ein starkes Frauenzimmer; der Ueberzug hingegen knapp und eng, auch war mir nicht entgangen, daß dieser hohle Balg an Farbenpracht bei weitem hinter jenen zurückstand, die, wie mein orangenes Ideal, damals in der Abend-Beleuchtung in jener Straße geglänzt hatte. Und nicht übersehen war von mir das ernste, strenge, fast pathetische Gesicht, welches die Köchin bei ihren vielerlei Manipulationen gemacht hatte. – Ich setzte mich [209] jetzt auf den bequemen Lehnstuhl im Zimmer, und überließ mich ganz meinen Empfindungen und Erwägungen.


Eine der wichtigsten Entdeckungen, das war mir klar, hatte ich jetzt gemacht. Also die Köchin hatte sich in den Besitz eines solchen abgebälgten Menschen-Ueberzuges zu setzen gewußt. Er war nicht so schön wie die andern; stammte vielleicht von einem im Norden wohnenden, schwerfällig im Nebel sich bewegenden, mythologischen Geschlecht; während mein Orange-Liebling, darüber konnte kein Zweifel bestehen, sich vor Zeiten in einem sonnigen Klima, wie ein Kolibri in der Luft geschaukelt hatte. Also Menschen-Bälge werden vom Norden, wie vom Süden her, zu uns gebracht, importirt; und bis zur Köchin herab kauft sich jede so einen Ueberzug und zwängt ihn sich über den Leib. Warum? Ja, das weiß der Himmel! Und die nordischen Bälge sind mehr grau, dickfaserig, schwartenähnlich, derb, wahrscheinlich billiger, für den Köchinnen-Geldbeutel berechnet; die südlichen mehr kolibri-artig, farbig, heller, aufgelockerter, goldiger und geschmeidiger, für Fürstinnen und Baronessen berechnet, und natürlich unbezahlbar. Und Juden sind es, die diese entfernten Menschenrassen abschießen lassen, die Bälge importiren und verkaufen; und daran ihr Geld verdienen. Aber wie müssen diese Menschen aussehen? Oder sind es gar keine Menschen? Sondern Vögel! Oder eine Misch-Race? Sie haben also – fing ich jetzt an zu construiren – einen höchst zarten, gracilen Leib, das heißt, Hüfte, Taille, Brust und die zwei höchst interessanten, an ihr hervorspringenden, schäumenden Kugeln; rechts und links von der Brust fliegen zwei weiße, nackte, schlanke Arme heraus, zum Rudern, zum Fliegen; farbige fledermausartige Flughäute verbinden diese ihrer ganzen Länge nach mit dem Körper, wie aufgebauschte Regenschirme; und zwischen den zarten, Perlmutter-Fingern, noch weiche, durchsichtige Schwimm-Häute. Oben an die Brust setzt sich ein blendend-weißer, vielleicht schon befiederter Hals an; dann folgt ein Mäulchen von Corallenfarbe, ein spitzes schlankes Näschen, hinter blau-grünen Wimpern versteckte schwarze Augen-Punkte, citronengelbe Augenbrauen; und dieß Alles umspült, umflattert, umwogt, je nachdem der Wind geht, von einem Wald, von Wellen-Strähnen blau-schwarzer Haare, die die Perlmutter-Oehrlein, die Wangen, Kinn, Gesicht, die Brustballons, ja stellenweise die ganze Gestalt in ein Netz von [210] dunklem Wirrwarr einhüllen. Eine Stimme von einem süßen »Pi-pi-pi-pi-pi!« wird dieses Flatter-Geschöpf vielleicht von sich geben. Unten, unterhalb der Hüfte, folgen natürlich keine Beine, die überflüssig wären, sondern ein Ruder- oder Luft-Schwanz, der zweispaltig in eine Flosse endet, silbern beschuppt ist, und mit bläulichen und grünen Reflexen um sich schlägt und die Direction angiebt. Unter Canarienvögeln und geschwänzten Affen treibt sich dieses kostbare Geschöpf auf einer Insel in einem Urwald herum, schaukelt und gaukelt, schnalzt und zwitschert, und erfüllt die Luft mit Farben und Tönen. Das war die Rasse, aus der ich mein Orange-Ideal abstammen ließ, und alle farbigen Bälge, die bei uns von den Fraunzimmern aus weiß der Himmel welch neidischen Gründen auf dem bloßen Leib getragen werden. – Weit weniger gern vertiefte ich mich in die nebelhafte, nordische Species, die seehundähnlich, mit grämlichem, naßglatten Gesicht in der aufgelockerten mit Schnee- und Crystall-Nadeln erfüllten Luft umherschoß, und von deren fettigem, thranigem Leib jener Panzer abpräparirt war, wie ich ihn an unserer Köchin durch's Schlüsselloch hindurch gesehen hatte.


Das war mein System, auf das ich nicht weniger stolz war, als jene großen Philosophen, von deren Denk-Systemen ich knapp hatte reden hören. Mit mißtrauischen Augen betrachtete ich jetzt jedes weibliche Wesen, welches in unser Haus auf Besuch kam; um zu eruiren, ob sie sich, und aus welcher Gattung, mit einem farbigen Menschenleib umgebe. Ich war auch fest überzeugt, daß ich das einzige männliche Wesen sei, welches durch eine glückliche Combination von äußeren und innerlichen Ereignissen, zu der Kenntniß dieser infamen Menschen-Schlächterei gekommen sei. Trotzdem hütete ich mich, irgend jemand etwas von meiner Entdeckung zu verrathen. Aber ein ungemessener Stolz erfüllte mich, und mit Verachtung blickte ich auf alle die Männer, die lateinisch- und griechisch-geübten Professoren meiner Umgebung, die mit dünkelhaften Blicken in die Welt hinausschauten, und keine Ahnung hatten von dem, was in ihrer nächsten Nähe vorging. Umgekehrt schienen mir die Augen der Frauen, die oft mit eigenthümlichem Einverständniß auf mir ruhten, anzudeuten, als wüßten sie wohl, daß ich hinter ihre Schliche gekommen sei. –


Worin mir jedoch dieses ganze innere Leben, dieses Nachgrübeln, [211] dieses Entdecken meiner Seele auf eigene Verantwortung hin, von entschiedenem Nachtheil war, das war mein Studium. Meine Fähigkeit zum Aufmerken war fast erloschen. Sah ich doch, daß weder die großen Schriftsteller, noch die großen Mathematiker und Geographen, eine Spur jener Kenntniß hatten, die mir weitaus die wichtigste meines Lebens schien. Nur die abenteuerlichen Erzählungen einesOdysseus, die Begebenheiten bei der Circe, sein Besuch bei den abgeschiedenen Seelen, oder die Metamorphosen bei Ovid konnten mich fest halten. Kam so eine Schlacht, bei der ich außer der Jahreszahl auch die Gefangenen und Gefallenen merken mußte, oder die Berechnung eines sphärischen Dreiecks, dessen Werth ich für mich mit dem besten Willen nicht einsehen konnte, so holte ich rasch die sämmtlichen weiblichen Individuen meiner Bekanntschaft herbei, entkleidete sie, und examinirte die Farbe, Einfassungen und Abnähungen ihrer exotischen Bälge; oder ich ließ mir von dem Judenkopf meine Orange-Freundin bringen, die ich längst mit einem Wachskopf versehen hatte, und deren blauen Fischschuppen-Schwanz und meergrüne Arme ich vergnüglich zwischen mir und dem Classen-Professor hin- und hertanzen sah.


So wurde ich achtzehn Jahre alt. Noch hatte ich keinem Menschen eine Mittheilung meiner Entdeckungen und verborgenen Erwägungen gemacht. Ich war jetzt in der obersten Classe des Gymnasiums. Bis dahin war das Aufrücken sozusagen von selbst erfolgt. Man kam in die vierte Classe, weil man ein Jahr lang in der dritten gewesen war, und in die dritte, weil man so lang in der zweiten war. Jetzt aber, zum Verlassen des Gymnasiums, hatte man ein schweres, eingehendes Examen aus allen Fächern zu bestehen. Wie das mit mir werden sollte, das wußte ich nicht. – Eines Tages kamen wir in die Religionsstunde, und hörten zu unserer freudigen Ueberraschung, daß der Religionslehrer krank, und wir nach Hause gehen könnten. Dies war eine gefundene freie Stunde, die ich wieder einmal zu meiner Verfügung hatte, und so viel wie möglich auszunützen gedachte. Mein erster Gedanke war: Du machst Deinem Orange-Idol einen Besuch. Aber wie dahin gelangen? Seit meinem ersten damaligen Besuch in der Abendstunde waren zwei oder mehr Jahre dahingegangen. Unter so strenger Clausur war ich die ganze Zeit über gestanden. Der Weg war mir in Vergessenheit gerathen. Wie ihn finden, und wie irgend Jemanden den Begriff [212] davon beibringen, was ich wollte. Einem Mitschüler, der mir am vertrautesten war, und mit dem ich ein Stück des Nach-Hause-Wegs gemeinsam hatte, theilte ich soviel mit, als zur unumgänglichen Orientirung nothwendig war. Er hörte mich stumm und starr vor Erstaunen an. Etwas von meinem geheimen System muß doch mit hindurch filtrirt sein. Dann sagte er ruhig, und mit einer gewissen Gelassenheit, ich solle nur mitgehen, wenn er mir auch nicht dieselbe Menschen-Leiber-Ausstellung zeigen werde, jedenfalls werde es eine ähnliche sein. Ich folgte. Und nach etwa einviertelstündiger Wanderung kamen wir durch eine Menge enger und finsterer Gassen zu einem großen, spiegelglatten Glasfenster, in dem wahrhaftig eine große Collection der von mir sehnlichst begehrten ausgestopften farbigen Menschenbälge zu sehen waren. Aber es war weder dieselbe Collection, noch so elegant, farbig und kostbar wie die von mir in Erinnerung gehaltene. Mein Orange-Wesen war nicht darunter. Trotzdem glotzte ich wie fascinirt diese stummen Wesen an. Ich hatte meine Schulbücher unter'm Arm. Mein Freund stand hinter mir, mich beobachtend. Allmählich, merkte ich, blieben hinter uns mehrere Leute stehn. Es war ein Samstag. Aus dem Trubel und dem Geschrei, der in der ganzen Straße herrscht, entnahm ich, daß die Leute vom Markte kamen. Dicke Köchinnen, Bürgerfrauen u. dergl. schwankten schwerfällig vorbei: Ein Geschimpfe entstand, weil die Passage nicht frei war. Ich hatte mich ganz dicht an die Glasscheibe gelehnt, um das mir convenirende Stück herauszusuchen. Meine Nase blies einen großen Hof auf die Glasfläche.


Allmählich hörte ich hinten kichern und flüstern. Dazwischen vernahm ich die Stimme meines Freundes, der mit großer Ruhe und gedämpfter Stimme mit den stehengebliebenen Leuten conversirte. Einige Seufzer, die meiner Brust entstiegen, mögen von den Hinterstehenden gehört worden sein. Das Gedränge und Geschimpfe wurde nun immer ärger. Nun wurde mir doch unheimlich. Ich merkte, daß mein Freund nicht mehr neben mir stand. Auch hatte ich mich an dieser mehr starkkalibrigen, farbenarmen und schwerfälligen Collection gemästeter Menschen-Bälge genügend satt gesehen. Meinem Ideal entsprachen sie nicht. Ich wandte mich um, und wollte gehen. In diesem Augenblick empfing mich ein höllisches Gelächter, in dem Hohn, Spott, Mitleid, Verachtung, Schadenfreude, Alles durcheinander [213] klang. Ich blickte in lauter geöffnete Mäuler mit faulen Zähnen und dampfenden Schleimhäuten. Die ganze Straße war vollgekeilt mit Weibern, die keuchend ihre Armkörbe emporhielten und mich mit winzig zugekniffenen Augenspalten ankiekten. Eine Menge von Stimmen und unartikulirter Laute drang auf mich ein, aus der ich zuletzt nur die eine breiig vorgebrachte Rede noch vernahm: »Gelten S' junger Herr, de san schön; a soichtene müssen S' Ihnen aussuchen!« – Ich wurde blutroth im Gesicht. Und kaum hatte ich mich durch das Gedränge durchgearbeitet, so lief ich, so schnell ich konnte, davon, Denkmaterial wieder für zwei Tage im Kopf. Mein Freund war verschwunden. Durch fleißiges Erfragen der Straße fand ich mich nach Hause. Als ich mit gerötheten Wangen und fliegendem Athem ankam, und man mich frug, wo ich herkomme, antwortete ich: Aus der Religionsstunde. –


Am nächsten Morgen, als ich zur gewohnten Zeit in die Classe trat, empfing mich ein vierzig- bis fünfzigstimmiger Ruf: »Corsetten-Fritz! Corsetten-Fritz!« – Die ganze Geschichte war ausgeplaudert worden. Ich hatte jetzt einen schweren Standpunkt. Und unangenehmer, als die Hänseleien, die nun begannen, berührte mich, daß mein so sorgfältig gehütetes System, das Pflegekind meiner Phantasie, in diese rohen Hände und Münder gekommen war. Und als ein Glück empfand ich es jetzt, daß durch die strenge Ueberwachung, das Abgeholtwerden vom Gymnasium, mein Verkehr mit meinen Mitschülern auf ein Minimum reducirt wurde. So blieb ich für sie ein Räthsel, ein barocker, sonderbarer Mensch; und in dieser Isolirung war mir am wohlsten.


So kam das Schluß-Examen herbei. In allen Fächern hatte ich begründete Aussicht, glänzend durchzufallen, mit Ausnahme des deutschen Aufsatzes; da ich von früh an mich daran gewöhnt hatte, meine Gedanken und Empfindungen schriftlich niederzulegen. Als deutsches Thema erhielten wir »die Bestimmung des Menschen«. Ich weiß noch, ich starrte diese Worte wohl eine Viertelstunde an, aber es fiel mir nichts ein. Ich wußte nun, daß auch der Aufsatz verlorene Arbeit sei. Aber ich grübelte ruhig weiter, um zu sehen, ob sich gar keine Gedanken angesichts dieses weltbewegenden Themas einstellen würden. Und es kam nichts. Ich merkte jetzt, von Minute zu Minute deutlicher, daß nicht nur der Aufsatz eine schlechte Arbeit werden würde, [214] sondern daß auch gar keine Aussicht für eine regelrechte, tüchtige, ehrliche Behandlung des Themas sei. Die »Bestimmung des Menschen?« – Ich wußte sie nicht! Hinter mir zupften mich meine Mitschüler, die gewohnt waren, im deutschen Aufsatz von mir Hülfe zu bekommen, und flüsterten: »Du, was ist die Bestimmung des Menschen?« – Ich wußte es nicht; und sie wußten es auch nicht. – Die Antwort, die ich in der Christenlehre vor zehn Jahren gegeben hätte: gottesfürchtig zu leben, und selig zu sterben, – die war mir wohl geläufig; aber das war ja nur eine schöne Rede, eine Phrase, die Jeder im Nothfall im Mund führt, und Keiner glaubt. – Trotzdem mußte mein Aufsatz in zwei Stunden fertig sein! In meiner Verzweifelung begann ich zu schreiben: Die Bestimmung des Menschen ist, die Räthsel, mit denen ihn diese Welt umgiebt, zu lösen, und sich zur ruhigen Geistesklarheit durchzuringen; so auf meine persönlichen Erlebnisse und den Gegenstand meiner Zweifelsqualen anspielend. Und nun begann ich, rückhaltlos die Erlebnisse meiner letzten Jahre, innerer und äußerer Natur, die Annahme eines zweiten Menschengeschlechts, meine Visionen und Peinigungen, bei Tag und bei Nacht, mein Occupirt-Sein durch jenes Orange-Wesen, darzulegen, und schloß die unermüdlich hingeworfene Studie mit der Emphase: das ist unsere Bestimmung, das ist unser Fluch, zu grübeln und zu spintisiren, die Schliche und Verhüllungen unserer Nebenmenschen aufzudecken, den Kern aus der Schale zu brechen, die Panzer abzureißen: ein Geschlecht läuft neben uns her, seltsam gebildet, mit ausladenden, outrirten Formen; die Blicke dunkel und verzehrend, die Haut schneeweiß, fuchtelnde Arme, auf der Brust zwei ungeberdige Ballen, die seltsam in der Kleidung versteckt werden; über Hüfte und Leib schillernde, seidene, farbige Ueberzüge von unbekannter, geheimnißvoller Herkunft; weiterhin sonderlich gebildet, alles glatt und weich, zart und behext; das einmal gesehen, die Phantasie nicht mehr losläßt, die Gymnasiasten verwirrt, ihnen das Gedächtniß auslöscht, sie dem Verderben zuführen will. Löse diese Räthsel, zerreiße die Schleier, decke Alles auf – das ist die Bestimmung des Menschen; um zu Ruhe und Frieden zu gelangen; im Uebrigen, selbstverständlich, gottesfürchtig zu leben und selig zu sterben; wie wir es auswendig gelernt haben. –


Den folgenden Tag und bevor noch das mündliche Examen begonnen hatte, wurde ich auf das Rectorat gerufen, wo mir [215] bedeutet, daß ich wegen »unziemlicher Ausdrücke und unsittlicher Anspielungen im deutschen Aufsatz« zwei Stunden Arrest zudictirt erhalten hätte. Gleichzeitig wurde mir eröffnet, daß die Prüfungs-Commission durch außerordentliche Rücksichtnahme die begangenen Unziemlichkeiten durch den Arrest für getilgt erachte, ich aber für den deutschen Aufsatz selbst wegen der darin gezeigten »Selbständigkeit in Behandlung schwieriger und abgelegener Thematas« die erste Note erhielte. – Diese erste Note wog so schwer, zumal der deutsche Aufsatz doppelt gerechnet wurde, daß alle übrigen »Vierer« oder letzten Noten von ihrem »Ungenügend« etwas ablassen mußten. Und da ich, durch den Vorgang kuraschirt geworden, im mündlichen Examen frisch und vorweg antwortete, so gelang es mir, gerade noch mit der letzten zulässigen Gesammtnota das Absolutorium zu erhalten, und damit das Reifezeugniß für die Universität. –


Ein Vierteljahr später befand ich mich auf der Hochschule einer mitteldeutschen Residenzstadt, die wegen ihres jovialen ungebundenen Charakters besonders berühmt war. Ich war jetzt bald 19 Jahre alt; und von der väterlichen Censur und verwandtschaftlichen Ueberwachung endlich befreit, hoffte ich, jetzt hinter alle die Räthsel und Geheimnisse zu kommen, mit denen meine Phantasie sich bis dahin so abgemüht und gemartert hatte. Ich hatte mich an einen jungen, süddeutschen Studenten angeschlossen, der nicht, wie ich, Theologie studirte, sondern sich dem medizinischen Fach zugewandt hatte, und der weit besser als ich im großen Leben versirt war. Nach etwa vierwöchentlichem Verkehr nahm mich mein Freund eines Abends spät beim Nachhausegehen unter'm Arm und flüsterte mir merkwürdige, unerhörte Dinge in's Ohr: von dem Besuch eines versteckt gelegenen Hauses, wo auf eine bestimmte Klingel hin ein Haufen prachtvoller, schillernder, verführerischer Geschöpfe mit weißer Haut und goldenen Haaren hervorbreche, und dem Gaste seine Dienste anbiete. Man gebe ein Geschenk, – ein Gastgeschenk – das sei so üblich. Man wähle sich eines der Geschöpfe aus. Mit der verschwinde man dann auf eine Stunde. Alles übrige ergebe sich von selbst. Ich solle nur unverzagt sein, u.s.w. – Wie ein Blitz fuhr es mir durch den Kopf: Sollte ich hier einen Eingang in jenes Reich der Kolibri-Geschöpfe finden, nach deren Existenz ich seit fast sechs oder sieben Jahren im Geheimen fahndete? – Mit pochendem Herzen folgte ich [216] meinem Freund, der sich über meine Unkenntniß und mein Verzagtsein nicht wenig erlustirte. Wir gingen abseits von der Hauptstraße durch schwarze Gassen, dann durch schwarze Gäßchen; es wurde immer stiller; durch das Sträßchen, durch das wir jetzt gingen, lief in der Mitte eine Gosse; wir mußten rechts und links weit ausschreiten, wie der Koloß von Rhodos, um uns nicht zu beschmutzen; keine Menschenseele begegnete uns. Endlich hielten wir an einem himmelhohen, schwarzen, nur drei Fenster breiten Haus, zu dem eine steinerne, wacklige, geländerlose Stiege emporführte. Mein Freund schellte. Gleich darauf öffnete sich die Thür leise; ein Flüster-Austausch; und wir gingen einen steinernen, nur mattbeleuchteten Gang entlang; dann eine holprige, steile Treppe empor; ein Griff auf eine Thürklinke: und mein Freund schob mich in einen hell und blinkend erleuchteten Raum, in dessen Wandspiegeln sich ein tausendfach-fassetirtes Licht brach, und in dem uns ein helles, nie vernommenes Kichern und Lachen umschwirrte. Auf den Sophas und weichen Lederstühlen saßen und lagen prächtige, kostbargeartete, helle, phantastische Wesen mit purpurrothen Lippen, blitzend-weißen Zähnen, langen Haarsträhnen, kalkweißen Halskrausen und nackten figelirenden Armen, und schauten uns mit glashellen, bachklaren Augen an, als sähen sie heute zum ersten Mal Menschen in runden Beinrohren und eingezwängten Tuchröcken. Mein Freund sprach längere Zeit leise mit einer vornehmen Dame in Schwarz, die in jeder Hinsicht dem gewöhnlichen Menschengeschlecht anzugehören schien; dann, auf einen Wink, sprang eines der schlankesten, aalglatten Geschöpfe mit einer gilfenden Lache auf, schlang ihren weichen, langen Arm um meinen Hals, und schleppte mich fort aus dem Zimmer, eine Stiege höher, in ein kleines, ebenfalls prachtvoll erleuchtetes Gemach, in dem alles aus Crystall zu sein schien, eine Menge Fläschchen, Näpfchen und Väschen mit irisirender Oberfläche umherstanden, und die Luft wie mit tausend schweren Gedanken beladen Einem in die Nase drang. Ehe ich mich's versehen, hatte das schlüpfrige Geschöpf eine Hülle nach der andern abgeworfen, und plötzlich stand vor mir, strahlend in Gold mit schwarzer Einfassung, jenes Orange-Bild aus dem Schaufenster, meine zierliche Ideal-Göttin mit jener safranenen Hülse um Leib, Taille und Brust, die ich seitdem so oft als reproducirtes Hirn-Gespinst vor mir gesehen hatte, in der [217] Nacht, bei Tag, im lateinischen Classen-Zimmer; aber nicht todt, ausgestopft, mit abgehacktem Hals, herausgezogenen Armen und Beinen; sondern lebend, vibrirend, als Ganz-Geschöpf, mit schneeweißem Hals, goldbesträhntem Kopf, blühenden Beinen, herumfegenden Armen, gellenden Trillern; und um die Mitte des Körpers zog sich jener prachtvolle orangene Menschenbalg mit schwarzer Einfassung, an dessen oberen Rand zwei bläulichweiße Ballen mit Karminspitzen quellend hervordrangen. »Du unvergleichliches Wesen!« – rief ich, und stürzte mit einem Schlag auf die Knie', – »Dich kenn' ich, seit zehn Jahren such' ich Dich, Du erscheinst mir im Traum und bei Tag in einsamen Stunden. Du warst im Besitz eines ekelhaften, schwarz-geschniegelten Juden! Wie bist Du aus jenem Schaufenster herausgekommen. Wo hast Du diese wunderschöne, orangene Hülse her? Du bist ganz Duft, Kolibri und Goldhaar. Kann man Dich kaufen? Du bist der Inbegriff alles meines Glücks auf dieser Erde. Ich würf' die ganze Theologie zum Teufel, wenn ich Dich besitzen könnte; einerlei, kommst Du aus dem Himmel oder aus der Hölle. Du bist köstlicher als der Feuersalamander. Deine Haut ist ganz Opal und Onyx. Du duftest nach Sandelholz. Deine Bewegungen sind wie Seidenkirschen. Was thust Du mit jenen quellenden Kugeln, die wie flüssiger Granit oben aus Deiner Brust hervorzubrechen drohen, um uns zu zermalmen? Lebst Du in besonderer Luft? Nimmst Du Speise zu Dir? Werdet Ihr in Wagen gefahren, weil man Euch nie auf der Straße sieht? Hast Du damals das Schaufenster zerschmettert, und bist dem Aquarium-Besitzer, dem Juden, davongelaufen? Lebst Du hier glücklich? Bist Du aus Glas? oder Seidenstoff? oder Orange-Farbe? oder Muschelmasse? Kann man in Dich hineinbeißen...?« – Ich weiß nicht, wie lange ich so gesprochen; noch, was ich gethan; noch, was mit mir geschehen ist. Das köstliche Wesen schaute mich lange starr mit ihren tiefen Forellen-Augen an; und entblößte die obere, weiße Zahnreihe; und die Hände waren nach mir ausgestreckt, dann weiß ich Nichts mehr. Ich muß bewußtlos geworden sein. Und kam erst wieder zu mir, als ich die wacklige, steinerne Treppe in dem schwarzen Gäßchen hinunterstieg, und die frische Luft mich wieder zu mir selbst brachte. – Mein Freund hatte mich bei der Hand. Er machte mir bittere Vorwürfe, ich hätte nicht das richtige Benehmen an den Tag gelegt; gab mir eine schwulstige, geschraubte, ekelhafte [218] Erklärung über die Bedeutung dieses Hauses und ihrer Insassen, die ich zum größten Theil nicht verstand, zum andern Theil überhörte über der Fülle inneren Glücks über das Gesehene und Genossene. Die ganze Nacht war mein Kopf voll jener San delholz-Gerüche und der Ausdampfungen aus den Crystall-Schalen und -Fläschchen der Orange-Fee. –


Ich zog mich jetzt ganz zurück aus dem Studentenleben. Der offene Verkehr mit Meinesgleichen, und das harmlose Plaudern und Lachen über Dinge, die mein Innerstes brutal berührten, war mir ein Gräuel. Ich lebte ganz meinem Innenleben, und baute dort aus den wenigen farbigen Bausteinen, die ich der Außenwelt, die ich meinen paar Erlebnissen, im Hinblick auf jenes Feen-Geschlecht, entnommen, eine phantastische, gelbe, corsettirte Welt auf, an der ich mich fabelhaft ersättigte.


Um hier nicht unterzugehen, stürzte ich mich mit fürchterlicher Energie auf mein theologisches Studium. Und nicht ohne Erfolg. Ich fühlte jetzt ganz genau jene Zweitheilung in mir vorgehen, die schon in frühester Jugend bei mir begonnen: jene spontane, von der Phantasie eingenommene Sphäre, in der ich uncontrollirbar schuf, creirte, produzirte; und aus der ich meist jenes kostbare, meinen Farben- und Formen-Durst stillende, gelbe Geschlecht hervorholte; und die zweite, die Verstandes-Sphäre, wo ich, unter Zusammennehmen aller fünf Sinne, keuchend wie ein Roß, meine Daten und Geschichtsquellen memorirte, und die trübe, fade Außenwelt mit ihren Erscheinungen auswendig lernte. –


So kam mein Examen herbei. Ich bestand es glänzend. Durch meinen eisernen Fleiß hatte ich die erste Note errungen; und erhielt vom Regierungs-Vertreter die Aussicht im Laufe des nächsten Vierteljahres angestellt zu werden. Ich war glücklich zum Emporjauchzen. Und dabei traurig zum Hinsinken. Meinalter ego war unzufrieden. Und ich fühlte in meinem Innern eine höhnische Stimme, die sich über meinen äußeren Erfolg lustig machte.


Ich eilte nach Hause zu meinen Eltern, wo ich mit großer Freude empfangen wurde. Jetzt, wo meine Aussicht auf Versorgung so gut wie gewiß war, und ich inzwischen neunundzwanzig Jahr alt geworden, sprach mein Vater zum erstenmal mit mir über Verheirathung, über die Süßigkeit der Liebe, und schmatzte dabei mit dem Munde. Ob ich noch kein Gefallen an dem andern [219] Geschlecht gefunden? Ich glotzte ihn groß an, und sagte, ich wisse nicht, was er wolle. Hätte nie davon gehört. Der Gegenstand sei mir zuwider. Ich wüßte Besseres. – Aber eine andere Befriedigung wurde mir zu Theil. Mein Vater hatte für mich die Erlaubniß erwirkt, am folgenden Sonntag an seiner Stelle die Kanzel besteigen zu dürfen, und damit meine Antritts-Predigt zu halten. Dies war ein mächtiger Sporn für meinen Ehrgeiz. Ich nahm einen Prachttext aus dem Corinther-Brief, und componirte eine fulminante Predigt. Sie war am Donnerstag fertig. Ich hatte jetzt noch zwei Tage zum Memoriren. Die Sache ging mit Spaß. Ich war nie so frisch und munter bei der Arbeit gewesen.


Am Sonntag früh in der Sakristei, nachdem ich den Chorrock angelegt hatte, ging ich, während die Gemeinde den Zwischenchoral sang, – ich vergesse, welchen, – langsam und überlegend auf den Steinfließen auf und ab. Plötzlich wurde mir merkwürdig zu Muthe. In meinem Innern schien etwas vorzugehen. Mich überfiel die Angst, es könne in meinem Innern sich etwas ereignen, über das ich nicht mehr die Controlle hätte. Ich hatte die Empfindung, auseinanderzugehen, wie eine Maschine. Und, als ob ich bei diesem Auseinandergehen ruhig zuschauen müßte, ohne etwas thun zu können. Und dies, die Angst vor dem Kommenden, war die Quelle meiner Beunruhigung. Nicht die erste Sensation selbst, die nur überraschend und merkwürdig war. – Doch war ich nach einigen Minuten wieder frei; und ich bestieg die Kanzel. Ich begann meine Predigt äußerlich ruhig und ohne Befangenheit. Die Worte flossen wie von selbst. Aber schon nach wenigen Sätzen, merkte ich, kam jenes Sakristei-Gefühl wieder. Und nun konnte, und mußte ich, zusehen, was geschah: Während meine Predigt ruhig und sicher wie eine Spule abrollte, begleitet von guten Gesten und sicherem Tonfall, merkte ich, wie sich in meinem Innern etwas ablöste; ein Maschinentheil davonrannte. Und nun erinnerte ich mich, wie ich schon als Knabe immer pensiv war, und meine Seele während der Predigt davonlief. Unwillkürlich schaute ich hinunter auf die Kirchenbänke, und: da saß ich, als Junge, mit gläsernem, starren Blick: und gleichzeitig hörte ich die breite, wiederhallende Predigerstimme meines Vaters. – In diesem Augenblick wurde ich durch eine plötzliche Stille unterbrochen. Ich muß zu predigen aufgehört haben. Ich erkannte jetzt die Situation; ermannte [220] mich, räusperte, und begann von Neuem; fest entschlossen, keiner Verführung mehr nachzugeben. – Aber meine Seele hatte ihre Tour schon begonnen. Und nun mußte ich mit. Mit auf die Lateinschule. Mit in das Haus meines Onkels. Mit durch die schwarzen Straßen der Residenzstadt. – Krampfhaft klammerte ich mich an meinen memorirten Predigttext an, und suchte mein Inneres zu überschreien. Als ich an die Stelle kam, – in meiner Seelengeschichte – wo ich im Auftrag meiner Tante jenen abendlichen Gang zu machen hatte, sah ich mit einemmal, wie ein langgestreckter Jude, etwa in der Höhe der Kanzel, quer durch die Luft zu mir kam. Ich erschrack, und wunderte mich, wieso derselbe in der Luft schweben könne; entdeckte aber bald, daß der Kerl, wie ein Kronleuchter, hinten am Rücken durch ein starkes Seil befestigt war, welches oben an der Kirchendecke mündete. Und vor sich her schob der Jude, mit einem freundlichen Grinsen zwischen seinem schwarzen Bart, jenes orangegelbe Wesen, welches mich durch so viele Jahre begleitet hatte. Ich war außer mir, über die Störung, und betrachtete meinen Chorrock, der mit gelben, fetten Lichtern wie übergossen war. Ich winkte dem Juden fort, und ließ deutlich erkennen, wie unangenehm mir der Besuch sei; und wie sonderbar sein Benehmen, sich mit Hülfe des Kirchendieners mittelst eines Strickes so hoch herabzulassen. Er blieb aber genau, wo er war, und lächelte fortwährend in gleicher Weise. – Bis dahin hatte ich mit äußerster Anstrengung meinen Predigttext nicht verlassen. Aber jetzt, als ich eben zum zweiten Teil überging, geschah etwas Unerhörtes. Die Glasthüren, die zur Gallerie der Kirche, zum Empor führten, wurden zu beiden Seiten aufgerissen, und meine früheren Gymnasial-Kameraden von der ersten und zweiten Classe stürmten mit ihren Büchern herein, nahmen die Sitze rings um die Gallerie ein, und nach einigem Schnaufen und Flüstern hörte ich, wie einige lautgellend, lachend, riefen: »Ei, das ist ja derCorsetten-Fritz!« – Und »Corsetten-Fritz! Corsetten-Fritz!« folgte es jetzt im Chor. Anfänglich wollte ich die Störung nicht beachten; zumal ich überzeugt war, daß die jungen Leute exemplarisch bestraft würden. Als aber die höhnenden Zurufe immer ärger wurden, fing ich an hinaufzudrohen und zuletzt hinaufzuschimpfen. Der Genuß meiner Predigt wurde dadurch natürlich wesentlich verkümmert. Nun wurde auch die Gemeinde unruhig, und begann zu murren. Gegen die Demonstranten. [221] Zuletzt wurde der Lärm so arg, daß der Kirchendiener zu mir auf die Kanzel kam, und mich bat, plötzlich abzubrechen, mein Vater erwarte mich dringend in der Sakristei. Damit verließ ich die Kanzel.


Nach sechs Wochen wurde ich hierher in ein Haus gebracht, von dem es heißt, es sei die Irren-Anstalt. Und von hier aus schreibe ich diese Zeilen, meine Lebensgeschichte, auf Wunsch des Directors nieder. Man sagt mir, ich litte an Hallucinationen, an Gesichts- und Gehörstäuschungen. Davon kann keine Rede sein. Ich verlange vor allem eine gerichtliche Untersuchung, über jene Vorgänge in der Kirche, und eine Verhaftung des Kirchendieners, der jenem Juden den Strick gegeben hat zum Sichherablassen. Diejenigen, die jene Vorgänge leugnen, beweisen damit, daß sie in ihren Sinnen krank, oder an jenem Complot betheiligt sind. Was allein an der ganzen Sache merkwürdig ist, ist daß jene Jungens, die damals auf dem Empor »Corsetten-Fritz« schrieen, aussahen, als wären sie sechs bis acht Jahre jünger, als sie wirklich zur Zeit sein mußten. Denn diese Zeit ungefähr hatte ich sie nicht mehr gesehen. Daß sie ihre Haare genau so gescheitelt trugen, dieselben Anzüge anhatten, und, täuschend, die gleichen Bücherbündel, mit Riemen zusammengehalten, mit der gleichen ungezogenen Manier trugen, wie vor sechs, acht Jahren. Darin allein liegt das Merkwürdige. Das ist aber offenbar bestellte, fabricirte Sache. –

[222]

Indianer-Gedanken

»Nehmet wahr der Raben; sie säen nicht, sie ernten auch nicht, und euer himmlischer Vater nähret sie doch.«

Lucas 12, 24


Wer in den letzten fünf oder sechs Jahren in einer der größeren Städte des Continents seinen Aufenthalt hatte, oder gelegentlich dort verweilte, erinnert sich vielleicht einer farbigen Truppe, die unter der Aufsicht eines weißen Unternehmers von Ort zu Ort zog, ihre Zelte aufschlug, in einem abgeschlossenen Raum ihre Künste, Kriegs-Tänze und sonstige absonderliche Gewohnheiten vorführte, und unter denen ein geschlossenes Contingent von etwa fünfzig bis sechzig Indianern des Sioux- und Cheyennes- Stamms das Haupt-Interesse des Publicums herausforderte.


Als junger Arzt in einer größeren Stadt Mittel-Deutschlands ansässig, hatte ich damals, um Beschäftigung zu erhalten, gegen ein gewisses Pauschale die Verpflichtung übernommen, allen durchziehenden Gesellschaften, Circustruppen, Angestellten bei Menagerieen, Varieté-Gesellschaften und drgl., die alle auf den Platz und das Etablissement eines und desselben Besitzers angewiesen waren, kostenlos die erste ärztliche Hülfe angedeihen zu lassen. – Dieser Fall trat nun auch bei den Indianern ein, die, aus einem wärmeren Klima kommend, und mit einer feinen, auf den directen Contact mit der Luft angewiesenen, Haut ausgestattet, unter den ungewohnten Kleidern, und in unserem rauhen Klima, den mannigfachsten Erkältungen ausgesetzt waren. Während meiner Besuche, die sich auf das Verordnen allgemein diätetischer Maßregeln beschränkten, lernte ich auch den Häuptling kennen, der, nichtwissend, daß ich für meine geringen Dienste bereits belohnt sei, in jeder Hinsicht mir seinen überströmenden Dank bezeigte, mich in manche Feinheiten ihrer Sitten und Sprache einweihte, und mit dem ich zuletzt in ein förmlich freundschaftliches Verhältniß trat. – So weit war dieß gut. –


Eines Tags saß ich zu Hause, als meine Aufwärterin hereinkam, und mir mittheilte, draußen auf der Gasse treibe sich ein sonderbar aufgeputzter Mensch herum, begleitet von einer [223] Schaar neugieriger Schuljugend, und scheine etwas zu suchen. Ich öffnete das Fenster. Es war mein Freund, der Häuptling. Er war überglücklich, als er mich sah. Ich bat ihn hereinzukommen. Er hatte mich aufsuchen wollen. Meine Wohnung, in der es nach meiner Berechnung manches für ihn Wichtige und Interessante zu sehen gegeben, reizte übrigens zu meiner Verwunderung nicht im Mindesten seine Neugierde. Er hatte immer nur seinen Blick freundlich aber fest auf mich gerichtet. – Eine Cigarre, die ich ihm anbot, lehnte er ab. Ebenso eine Tasse Kaffee, die ich ihm machen lassen wollte. Ein Stückchen Kautabak, von dem ich die Hälfte abbrach und in meinen Mund steckte, nahm er an. Mit Mühe vermochte ich ihn, sich auf mein Sopha niederzulassen. Er stand sofort wieder auf, und gab durch einen Seufzer seine Verlegenheit und Unzufriedenheit kund. Er wollte sich dann auf den Boden niederlassen. Bis ich einen gewöhnlichen, hölzernen Küchenstuhl hereinbrachte. Den acceptirte er. Der Häuptling war in voller Kriegsrüstung; auf dem Kopf den bekannten mit starrenden Federn besetzten Kranz, dessen Enden auf die Schultern niederflossen; in den Ohren zwei große goldene Spangen; die nackten Körpertheile mit einer Art pompejanisches Roth prachtvoll bemalt; im Hüft-Gürtel, der ein kurzes enganliegendes Beinkleid zusammenhielt, ein kostbar gearbeiteter Tomahawk; der ganze Mann noch einmal eingehüllt in eine dunkelblaue, mandelartige Hülle, die aber kein indianisches Kleidungsstück, sondern eine Art Reisekleid und Schutz gegen die Unbilden des europäischen Klimas war. Der Häuptling hatte jenen misanthropischen Zug in dem mageren Gesicht, der die meisten seiner Stammesgenossen auszeichnete, und der auf eine, ich möchte sagen Jahrhunderte lang genährte und organisch gewordene Unzufriedenheit und Verbitterung des Gemüthes hinwies. Er starrte mich lang und penetrirend an, wie ich es von ihm nicht gewohnt war. Er sprach etwas englisch, und so war die Möglichkeit der Verständigung gegeben. Ich vermied es, ihn auf kalt-europäische Weise zu fragen, was ihn zu mir führe. Und so stockte die Unterhaltung für längere Zeit. Endlich, nachdem er geraume Weile seine zwitterhaft glänzenden Augen wie spitze Pfeile auf mir hatte ruhen lassen, begann er in dem ruhigen, freundlichen Ton, den ich an ihm gewohnt war. –


»Doctor, Du hast mit Deiner Geheimkunst meine Leute wieder zufrieden gemacht, und der große Geist, den ich gebeten [224] habe, wird sein Auge auf Dir ruhen lassen!« – »»Das ist nicht der Mühe werth,«« – meinte ich, – »»Durch Wärme und gute Nahrung wären sie sowieso gesund geworden.«« – »Aber, Doctor, diese Leute sind es nicht allein; unser ganzer Stamm ist krank!« – »»Wieso,«« – fragte ich verwundert, – »»was ist passirt?«« »Unser Stamm ist krank, und will sterben!« – wiederholte der Indianer mit unverbrüchlicher Ruhe, als wäre es der einfachste Gedanke der Welt. – »»Warum wollt Ihr sterben?«« – frug ich mit tiefer Theilnahme. – »Doctor,« – sagte der Häuptling, – »Dein Auge gefällt mir; es ist ein See der Wahrheit; Du wirst nicht lügen; nenne mir Deine Geheimkunst, und der große Geist wird sein Auge auf Dir ruhen lassen!« – »»Was soll ich Euch sagen? Was wollt Ihr von mir wissen?«« – »Die Sioux und die Cheyennes und die Arapahons und die Dakota wollen sterben!« – »»Und warum?«« – »Weil wir nicht leben können!« – »»Und warum«« – »Weil die Todtengesichter um uns herum uns erwürgen, und uns mit den Feuerschlünden zusammenschießen wie Büffel!« – »»Wer sind das, die Todtengesichter?«« – »Die Pferds-Leute um uns herum mit den dicken Knochen und der Lügenspur im Angesicht.« – »»Um Euch herum wohnen doch die Amerikaner?!«« – »Ja, die Pferds-Leute!« – »»Und deshalb wollt Ihr sterben?«« – frug ich verwundert, und nicht wenig erschrocken im Innern über den grauenhaften Gedankengang des Indianers. Der Häuptling saß mir gegenüber, vollständig ruhig und ohne jede Erregung, als wäre dieser Gedanke seit Jahren nach allen Seiten von ihm erwogen worden, als wäre diese Frage eine immer wiederkehrende Erörterung in den Versammlungen seines Stamms. – »Was meinst Du zu Brandy, Doctor,« – nahm der Indianer wieder das Wort, – »dieSioux trinken gern das Feuerwasser der Pferds-Leute?« – »»Ja, was wollt Ihr mit dem Brandy?«« frug ich erwartungsvoll. – »Wir könnten alle unsere Thierfelle, die wir noch haben, gegen Feuerwasser eintauschen, und alle unsere Leute berauschen, und, wenn sie wie todt daliegen, ihnen die Hälse abschneiden.« – »»Das wär' ja eine fürchterliche Metzelei!«« – »Ja, aber wir wären schön gestorben!« – »»Wieviel seid Ihr da drüben?«« – »Die Sioux sind fünftausend, Männer und Weiber.« – »»Und wieviel Kinder habt Ihr?«« – »Wir haben keine Kinder.« – »»Was?«« – rief ich erstaunt, – »»es müssen doch Kinder da sein!«« – »Doctor, nein, es sind keine Kinder da; seit zehn Jahren ersticken wir sie.«[225] – »»Mein Gott!«« – rief ich, – »»wie gräßlich; so habt Ihr Euer Zerstörungswerk schon begonnen?«« – Der Indianer schien mich nicht zu verstehen, oder meine Verwunderung für gegenstandslos zu halten; wenigstens gab er mir keine Antwort. Erst nach längerer Pause, wie mir schien, des Selbstbesinnens, sagte er, »Doctor, was hast du gegen den Brandy?« – »»Ich habe nichts gegen den Brandy;«« – antwortete ich halb gleichgültig, – »»ich finde es nur scheußlich, ein ganzes Volk so hinzumorden; aber, wenn Ihr es nun doch vorhabt, so finde ich es gräßlich durch Schnaps zu sterben.«« – »Ja, Doktor« – antwortete der Alte, der diesmal aufmerksam zugehört hatte, – »Du hast Recht, der Brandy ist ein schlechtes Wasser, er macht so gemeine Grimassen, – wie die der Pferdsleute....« – »»Wie wer?«« – warf ich dazwischen. – »Wie die Pferdsleute!« – betonte der Alte nachdrücklicher, und ergänzte sich dann noch mit: »wie die Todtengesichter mit den dicken Knochen, die um unsere Jagdgründe wohnen....« – »»Wie die Amerikaner, willst du sagen?«« – frug ich noch; – »ja,« ergänzte der Häuptling fast schläfrig, – »wie die Amerikaner; – – nein, Doctor, der Brandy ist nichts; auch würde der große Geist uns zürnen, wenn wir in seine Jagdgründe kämen; – Doctor, nenn' mir ein anderes Mittel aus deiner Geheimschachtel.« – »»Mein lieber Freund,«« – sagte ich; das furchtbare Vorhaben des Indianers zwängte mir unwillkürlich das vertrauliche ›Du‹ auf die Lippen, – »»ein solches Vorhaben ist nie an mich gestellt worden; unser Arzneischatz hat zwar starke Gifte, aber wir theilen sie in kleine und kleinste Gaben, und verdünnen sie mit viel Flüssigkeit, weil wir Segen und Heilung damit wirken wollen; – übrigens,«« – fuhr ich nach einigem Besinnen weiter, – »»Ihr habt ja selbst tötlich wirkende Kräuter; Ihr habt ja das Pfeilgift....«« – »Doctor!« – fiel der Indianer mir langsam und schlau blinzelnd in's Wort, – »Du hast keinen so scharfsinnigen Gott wie wir; der große Geist kennt das Gift unserer Pfeile; er würde es riechen; und wir kämen nicht in die ewigen Jagdgründe! – Doctor, nenn mir ein anderes Mittel aus Deiner Geheimschachtel, und Du sollst einstmals neben mir Deine Pfeile in den leuchtenden Jagdgründen des großen Geistes abschießen!« – »»Warum pactirt Ihr nicht mit den Amerikanern, mit den Pferds-Leuten, wie Ihr sie nennt,«« – versuchte ich dem Gedankengang des unheimlich gleichgültigen Indianers eine andere Richtung zu [226] geben, – »»grenzt Euer Gebiet ab; es ist ja noch so viel Platz da drüben.«« – »Doctor, spricht auch der Hirsch mit dem Jäger über die Bedingungen des Lebenbleibens?!« – (dann nach einer Pause) »nein, Doctor, wir müssen sterben; aber weil wir keine Hirsche sind, sondern doch jedenfalls Sioux, Cheyennes und Dakota sind, wollen wir sterben; wir wollen wie flinkfüßige Hirsche den Pferds-Leuten zuvorkommen, und schneller sterben, als es ihnen lieb ist....« – »»Der Plan ist teuflisch, der Plan ist infernal,«« – rief ich voll Entsetzen, – »»welches Scheusal unter Euch hat diesen fürchterlichen Plan ausgeheckt?«« – »....Doctor,« – fuhr der Häuptling fort, indem er das Letzte entweder überhört hatte, oder nicht würdigen wollte, – »was hälst Du vom Tabak?« – »»Ich halte nichts vom Tabak!«« – erwiderte ich unmuthig, – »»Der Tabak ist ein langsames Gift, er umwirbelt Euren Geist; er täuscht Euch, aber er tödtet Euch nicht.«« – »...Und er macht die Menschen im Innern so schmutzig!« – ergänzte der rothfärbige Schlaukopf, der diesmal scharf aufgepaßt hatte, – »auch würden die Weiber den scharfen Saft spüren, Verdacht schöpfen und zu kreischen anfangen!..... Unsere Weiber wissen nichts.... ihre Seele ist zu klein;..... nein, Doctor, – aber ich habe gehört die Schachtel des weißen Medizinmanns hat Gift von denen, was in einen hohlen Zahn hineingeht, genügt, Tausende zu morden, und man riecht nichts und schmeckt nichts, und es färbt sich nichts, und bleibt Alles inwendig wie auswendig; Doctor, zeige Dein Herz so rein, wie Dein Aug' ist, und hilf Deinem Freund, den großen Geist betrügen!« – »»Berühmter Häuptling,«« – entgegnete ich, »»was Du hier von unseren Giften behauptet hast, ist nicht so wörtlich zu nehmen, vielleicht hat es einer von den Unsern einmal ausgerechnet; aber so viel Gift bereiten wir nicht im Voraus; weil wir nicht Tausende hinmorden; der tausendste Theil dessen, was unter einen Fingernagel hinunter geht, hat schon heilkräftige Wirkung; woher denn Centner Gifte auf einmal herholen, um die drei Stämme zu vernichten!?« – Der Häuptling schaute mich mit dem pfeilspitzen Blick seines zugekniffenen Auges an; alles, was ich vorgebracht hatte, war nicht ganz wahr; vielleicht gibt es in unserem Gesicht eine feine Reaction der Unwahrheit, welche diese fremden Völker erkennen, und welche eintritt, wenn sie mit dem Griffel ihres stahlgrauen Auges die Probe machen; ich fühlte der Häuptling wisse, daß ich Ausflüchte suchte. Als er [227] aber meine Verlegenheit merkte, und, daß ich mich durchschaut fühlte, schonte er mich, und schaute weg. – »Wir Sioux und Cheyennes,« – fügt er dann nach längerem Besinnen hinzu, – »sind doch noch zu sehr Menschen; wären wir Thiere!.... Dem Thier verhüllt man das Auge, und treibt ihm einen Stachel durch das Hirn; aber die Sioux sind doch noch Menschen. Welches Unglück, zwischen den Pferdsleuten, und Thieren in der Mitte stehen zu bleiben!.... (dann nach einer längeren Pause) Wir könnten auf allen Vieren im Wald herumlaufen, uns Hörner aufsetzen, wie die Hirsche bellen, und uns zusammenschießen lassen!.... aber schließlich würden die Pferdsleute dahinter kommen, sich enttäuscht von unseren blutenden Körpern zurückziehen, und wir müßten hilflos im Wald verrecken.« – »»Häuptling,«« – entgegnete ich – »»Deine Phantasie ist schrecklich; was Du vor hast, ist das Unerhörteste in der Geschichte der Völker; und wie Du es vor hast, ist es eine Grausamkeit, die an Wahnsinn grenzt! – Wenn Ihr partout sterben wollt, warum ergreift Ihr nicht die Waffen, und stürzt Euch geschmückt und bemalt mit wildem Kriegsgeschrei auf Eure Feinde, vernichtend und niedermetzelnd, was sich Euch in den Weg stellt, und zuletzt der Uebermacht erliegend? Wäre das nicht der schönste Todt für den Krieger?«« – »Doctor,« – entgegnete mit großer Schläfrigkeit der Indianer – »warum grundlos so viel Blut vergießen?! – Wir haben unsere Skalpe;.... Jeder Sioux muß so viel Skalpe genommen haben, als er Finger hat; seit vierzig Jahren haben wir gesammelt; die Stärkeren haben für die Schwachen gearbeitet; die Skalpe unserer Feinde liegen vertrocknet tief im Wald aufgehäuft, und die Blaßgesichter haben auf der Reise in die Ewigkeit ihre nackten Schädel dem großen Geiste vorgezeigt; er hat sie gezählt; und den Sioux steht offen der Weg zu den großen Jagdgründen! – Warum jetzt noch schmutziges Blut vergießen? – Nein! Doctor, Du kennst nicht das Gefühl der Sioux und Dakota; wir sind wie ein verwundetes Thier, das weiß, daß es sterben muß, und sich tief im Gebüsch verkriechen möchte, um das dumme, unreinliche Geschäft allein und unentdeckt zu vollbringen; aber ein tiefer, alter Gedanke, will uns immer wieder hindern und uns daran erinnern, daß wir mehr wie Thiere sind;.... (nach längerem Besinnen) Unser Fleisch soll sehr gut schmecken!...« – »»Was meinst Du, Häuptling?«« – entgegnete ich, – »»Habt Ihr gutes Wild und [228] reiche Jagdreviere?«« – »Nein, – unser Fleisch soll gut schmecken!« – »»Wessen Fleisch? – Euer Fleisch! – Ihr seid keine Menschenfresser?!«« – »O nein derSioux müßte ausspeien! – Aber wir könnten unsere jungen Mädchen und Jünglinge sehr sorgfältig braten und mit Kräutern und Lorber geschmückt den Pferdsleuten überschicken, – unser Fleisch gilt höher als das des Ebers, – und die andern würden sich inzwischen im tiefsten Wald aufhängen; und die Blaßgesichter würden erkennen, unsere Religion erlaubt uns, großmüthiger zu sein, als ihr an einem Balken aufgehängter, todter Gott!....« – In diesem Augenblick wurde der rothe, kriegsgeschmückte Mann vor mir auf dem Holzstuhl von heftigem Zittern und Schluchzen befallen; er reckte und dehnte die mageren Arme vor sich zwischen den Knieen und verbarg das verrunzelte, wie in einem Krampfanfall zusammengekniffene Gesicht gegen die Brust hin; war es ein Raptus des Schmerzes, oder die indianische Weise zu weinen; keine Thräne stahl sich über sein Gesicht; aber gleich darauf sprang er plötzlich mit einem einzigen Satz, und mit einem Schrei in die Höhe, als sei er von einem schrecklichen Gedanken erlöst worden, wobei ich zu meinem höchsten Erstaunen bemerkte, daß er den funkelnden Tomahawk in der hoch emporgehaltenen Rechten hielt. »Doctor«, – sagte der Häuptling, – »der große Geist hat sein Auge auf Dich gerichtet, und Deinen Weg behütet.« – Dann wurde der Alte wieder sehr ruhig und still, setzte sich wieder auf einen Moment hin, sah mich mit einer freien, fast freudigen Miene an, musterte jetzt erst mit einiger Neugierde mein Zimmer, brach dann seinen Besuch ab, und empfahl sich zuletzt mit derselben Freundlichkeit und Ehrerbietung, mit der er mich immer in seinem Lager ausgezeichnet hatte, und mit den englisch gesprochenen Worten: Well, Doctor, we shall see about all that, when we have coming home. (Nun, Doctor, wir werden über dem allen ins Reine kommen, wenn wir erst wieder zu Hause sind).

[229]

Ein scandalöser Fall

»Und Er schuf sie, ein Männlein und Fräulein, und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret Euch.

Genesis 1, 27–28.


Das säkularisirte Kloster Douay in der Normandie wurde 1830 insofern seinem ursprünglichen Zweck zurückgegeben, als ein Erziehungs-Institut für Mädchen in den weiten prachtvollen Räumen, und unter der geistlichen Oberleitung eines Abbé mit der nöthigen Anzahl von Lehrkräften in der Gestalt von Dominikanerinnen – die auch früher das Kloster inne gehabt – von der Regierung gestattet worden war. Die dort erzogenen, jungen Damen gehörten den ersten Familien des Landes an. Man wollte dem damals noch gekränkten französischen Adel gern einige Concessionen machen, und ihm, der damals die Hauptstädte, und besonders Paris, mied, gern auf dem Lande das einräumen, was er dort nicht erreichen konnte: Ansehen, freies, glanzvolles Auftreten, und besonders einen gewissen Einfluß auf die örtlichen Institutionen des Landes und der Bevölkerung. Daß dieser Einfluß sich mit einer Stärkung des katholischen Gedankens deckte, lag in der Natur der Sache. Und es war ganz im Einvernehmen mit den Protectricen des klösterlichen Erziehungs-Instituts, wenn die jungen Damen beim Eintritt in ihre Lernzeit eine Art von Gelübden ablegten. Das war vor Allem vornehm. Und es gab einen Vorgeschmack für das eigentliche klösterliche Leben, sollte die Eine oder Andere, bei dem damaligen niedrigen Cours aristokratischer Brautschaften, es vorziehen, definitiv den Schleier zu nehmen. Also Gelübde wurden abgelegt. Von den bekannten Drei war das der Armuth natürlich nicht von jungen Aristocratinnen zu verlangen, deren Eltern sonntäglich zwei- und vierspännig von ihren Gütern herüberkamen, und den Kindern ein reiches Extra-Taschengeld für Obst- und Zuckersachen daließen. Dagegen wurde das Gelübde des Gehorsams streng gefordert und geleistet, und ebenso – die Mädchen waren alle zwischen 14 und 18 – das der Keuschheit. Wir kommen auf den letzteren Punkt später zurück. Er ist nicht ganz irrelevant in der gleich zu beginnenden Geschichte. – [230] Nur ein ganz kurzes Personenverzeichniß noch vorher, eines Stückes, welches der Leser am Schluß muthmaßlich als Tragikomödie bezeichen dürfte; Da waren also einmal Monsieur l'Abbé (de Rochechouard), meist kurzweg Monsieur l'Abbé bezeichnet, oder sogar Monsieur, da er neben dem Gärtner und einem Kirchengehülfen für die grobe Arbeit der einzige Mann im Kloster-Institut war. Ein feiner, hochgebildeter Geistlicher aus altem Adel, in den 50ern; aber etwas bequem; es war doch mehr eine Sinecure als eine Arbeits-Stellung; Monsieur hatte die geistlichen Obliegenheiten der Institutskirche, unterstützt noch von einem Amtsgehülfen, und eine Art Aufsichtsrecht über die kleine Kirche des fast mit den Klosterbaulichkeiten zusammenhängenden DörfchensBeauregard; Monsieur hatte also eigentlich nur eine Respects-Stellung; er war vermögend und konnte seiner Vorliebe für Bücher ungehindert nachgehen; doch war Wissensdurst nicht eigentlich das, was ihn trieb. Er war ein Schlecker; er öffnete heute dies, morgen jenes Bändchen, um ein paar Gedanken zu fischen, und mit diesen dann den Tag über zu scherzen; sein Feld war ausschließlich Theologie; natürlich fehlten auf seinen Regalen nicht die Classiker, und nicht die paar erotischen Schriften, die zu ihnen gehören; sinnlich war Monsieur l'Abbé nicht; dazu war der Körper zu beleibt und das Gesicht zu gutmüthig; auch productiv war er nicht; er behandelte keine These des Thomas d'Aquino; und gab keine Vorschläge zur zeitgemäßen Abänderung der geistlichen Exercitien in Klosterschulen heraus; er war eine ruhige, sublime Natur, zufrieden mit Allem, was der Tag brachte; so ein Geistlicher aus den Romanen des Cherbuliez; ein braver Spaziergänger in dem Weinberg des Herrn, der nicht auf die Trauben schimpft, aber auch nichts zur Verbesserung der Reben beiträgt; sondern wachsen läßt, was wächst; die Stirne war nieder, das kurze Haar kräftig und voll; die Augen klein und friedlich; volle, zufriedene Wangen; einen äußerst feinen Mund; die Statur untersetzt; die Rede kurz, klein, knapp, frei von jedem Pathos; absolut keine Predigernatur; ein still in sich und für sich arbeitendes Wesen; das Habit immer tadellos. –


Da war dann Madame la Superieure, meist nur Madame genannt, das weibliche Oberhaupt des Instituts; sie war eine de Vremy, aus alter normännischer Adels-Familie; sie trug das Dominikanerinnen-Habit; eine unsäglich stolze Dame; gut in [231] den 40; voll Klugheit und Würde; sogar die adeligen Comtessen-Mütter der Mädchen, wenn sie auf Besuch oder zur Ordnung von Angelegenheiten kamen, machten ihr Reverenz, die sie ausdrücklich forderte; denn außer ihrem alten Adel war sie doch fast in der Stellung einer Aebtissin; auf dem chamois-gilblichen Ordenskleid trug sie stets ein großes goldenes Kreuz, das sie vom Papst geschenkt erhalten hatte; ordnungsgemäß stand sie unter dem Abbé; faktisch aber war ihre Stellung hoch über ihm; sie leitete die sämmtlichen complicirten Institutsangelegenheiten, und nahm damit ihrem geistlichen Oberherrn, der sehr bequem war, einen großen Theil Arbeit vom Hals; das Verhältniß zum Abbé war daher ein vorzügliches; ja ein intimes; stundenlang verweilte Madame auf seinem Zimmer; sie plauderten vertraulich, einsam und flüsternd; doch war kein Hauch von Sinnlichkeit, oder nur sinnlicher Neigung in diesem Vis-à-vis. Die negativen Gründe dafür lagen auf beiden Seiten. Monsieur war eine quietive, meditirende Natur; Madame scharfsichtig, in ihrem Gemüth erkaltet, und in ihren Jahren gänzlich vom Verstande beherrscht. Was Madame leidenschaftlich liebte, war Lectüre weltlicher Gattung; und außer der Bibliothek des Abbé, die sie allein zu durchstöbern das Recht hatte, bekam sie monatlich ein großes Packet aus Paris. Wenn die Mägde ihre Zimmer am Abend herrichteten, fanden sie selbe mit einem feinen, bläulichen Rauch erfüllt. Auffallend war es, daß Madame, obwohl sie gar keine Stunden gab, und sich nur an der Morgenandacht und den Gottesdiensten in der Kirche betheiligte, viele der jüngsten Pensionärinnen stundenlang auf ihrem Zimmer zurückhielt. Im Uebrigen war die Superiorin selten zu sehen, war sehr schweigsam, mischte sich nie persönlich in Affairen, ließ sich von den 8 Ordensschwestern mündlich Bericht erstatten, schickte ihre Befehle durch Untergeordnete hinunter und durch alle Räumlichkeiten und Sparten der weitläuftigen Klosteranlage; sogar im Dorfe war jeder ihrer Winke eine sichere Ordre; und ihr unsichtbarer Geist beherrschte alle Verhältnisse rings um Douay und weit über Beau-Regard hinaus. –


Mit der folgenden Persönlichkeit kommen wir in die Nähe des eigentlichen Kloster-Conflicts, der weiter unten Gegenstand der Erzählung. Mademoiselle Henriette de Bujac war die Nichte von Madame de Vremy, der Superiorin, ein etwa 17jähriges, hübsches[232] und temperamentvolles Mädchen, meist nur Henriette genannt, mit dunklem, kurzgelocktem sogenanntem Tituskopf, schwarzen, feurigen Augen, schlankem, etwas mageren Wuchs, erregter Fantasie, und eigentlich den Kloster-Vorschriften entwachsen, welche ihre Aufnahme nur mit Rücksicht auf häusliche Verhältnisse, – wo eine mit schweren Krampf-Anfällen behaftete Tante ihre Anwesenheit verbot, – und auf die nahe Verwandtschaft mit Madame de Vremy geschehen ließen. Der »weiße Teufel« wurde sie nur genannt wegen der großen Zahl reicher weißer oder crême-farbiger Toiletten, die sie, als eines der reichsten Mädchen, von Hause mitbekommen; und wegen der Gewandtheit ihrer Bewegungen, Reden und mimischen Fertigkeiten. Natürlich war sie der »ungezogene Liebling« von Madame, und der »unausstehliche Kobold« im Zimmer von Monsieur l'Abbé. Damit waren aber ihre Alliancen in dem ewigen Kampf von Eifersüchteleien und Partei-Ergreifungen in einem weiblichen Kloster-Leben erschöpft. Denn gehaßt wurde sie von allen acht Kloster-Schwestern, die ihr an weiblicher Findigkeit nichts mehr lehren konnten, und von denen Henriette an gewöhnlichen Klosterund Lehrdisciplinen nichts lernen wollte. Dieser Haß concentrirte sich wesentlich auf la Soeur première meist nur La Première – die vierte Person unseres Schauspiels – genannt – eine gescheidte und kluge Dame, ebenfalls dem Adel angehörig, die erste Lehrkraft der Anstalt, die erste Dame des Klosters nach Madame la Supérieure, und deren präsumtive Nachfolgerin. – Gehaßt war Henriette aber auch von fast allen ihren Colleginnen, die meist viel jünger waren wie sie, einmal wegen ihren weißen Toiletten, wegen ihres reiferen Alters, und dann wegen ihrer zahllosen Freiheiten und Unbekümmertheiten. – In welchem Verhältniß Henriette zu Mademoiselle Alexina Besnard stand, dem eigentlichen Helden unserer Geschichte, sollen die folgenden Zeilen vermelden, sobald wir nur kurz das Porträt von Mademoiselle Alexina entworfen haben. Diese junge Dame, fast gleichalterig mit Henriette, und somit eine der prominentesten Schülerinnen der Anstalt, war das fleißigste und tüchtigste Mädchen der ganzen Schule, die Zierde, und für viele Familien der Aushängeschild für all' die Fortschritte, die man in Douay machen könne. Alexina selbst war das Kind ganz armer Eltern, von Jugend auf höchst keck und frühreif schon in der Schule Preisträgerin, und ein hervorragendes Talent für Mathematik [233] und Sprachen. Sie eignete sich Alles mit spielender Leichtigkeit an, und gab es ebenso leicht an jüngere Mädchen in instruirender Form ab. In dieser Hinsicht galt sie als Phänomen. Dem Pfarrer ihres Dorfes konnte ein solches Uebermaß von geistigen Fähigkeiten nicht verborgen bleiben. Mit einem warmen Empfehlungsschreiben von ihm pochten die armen Eltern in Begleitung ihres 14jährigen Kindes eines Tags an die Pforten von Douay. Dort erkannte man nach kurzer Prüfung, was man vor sich hatte. Alexina Besnard wurde kostenlos aufgenommen; und schon nach einem Jahr war alles darüber einig, das seltene Talent für das Kloster als Erzieherin heranzubilden. – Was Alexina nicht verstand und sogar mit Abscheu von sich wies, waren weibliche Handarbeiten; aber das kam natürlich nicht in Betracht; da man auf eine Rechnerin tausend Häklerinnen findet. Das Aeußere von Alexina? Seltsam und sonderbar! Groß und schlank gewachsen, mit einem hastigen, weitausholenden Gang, so daß ihre Kleider stets in unzierlicher Bewegung waren; das Gesicht mager und fast häßlich, wenn nicht der imponirende, hastige, durchdringende und alles aufsaugende Blick sofort gefesselt, eine, für sich genommen schöne, Adlernase sofort den ungewöhnlichen Gedanken-Kreis dieses Mädchens verrathen hätte. Ihre ungünstig gemachten Kloster-Toiletten ließen über ihre Körperformen nichts erfahren. Aber eine aphroditische Figur wird sie kaum gewesen sein; zumal sie nichts zur Verbesserung ihrer äußeren Erscheinung that, Spitzen, Krausen, Häubchen vermied, und, wie sie sich ausdrückte, in thunlichster Bälde sich nach dem Kloster-Habit sehnte. Die Stimme von Alexina war scharf, ein hoher Discant, wie zum Commandiren von jüngeren Zöglingen geschaffen; im Chor fiel sie auf, da sie oft plötzlich mutirte, und in den Alt kam; überhaupt war sie ein rechter Rattenkönig von sonderbaren und ungewöhnlichen Anlagen und Fähigkeiten; und hatte eine glasharte, facettirte Manier, Alles um sich herum nach ihrem Willen umzuwenden, an sich zurechtzureiben, und ihren Neigungen anzupassen. An dieses arme, sonderbare, spröde und wenig duldsame Mädchen, welches nur ihre glänzenden Geistesfähigkeiten in die Wagschale eines Vergleichs mit jedem andern Instituts-Kind zu legen hatte, schloß sich Henriette, diese verwöhnte, reiche, luxuriöse, feingeartete junge Aristokratin schon in den ersten Tagen ihres Eintritts ins Kloster an, und beide waren, jetzt, am Tag unserer [234] Erzählung, nach einjährigem Sich-Gegenseitig-Kennen die unzertrennlichsten Kameraden, wobei die Initiative dieses seltenen, innigen Verkehrs entschieden auf Seite von Mademoiselle de Bujac zu suchen war. Es ist richtig, Henriette de Bujac war ein gutes, mitleidfähiges Mädchen; und vielleicht war die Armuth und die eigenthümliche Stellung Alexina's im Kloster der erste Beweggrund für erstere, sich der letzteren zu nähern. Aber gerade vom Reichthum, vom Taschengeld, von der feinen Toiletteausrüstung Henriettes wollte und konnte Alexina nichts profitiren. Hier war also kein kräftig genug gewobenes Band, um zwei blutjunge Mädchen so innig zu fesseln; Alexina's Kenntnisse und geistige Fähigkeiten noch weniger, da das Alles der leichtsinnigen, munteren, lebenslustigen und – faulen Henriette gar nicht imponirte. Auch waren deren Fortschritte am Schluß so schlecht wie am Anfang. Aber Sympathie, dieses schon im gewöhnlichen Leben so geheimnißvolle Band, dessen Runenschrift nicht zu lesen, und welches die Menschen verbindet, wie leicht und durchsichtig gewoben ist es erst um die Herzen launenhafter Mädchen, und wie leicht zerreißlich!


Hiermit, – noch eine Anzahl Mägde, Zöglinge, weißgekleideter Schwestern mit Scapulier hinzugedacht, – sind wir mit unserem Personen-Verzeichniß fertig; und nun mag der 20. Juni 1831 beginnen, welchen Tag sich die Klostermauern von Douay gemerkt haben, an dessen Abend die 100 oder 120 Insassen, die das Institut zählte, ausnahmslos sich klopfenden Herzens und brütender Stirne zu Bett begaben; dann noch eine Nacht, und am folgenden frühen Morgen war dann eine der glänzendsten Natur-Aeußerungen, aber auch eine der scheußlichsten Katastrophen zum Abschluß gebracht. –


Monsieur l'Abbé saß in seinem Zimmer; der Frühstückskaffee war getrunken und zur Seite gestellt; Monsieur l'Abbé rauchte nicht; aber er las; als Frühstückscigarre las er Liguori, Theologiae moralis libri sex; Monsieur war auf keinem Gebiet so zu Haus, wie auf dem der Moraltheologie; Busenbaum, Ribadeneira, Sanchez, die alle darüber geschrieben, lagen in hübschen, gepreßten Pergament-Ausgaben daneben; ob Monsieur im Leben sehr moralisch war? Das läßt sich nicht beantworten; gehört aber auch nicht daher; Monsieur las gern moralische Werke, wie ein Anderer gern auf die Jagd geht; ohne daß diesen Jemand fragen würde, ob er mit Vorliebe Thiere umbringe; [235] Monsieur wog gern die moralischen Begriffe hin und her, spielte mit den Cardinal-Tugenden, zog einzelne Laster wie schwarze Versuchs-Phiolen aus seinen Tractaten heraus, und versenkte sie sorgfältig in seiner Einbildung in die Herzen ihm bekannter Menschen, und ließ sie nun agiren, um zu sehen, was daraus wird. – Wir können nicht erkennen, welches Capitel Monsieur aus Liguori las, wie sehr wir auch über seine Schulter gebeugt uns den Text zu entziffern bemühen, denn die Drucke im siebzehnten Jahrhundert, und besonders die Lyoner Ausgaben waren so schlecht, gerippt und zerbröselt. Aber die Stelle muß dem Abbé gepaßt haben, denn er blinzelte mit den Augen, und lief mit dem Zeigefinger der rechten Hand rund um die Nase, die von dem Buchtext gar nicht weit entfernt war. Wir haben schon oben erklärt, daß Monsieur nicht sinnlicher Natur war; Niemand darf deshalb hier einen falschen Schluß ziehen; Monsieur war sublim; und Alles was unter dieses Betrachtungsglas fiel, da verweilte er; gut, er mag gerade de Verecundia gelesen haben; aber dann war es nicht die Schamhaftigkeit selbst, die ihn interessirte, sondern die feinen Unterschiede mit der Castitas, der Keuschheit; und nicht etwa die Schamhaftigkeit, wie sie sich bei Dienstmädchen manifestirte, war dann der Gegenstand seines Interesses, sondern der viel feineren Darlegung, wie sich selbe etwa an den Engeln im Himmel zeige, spürte er nach. –


Da wir das genaue Capitel, welches Monsieur studirte, nicht erkennen können, so wollen wir uns anderweitig im Zimmer des Abbé etwas umsehen. Hell und freundlich war es; die Morgensonne kam zu dem Fenster herein, an dem der große, platte Arbeitstisch des vornehmen Geistlichen stand; grüne schwere Portières milderten diese Morgensonne: am Fußboden ein leuchtendes Tigerfell, in dessen Falten die kleinen Schnallenschuhe von Abbé spielten; rückwärts, gegen das zweite Fenster zu, ein großer seideüberzogener Paravant, der vom Zimmer ca. ein Drittel abschneidet, und hinter den wir, hinter dem Abbé stehend, nicht sehen können; nach Vorwärts, von einem weiteren Morgenfenster mit gänzlich aufgezogener Portière beleuchtet, vier bis fünf Bücherschreine, knapp an die Wand gerückt, vollgepfropft mit Volumina, deren Titel wir von der Entfernung nicht lesen können, die aber nach den zahlreichen gilblichen Pergament- und Schweins-Rücken zu schließen, eine Menge Theologie bergen. Noch ein kleiner Betpult zu unserer Linken; [236] zwei Thüren auf dieser Seite; eine, die direct zu den Appartements von Madame la Supérieure im nächsten Stock führte, und eine, die auf den Kloster-Corridor mündete, also der Eingang war; noch ein kleines Blumen-Arrangement; ein Kamin, zwischen den zwei Morgenfenstern, mit einigen Statuetten; und – das Auffallendste zuletzt – ein toller, aparter Geruch, wie ihn besondere Menschen in ihren Räumen haben, und der Jedem sofort auffiel, der Monsieur's Zimmer betrat, ein Geruch gemischt aus – vergleichsweise – Zibeben mit Druckerschwärze, Tigerfell-Pulver und dem persönlichen Schweiß des Prälaten, und der fest und unaustreibbar in diesem Zimmer lag. – Und damit haben wir das Arbeitsgemach von Monsieur de Rochechouard im ersten Stock des Klostergebäudes dem Leser vorgeführt. –


Während der Abbé sich hier in moralische Probleme des Liguori vertiefte, zogen oben im 3. Stock die 14-, 15- und 16-jährigen Mädchen ihre Höschen an, schlüpften in die Pantöffelchen, und begaben sich jedes an den abgezirkelt neben jedem Bett stehenden Waschtisch, und begannen das frische Wasser über die dünnen Nacken zu spritzen, und Wangen und Stirn ein wenig zu reiben, und die überhängenden Haare hinauszustreichen, und sich zu beugen, und wieder kerzengerad aufzurichten; denn es war Morgens 7 Uhr und Aufstehenszeit; und Monsieur war nur so früh daran, weil er ja seine Messe lesen mußte; In dem ganzen Schlafsaal sah man jetzt nur weiße Lichter und Flächen; chamoisgelbe Arme und Nacken; blendendweiße Röckchen und Hemdstücke; und manchmal glitzernde Punkte von aufgesperrten Mündern; und ein Schliefen, Rutschen, Anziehe- und Auskleide-Geräusch, ein Knipsen der Strumpfbänder, ein Schlappen, Wischen und Wenden ging durch den Saal. Sonst war Alles ruhig; denn der Geist dieser jungen Geschöpfe lag noch eingebunden in den Windeln ihrer Träume, und hinderte sie am Plappern und Schwätzen.


Was geschah aber mit Madame la Supérieure um diese Zeit? Sie war wohl schon aufgestanden und trank Chocolade, und lag in einem mit Kreuzen, Herzen und Passionsnägeln gestickten Schlafrock, damit beschäftigt jenen blauen Rauch in ihren Zimmern zu entwickeln, den die Mägde immer bei ihr vorfanden, und den sie für den Weihrauch von Madame's Privatandacht hielten; und vielleicht griff sie in das halb aufgemachte Pariser [237] Packet und holte sich einen Klein-Oktavband und fing an zu lesen, zu lesen, oft bis die Sonne schon hoch am Himmel stand. Denn Madame betheiligte sich nicht an der Morgenandacht, die alle Kloster-Inwohner vor dem Frühstück zusammenrief. Vormittag übte sie keine Präsidialgeschäfte aus. Und auch heute wäre sie in ihrem Passionsrock liegen geblieben und hätte wohl den Oktavband zu Ende gelesen, wenn nicht eine scharfe Flüsterstimme an ihrem Schlafzimmer schon bald erschienen, und ihr die seltsamste Mittheilung gemacht.


Inzwischen aber trampelten und rutschten und trappten die 70 oder 80 Klosterfräulein mit noch verschlafenen Wimpern die Treppen hinunter in die großen Betsäle im Parterre, um die kurze Morgenandacht zu absolviren, der gleich darauf das fiebernd erwartete Frühstück mit viel Weißbrod, viel Butter und viel Kaffe folgte.


Schon während dieses Treppen-Hinabjagens, und während der Andacht, und noch mehr während des Frühstücks, wo die zarten Mäulchen die ersten Exercitien für die Schwatzthätigkeit des ganzen Tags machten, gewahrte man heute ein Zischeln, ein Zuflüstern, ein Gesticuliren, welches zu dieser verschlafenen Morgenstunde ganz ungewöhnlich war. Und als endlich nach dem Frühstück Groß und Klein an die Arbeit sich begeben sollte, und die einzelnen Classenzimmer mit Arithmetik, Memoriren, Classiker, Aufsatz, Schönschreiben sich füllen sollten, zeigte sich's, daß eine ungewöhnliche Erregung den ganzen jungen Bienenschwarm ergriffen hatte, daß ein Ferment von intensiver Wirkung Allen in die Herzen und in die Köpfe gefahren war; daß alle Augen funkelten, alle Wangen glühten; und da La Soeur Première, weit entfernt mit einer einzigen Handbewegung, wie sie's konnte, die kecken Palast-Revolutionäre in ihre Arbeitsstuben zu jagen, lächelnd alles geschehen ließ, so war's kein Wunder, wenn geschah, was nun folgte.


Monsieur l'Abbé saß noch immer auf seiner Tigerdecke und las noch immer Liguori, Theologiae moralis libri sex. Er hatte ja schon längst gefrühstückt. Und bei der Morgenandacht pflegte er auch nicht zu erscheinen. Nun fing es plötzlich außen an seiner Thüre, die zum Corridor führte, zu summen und zu brodeln an; es war ein Klirren, als wenn ein Hagelwetter von kleinen Zähnen sich da draußen zu üben begänne; und ein Wetzen von Röcken und Schürzen, und ein Schlürfen von jungen, kleinen Schuhsohlen,[238] und ein Stumpen, Drücken, Gilfen, Kichern und Pst!-Rufen. Monsieur kannte das Geräusch: Wenn 30–40 Mädchen an einem heißen Sommertag Mittags um 2 Uhr sich vor seiner Thüre hinpflanzten und lärmten, bis er aufmachte, und dann die ganze Cohorte mit gefalteten Händen vor ihm in's Knie sank mit dem Ruf: »Wir bitten um Hitzvakanz!!« – Aber es war ja gar nicht heiß. Und auch nicht zwei Uhr, sondern neun Uhr. Kein Mensch konnte auch wissen, ob es heiß werde.


Monsieur las noch immer und hatte den rechten Zeigefinger rings um den Nasenhöcker gelegt. Er pflegte gern sein moralisches Frühstück mit Liguori oder Thomas d'Aquino bis 10 oder 11 Uhr auszudehnen. Jetzt aber stand er auf, als vor dem Gestumpe die Thüre einzubrechen drohte. Er ging hin, macht auf: und der ganze Haufe junger Mädchen, mit ihren grauen Arbeitsschürzchen umgebunden, an den Schultern weiße Tüllpuffen, die wilden Haare unter delicatem Chamois-Häubchen versteckt, stürmte herein, schrie durcheinander, voll Entrüstung, beugte sich vorwärts, spreitete die Hände auseinander, um sie dann zusammen zu patschen, und was Monsieur aus dem Tumult verstehen konnte, waren nur die Namen Henriette und La Maitresse. La Maitresse nannten die Mädchen mit einem von ihnen eingeführten Namen Alexina, die in der letzten Zeit einige Lehrstunden bei den jüngeren Classen erhalten hatte. La Maitresse blieb dann für Alexina, wurde allgemein acceptirt, und schien für dieselbe in glücklicher Weise ihre zukünftige Stellung im Kloster anzudeuten. Jetzt aber sollte dieser Ausdruck plötzlich eine unerhörte Wendung bekommen. Also immer nur Henriette und La Maitresse war es, was Monsieur verstehen konnte. Endlich gebot der Abbé Stillschweigen, und frug eines der ältesten Mädchen, was vorgefallen. Nun kam es denn heraus: Man habe Henriette, die Nichte von Madame, mit Alexina, ihrer intimen Freundin, heute Morgen beim Aufstehen, im Schlafsaal der älteren Mädchen, Hände und Körper verschlungen, in einem Bett, dem Alexina's, schlafend gefunden; Henriette's Bett, das in einer ganz anderen Reihe stehe, sei leer gewesen; eines der älteren Mädchen, welches zufällig und wegen eines bestimmten Bedürfnisses etwas vor der Zeit aufgestanden, habe die Beiden liegen sehen; sei aber fortgegangen; bei ihrer Rückkehr seien sie aber [239] immer noch so gelegen; nun habe sie andere Mädchen geweckt; die seien herbeigekommen, hätten mit Staunen dasselbe gesehen; durch das Geräusch und Kichern seien andere aufgewacht; schließlich sei der halbe Schlafsaal um die beiden Schläfer versammelt gewesen; nun habe man ihnen die Bettdecke weggezogen; habe Gräßliches gesehen; Alexina und Henriette seien erwacht und kreischend auseinander gefahren. – Alle Mädchen hatten sich zuletzt an dem Referat mit glühenden Gesichtern beteiligt. Jetzt entstand eine Pause; und als Monsieur, der noch immer sein Liguoribändchen mit eingeschnapptem Finger in der linken Hand, und den rechten Daumen in einem Knopfzwischenraum seiner Soutane eingehakt hatte, sich nur mit einem ruhigen »Eh b'ien?« vernehmen ließ, als wollte er sagen: Nun, und was ist jetzt? – stürzten die jungen Fratzen mit aufgehobenen Händen auf ihn zu, und riefen fast wie aus einem Munde: »Mais c'est honteux! c'est terrible ça! c'est sale! Enfin c'est tout ce que vous voudrez!« – Die jungen Zöglinge durften wohl in dieser Weise sich vernehmen lassen, ohne die ungeheure Distance, die sie von ihrem Vorstand und Priester trennte, zu verringern. Monsieur hatte so zu sagen einen breiten Buckel, auf den die jungen Fäustchen auch gelegentlich herumtrommeln durften. Und wenn er auf der einen Seite faktisch für die 80 oder 100 strengreligiösen Mädchen so gut als wie le bon Dieu war, so war er dafür doch auch wieder le bon père, der auch das in dieser hohen Stellung liegende Wohlwollen zum Ausdruck brachte; und gar in weiblichen Dingen durften die Mädchen ihre Ansichten mit den ihnen eigenthümlichen extremsten Wortformen, und unter Aufwand einer großen Dosis Pathos, zum Vortrag bringen. Auffallend war dem Abbé, daß auch die größeren Mädchen sich eingefunden hatten, und mit verlegenen Gesichtern dortstanden. – Jetzt ging die Thüre auf, und la Soeur Première kam mit einem verstörten Gesicht, welches vielleicht etwas übertrieben war, herein, fiel dicht vor dem Abbé auf die Kniee (das war eine übliche, pathetische Klosterform), bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen und theilweise seiner Soutane, und rief schluchzend »oh Monsieur, c'est honteux!« – Was es denn gebe, – beruhigte der Abbé, und hob die erste Schwester, der er sehr gewogen war, auf. Henriette und Alexina, – hieß es nun, – seien verschwunden, seien weder zur Andacht noch zum Frühstück gekommen. Dies, und allerlei Flüsterungen, die man [240] jetzt im Kloster hören könne, ließen auf ein ungewöhnliches, schweres Verschulden schließen. – Nun drängten sich weitere Mädchen durch die halbgeöffnete Thüre, und brachten andere Neuigkeiten, die sie von den Mägden erhalten haben wollten. Draußen, durch den geöffneten Thürspalt, sah man die schadenfrohen Gesichter der Dienstmägde, horchend, ob ihre Referate richtig überbracht werden: Alexina sei gefunden, sie kaure im Hemd droben auf dem Boden, und weigere sich herunterzugehen, wenn ihr nicht Kleider gebracht wür den. Auch Henriette sei jetzt gefunden; sie war, ebenfalls unbekleidet, zuerst in die Vorrathskammer geflohen, und, als die Beschließerin sie dort entdeckt, hinauf zur Supérieure gesprungen. Madame habe dann die Kleider ihrer Nichte hinaufbefohlen. Ferner wurde constatirt, daß das Bett von Henriette die Nacht über überhaupt nicht benutzt worden war, da es jetzt noch gänzlich unberührt stehe. Andere Mädchen fuhren jetzt sofort dazwischen, Henriette sei oft gesehen worden in aller Herrgottsfrühe ihr Bett absichtlich verrammeln, und dann sich ankleiden; es müsse demnach vorher unberührt gewesen sein; denn Niemand verkrümple sein Bett im Moment des Aufstehens aus demselben. – In diesem Moment ging die zweite Thüre, die in Monsieur's Zimmer führte, auf, und Madame la Supérieure trat herein. Alles wich halb ehrfurchtsvoll, halb wie ertappt, zurück. Nur la Soeur première blieb standhaft stehen, und maß la Supérieure mit einem festen Blick. Aus diesem Blick und ihrem Widerprall aus Madame's Auge konnte ein Kundiger jetzt schon die ganze Situation erkennen; und Monsieur l'Abbé, wenn er scharfsichtiger gewesen wäre, konnte bereits sehen, daß die ganze dumme Schäfer-Liebelei zwischen Henriette und Alexina, um die es sich augenscheinlich handelte, nur ein Gelegenheitsfeld war, auf dem die beiden Damen sich maßen, und daß Henriette, die Nichte von Madame, wenn der Feldzug richtig geführt, offenbar die Flanke abgeben würde, von der aus, unter Aufdeckung des verdächtigen Lebenswandels von Madame, die Schwäche ihrer Stellung gezeigt, und sie selbst aus dem Feld geschlagen werden könne. – Madame schien entrüstet und überrascht, was die Zöglinge alle hier wollten; ob denn der jüngste Tag anbreche; Alle sollten unverzüglich in ihre Unterrichtsstunden. Mit einem Wink stob die ganze Menge auseinander. Scheinbar gütig ermahnte sie dann La Soeur première, die Zügel der Klosterordnung doch nicht in die Hände der [241] rauflustigen, ausgelassenen Mädchen gleiten zu lassen. Sie habe gehört, was vorgefallen. Es sei nicht der Rede werth. Natürlich müsse eine kleine Disciplinirung stattfinden. Aber im Kloster Douay deswegen alles zu oberst und zu unterst kehren, sei unerhört. Sie mache la Première für die fernere Ordnung während des Tages verantwortlich. – Mit einem kleinen »C'est bien!« verließ die Première das Zimmer, und Madame und Monsieur waren nun allein. – Der Abbé hatte bis jetzt gar nichts entschieden. Er liebte es, stummer Zuschauer zu sein, und die Thatsachen in seinem Kopfe zu registriren. Auch jetzt ergriff er nicht das Wort, sondern wartete, daß Madame sprach. – Das sei ja eine grauenhafte Geschichte, – meinte diese, und zeigte erst jetzt ihre große Besorgniß – nicht die Sache selbst, sondern die Aufregung, die sie hervorgerufen. Daß selbe solche Dimensionen annehmen konnte. Das sei ja, als wenn der Teufel der ganzen Klostertracht in die Glieder gefahren wäre. – Monsieur machte eine abwehrende Bewegung und schlug drei Kreuze in die Geste hinein. – Ach was! – meinte Madame, – es sei ein großer Fehler gewesen, die Sache soweit kommen zu lassen. Die Schwestern hätten nicht ihre Schuldigkeit gethan. Sie verlange die Bestrafung von la Première, am besten deren Versetzung in ein Schwester-Kloster. – La Première, – wehrte Monsieur ab, der sie sehr gern mochte, – sei als Lehrkraft unentbehrlich für das Kloster. Wer solle sie, nur im französischen Stil, ersetzen. Abgesehen von ihren Qualitäten als Aufsichts-Person. Nein! der Fehler sei, daß weder er, noch sie, Madame, jemals bei der Andacht noch beim Frühstück anwesend seien. Dann hätte man die Affaire, die schon seit früh 6 oder 7 spiele, rascher entdeckt. Um 9 Uhr war der Bienenschwarm schon ausgeflogen. – Madame aber blieb dabei, die Schwestern hätten das Unglück angerichtet. Kinder mit 15, 16 Jahren kämen nicht von selbst so weit. – Aber, was Monsieur weit mehr interessirte, war der moralische Theil der Geschichte. Ob es denn etwas Häufiges sei, daß Mädchen so zusammen im Bett lägen. – Gewiß, die Kleinen spielten ja wie die Katzen. – Aber Henriette sei doch fast 17, und la Maitresse gehe in's 18te, und unterrichte schon die Jüngsten. – Allerdings, aber das Freundschaftsband zwischen Beiden sei ein außerordentlich enges. – Ob diese Mädchenfreundschaften sich so sinnlich äußerten? meinte der Abbé. – Zuweilen, ja! Von dieser Ausdehnung habe sie allerdings keine Ahnung gehabt; aber wohl schon [242] gehört; in keinem Fall sei etwas Schlimmes dabei; es seien ja Beides Mädchen, jung, feurig, phantasievoll. – Abbé machte eine Handbewegung, als lange die Erklärung nicht, und wandte sich zu den Bücherständen am Fenster. – In jedem Fall – meinte Madame im Weggehen, sei die junge Brut wieder in ihren Käfigen. Sie wolle jetzt rasch Anordnungen geben, daß Alexina und Henriette bei Tisch erschienen, als sei nichts vorgefallen. Es dürfe keine Separation der zwei jungen Sünderinnen stattfinden. Noch könne Alles gut gehen. –


Darin irrte sie sich. Wenn nur La Première nicht entschlossen gewesen wäre, das Eisen, das jetzt glühend, unter keinen Umständen erkalten zu lassen. Und wenn nur Monsieur l'Abbé sein moralisches Interesse aufgegeben hätte, und auf jede weitere Zufuhr von Details Verzicht geleistet! – Dieser hatte inzwischen das Dictionnaire ecclésiastique hervorgezogen und unter dem Titel »Sappho« gesucht; und als er hier nicht fand, was er wollte, suchte er unter »Lesbos«; und als ihm dies auch nicht genügte, holte er den Artikel »Tribade«. Diesen nahm er mit auf's Tigerfell, und blieb über ihn wohl eine halbe Stunde. –


Für einen Moment war jetzt Alles ruhig. Aber wir können dem Leser keine Zeit zu einer Pause geben. Er muß die ganze Skandal-Affaire, so wie sie stattgefunden, in den paar Stunden des Nachmittags mit uns durchhetzen. Er muß durch diesen Hexen-Breughel eines Kloster-Interieurs wie im Flug mit uns durchsausen. Zum Erblicken von Details ist sowieso keine Zeit. Aber auch nicht zum Verhalten und Ausschnaufen.


Es bestand eine Kloster-Verordnung, wonach jeder einzelne Zögling sich zu jeder Zeit entweder zum Abbé oder zur Supérieure melden durfte, um ein Anliegen, eine Beschwerde vorzubringen. Dies war ein Paragraph, der zu Gunsten der Eltern und Angehörigen aufgenommen worden war, um diesen die denkbar größte Sicherheit gegen mißbräuchliche Gewalt-Anwendung bei ihren Kindern von Seite der subalternen Organe zu geben, der aber bei der humanen und fast patriarchalischen Kloster-Zucht wohl niemals in Anspruch genommen wurde. Diese Verordnung scheint durch La Soeur Première und die übrigen Schwestern den Kindern und Zöglingen neu in Erinnerung gebracht worden zu sein; denn als um 10 Uhr die Mädchen aus ihren respective Classen entlassen wurden, um während der nächsten Viertel-Stunde ein Stück kräftigen Schwarz-Brods zu [243] verspeisen, sammelte sich wieder der gleiche Schwarm vor Monsieur l'Abbé's Thür an, wie nach dem Frühstück, und wieder mahnte ein Wetzen, Stampfen, Flüstern, Klirren, Schaben und Kichern den nachdenklich in seinem Zimmer auf- und abgehenden, Sappho's Liederbuch in der Hand eingeklemmt auf dem Rücken tragenden, Abbé an neue Ereignisse moralischer Natur. Dieser Fall war ganz nach seinem Geschmack. Er wollte wissen, wie weit die an sich sündhafte Natur unschuldige Mädchen zu sinnlichen Exercitien treibe, in denen zweifellos der Teufel, wenn auch in milder Gestalt, seine Hand im Spiel habe, und was für moral-theoretische, und disciplinär-praktische Fragen und Einwürfe sich daran knüpften. Von hier dann einen kühnen Sprung hinüber zur Antike, wo, zu einer Zeit, da der Fürst der Hölle noch nicht an Ketten gebunden, frei sein sündhaftes Spiel treiben konnte, und in der Form des »Tribadismus« die Weiber der Heidenwelt in rettungslos sündhafte Bande verstrickte; von welchen jetzt noch, im 19ten Jahrhundert, ein kleiner Rest, eine Faser, sogar in den Klöstern zum Vorschein komme, und von der noch immer nicht ganz gedämpften Macht des Bösen Zeugniß ablege. Et cetera. Et cetera. Dies war der Gedankengang Monsieur's, der ihn ganz beschäftigte, und in dem die diplomatischen Mahnungen von Madame von vorhin, die Sache nicht um sich greifen zu lassen, längt untergegangen waren. – Und somit öffnete der Abbé schnell die Thüre, die auf den Corridor führte, und ließ die sämmtlichen Mädchen, die mit heißen Lippen und ungegessenem Brod dortstanden, herein, die Thüre darauf schließend. – Kinder, – sagte er, – nur um das Eine muß ich bitten: Eine nach der Andern, und: Nicht zwei dasselbe erzählen! Und nun kam ein ganzer Lavastrom der ungeheuerlichsten Dinge heraus, die die Mädchen in der letzten Stunde statt Schönschreibens, Geschichte, Memoriren, Rechnen und dergl. aus ihrem Gedächtniß mit Hülfe der Aufsicht-übenden Schwestern geboren hatten: Schon lange habe man eigenthümliche Dinge zwischen La Maitresse und Henriette vor sich gehen sehen; immer steckten sie beieinander in einem dunklen Winkel, und zischelten, und flüsterten; des gegenseitigen Küssens sei kein Ende gewesen; wenn sie in einer Klasse von einander entfernt gesessen, hätten sie »Augenschmeißen« und Handzeichen gewechselt; es sei unerhört, wie die Zwei einander nachliefen und ineinander »verbacken« seien, wie zwei Kletten, [244] nicht mehr zum Losreißen. – Eine andere Gruppe: La Maitresse sei ein absonderliches Wesen und habe Dinge an sich, wie kein anderes Mädchen. Nie sei la Maitresse mit den Andern zum Baden gegangen; sondern unter irgend einem Vorwand zu Haus geblieben; sie habe sich stets gescheut, in Gegenwart anderer Mädchen ein natürliches Bedürfniß zu verrichten; dagegen habe man sie oft mit Henriette allein auf dem lieu d'aisance kichern hören; Henriette sei überhaupt im letzten halben Jahr nie in ihrem Bett geschlafen, sondern stets hinüber zu Alexina gegangen, nur sei sie sehr früh aufgestanden; Alexina, das ist la Maitresse, trage keine Mädchenhosen, sondern absonderliche Beinkleider, die an der unrechten Stelle den Schlitz hätten; ihr Corset sitze nicht; sie sei auch so knochig; und gehen thue sie, wie gar kein Mädchen; kurz la Maitresse sei eine ganz merkwürdige Person; und deswegen könne sie auch Dinge, die andere nicht könnten, und sei gescheidter, als Alle miteinander. – Wieder eine andere Gruppe, darunter eine Schlafnachbarin von Alexina: Henriette und la Maitresse hätten sich im Bett, wie sie gehört, obwohl sie sich schlafend gestellt, oft leidenschaftlich geküßt, umschlungen, und sich ma bien aimée! genannt; als man heute morgen in Gegenwart vieler Mädchen den Beiden die Decke weggerissen, seien sie mit den Füßen durcheinander geschlungen gewesen, und mit einem großen Theil des Körpers gänzlich entblößt; auch habe Alexina grobe Glieder, und Haare an den Beinen wie der Teufel. – Diese letzte Wendung, die mit einem eckelnden »Äh!« von dem ganzen Chorus der Mädchen begleitet war, tadelte der Abbé, da es unsicher sei, ob und wie stark der Teufel an den Beinen behaart sei; dies auch kein Gegenstand der Untersuchung für junge Mädchen abgeben könne. – Ein einzelnes, schon zu den älteren gehöriges, Mädchen deponirt: sie habe Mademoiselle Alexina gesehen, wie sie Henriette unter die Röcke gelangt habe, welches diese, obwohl sie heftig erröthet sei, habe geschehen lassen; als sie aber ihrer ansichtig geworden, seien sie unter Lachen hinweggesprungen. – Ah, c'est dégoûtant! – riefen alle Mädchen, c'est dégoûtant! – Endlich sagte noch eine der älteren Schülerinnen: sie glaube überhaupt nicht, daß Alexina ein Mädchen sei; sie sei viel zu gescheidt, und wisse fast Alles; sie sei auch gar nicht sanft, wie andere Mädchen, sondern wild und hart; sie glaube Alexina sei ein böser Geist in Mädchengestalt, der eines Tags unter Gestank [245] und Gepolter plötzlich verschwinden werde. – Dieß Alles und noch viel mehr hörte Monsieur ruhig an; sagte dann den Mädchen, sie sollten gemessen in ihre Stunden gehen, Alles würde genau untersucht werden; inzwischen möchten sie la Première suchen und ihr sagen, zu ihm zu kommen. – La Première! La Première! – riefen die Mädchen freudig durcheinander, und stürmten dann wild hinaus. –


Während diese wichtigen Verhöre und Aussagen in Monsieur's Arbeitszimmer statt hatten, schien Madame in ihrem II. Stock schon wieder ihr ganzes Wohlbehagen gefunden zu haben. Wenigstens kam sie nicht herunter, um über die fernere Kloster-Ordnung sich zu informiren. Und ihre treuen, dienenden Geister, die sonst sofort mit einem Sprung, und noch diesen Morgen bei ihr oben waren, um ihr die letzte Neuigkeit mit einem zischelnden Triumphiren in's Zimmer zu rufen, schienen plötzlich alle mit einem gewissen Ratteninstinct zur Partei der Soeur Première übergetreten zu sein. Und so blieb die stolze und bis jetzt allmächtige soi disant Äbtissin oben bei ihren Romanen und Cigaretten, und hatte keine Ahnung von allem, was da unten vorging, und, wie sie eigentlich schon excludirt war. – Im Nebenzimmer bei ihr saßen, wohl etwas stumm und in sich gekehrt in Folge der zweifellos erhaltenen Vermahnungen und Androhungen, aber im Uebrigen auffallend frisch und erholt, Henriette und Alexina. Henriette, ein prachtvoll hübsches Mädchen, mit jener unbekümmerten Nonchalence, die ein so obsiegendes Moment, wie strahlende Schönheit mit sich bringt, und im Bewußtsein ihrer Unangriffsfähigkeit, als Nichte von Madame, hatte sich ihre schönste Crême-Toilette holen lassen, und saß dort, heiter und zu allem aufgelegt. Ganz anders Alexina; nicht nur war ihre Zukunft unsicherer im Falle eines Fehltritts; sondern sie hatte auch ein gewisses Bewußtsein der Sachlage; und wenn sie auch ihr Verhältniß zu Henriette als ein harmloses, unschuldiges, berechtigtes auffaßte, so hatte sie doch, schon durch ihre fromme Erziehung, ein scharfes Urtheil für das, was sich für sie, die schon halb Lehrerin war, nun einmal nicht paßte, und empfand das moralisch Bedenkliche des Vorgefallenen wie einen heftigen Stich in ihrem Innern. Daneben aber kam doch ein gewisses triumphirendes Gefühl in ihren Augen zum Ausdruck, darüber, daß sie mit ihrem starken Willen alle Hindernisse, die sich ihrer Neigung zu Henriette entgegengestellt, [246] siegreich überwunden, und daß die Freundin mit allen Fasern ihres Seins nach wie vor an sie gefesselt war.


So kam das Mittagessen herbei. Dies war die einzige Gelegenheit, bei der alle Kloster-Insassen mit Ausnahme der Mägde, vereinigt waren. Wie ein plappernder Prozessionszug ergoß sich die Schaar der auf's Höchste erregten und vor Neugier fiebernden Mädchen in die geräumigen Hallen des alten Kloster-Refectoriums. Und nun geschah das Unglaubliche: Als Madame in Begleitung von Henriette und Alexina den Speisesaal betrat und die zwei Mädchen ihre gewohnten Mittagsplätze einnehmen wollten, fuhren die Zöglinge, und besonders die ganz jungen, 14- und 15jährigen, wie von einer plötzlichen Panik ergriffen, kreischend und Abscheu ausdrückend, vor den zwei Sünderinnen, besonders aber vor Alexina, zurück, welch' letztere als ›la Maitresse‹ gleichzeitig die Aufsicht an einem Tisch ganz junger Zöglinge führte. Die Soeurs im Habit machten nicht die geringste Miene die Scene zu ändern; und als Madame mit einer drohenden Miene, und, als wolle sie die Mädchen zu ihrer Ordnung zurückführen, hinüberrief, »Qu'est-ce que ça veut dire!« entstand eine solche Aufregung und Zusammenrotten, von dem schließlich auch die älteren Zöglinge ergriffen wurden, daß man jeden weiteren Widerstand aufgab, und die beiden Mädchen ihrem Schicksal überließ. Diese ganze Wendung hatte die scharfsichtige Alexina mit einem einzigen Blick aus Madame's Gesicht abgelesen, und im nächstfolgenden Moment ihren Entschluß fassend, eilte sie, die beiden Hände wie zur Abwehr vor sich streckend, im Sturmschritt zum Saal hinaus. Die Zöglinge wichen wie vor der Pest vor ihr zurück, und ließen sie durch. Und aus der Menge hörte man unter verschiedentlichen Athmungs-Erleichterungen und staunenden Interjectionen den präcisen Ausruf: »Ah, tenez, le diable!« 2 – »Le diable! Le diable!« klang es beistimmend durch alle Reihen. Und in der That, wenn man das scharfgeschnittene, knochige und edelgebaute Gesicht Alexina's mit den leuchtend schwarzen Augen und den drohend zusammengewachsenen Augenbraunen in Betracht zog, dann hatte dieser Ausruf etwas in der Phantasie der Kinder Berechtigtes. Aber kaum war Alexina verschwunden, so sah man Henriette, die sich im ersten Moment der Ueberraschung zu [247] Madame geflüchtet, eine Zeit lang wirr umherschauen, um dann plötzlich, von einem ähnlichen Entschluß gepackt, sich durch die Mädchen zu drängen und ebenfalls hinauszueilen. – »Voilà sa fiançée!« 3 rief wieder eine einzelne Stimme. Und »le diable et sa fiançée!« ging es jetzt besonders bei den Jüngeren wie etwas Selbstverständliches von Mund zu Mund. Und ganz von selbst begab sich jetzt Alles zu Tische und die Mägde begannen aufzutragen. – Die Masse hatte obgesiegt, und Monsieur und Madame sahen jetzt erst, welche Dimensionen dieser Fall angenommen, und was die kleine Schlafscene im Saal der älteren Zöglinge heute Morgen innerhalb wenigen Stunden in den Köpfen der erregbaren Mädchen angerichtet. Und die scharfen, von der Saaldecke zurückgeworfenen Laute von »la Mäträsse!« und »la Prämiäre!« und »Aläxina!« und »la Fianßä!«, welche die jungen Zähnchen zerknitterten und zerbissen, und die wie Schmeißmücken während des Essens durch den Saal schwirrten, bewiesen, daß von einem Zurückdämmen jetzt keine Rede mehr sein konnte. Jetzt konnte das Kloster und seine Intaktheit nur durch offene, strenge, disciplinäre Behandlung des Falles gerettet werden.


Unter großer Erregung war man nach dem Mittagessen auseinander gegangen. Monsieur und Madame hatten, zurückgeblieben, einige Worte miteinander gewechselt. Eine Magd, die oben im II. Stock bediente, kam und brachte La Supérieure eine leis vorgebrachte Meldung. Inzwischen wartete La Première an des Abbé Thüre. Er hatte sie ja schon vor dem Mittagessen rufen lassen. Sie komme gerade recht, – meinte er – er müsse mit ihr gründlich sprechen. Sie gingen zusammen hinein, und Monsieur ging mit auf dem Rücken gekreuzten Händen längere Zeit erregt auf und ab. Die Sache war jetzt doch auch ihm über den Kopf gewachsen. Er fürchtete nicht nur für den Ruf und Besuch des Klosters. Er fürchtete, sein nächster Vorgesetzter, der Erzbischof von Rouen, könnte die Sache schlimm aufnehmen. Trotzdem war der Moralist und exegetische Spürhund in ihm noch nicht zum Schweigen gebracht. Der Fall war ja ganz großartig, ganz mittelalterlich. Gott! wenn Sanchez den Fall gekannt hätte! Was hätte der draus gemacht! In seinem Sensorium repetirten immer noch die Laute »le diable et sa Fianßä! – le diable et sa Fianßä!«


[248] Nein, er war wirklich stolz auf seine Zöglinge über diese Wendung. – Die Correction der Angelegenheit – begann er dann zu la Première, und blieb vor ihrste hen, – scheide sich in zwei Theile: einmal die Beruhigung der Kloster-Insassen und moralische Festigung derselben; und zweitens die Aufklärung des Falles selbst und Bestrafung der Maleficanten, rücksichtslos der Stellung, die sie einnähmen, und rücksichtslos von Madame la Supérieure. Dies letztere betonte der Abbé, und machte damit La Première, der er so wie so sehr wohlwollte, zu seinem festen Bundesgenossen. Was den ersten Theil der Aufgabe angehe, so hätten die Zöglinge nach Ablauf des mittägigen Interstitiums in ihren Classen zu bleiben und sich mit den Unterrichtsgegenständen abzugeben. Was den zweiten Theil, die Aufklärung des räthselhaften Falles selbst anlange, so wünsche er von La Première die Grenzen des Schmeichel-Verkehrs zu wissen und der unanständigen Griffe und Betastungen, die unter Mädchen vorkämen; ob selbe z.B., die Betastungen, in der Beichte gemeldet würden; ob selbe im jugendlichen oder auch im reiferen Alter, wie dem Alexina's, vorkämen; was sich die Mädchen dabei dächten; ob es eine innere Stimme, oder eine Versuchung von außen sei, et cetera, et cetera. – Die Sache – fügte Monsieur voll Eifer hinzu – habe auch wissenschaftlich und moraltheologisch die höchste Bedeutung. – Aber la Première, die erst kurz über die 30er war, senkte ihr bleiches Gesicht auf das Skapulir, kreuzte die Hände über die Brust, und schwieg. – Mon Dieu! – sagte der Abbé und wurde etwas unwillig, – wenn sie nicht spräche, müsse er sich an la Supérieure wenden. Dies wirkte. Monsieur möge fragen, – meinte sie – sie werde dann antworten, so gut sie's vermöchte. – Dieser Modus convenirte: »Ob junge Mädchen gewohnheitsgemäß beieinander schliefen? – »»Nicht gewohnheitsgemäß, aber häufig.«« – »Zu welchem Zweck« – »»Viele der Kleinen fürchteten sich allein zu schlafen.«« – »Ob es hier zu Berührungen käme?« – »»Zu den unvermeidlichen!«« – »Ob selbe sinnlicher Natur seien?« – »»Bei den größeren sei dies nicht ausgeschlossen; diese schliefen aber seltener zusammen;«« – »Kämen Ineinanderschlingungen und Umarmungen bei solchen Zusammenschlafungen vor?« – »»Hätte sie nie beobachtet; doch gäbe es kindlich und weichherzig angelegte Mädchen, die auch Tags über, und in den Kleidern, ihre Freundinnen umhalsten, abküßten und [249] herzten.«« – »Ob sie, la Soeur Première, dies unter Umständen für teuflische Eingebungen halte?« – »»Unter keinen Umständen!«« – »Wem sie es zuschreibe?« – »»Der Gemüthsanlage; dem Temperament!«« – »Ob die nicht durch die Erbsünde befleckt?« – »»Allerdings; doch den Unterschied zu finden zwischen dem was menschlich und was teuflisch in unserer Natur, müsse der Weisheit von Monsieur leichter fallen, als ihr!«« – »Ob es gewöhnlich sei, daß Mädchen sich gegenseitig unter die Röcke langten?« – »»Langen, gewiß nicht, aber schauen!«« – »Das gehe doch nicht!« – »»Bei den Kleinen wohl, die noch kurze Kleider tragen, wenn sie z.B. die Stiege hinaufgingen!«« – »Was damit bezweckt werde?« – »»Die Mädchen seien neugierig, was ihre Kameradinnen trügen, ob sie nachlässig in der Wäsche seien; sie liebten es, sich gegenseitig auszurichten; entdecke die Cécile z.B. bei der Claire ein defectes Unterkleid, einen nicht gestopften Strumpf, so erzähle sie bei ihren Freundinnen, Cécile trage zerrissene Unterröcke, durchlöcherte Strümpfe. Erfährt dies wieder Claire, so erzählt sie ihrerseits herum, Cécile schaue Allen unter die Röcke. Das sei Mädchengebrauch und bavardage!«« 4 – »Ob dies bei älteren, wie Alexina und Henriette, auch vorkäme?« – »»In anderer Form; und dann aus Interesse für die Toilette!«« – »Ob es hier zu Berührungen käme?« »»Zu den unvermeidlichen!«« – »Ob ein directes Berühren der Körpertheile der Andern dabei beabsichtigt sei?« – »»Viele Mädchen brüsteten sich mit der Schönheit, Vollkommenheit ihrer Formen; andere wollten sich davon überzeugen, und so käme es zu gegenseitigen Untersuchungen!«« – »Ob sie glaube, daß dies das Produkt teuflischer Anreizungen sei?« – »»Sie können dies nicht entscheiden! übrigens trügen ja die Mädchen bei solchen Gelegenheiten immer noch Hüllen von Parchent, Shirting, Mouslin um sich!«« – »Mouslin-, Tüll-, Mull-Stoffe, das sei gerade das, was der Teufel besonders liebe!« – »»Dann sei allerdings die Gefahr sehr groß; – meinte la Première – und Henriette habe einen solchen Ueberfluß von kostbaren und feinen Toiletten!«« – Damit war die Unterredung zu Ende. Der Abbé war wieder so weit wie vorher. Was er wissen wollte, ob der Verkehr Henriettes und Alexinas eine teuflische, sinnliche Anreizung, die mehr oder [250] minder in das Bereich des Tribadismus falle, oder ob es nur der excessive Ausdruck einer leidenschaftlich freundschaftlichen Seelen-Uebereinstimmung der beiden Mädchen gewesen, das konnte ihm la Première nicht sagen, weil sie es selbst nicht wußte, und weil Erfahrungen auf diesem Gebiet überhaupt sehr rar waren. Aber im ersten Fall war Monsieur entschlossen, daß La Maitresse trotz ihrer sonstigen guten Qualification gefaßt werden müsse, ebenso wie Henriette entfernt; im zweiten Fall war nur ein Repriment nothwendig.


Inzwischen waren Henriette und Alexina oben bei Madame geblieben, wo nicht minder leidenschaftliche Gespräche stattgefunden hatten. Zum Nachmittag-Café kam la Supérieure herunter zum Abbé. Sie erklärte, es müsse etwas zur Rettung des Rufes des Klosters dem Landesadel gegenüber geschehen. Die Briefe der Mädchen könne man ja inhibiren; aber bei den sonntäglichen Besuchen, wo einzelne Zöglinge von ihren Eltern im Wagen abgeholt würden, werde die Sache doch ruchbar, und dann entsprechend aufgebauscht und entstellt. – Monsieur trug seine moral-theologischen Unterscheidungen und Bedenken vor, von denen einzig und allein der Ausgang des Falles abhänge. – La Supérieure erwiederte etwas gereizt: von wissenschaftlichen Spitzfindigkeiten verstände die Welt draußen so viel wie sie; zunächst handle es sich um Abschneidung aller weiteren Controversen; sie gedenke die beiden Mädchen für's erste auf einige Zeit aus dem Kloster zu entfernen. – Dem widersprach sehr ernst der Abbé; damit gestehe man eine Schande zu, bevor sie erwiesen. Er wünsche in jedem Falle Alexina zu verhören. – Das könne er – meinte Madame piquirt – inzwischen werde sie ihre Nichte, um sie weiteren Beschimpfungen zu entziehen, beim Pfarrer des Dorfes unterbringen; – und verließ ohne eine Antwort abzuwarten das Zimmer des Abbé. –


Wenige Minuten darauf betrat la Maitresse mit verweinten Augen das Zimmer von Abbé, warf sich ihm zu Füßen, und fing zu schluchzen und zu weinen an. – Ah Mademoiselle, begann der Abbé, Sie haben dem Kloster jetzt schon einen großen, unberechenbaren moralischen Schaden zugefügt, und ich fürchte, Sie haben eine noch weit größere Sünde auf dem Gewissen. – Mon père – fiel Alexina mit großem Nachdruck ein, und sah den Abbé mit großen, glänzenden Augen an, – meine Liebe zu Henriette ist rein wie der Schnee auf dem Hebron; [251] meine Gefühle sind wie Tauben, die nichts vom Argen wissen! – Diese Sprache überraschte den Abbé nicht wenig, der in seiner sublimen Art für poetische Wendungen nicht unempfindlich war. Trotzdem kam ihm diese ideale Verwahrung im Zusammenhalt mit all' den bekannt gewordenen Schlüpfrigkeiten wie die Faust aufs Auge passend vor. Und so konnte er sich nicht enthalten hinzuzufügen: Aber wie steht es mit den Berührungen, Umarmungen, Untersuchungen zwischen Ihnen und Henriette? – Ah, mon père, – fiel Alexina wieder mit dem Ton des vollsten Gefühl-Enthusiasmus ein – ja, ich bewunderte Henriette's Erscheinung, ihren Körper, ihre Augen, ihre Haare, ihre Stimme, ihren Gang, kurz Alles, Alles, ihre Strümpfe, ihre Schuhe, Alles was sie war und was sie trug, weil ich selbst so gar nichts bin, und nichts habe, und nichts gleich sehe; und ebenso bewunderte, glaube ich, Henriette meinen Geist, meine Energie, meine Kenntnisse, enfin, das Bischen, was ich von Gott bekommen habe: meine Seele; und gewiß berührten wir uns, wo es nur möglich war, wo es nur geschehen konnte; sie meine Seele; ich ihren Körper; oh, mit einer Inbrunst, mon père, wie sich nie zwei Mädchen geliebt haben; und Inbrunst, mon père, ist doch in der Freundschaft, in der Liebe erlaubt, wie im Gebet, in der Reue, in der Verehrung zu Gott. – Hier war der Abbé doch paff. Dieses Mädchen war stärker, als er. – Und niedrige, unziemliche Empfindungen und sündhaftes Verlangen kam nie in Eure Seele, ma fille? – frug nochmals der Abbé eindringlich. – Nur die Begeisterung – rief Alexina, und streckte beide Arme mit Enthusiasmus empor, – nur die Begeisterung, die Gott selbst in unsere Seele gepflanzt. – C'est bien! sagte nun der Abbé, und hob das Mädchen auf, das noch immer auf den Knieen lag; c'est bien, wir hoffen, daß sich noch Alles zum Besten wenden wird. Gott wird Deine Seele auch ferner bewahren. – Alexina ging wieder hinauf zu Madame; und nun schien Alles eine befriedigende Wendung zu nehmen. –


Aber schon um 4 Uhr kam la Première, und brachte ein Paquet Briefe, welche man Henriette, als sie in höchst geheimnisvoller Weise ihr Schreibfach ausleeren wollte, um es mit zum Pfarrer zu nehmen, abgenommen. Die Briefe zeigten die Handschrift Alexinas, und es sei vielleicht zu erwarten, daß ihr Inhalt zur Aufklärung über das Verhältniß von la Maitresse zu Henriette beitrage. – Monsieur öffnete die Briefe, und las, und las, und [252] merkte nicht, wo er war. Er las diese Briefe, wie er Liguori oder die Kirchenväter las. Monsieur war viel zu fein, zu geschult, zu classisch und zu rein geistiger Mensch, um den kostbaren Aether, der aus diesen heißen Lettern emporstieg, nicht zu erkennen, sich an ihm zu berauschen. Das war also der gute, französische Stil, der an Alexina bewundert wurde, und der sie in erster Linie als Lehrerin qualifizirte, wenn nicht zur Schriftstellerin; und aus diesen leidenschaftlichen Ergüssen an Henriette ist er hervorgewachsen; aus einer schließlich doch weltlichen Neigung. Und Alexina berief sich immer auf Gott! Da fand sich in einem Brief folgende Stelle: »Du willst vor mir fliehen, Henriette, Du fürchtest meine Augen, wenn sie am Erlöschen, und den Ton meiner Stimme, wenn sie am Ertrocknen ist. Weißt Du, daß es zu spät ist? Weißt Du, daß Du in meine Hände gegeben, wie Wachs dem Bildner? Daß Du das unglückliche Mädchen Alexina lieben mußt, weil Du so reich und ich so arm. Fürchtest Du Gott? Fürchtest Du nicht, jammervoll unglücklich zu werden, weil Du das arme Dorfkind, Alexina, das Du liebst, und das Dich anbetet, verstießest. Haben wir zusammen nicht Alles? Hat nicht jedes von uns für sich Nichts? Du siehst meine dürren, kraftlosen Arme! Hast Du nicht Arme gefüllt mit Wollust? Du streichst über meinen mageren Leib und findest meine welken Brüste! Hast Du nicht strotzende Lebensfülle und Brüste quellend wie Milch und Blut? Du mißt meine Beine und findest nur Krücken und kindliche Schwäche! Sind Deine Schenkel nicht so stark wie Marmorsäulen, und Deine Kniee zierlich wie die Eier des Rebhuhns? – Deine Seele schläft oft und Dein Gedächtniß will Nichts behalten! Hab ich nicht Kraft der Seele und kenne Dich und mich auswendig? Du bist zurückgeblieben und Deine Worte sind die eines Kindes! Bin ich nicht über alle vorgeschritten, und habe Dich mit mir gerissen. Bist Du nicht die Taube, und ich der Geyer, der auf Dich herabstößt? Bist Du nicht in meiner Gewalt? Und Du fürchtest Dich vor mir, der Dich allein erretten kann! Und willst Dich in die bestialischen Arme eines Mannes werfen, wo nur Grausamkeit, Unfläthigkeit und Gemeinheit herrscht? Bin nicht ich Dein Mann?!...« – In einem andern Brief kam die Stelle vor: »Du fliehst vor mir, und dann suchst Du mich wieder auf. Du meinst, ich wäre anders, als alle Mädchen im Kloster, und Du müßtest mich verabscheuen, weil ich Dinge forderte und Gewaltthätigkeiten verübte, die ein braves Mädchen [253] nicht erdulden dürfe; und dann müssest Du sie doch wieder gewähren. Die Klostervorschriften, Henriette, und die sogenannten Anstandsregeln sind kein Maaßstab und Grenze für unser Empfinden. Und was wir verbrochen haben, Berührungen, und unerlaubte Küsse, und Umarmungen und Ergießungen, und was wir im Geheimen thaten, ist an und für sich nichts, ist nicht das Eigentliche, was wir wollten, war nur symbolisch gemeint, weil wir es durch Worte nicht ausdrücken konnten; wie Händefalten nur symbolisch gemeint ist für das, was im Innern vorgeht; was dahinter steckt, ist etwas ganz anderes, Unaussprechliches; was wir empfinden, Henriette, Du und ich, wenn wir uns anblicken oder an uns denken, ist etwas Unaussprechliches. Was wir thun, was gegen die Klostervorschriften verstößt, ist demgegenüber nebensächlich, nur eine Ausdrucksform, eine Art Explosion, die auch anders ausfallen könnte, die aber zufällig so ausgefallen ist. Deine Liebe zu mir, Henriette, das ist für mich Alles. Bist Du deren sicher, dann halte an mir fest. Ich beschütze Dich......« – In einem dritten Briefe hieß es »..... Woher die Menschen geboren werden? Ja, wir wissen es jetzt! Weil ich Dich aufgeklärt habe! Aber ist es nicht eine Summe von Unflath, Gestank, Erbrechen, gemeines Athmen, Glotzen und scheußliche Aufführung, was drum und dran hängt, und was ihm vorausgeht? Hier sind die äußeren Thaten gräulich, und das innere göttliche Empfinden minimal. Unsere Verkehrsformen, Henriette, sind zierlich, sanft, kleinlich und minimal; aber unser inneres Empfinden, der göttliche Impuls, riesengroß! Oh, ich könnte die ganze Welt mit meinem Innern erfassen, umgreifen, aufsaugen! Und Du Henriette bist nur ein kleines, unsäglichschönes Figürchen-Ebenbild dieser Welt; ein kleiner glänzender Fisch in dem großen Meer!....« –


Mit der Lectüre dieser Briefe war es inzwischen fünf Uhr geworden. Der Abbé wußte wohl, daß er hier einem außerordentlichen Fall gegenüber stand, einem Ereigniß, einem Verhältniß, das auf Monate zurückdatire, das langsam gereift, wie ein Wespennest sich Zelle um Zelle agglomerirt hatte, zuletzt einen gewaltigen Stock gebildet, und in dem la Maitresse der eigentliche Baumeister, der Schöpfer und Angreifer gewesen, während Henriette sich auf eine mehr passive Rolle beschränkt hatte. Aber worüber sich Monsieur nicht klar werden konnte, war, wie weit die materiellen Beziehungen in dem erotischen Leben der beiden [254] Mädchen gediehen waren, deren geistige Seite in den überschwenglichen, gefühlsenthusiastischen Briefen Alexina's vorlagen. Und, ob man hier nicht an einen höchst calculirten und versteckten Angriff des Teufels selbst denken mußte! Daß Alexina eine naive, wenn auch impetuose, auf die Echtheit ihres Gefühls in der Brust pochende, aber noch unverdorbene Natur war, darüber war kein Zweifel. Aber, was jetzt zu geschehen habe, Strafe, Ermahnung, Entfernung; Trennung der Zwei; auf ein so glänzendes Talent, wie das Alexina's verzichten; darüber konnte Monsieur zu keinem Entschluß kommen.


Es war jetzt Vesperzeit. Die Mädchen hatten eine halbe Stunde Erholung, bevor die zwei Abendstunden die Arbeit des Tages schlossen. Wie ein Bienenschwarm gährte und brauste es unter den jungen Geschöpfen, die, ermahnt, mit ihren Beobachtungen und Ansichten Monsieur l'Abbé nicht länger zu behelligen, um so eifriger unter sich und mit ihren eigentlichen Vertrauten, den Schwestern, Rath's pflogen und Ansichten austauschten. Die Entfernung Henriettes zum Pfarrer des Dorfes hatte man als eine Art Bestätigung aller Vermuthungen angesehen. Man wußte aber auch, daß la Maitresse, in der doch auch alle Mädchen den eigentlichen actor rerum sahen, noch oben bei la Supérieure weile. Und so concentrirten sich denn alle Combinationen und Erörterungen noch einmal auf ihre Person. Schlimmer aber als Alles dies, war der Umstand, daß mit der Transferirung Henriettes in's Dorf Beauregard nun auch dieses anfing sich an der Discusion zu betheiligen und Gelegenheit hatte, neues Material herbeizuschaffen. Ein Resultat dieser neuen Beziehungen war, daß gegen das Ende des Interstitiums, um 1/26, eine der Mägde an die Thüre des Abbé klopfte, und eingelassen, in Begleitung von la Première, welche sie dazu aufgefordert hatte, folgende Mittheilung machte: Als sie Henriette heute Nachmittag zu Seine Hochwürden in's Dorf gebracht, den Brief von Madame la Supérieure abgegeben, und das Haus schon wieder verlassen, hätten sich mehrere Personen aus dem Dorf um sie gedrängt, zu erkennen gegeben, sie wüßten schon, daß sich Außerordentliches im Kloster zugetragen, und dergleichen. Sie habe, wohl erkennend, daß eigentlich nichts mehr zu verheimlichen sei, das Thatsächliche des Vorgefallenen zugegeben, mit den Leuten gesprochen, und Alle hätten sich fast dahin geäußert, daß die belle Henriette, wie man sie nenne, ein ganz braves, ehrbares [255] Mädchen, diese Mademoiselle Alexina dagegen mit ihrem hohen Gang, ihren eckigen Schultern, ihrer hohlen Sprache, tiefen Wangen und zusammengewachsenen Augenbraunen eine ganz suspecte Person sei, vor der nur unser Herrgott das Kloster bewahren möge. Darauf sei ein großer sonnenverbrannter Mensch mit einem großen Bart unter dem Kinn und hinter den Backen, und einer Axt auf der Schulter, der die ganze Zeit aufmerksam zugehört, hervorgetreten, und habe erzählt, er habe vor etwa sechs Wochen auf einem seiner Controllgänge – er sei Waldhüter – mitten im Dickicht weit von der Landstraße ein Stöhnen gehört; er sei näher gekommen, habe sich aber durch das Knicken und Brechen der Zweige verrathen; er habe immer eine hohe wimmernde, weibliche Stimme vernommen und eine kräftige, tiefe, beruhigende Männerstimme; als er die letzten Zweige auseinandergebogen, sei er erstaunt gewesen, zwei Mädchen zu finden, die eben aus dem Gebüsch aufgesprungen waren, also dort gelegen hatten; und zwar hatte die mit der hellen Stimme unten gelegen, da sie sich nicht so rasch erheben konnte; die mit der tiefen Stimme war schon aufgesprungen, aber Alles, die ganze Constellation, ihre Stellung und der Eindruck am Boden hätten gezeigt, daß sie nicht neben ihrer Freundin gelegen; beide Mädchen seien unten am Körper entblößt gewesen, und hätten nicht rasch genug ihre Kleider ordnen können, um dies zu verheimlichen; auch sei ihm aufgefallen, daß die größere, schlankere an den Beinen stark behaart gewesen sei. Die beiden hätten sich dann schnell wegbegeben, und er habe sie nicht verfolgt. – Alle Anwesenden, und auch sie – die Magd – hätten darauf den Waldhüter gebeten, sich in der Nähe des Klosters zu halten, um, für den Fall Monsieur l'Abbé ihn zu sprechen wünsche, da zu sein. Monsieur möge nun nach Belieben handeln. –


Nach dieser Erzählung ließ der Abbé die Magd abtreten, um sich mit la Première allein zu besprechen. Aber beide hatten noch nicht zwanzig Minuten Unterredung gepflogen, wobei Monsieur la Première verschiedentliche Stellen aus lateinischen und französischen Büchern zeigte, und ihr übersetzte, als eine zweite Schwester in heller Bestürzung hereinkam und die Meldung brachte, vor dem Kloster ständen mehrere hundert Leute, mit Mistgabeln und Aexten, die die Faust gegen das Gebäude ballten, Verwünschungen ausstießen, und fortwährend riefen, der Teufel [256] sei im Kloster. – Der Abbé war anfangs im Zweifel, was dieser neuen Sachlage gegenüber zu thun sei, beauftragte aber dann die zweite Schwester, welche die Meldung überbracht hatte, die Affaire Madame la Supérieure zu melden, und sie zu bitten, zu kommen. Zu la Première gewendet, meinte dann der Abbé, es sei wohl das Beste, den Waldhüter mit seiner Axt hereinzulassen, um die Menge zu beschwichtigen. – Aber, auf dem Wege dies auszuführen, traf la Première vor der Klosterpforte mit dem Pfarrer des Orts zusammen, der im Begriff war, zu Monsieur zu eilen. Beide kamen zurück, und Seine Hochwürden voll Erregung frug Monsieur l'Abbé was wohl vorgefallen; das halbe Dorf sei vor seiner, des Ortspfarrers, Wohnung versammelt, habe ihn beschworen, hierher in's Kloster zu eilen: ein Incubus, oder der Teufel selbst, habe die schöne Henriette, die Nichte von Madame, die im Walde gelegen, vergewaltigt, oder zu vergewaltigen versucht, und habe dies unter der Figur einer Lehrerin hier im Kloster gethan, die allgemein nur la Maitresse genannt werde; man solle diese Lehrerin zu einem Geständniß bringen, eventuell den bösen Geist exorcisiren, und er, der Pfarrer, solle deßhalb zu Monsieur l'Abbé ins Kloster eilen. – Während der Abbé seinen Amtsbruder in Kürze über die Ereignisse des Tages aufklärte, hörte man draußen die Zöglinge trepp auf trepp ab stürmen und schrille Rufe ausstoßen: le diable et sa fianßä! – le diable et sa fianßä! – Andere recitirten nach festem Takt den rasch zu Stande gekommenen Vers:


»Le diable et triste
Et a bien peure:
Il a perdu sa fiancée
Et craint la Supérieure!« 5

Gleich darauf kam auch Madame zitternd vor Erregung herein: die Mädchen seien wie auf ein gemeinsames Zeichen aus den Classen gestürmt, hätten geschrieen, der Teufel sei im Kloster, und wollten Alexina aus ihrer Stube ziehen. Sie sei jetzt überzeugt, das Ganze sei ein gegen sie, die Superiorin gerichteter Complot. Der Teufel habe mit der ganzen Sache so wenig zu thun, als mit ihr. – Die beiden Geistlichen machten zweifelhafte [257] Gesichter. – Um aber den ganzen Schwindel mit einem Schlag aus der Welt zu schaffen, meinte Madame weiter, schlage sie vor, der Arzt des Dorfes solle in ihrer Gegenwart oben in ihrer Wohnung Alexina untersuchen; fänden sich die bekannten Male und Zeichen von Teufels-Besessenheit an ihrem Körper, woran sie stark zweifle, so könne man weiter sehen, und eventuell Exorcismus anwenden; ergebe sich aber Alexina, wie sie sicher annehme, als tadelloses, unberührtes Mädchen ohne Mal und Stigma, dann solle man die zur Verantwortung ziehen und züchtigen, die diese Fabel aufgebracht und wissentlich verbreitet hätten. – Damit waren alle einverstanden. Nur, meinte der Ortspfarrer, man solle dem Waldhüter, der drunten stehe, und die Dorfbewohner haranguire, Gelegenheit geben, Alexina unbemerkt zu sehen, um eventuell so durch einen unverdächtigen Zeugen, im Falle des Nichtidentificirens, zur Beruhigung der Menge und des Klosters beizutragen. – Auch dies fand allgemeinen Beifall. – Was die Klosterinwohner selbst angehe, so wurde angeordnet, alle hätten im Refectorium sich unter Aufsicht der Schwestern ruhig zu halten, bis das Resultat der Untersuchung bekannt. –


Es war jetzt 7 Uhr Abends. Während zweier Stunden war wirklich der Teufel los gewesen, und Zucht und Ordnung im Kloster verschwunden. Die in Aussicht gestellten Schritte wirkten auf Alle beruhigend. Der Pfarrer ging in die Ortskirche, um Monstranz und Ciborium bereit zu halten. Auf dem Wege dahin sprach er begütigend zu Allen, die ihm begegneten. Auch trat die Dämmerung ein, und die meisten begaben sich nach Hause. La Première wurde zum Arzt geschickt. Madame selbst bereitete oben Alles für die Ankunft des Arztes vor. Monsieur hatte ebenfalls den Cooperator in der Klosterkirche avertirt, Alles zum Exorcisiren bereit zu halten. Er selbst schlug die genauen diesbezüglichen Directiven in seinem Ordinale auf, und machte sich aus Bodinus, Daemonomania, mit den körperlichen Stigmata für Teufelsbund bekannt. Die Zöglinge bekamen im Refektorium ihr Abendessen. Mit der Dunkelheit war bei den Mädchen, statt Ausgelassenheit, Bangigkeit und Furcht getreten. Alle baten, heute Nacht die Lichter im Schlafsaal brennen lassen zu dürfen. – Inzwischen war der Holzknecht wieder heruntergekommen, und hatte aufs Bestimmteste dem Abbé versichert, das Frauenzimmer, welches er soeben durch die Thürspalte bei [258] Madame la Supérieure mit verweinten Augen habe sitzen sehen, sei der Incubus, der damals im Wald auf Henriette gesessen. –


Es war schon halb neun, als der Arzt, ein fast jung zu nennender Mann, der die Faculté in Paris mit Auszeichnung absolvirt hatte, ankam. Er hatte noch einen Gang in's benachbarte Dorf gemacht, und hatte, eben erst zurückgekehrt, die ganze merkwürdige Geschichte gehört. Die Lichter im Kloster waren schon angesteckt. Es herrschte jetzt rings auf Gängen und Treppen tiefste Stille. Den Vorschlag Abbé's, mit ihm erst das Verzeichniß der Stigmata im Bodinus durchzugehen, hatte der Arzt abgelehnt. Er war dann von la Première sogleich in den II. Stock hinaufbegleitet worden. Droben empfing ihn Madame mit höchster Zuvorkommenheit in dem prächtig erleuchteten, reich ausgestatteten Salon, der zu ihren Appartements gehörte. In dem halb offen stehenden Nebenzimmer brannte nur ein Licht. Dort wartete Alexina halb entkleidet, auf dem Bettrand gekauert, auf den Arzt. Dieser wechselte nur wenig Worte mit Madame, und ging dann sogleich hinein, die Thüre wieder, wie es gerade die Handbewegung wollte, halb oder dreiviertel zugehen lassend. Und nun konnte man heraußen folgendes hören trotz des lauten Buchumblätterns, mit dem Madame sich und die Stille zu betäuben suchte: Kurzes Gemurmel und Begrüßungsformeln; einzelne Fragen, sehr knapp, ebenfalls knapp beantwortet; beide Stimmlagen sind sehr tief; die des Arztes ist aber schärfer scandirt und heller; die Alexina's dumpf und gaumig. Das Licht wird gerückt, so daß die Helle jetzt ganz aus der Thürspalte verschwindet; eine Aufforderung; dann ziehen und schleifen von ausgezogenen Gewändern; Pause, neue Aufforderung; Entgegnung; wiederholte Aufforderung in festerem Ton! ein Seufzen; dann wieder Ausziehen und Rutschgeräusche; strumpfiges Aufstampfen auf dem Boden; erst einmal; dann noch einmal; dann noch ein Rutschgeräusch; und jetzt ein weiches, schilfriges Gleiten; wie Epidermus auf Epidermis; und begleitet von zustimmenden Ah, c'est cela; c'est cela, oui des Arztes. Längere Pause. Dann wieder ein Commando; man hört die knerzenden Bewegungen eines Bettgestells und das knistrige Hingleiten auf eine Matratze; ein ruhiges Commando; ein stärkeres Commando; dringende, unwillige Aufforderung; seufzendes Wimmern von der andern Seite; Ah, vous me faites mal, [259] Monsieur; 6 rief auf einmal Alexina laut und wie explosiv; dumpfe Entgegnung des Arztes, dessen unterbrochenes Athmen auf schwieriges, intensives Arbeiten hinwies. Nunmehr ausgiebiges Schluchzen ohne Unterlaß von Seite Alexina's, ohne stärkere Schmerzensrufe, aber mit unstillbarem Weinen, hingebend, machtlos, verzweifelnd, sich gänzlich überlassend; die Stimme des Arztes nunmehr weich und bedauernd, ohne plötzliche Commandorufe. Der Culminationspunkt schien überschritten; die Entscheidung schon erfolgt; das Ergebniß schien aber ein trauriges; und trotzdem dauerte es noch lange, bis alle Manipulationen zu Ende; Madame hatte nach dem Angstschrei Alexina's nicht mehr geblättert, sondern athemlos gelauscht, und an die Thürspalte gestarrt; das Wimmern drinnen wurde allmählich schwächer, das Weinen hörte auf, und ging zuletzt in ein rythmisches Wehklagen über, welches synchron mit dem Athmen ging. Endlich nach langer, langer Zeit, – es war fast eine Stunde verflossen – hörte man Wasser in ein Lavoir gießen und kurz darauf kam der Arzt mit dem Handtuch in der Hand verstörten Antlitzes heraus. La Supérieure stand auf und schien zu fragen. »Ein trauriger Fall, Madame, – sagte der Arzt in dunklem Ton, – ich muß ein eingehendes Gutachten über den Fall abstatten, welches ich morgen Vormittag schon Monsieur l'Abbé zustellen zu können hoffe; inzwischen möchte ich rathen, sobald es angeht, – heute möchte es zu spät sein – le jeune Alexina zum Dorfpfarrer zu bringen, und Mademoiselle Henriette zurückzuholen zu Madame. – Damit verabschiedete sich der Arzt, sagte dem draußen harrenden Meßner, zu irgend einer religiösen Handlung bestehe kein Anlaß, und begab sich dann durch das jetzt totenstille Kloster nach Hause. –


Jetzt war's 11 Uhr; und Alles schlief in seinen Betten; d.h. Alles wachte, denn wer konnte nach solch' einem Tag schlafen. Oben huschten die Schwestern in schleppend weißen Nachtgewändern von Bett zu Bett und beruhigten die Kleinen, die alle eine schreckliche Furcht vor'm Teufel hatten. Die Lampen brannten alle hell. Und la Première selbst ging von Schlafsaal zu Schlafsaal, um jetzt keine Unordnung, keine Panik mehr ausbrechen zu lassen. Sie wußte ja, sie hatte gewonnen. – Und unten wachte in seinem Bett Monsieur l'Abbé. Er hatte noch [260] vom Meßner die Nachricht er halten, zum Eingreifen des exorcisirenden Apparats bestände kein Anlaß, und war dann, nachdem er den gleichen Boten mit der gleichen Nachricht zum Ortspfarrer geschickt, und mit la Première einige Verordnungen wegen der Ruhe der Nacht besprochen, selbst zu Bett gegangen: kein Anlaß zum Eingreifen des exorcisirenden Apparats; Ja, glauben denn diese neuen Aerzte, sie können die Welt ohne Geistlichkeit in Ordnung bringen? Und wenn sich keine Stigmata fanden, was war denn dann los mit Alexina? Bediente sich der Teufel nur ihres Phantoms, ihrer sinnlichen Hülle, so war dies nach allen Exorcisten des Mittelalters auf die Dauer unmöglich, ohne Spuren zu hinterlassen, war aber der Teufel nicht im Spiel, dann hatten offenbar Henriette und la Maitresse ein frevelhaftes, sündig-gottloses Spiel mit einander getrieben. Denn wer wird sich im Wald in so unsauberen Stellungen präsentiren. Wenn auch nicht für andere, doch für sich. Ja, ja, er erinnerte sich jetzt, Henriette hatte dieses Frühjahr einigemale von Madame die außergewöhnliche Erlaubniß erhalten, mit Alexina Nachmittags in den Wald zum Maiglocken pflücken gehen zu dürfen, und er sah sie einmal mit Sträußen und fieberhaft glänzenden Augen zurückkehren. – Was aber jetzt mit Constatirung der Stigmalosigkeit von la Maitresse erreicht sei, könne er nicht begreifen. Die Sache stehe am alten Fleck. Und die Geistlichkeit werde die Sache doch zuletzt lösen müssen. – Mit diesen Gedanken war Monsieur l'Abbé beiläufig beschäftigt.


Und oben im II. Stock ruhte Madame. Sie hatte bange Ahnungen, es möchte mit ihrem Priorat im Kloster vorbei sein. Seit heute Abend 6 Uhr, als die Bauern die Sensen vor der Klosterthür schwangen, und den Teufel in Gestalt einer Lehrerin im Kloster suchten, war ihr klar, daß dies an ihr hinausgehen werde; diesmal hatte la Première die Sache fein dirigirt, und zur rechten Zeit in die Flamme geblasen, die noch heute Morgen mit dem Schuh auszulöschen war. Mein Gott, zwei Mädchen, die sich in ihren körperlichen und seelischen Eigenschaften einander ergänzten, beieinander schlafen und sich mit Zärtlichkeiten überhäufen sehen, – was da dran sei! Allerdings, diese Alexina sei ein merkwürdiges Geschöpf; und der Ausspruch des Arztes lasse erwarten, daß mit ihr etwas ganz besonderes los sein müsse. –


Und neben dran lag Alexina auf ihrem Lager; gestern noch die bewunderte, ob ihrer phänomenalen geistigen Eigenschaften [261] gepriesene, mit dem Ehrentitel la Maitresse benamte, deren Ansprache bei den Kleinen als Auszeichnung galt, und jetzt ein wimmerndes Geschöpf, wie zum Tod getroffen, von einem Arzt in ihren geheimsten Beziehungen vor aller Welt enthüllt, als Teufelsfrauenzimmer an den Pranger gestellt, und ihrer Lebenskraft, Henriette's, beraubt. Ja, heute Abend als sie der Arzt besuchte, war ihr wohl klar geworden, daß etwas außergewöhnliches bei ihr der Fall sein müsse; und als er vom Kopfe beginnend Alles abmaß und genau feststellte, und dann das untersuchte, was Jedes mit Scham verhüllte, und da einzudringen versuchte, und ihr die fürchterlichen Schmerzen verursachte, so daß sie hinausschreien mußte, und als sie dann sein perplexes Gesicht sah, da fing sie an, an diesem springenden Punkt weiter zu spintisiren: ja, sie wußte es, etwas anders war sie ja gebildet wie die andern Mädchen, wie Henriette; aber das war ihr nicht aufgefallen; waren nicht auch die Andern in sonstigen Dingen verschieden? Hatte die eine nicht eine Adlernase, die andere eine eingebogene oder gerade; diese einen häßlichen, fleischigen Mund, jene einen feingeschnittenen, knospenden, wie an einer Statue; hatte diese nicht eine flache, jene eine gewölbte Brust? War die eine nicht dumm, die andere gescheidt? Was war denn dann mit ihr so besonderes los? Diese Kleinigkeit, über die Henriette so oft gelacht? – Aber es mußte doch etwas sein! Denn woher der schreckliche Schmerz? – Und so wimmerte und spintisirte und schluchzte das Geschöpf weiter. –


Noch bedeckte die Nacht mit ihrem colossalen Mantel Alles, Kloster, Menschen und ihre Gedanken. Aber die Sonne brannte schon mit Inbrunst, hervorzubrechen, und die ganze so schauderhafte Klosteraffaire zu beleuchten, und mit greller Flammenschrift Jedem in's Gewissen und in's Hirn zu schreiben. –


Es war jetzt wieder 7 Uhr Morgens; die Sonne glänzte durch die Scheiben des geistlichen Arbeitszimmer; das Frühstücksgeschirr stand auf dem Arbeitstisch bei Seite gestellt; und Monsieur l'Abbé las wieder eifrig in Liguori, Theologiae moralis, libri sex. Nichts in seinem Gesicht ließ etwa eine Unruhe oder Abspannung entdecken. Der Vorfall des gestrigen Tages hatte keinen nervösen Rest bei ihm zurückgelassen. Die gleiche sublime Ruhe waltete in seinen Zügen wie gestern. – In diesem Augenblick klopfte es an der Thüre; Monsieur rief herein! und die Pförtnerin brachte ein Schreiben großen Formats, welches soeben abgegeben [262] worden sei. Monsieur öffnete es sogleich durch einen Winkelschnitt über der Oblate, faltete das kräftige Handpapier auseinander und las Folgendes:


Beauregard, le 21. Juin 1831. Adolphe Duval, médecin agrégé de la Faculté de Paris, à Monsieur l'Abbé de Rochechouard, à Douay. – Monsieur! Ueber den körperlichen Befund des sogenannten Alexina Besnard, 18 Jahre alt, habe ich auf Grund der von mir gestern Abend vorgenommenen Untersuchung die Ehre Folgendes zu melden:


Alexina als Mädchen von außerordentlich hoher Statur, muß auch als Mann noch zu den größeren Gestalten gerechnet werden. Das magere Gesicht zeigt den Ausdruck hoher Intelligenz; der Blick entschieden männlich, convergirend; stark prominente Augenbögen, unter denen ein paar schwarze, kluge, flinke Augen herauslugen; keine Spur von Bart; die Kopfhaare etwas länger, als sie gewöhnlich von Männern getragen werden, aber weit entfernt die Länge von Mädchenhaaren zu erreichen (sie müßten denn absichtlich beschnitten sein) werden in einem Netz getragen, und sind eher spärlich zu nennen. Die Stimme Alexina's ist eine Altstimme. Der ganze Körperbau ist schlank, musculös, ohne eigentliches Fettpolster, zeigt in seinem oberen Theil femininen Charakter, zarte Haut, schwache mamma-Bildung mit weiblich gebildeter Warze; die unteren Extremitäten fallen sofort durch ihre reiche, dunkle, männliche Behaarung auf, und zeigen auch in ihrer allgemeinen Configuration männliche Anlage. Die Oberschenkel zeigen zum Knie hin nicht die beim Weib bekannte Convergenz, sondern verlaufen geradlinig. Die Hände sind zwar klein, dagegen die Füße sehr groß und kräftig. Die Hüfte charakterisirt sich schon durch den allgemeinen Anblick, durch das gänzliche Fehlen des seitlich ausladenden, wie durch Messungen, als Beckenanlage von rein männlichem Charakter. Der mons Veneris ist stark behaart und bedeckt auf den ersten Anblick die eigentliche Bildung der Genitalien. Dieselben zeigen wenig klaffende labia majora von wulstigem, faltigem Charakter, hinter denen die kleinen, wenig ausgebildeten labia minora sichtbar werden; keine Spur von hymen; der introitus vaginae ist so eng, und das versuchsweise Eindringen so schmerzhaft, daß es keinem Zweifel unterliegt, daß derselbe als blinder Sack endigt, und entweder keinen, oder höchstens rudimentären uterus als Fortsetzung trägt, der für die Ovulation [263] wie Menstruation ohne Belang ist. Dagegen umschließen die labia minora in ihrem oberen Theil einen succulenten Körper, der vorne perforirt ist, und sich als wohl characterisirtes membrum Virile erweist; dasselbe ist der Erection fähig; obwohl es an seiner vollen Entfaltung durch ein von den genannten kleinen Labien ausgehendes straffes ligamentum gehindert ist. Die Perforation ist der Ausführungsgang der urethra, die ihrerseits in die Vesica urinalis endet. Testicel sind nirgends zu entdecken, und scheinen im Abdomen zurückgeblieben zu sein. – Somit ist Alexina Besnard ein Zwitter; und, da derselbe während der Untersuchung, offenbar durch die augenblickliche psychische Erregung hervorgerufen, auch eine unwillkürliche ejaculatio seminalis hatte, deren Bestand unter dem Mikroscop das deutliche Vorhandensein normaler, beweglicher Spermatozoen ergab, so muß Alexina als männlicher Zwitter angesprochen werden; somit ist Alexina ein Mann und zwar ein zeugungsfähiger Mann. – Auf Grund der mir obliegenden Pflicht habe ich bereits Anzeige an die betreffende Civil-Behörde behufs Aenderung der Stammrolle in der Heimath Alexina's gemacht, Eurer Hochwürden die weiteren Schritte bis zur definitiven staatlicherseits vorzunehmenden Aenderung der civilen Verhältnisse Alexina's überlassend. Mit hochachtungsvoller Ergebenheit ec. Adolf Duval.« –


Noch am gleichen Tag wurde Alexina in ihre Heimat zu ihren Eltern gebracht.


Mademoiselle Henriette Bujac, die in's Kloster zurückkehrte, sah sich genöthigt, nach etwa sechs Monaten aus dem Institut auszutreten, und wurde zu einer entfernt wohnenden Tante auf's Land geschickt.


Mit ihr verließ Madame la Supérieure definitiv das Kloster. – Und la Soeur Première wurde Superiorin. –

[264]

Der operirte Jud'

Ha sieh! Ha sieh! im Augenblick,

Huhu! ein gräßlich Wunder!

Des Reiters Koller, Stück für Stück,

Fiel ab, wie mürber Zunder.

Zum Schädel, ohne Zopf und Schopf,

Zum nackten Schädel ward sein Kopf;

Bürger, Lenore.


Kein Mensch wird mich tadeln, wenn ich meinem Freunde Itzig Faitel Stern ein Denkmal zu setzen wünsche; wenigstens, so weit dies in meinen Kräften steht; und fast fürchte ich, daß dieselben nicht ausreichen werden; denn Itzig Faitel Stern, mein bester Freund auf der Hochschule, war ein Phänomen. Ein Linguist, ein Choreograph, ein Aesthetiker, ein Anatom, ein Schneider und ein Irrenarzt wären nöthig, um die ganze Erscheinung von Faiteles, was er sprach, wie er ging und was er that, vollständig zu begreifen und zu erklären. Daß nach dem Gesagten mein Vorwurf nur Stückarbeit liefern wird, ist nicht zu verwundern. Doch ich verlasse mich auf meine fünf Sinne, die nach der gegenwärtig herrschenden literarischen Schule vollständig genügen, ein Kunstwerk zu liefern; ohne viel nach Warum und Wie zu fragen, oder künstliche Motivirung, oder gar transscendentale Construction zu versuchen. Wenn statt des Kunstwerks eine Komödie entsteht, mag sie, die Schule, die Verantwortung tragen. –


Itzig Faitel war ein kleiner untersetzter Mann mit rechts etwas höher stehender Schulter und einer spitz zulaufender Hühnerbrust, auf welch' letzterer er immer eine breite, schwerseidene Plastron-Cravatte trug, die ein matter Achat zierte. Die Rock-Patten zu beiden Seiten dieser Cravatte liefen immer von rechts oben nach links unten, so daß, wenn Faitel längs der Randsteine ging, es den Eindruck machte, er steure über das Trottoir hinunter, oder gehe im Diagonal. Faitel wollte nicht einsehen, daß diese Configuration seiner Kleider von der rhombischen Verschiebung seines Brustkastens herrühre, und schimpfte fürchterlich auf die christlichen Schneider. Die Stoffe, welche Faiteles trug, waren stets der feinste Kammgarn. Das Antlitz Itzig Faitel's war von höchstem Interesse. Leider hat es Lavater nicht gesehen. Ein Gazellen-Auge von kirschen-ähnlich gedämpfter [265] Leuchtkraft schwamm in den breiten Flächen einer sammtglatten, leicht gelb tingirten Stirn- und Wangen-Haut. Daß es troff, da konnte Faiteles nichts dafür. Itzig's Nase hatte jene hohepriesterliche Form, wie sie Kaulbach in seiner ›Zerstörung Jerusalems‹ der vordersten und markantesten Figur seines Bildes verliehen; zwar waren die Augenbrauen darüber zusammengewachsen; aber Faitel Stern versicherte mich, das sei sehr beliebt; auch wußte er, daß Leute mit solchen Augenbrauen einmal ersaufen sollen; aber er paralysirte es, indem er versicherte, er gehe niemals auf's Wasser. Die Lippen waren fleischig und überfältig; Zähne vom reinsten Crystall, zwischen denen eine bläulich-rothe, fette Zunge oft zur Unzeit herauskam. Kinn und Oberlippe war Alles bartlos; denn Faitel Stern war noch sehr jung. Erwähne ich noch von meines Freundes Untergestell so viel, daß es Säbelbeine waren, deren Schwung jedoch nicht excessiv war, so glaube ich Itzig's Silhouette einigermaaßen gezeichnet zu haben. Auf die geringelten zahlosen schwarzen Sechserlöckchen seines Haupthaars komme ich später noch zu reden. – Das also war der Studiosus Stern in der Ruhe. Aber wer hilft mir, welcher Clown, welcher Dialect-Imitator, welcher Grimasseur, Itzig darzustellen, wenn er ging, wenn er sprach und agirte. Itzig sagte mir wohl, er stamme von einer französischen Familie ab, und sei französisch erzogen; er sprach wohl etwas, wenn auch mechanisch ganz verschobenes Französisch; aber das Unglück war, daß Itzig zu früh in die nahe Pfalz kam, und die prononcirten Laute dieses Stamms mit einer Gier einschlürfte, als wäre es Milch und Honig. Wohl konnte Faiteles auch Hochdeutsch reden; aber dann war es eben nicht Faiteles, sondern eine Zierpuppe. Wenn Faitel für sich war, und sich nicht zu geniren brauchte, dann sprach er Pfälzisch und – noch etwas. Doch vorher noch einige Bemerkungen über seine Gangart und Agitationes. – Itzig hob immer beide Schenkel fast bis zur Nabelhöhe beim Gehen, so daß er mit dem Storch einige Aehnlichkeit hatte; dabei steckte er den Kopf tief auf die Plastron-Cravatte herab, und sah starr auf den Boden. Man konnte wohl glauben, er könne die Kraft zum Heben der Beine nicht bemessen, und überschlage sich; und bei Rückenmarkskrankheiten kommen ja ähnliche Störungen vor; Itzig war aber nicht rückenmarkskrank, denn er war jung und geschont; als ich ihn einmal frug, warum er so extravagant gehe, sagte er »aß ich [266] vorwärts komm'!« – Faiteles hatte auch Mühe, das Gleichgewicht zu halten, und beim Gehen troffen oft Schweißtropfen aus den Sechserlöckchen der Stirne. Das Nackenband war sehr stark und kräftig bei meinem Freund entwickelt; wie ich vermuthete, wegen der Schwierigkeit und Arbeit, die Itzig hatte, den Kopf zu Gottes Himmelszelt emporzuheben. Itzigs Kopf war in seiner natürlichen Stellung immer starr auf den Erdboden gerichtet, das Kinn fest in die seid'ne Plastron-Cravatte eingebohrt. – Das war Itzig Faitel Stern, wenn er ruhig war, oder seines Weges ging. Was waren aber seine Agitationes? – Dies hing ab, von der Stimmung, in der Faiteles sich befand, ob er aufgelegt, oder unzufrieden war; ob er zustimmte, oder einen Gegenbeweis führen wollte. Stark in Affekt kam er nie; und zornig zu werden hinderte ihn seine ganze Constitution. Wenn er aber eifrig wurde, und gute Opportunitäts-Gründe in's Feld zu führen hatte, dann bäumte er auf, hob den Kopf empor, zog die fleischige, wie ein Stück Leder sich bewegende Oberlippe zurück, so daß die obere Zahnreihe entblößt wurde, spreizte mit zurückgebeugtem Oberkörper beide Hände fächerförmig nach oben, knaukte mit dem Kopf gegen die Brust zu einigemal auf und ab, und ließ rythmisch abgestoßene Schnedderengdeng-Geräusche hören. Bis zu diesem Moment hatte mein Freund noch gar Nichts gesagt. Aber aus der ganzen Aufeinanderfolge dieser gestikulatorischen Mimik wußte ich schon, in welcher Richtung sich Faitel's Auseinandersetzungen bewegen würden. Faitel miaute, schnarrte, meckerte und producirte auch Schneuz-Laute sehr gern und zur richtigen Zeit, so daß man daraus immer exacter wußte, als wenn er blos einige Worte hingeworfen, wie er dachte, und wie sein Inneres angelegt und engagirt war. Wenn sein Standpunkt zweifelhaft, sogar gefährdet war, und er von einer unwahrscheinlichen Sache den Gegner überzeugen wollte, warf er mit eingezwickten Bauch den rotirenden Oberkörper von der Seite des Gegners weg und zu sich hinüber, gleichsam als wolle er mit der ganzen Körperlast den Betreffenden zu sich hinüberziehen. Fleißige, angenehm grunzende Schnarrlaute begleiteten diesen Akt. Wer dies zum erstenmal sah und hörte, der erstaunte, und unterlag; er willigte ein, schon in Anerkennung des fleißigen Ueberredungs-Aktes. Aber Faiteles wurde, die Wirkung erkennend, nun zu immer weiterer Exaltation getrieben. Und zuletzt wurde es monströs. Soviel über seine[267] Agitationes. – Aber wer hilft mir die Sprache von Itzig Faitel Stern beschreiben? Welcher Philologe oder Dialektkenner würde sich unterstehen diese Mischung von Pfälzerisch, semitischem Geknängse, französischen Nasal-Lauten und einigen hochdeutsch mit offener Mundstellung vorgebrachten, glücklich abgelauschten Wortbildungen zu analysiren?! Ich kann es nicht; und ich will mich darauf beschränken, nach dem phonetischen System das dem Leser vorzuführen, was an Itzig Faitele'schen Phrasen mir in der Erinnerung geblieben. Aber vorher muß ich doch aus der Faitele'schen Redeweise zwei Punkte hervorheben, die grammatikalisch besonderes Interesse beanspruchen. Dann soll die grauenhafte Comödie, dieItzig Faitel Stern in Heidelberg, wo wir Beide studirten, aufführte, ohne Unterbrechung sich abwickeln: Faitel hatte unter den unzählig flüchtigen und kaum andeutbaren Besonderheiten seiner Sprechweise besonders zwei, – wie soll ich es nennen? – Sprachpartikel, die an bestimmten Stellen immer wiederkehrten, und sich mir zuletzt als syntaktische Bestandtheile von bestimmtem Begriffswerth einprägten. Faitel Stern sagte z.B. wenn ich ihn über den ungeheuren Luxus in seiner Garderobe, seinen Toilettegegenständen, interpellirte, – ».....was soll ech mer nicht kahfen ä neihes Gewand, ä scheene Hut- 'menerá, faine Lackstiefelich, – 'menerá, aß ech bin hernach ä fainer Mann! Deradáng! Deradáng!.....« (Hin- und Herwippen des Oberkörpers! Aufspreizen der Hände in Achselhöhe bei leicht hockender Stellung; verzückter Blick mit Glasreflex; Entblößen der beiden Zahnreihen; reichliche Speichelabsonderung). –


Der Leser wird hier mit Verwunderung zwei Wörter entdeckt haben, oder vielmehr ein Annexum, ein Anhängsel, und eine Interjection, die er in jedem Wörterbuch vergeblich suchen würde. »– menerá«, eine Art Schnurrwort, kurz-kurz-lang, mit dem Ton auf der letzten Silbe (Anapäst), wurde Substantiven angehängt, und verlieh ihnen eine Art eigenthümlicher, pathetischer Bedeutung; schloß das Substantiv mit einem Consonanten, so wurde oft »– emenera« angehängt, und zwar mit solch rasselnder Geschwindigkeit, daß der Ton auf dem Substantiv blieb, und das Annex als vierkurzsilbiger Schnurrlaut (also: Doppelpyrrhichius) sich anschloß. Manchmal schien es auch, als ob das »– menerá«, nur die Verbindung zum nächsten Wort herstellen solle, wenn dieses mit einem für Faitels Zunge [268] schweren Anlauter begann. Sie wurden daher nur beim schnellen Reden und bei gehobener Stimmung benutzt. Irgend welchen declinatorischen Charakter vermochten die beiden Annexe dem mit ihnen verbundenen Wort, wie es bei einigen Negersprachen der Fall ist, nicht zu geben. – Ganz anders war es mit dem stark nasalen »Deradáng!«. Dieses war Interjection, Ausrufepartikel, hatte also selbständigen Wort- und Begriffswerth; wurde sing-sang-mäßig, breit, knängsend ausgesprochen, mit speichelndem Mund, schloß immer den Satz, und schien so viel zu bedeuten, als: Gelt! hab' ich nicht recht?! – Siehste wohl! – Wer hätte das gedacht?! – Ei der Tausend; u. drgl. – Ja, lieber Leser, Du darfst Dir Mühe geben so viel Du willst, »Deradáng! Deradáng!« auszusprechen; so fettig-guttural, so weich-gröhlend, so speichelnd wie Itzig Faitel Stern bringst Du's nicht zusammen!


Ich will den Leser nicht länger darüber im Unklaren lassen, wieso ich zu diesem merkwürdigen Umgang kam; und mir nicht ein Mäntelchen umhängen, welches mir schlecht stehen würde, indem ich den Leser auf die Vermuthung kommen lasse, es sei Mitleid gewesen, was mich in die Nähe dieses grauenhaften Stücks Menschenfleisch, genannt Itzig Faitel Stern, brachte. Es war gewiß viel, wie soll ich sagen, medizinische, oder besser anthropologische Neugierde dabei; ich empfand ihm gegenüber wie etwa bei einem Neger dessen Glotzaugen, dessen gelbe Augen-Bindehaut, dessen Quetsch-Nase, Mollusken-Lippen, Elfenbeinzähne, dessen Geruch man mit Verwunderung wahrnimmt, und dessen Gefühle und geheimste anthropologische Handlungen man ebenfalls kennen lernen möchte; vielleicht war auch etwas Mitleid dabei, nicht viel. Mit Verwunderung beobachtete ich, wie dieses Monstrum sich die grauenhafteste Mühe gab, sich in unsere Verhältnisse, in unsere Art zu gehen, zu denken, in unsere Mimik, in die Aeußerungen unserer Gemüthsbewegungen, in unsere Sprechweise einzuleben. Aber ein viel stärkerer und egoistischerer Grund war doch für mich der, etwas über denTalmud zu erfahren, welches Faitel's Religionsbuch war; alle die merkwürdigen Gerüchte, die über dieses umfangreiche Gesetzbuch in Umgang waren, interessirten mich in hohem Grade. Und Itzig war zwar kein Talmudgelehrter; aber er wußte doch Manches; und er wußte eine Menge kleiner Gewohnheiten, Schwächen, Practiken, Scurilitäten, die nicht in Büchern und Uebersetzungen des Talmud zu finden waren, und die für mich [269] hohen anthropologischen Werth hatten. – Freilich mußte ich eine Menge der sonderbarsten Gerüchte über mich ergehen lassen von Seite meiner Commilitonen in Heidelberg, die nicht begreifen wollten, wie so ich mir den Itzig Faitel Stern zum Umgang auserwählt hatte; Gerüchte, die sich meist an das Vermögen Faitels, an sein Geld, anknüpften; denn Faitel Stern war immens reich. Heidelberg war damals eine zu kleine Stadt, und die Studenten spielten dort eine zu präpondirende Rolle, um eine Erscheinung wie Itzig Faitel Stern, und alles was um ihn sich bewegte, nicht zum hervorragendsten Tagesinteresse zu machen. Und Faitel Stern, um es nochmals zu sagen, war eine Art jüdischer Kaspar Hauser; ein Mensch, der mitten aus dem engherzigen, schematischen, dumpfen, windelstinkenden, knängsenden, grimassirenden Kleingram seiner Familienerziehung heraus, in Folge eines jähen Entschlusses, plötzlich, die Taschen voll mit Gold, auf das große Lebenspflaster einer europäischen Stadt geworfen war, und dort blöd, mit vertrakten Bewegungen, verlacht-bewundert, sich umzusehen begann.


Aber so konnte das Ding nicht weitergehen. Gleich nach den ersten Tagen unserer Bekanntschaft machte ich Faitel Vorschläge hinsichtlich seiner Umwandlung in etwas modernem Sinne, und fand damit bei ihm die entgegenkommendste Aufnahme. Ich habe wohl nicht vergessen zu sagen, daß wir Beide Medizin studirten. Und daß Faitel auf dieses Studium verfiel, war nach Allem, was wir über sein physikalisches Aeußere wissen, gewiß ein günstiges Testimonium intellectus. – »Faitel«, – sagte ich ihm eines Tags, – »Sie müssen Ihren Gang ändern; Sie sind ja vollständig contract; und dabei das Gespötte und Gelächter der Stadt!« – »»Was kann ich vor de Misemischine,«« – rief Faitel, und stampfte die Plattfüße mit großer Kraftentwicklung ohnmächtig auf den Boden, – »»bin ich gegangen so mai Lebetag'; duht mai Vater aach so gehe, und is geworden der alte Stern Salomon! – Gäben Se mer ä neies Gebein; ich beßahls!«« – »Bezahlen!« – rief ich, – »das wäre schon Recht; aber wer wird im Stande sein Ihre englischen Knochen wieder gerade zu machen!?« – Wir kamen überein, einen Orthopäden zu Rath zu ziehen. Der ausgezeichnetste Vertreter dieser Disciplin erklärte aber, Itzig sei zu alt, die Knochen zu weit vorgebildet; empfahl uns aber den Professor Klotz, den berühmten Anatomen Heidelsbergs, behufs wissenschaftlicher Untersuchung des Skelets [270] Itzig's. Wir gingen zu dem berühmten Mann. Derselbe stellte alle möglichen Messungen am nackten Itzig an, ließ denselben dann auf und ab gehen, und schlug zuletzt die Hände über dem Kopfe zusammen: so 'was sei ihm in seinem Leben nicht vorgekommen; er holte dann ein bekanntes Buch herbei:Meyer, Statik und Mechanik des menschlichen Knochengerüstes, Leipzig 1873, dessen 2. Auflage ihm übertragen worden war; mißmuthig meinte er, er müsse das ganze Buch mit Rücksicht auf Itzig umarbeiten; stellte dann dazwischen die merkwürdige Frage, ob es sicher sei, daß Itzig von menschlichen Eltern geboren. Dies konnte auf's unwiderleglichste nachgewiesen werden. »Dann«, – schloß ProfesserKlotz seine Ausführungen, – kann ich nicht alle Hoffnung aufgeben, die Gelenke des Studiosus Stern auf eine der humanen Bewegungsform ähnlichen Stufe wieder hinzubringen; nur – zögerte der berühmte Anatom, – die Mittel und Wege«..... »»Ich beßahl's«« rief Faiteles, von einer plötzlichen Ahnung erfaßt, schnell dazwischen, – »»ich beßahl's! ich beßahl mei neie Statür; Herr Profäßer soll'n haben viel Geld-era, Deradáng! Deradáng! (sehr breit zu sprechen). Ich beßahlera! Deradáng! Deradáng!«« (Aufspreizen der Hände in Achselhöhe; Einhaken in den Westenausschnitt; pendelförmiges Hin- und Herwippen mit dem Oberkörper; lächelnde Mundstellung; obere Zahnreihe entblößt; reichliche Speichelabsonderung.)


Nun kamen schwere Zeiten für Faitel. Tage- und Nächtelang hing er in der Streckschwebe, um durch das eigene Körpergewicht die skoliotischen Knochen zum Dehnen zu bringen, oder stack im Gyps-Corset; das Nackenband wurde durch blutige Operation verkürzt und straffer gehalten, um Faitel den Anblick des Himmels zu ermöglichen. Wochenlang mußten die in neue Charniere gebrachten Knochen beim Turnlehrer geübt und weitergebildet werden. Alles geschah in eigens für Faiteles anberaumten Privatstunden, da Niemand mit ihm zu üben Lust hatte, noch seine Uebungen für sich brauchen konnte, noch auch Faitel bei seinen halsbrechenden Exercitien gesehen sein wollte. Enorme Summen wanderten in die Hände der Gymnastiker, Bandagisten, Orthopäden und – des ProfessorKlotz, der das Ganze leitete und überwachte. Nach einem Vierteljahr waren leidliche Resultate zu sehen. Die Säbelbeine natürlich konnten von all diesen Correctionsversuchen nicht betroffen sein, da es [271] für sie kein tiefer gelegenes Gegengewicht gab, um sie zum Strecken zu bringen. Man beruhigte Faiteles, indem man ihm zu verstehen gab, solche Beine kämen auch bei andern Menschenklassen, bei Bäckern u. dgl., vor. Aber Faitel war unermüdlich; seit sein spitzes Kinn nicht mehr in die Plastron-Cravatte sich einbohrte, war er fest entschlossen »ßu werden aach a fains Menschenkind wie a Goj-menera, und aufßugeben alle Fisenemie von Jüdischkeit«. – Es kam damals gerade jene kühne Operation auf, die man brisement forcé nannte; man zerbrach absichtlich einen stark gekrümmten Knochen, und behandelte ihn dann wie einen zufälligen Beinbruch, nur daß man die beiden Stücke in gerader Richtung an einander heilen ließ. Dieses Verfahren wurde bei Faitel Stern's Säbelbeinen angewendet. Mehrwöchiges Bettliegen für jedes Bein, mit Schmerzen und Verbänden aller Art, und ungeheure Kosten für ein Verfahren, zu dessen exacter Ausführung damals ein eigener Arzt von Paris kam, waren die Folgen und Nebenumstände dieser Cur. – Der alte Salomon Stern sandte Wechsel auf Wechsel, die jeder Geschäftsmann mit Freuden honorirte. Dann kamen wochenlange Gehversuche mit den neugeheilten Gliedern. Und wirklich, als nun Faitel Stern zum ersten Mal ausging, hatte er wesentliche Fortschritte gemacht. Er war etwas größer geworden, und sah schon einem respectablen Menschen gleich. Alles war und blieb noch lange recht steif; aber er konnte jetzt doch einen normalen Menschen vortäuschen. Das Gesicht sah kerzengerade hinaus; das Kinn zeigte sich erst jetzt fürchterlich lang und spitz; die Hühnerbrust war abgeplattet, und die Rockpatten verliefen gerade hinunter. Um Faiteles an dem gemeinen, behaglichen Hin- und Herwippen des Oberkörpers, wobei er sein näselnd-gurgelndes »Deradáng, Deradáng« hören ließ, zu hindern, wurde ihm, ähnlich wie bei Hunden, ein Stachel-Halsband, ein solches um die Hüfte, auf den bloßen Körper, gelegt, so daß er bei seitlichen Neigungen sofort heftig gestochen wurde. Dieß Alles ertrug Faitel Stern mit Heroismus, und stand dort schlank gebunden, wie eine Tanne. Aber die Hauptsache kam erst. Es war klar, daß man ihn mit der Sprache, von der wir einige Proben gegeben haben, nirgends einführen konnte. Es war der Ausdruck einer schmierigen, niedrigen, feigen Gesinnungsweise. Und wenn es sich auch zunächst nur um äußere Täuschung handelte, so wollte man doch diese so bald als möglich erreichen.


[272] Da es hoffnungslos war, ihn mit seinem Pfälzisch-Jüdischen auf ein nächst-verwandtes reines Hochdeutsch zu bringen, so versuchte man, durch einen absoluten Gegensatz zu seinem bisherigen Sing-Sang, ihn auf rechte Bahn zu bringen; und besorgte einen hannoveranischen Hofmeister, dessen hell-näselnde, klirrende Sprechweise Itzig wie ein Schulknabe, Satz für Satz, nachzusprechen hatte, so daß er Hochdeutsch wie eine völlig fremde Sprache lernte. Sogar einige hannoveranische Studenten wurden gegen Collegienfreiheit und diverse Mittagstische veranlaßt, Itzig für ein ganzes Semester Gesellschaft zu leisten. Diese ganze Reihe von Maßnahmen war das Resultat einer sachgemäßen Besprechung mit dem berühmtenTübinger Linguisten damaliger Zeit, zu welcher noch der Heidelberger Physiologe zugezogen war. Diese Herren gingen von folgenden Erwägungen aus: In unserem Gehirn ist immer nur ein Theil der für die Sprache befähigten Partieen, und immer nur auf der einen Seite, rechts oder links, ausgenützt; ein Heranziehen jener bisher brach gelegenen Partieen zu neuen Sprachbildungen ist nicht ausgeschlossen, und findet durch die Natur selbst, nach Krankheiten u. dgl., statt. Nur ist bei solchen Versuchen auf's Sorgfältigste darauf zu achten, daß nichts in Wort- und Laut-Bildungen in der neuen Sprache an das alte Idiom erinnere; weil sonst Verwirrung entsteht; wie der Tübinger Spezialist sich ausdrückte: es muß eine neue Sprach-Insel bei Itzig gebildet werden. Und nun wurde genau untersucht, welcher deutsche Dialect mit dem Pfälzisch-Jüdischen Faitel's die geringste Laut-Verwandtschaft besitze. Man kam erst auf das Pommer–'sche. Aber Faitel war dieß zu hart. Endlich einigte man sich über dem Hannoveran'schen. Der Leser kann sich denken, daß diese feinen prognostischen Berechnungen ein horrentes Geld kosteten. Diese Sprach-Exercitien wurden ein ganzes Semester fortgesetzt.


Ich kann den Leser unmöglich mit all' den Ausstaffirungen, Veränderungen, Einpumpungen und Quaksalbereien aufhalten, denen Itzig Faitel Stern sich unterzog, mit der furchtbarsten Qual und mit größtem Heroismus unterzog, um ein gleichwerthiger abendländischer Mensch zu werden. Immer vigilirte er auf Neues, studirte geheime christliche Züge, copirte Mundverzerrungen, Backenaufblähungen und Agitationes, gefiel sich im heroisch-teutonischen Genre, wie in der blond-naiven, süßlächelnden [273] Jünglings-Gangart. Der Teint, die weizengelbe Gesichtsfarbe Faiteles', mußte natürlich einem feinen, pastösen Bleiteint weichen, den Itzig vortrefflich aufzutragen verstand. Daß Faitel einmal vier Wochen hindurch sich von einer mir unbekannten Drogue, in Form von Gemüse nährte, um auf natürliche Weise zur kaukasischen Lichtfarbe zu gelangen, daraufhin habe ich ihn nur im Verdacht. Eine relativ einfache und ungefährliche Procedur, die aber die ungeheuerlichste Wirkung ausübte, betraf die Haare. Es kamen damals gerade die englischen Waschungen auf, die zwar, weil Geheimniß, unerschwingliche Kosten verursachten, die aber jedes beliebige dunkle Haar in ein prachtvolles Goldblond verwandelten. Die ersten englischen Friseure bereisten damals Deutschland, und ein solcher hatte sich in dem reichen, stets von hohen Herrschaften besuchten Heidelberg nieder gelassen. Faiteles war einer der Ersten, der sich der Prozedur unterzog. Mit ihrer Hülfe wandelten sich die pechschwarzen Sechserlöckchen Itzig's, unter denen sich immer ein verdächtig riechender Schweiß aufhielt, in goldene Kinderlocken; diese Locken wurden weiterhin mittelst eines nicht schmerzlosen Verfahrens in lange, germanische Strähnen ausgezogen; ein simpler, norddeutscher Haarschnitt wurde angebracht, und – der dumbe, tappige Germanen-Jüngling, wie ihn Schwind gelegentlich auf seinen Bildern angebracht hat, war fertig. Faiteles nannte sich Siegfried Freudenstern, und ließ seine Matrikel und übrigen Papiere umändern.


Faitel war jetzt ein ganz neuer Mensch geworden. Die letzten Prozeduren, die er so vorsichtig war, in den Ferien, in der Nähe der Stadt, vornehmen zu lassen, hatten ihn zum Nichtwiedererkennen verändert. Man schlug ihm vor, eine andere Universität zu beziehen. Er wies dies aber ab; vor allem weil er in der Nähe von Professor Klotz zu bleiben wünschte, der die gesammte psycho-physikalische Leitung Itzig's noch immer in seiner Hand hatte. Und in der That, Faitel wurde in Heidelberg, seit der Haarvergoldung, nicht mehr erkannt. Er war hannoveran'scher Gutsbesitzers-Sohn, und bewegte sich in der feinsten Gesellschaft. Die norddeutschen Schnarrlaute übte er mit spielender Leichtigkeit, und erzielte damit wo er hinkam ganz außerordentlichen Erfolg. – Aber Faitel's Ehrgeiz ging höher. – Faiteles! Scheener Jüd', fainer Jüd', eleganter Jüd', – so sprach oft Faitel zu sich selbst, aber nur in der Gedankensprache, wenn er vor[274] dem Spiegel stand, – biste jetzt geworden ä Christenmensch, frei von aller Jüdischkeit? Kannste jetzt hin gehn, wo de willst, und dich hinsetzen zu de faine Leit, ohne daß Einer kann sagen: des is aach aner vun unnere Leit? – Faitel wußte, daß dem noch nicht so war. Ja, was Pomade, Schminke, weiße Steif-Leinwand, einige Meter Kammgarn, Wattons und etwas Lackleder an einem Menschen herzustellen vermögen, das war an Faitel geschehen. Aber, wie sah es innerlich aus? –


Hatte Faitel eine Seele? Darüber stritten sich schon seit Monaten alle jene Leute, Erzieher, Aerzte u. drgl., die mit ihm zu thun hatten, herum. Die Seele freilich, die nöthig war, um vor der Hochzeit ein paar heuchlerische Phrasen herauszubringen, oder im richtigen Moment einem armen Teufel ein paar Silberlinge hinzuwerfen, die besaß Faitel, wie jeder Andere. Aber Faitel hatte von jener keuschen, undefinirbaren, germanischen Seele gehört, die den Besitzer wie einen Duft umkleide, aus der das Gemüth seine reichen Schätze beziehe, und die das Schiboleth der germanischen Nationen bilde, jedem Besitzer beim Andern sofort erkennbar. Faitel wollte diese Seele haben. Und wenn er kein echtes Kölnisches Wasser haben konnte, wollte er das Nachgemachte. Er wollte wenigstens diese Seele in ihren Aeußerungen, in ihren Zutagetretungen sich aneignen. Man rieth ihm nach England zu gehen, wo der reinste Extrait dieser germanischen Seele zu finden sei. Sprachschwierigkeiten ließen diesen Plan bald wieder fallen. Ein bekannter Pädagoge meinte, ob man nicht durch Weiterbildung auf Grund der gewöhnlichen, ordinären, auch bei Faitel vorhandenen Seelen-Anlage, das höhere Ziel erreichen könne. Der berühmte Cambridge'r Professor Stokes hatte kurz vorher seine »psychological researches« herausgegeben, auf Grund deren er die primäre Seelen-Anlage bei Leuten wie Faiteles nicht als geistigen Besitz, sondern als mechanische Funktion, »rotation work«, wie er sich ausdrückte, erklärte. Diese neue Theorie ließ von weiteren erziehlichen Versuchen bei Itzig Faitel abstehen.


Unter all diesen Prüfungen und Untersuchungen platzte Itzig einmal mit der Frage heraus: wo denn der Sitz der Seele sei? – Man mußte ihm erklären, daß seit Descartes den mißglückten Versuch gemacht hatte, den Sitz der Seele in die Zirbeldrüse des Gehirns zu verlegen, eine Localisation dieser geistigen Kraft nicht mehr probirt worden; daß vielmehr die Seele aus dem [275] Zusammenwirken bestimmter körperlicher und geistiger Functionen zu verstehen sei; und daß, da letztere in bestimmter Art von der Qualität des Blutes abhängig sei, so könne man mit einiger Wahrscheinlichkeit den Satz aufstellen, der Sitz der Seele sei das Blut und seine wechselnden Zustände. Von hier aus hatte Faitel im Nu den Plan zu einer seiner kühnsten Prozeduren gefaßt; denn mehrere Tage nach jener Discussion hörte man ihn zu seinen intimsten Bekannten mit Frohlocken sich äußern: »Kaaf ich mer ä christlich's Bluht! Kaaf ich mer ä christlich's Bluht!« (obwohl ihm seine Erzieher diesen Jargon auf's Strengste verboten hatten.) – Der Leser wird den Kopf schütteln. Aber der Leser darf nicht vergessen, daß Itzig Faitel Stern Mediziner war, und auf allen einschlägigen Gebieten Bescheid wußte. Und ferner ist hier der Ort, daran zu erinnern, daß damals, als unsere Erzählung spielt, die Transfusionen aufkamen, die Blut-Einspritzungen aus einem vollsaftigen, blutreichen Körper in einen blutarmen, darniederliegenden Organismus durch Öffnen eines oberflächlich liegenden Blutgefäßes am Arm. Diese Operationen waren ungeheuer gefährlich, und sind heute bereits ganz verlassen. Man rieth Faiteles ernstlich ab. Er ließ sich jedoch nicht abhalten. Gleichwohl waren noch große Schwierigkeiten zu überwinden. Man hatte bereits sechs bis acht kräftige Leute aufgetrieben, die gegen luxuriöse Bezahlung jeder einen Liter Blut hergeben sollten. Als sie hörten, daß es für einen Juden sei, traten sie zurück, sprachen von dem durch die Juden am Kreuz vergossenen Blut, und waren nicht mehr zu bewegen, ihr Wort zu halten. Erst, als man mehrere kräftige Schwarzwälderinnen, die zur Messe gekommen waren, überreden konnte, sie müßten sich wieder einmal zur Ader lassen, war die Hauptschwierigkeit gehoben. Faitel setzte sich in einem Nebenzimmer selbst das Messer an, und, obwohl die Menge des zu entleerenden Blutes genau vorgeschrieben war, ließ er die offene Ader im warmen Bad spritzen, bis er ohnmächtig hinsank. Er wollte von der »Jüdischkeit« ablegen und ablaufen lassen, was herausging. Von den acht kräftigen Bauernmädchen wurden ihm dann im Laufe des Nachmittags acht Liter mit großer Vorsicht allmählich eingespritzt. Faitel ging nach mehrtägiger Bewußtlosigkeit unversehrt aus der gefährlichen Prozedur hervor. Aber über den Erfolg, den psychischen Erfolg, wollte er sich nie recht vernehmen lassen. Allzu groß schien derselbe nicht gewesen zu [276] sein, denn nach mehreren Wochen finden wir ihn schon wieder bei neuen Versuchen, um sich in den Besitz der deutschen Seele zu setzen.


So ließ er sich, besonders in Damenkreisen, pathetische und sentimentale Dichterstellen vorsagen, und beobachtete scharf Mundstellung, Athmung, Augenaufschlag, Gesten, gewisse Schluchzlaute, die aus der mit Gefühlen übersättigten Brust nur mühevoll und heiser sich entrangen. Ja, als die Damen in den ästhetischen Theekreisen ihm nicht genug thaten, ließ sich Faitel aus dem nahen Darmstadt Hofschauspieler kommen, Helden und Liebhaber, und lernt mit ihnen Romeo-Monolage u. drgl. – Dieß hatte in der That größeren Erfolg. Faitel brachte jetzt mit großem Geschick in seiner Diction Sätze vor, wie: »Ach, ich sag' Ihnen, wenn ich darüber nachdenke, wenn ich mir's überlege, es wird mir oft dunkel vor den Augen und mein Herz preßt sich zusammen.....;« – dabei einige brüske Bewegungen, beide Hände auf die linke Seite der Brust gepreßt, – – es war doch ein ganz geschickter Gefühlserguß. Freilich das Auge ruhte bei ihm matt-zerflossen, wie eine verfaulte Kirsche, in der Höhle. Aber viele wußte er doch zu täuschen. Die gepreßten Athmungen machte er vorzüglich. Und er hatte einmal die Genugthuung, daß ein Commilitone von ihm in Damenkreisen sagte: dieser Siegfried Freudenstern ist ein Gemüthsmensch durch und durch.


Aber Faitel hatte noch eine Menge anderer, alter, erbgesessener Gewohnheiten, Ideenkreise, Scurrilitäten und Verschrobenheiten. Wenn ich oft Abends mit ihm spazieren ging, überließ er sich gern seinem Nachdenken, und – wollte er Religionsstunde recapitulieren, oder seine früheren Lehrer verspotten, – er begann dann mit veränderter, mäckernder Rabbinerstimme sich selbst wie folgt zu examiren: »Was duht Jehova zu Beginn des Dags?« – Dann antwortete sich Faitel in seiner eigenen Stimme, aber mit einem frechen witzigen Accent: »»Er stutiret im Gesätz!«« – (Wieder die erste Stimme:) »Was duht der hailige Gott aber härnach?« – (Zweite Stimme:) »»Härnach sitzt er und regiret die ganze Wält?«« – »Was duht aber Jehova wiederum härnach?« – »»Hernach sitzet er und ernähret die ganze Wält!«« – »Was duht er aber dann?« – »»Dann sitzet er und copuliret die Männer und die Waiber««! – »Wie lang copulirt der hailige Gott die Männer und die Waiber?« – »»Drei Stunden lang cupulirt er die Männer und die Waiber!«« – »Was duht er dann am [277] Nachmittag der hailige Jehovah?« – »»Am Nachmittag duht er nichts, der Jehovah; er ruht aus!«« – »Waih geschrieen! Wie haißt, er duht nichts der hailige Jehovah? Wird er nichts duhn, der hailige Jehovah? Was wird er duhn? Was duht der Jehovah am Nachmitdag – He?« – (Nun schien eine entfernte spitzige Knabenstimme von der hintersten Schulbank zu antworten.) »»Am Nachmitdag spielt der hailige Jehovah mit dem Leviathan!«« – »Nadierlich! (fiel jetzt die Stimme des Rabbiners ein) er spielt mit dem Leviathan!« – – In solchen Stunden war Faitel überglücklich und geberdete sich wie ein wilder Junge. Wenn wir dann hinaus vor die Stadt kamen, nahm Faitel wohl auch gelegentlich sein weißes Taschentuch, hing es um den Hals, hielt es vorne mit zwei Zipfeln, und fing nun an in roulirenden Scalen mit heulendem Gurgellaut ganze Berge von Gesang loszulassen mit eigenthümlich jubilirend-heiterem Charakter auf einen Text, der mir fremd war; bis ihm die Augen heraustraten und der Schaum vor seinen Lippen stand; dann brach er körperlich fast zusammen, und lief wie ein Trunkener, besinnungslos, neben mir her. Wenn er wieder zu sich kam, blieb er still, in sich gekehrt, that sehr geheimnißvoll, und schien von einem unbekannten Glück durchfluthet. – Von Alledem durften natürlich seine Lehrer nichts wissen, die jede Uebung, jeden Laut und Geste perhorrescirten, die ihn an seine frühere Constitution erinnern konnten. Ich hatte aber auch Faitel im Verdacht, daß er, wenn allein, all den früheren Unfug weiter trieb. Tags über war er im europäischen Corset, eingeschnürt, überwacht, streng beobachtet. Aber Nachts, wenn alle Fessel fiel, wenn er den Stachelgürtel auszog, und lag im Bett, kein Zweifel, da wippte er wie früher mit dem Becken hin und her, steckte die aufgespreizten Hände in die fingirten Westenausschnitte, gurgelte und gröhlte, »Deradáng! Deradáng!« und die ganze pfälzisch-jüdische Sündfluth kam dann heraus. – Faitel hatte aber noch andere Dinge, die noch viel unausrottbarer waren, weil sie nicht, wie Bewegungen, vom Willen beherrscht wurden, sondern in seiner Phantasie steckten. Die Vollständigkeit zwingt mich hier, etwas Unappetitliches zu berühren: Faitel hatte Angst vor dem Abort. Er glaubte an die alt-hebräischen Unflat- und Abtritt-Geister, die den Menschen während seiner höchst dringenden Beschäftigung molestirten und Besitz von ihm ergriffen, und durch bestimmte Gebete abgewehrt werden könnten. Da er diese Gebete nicht mehr[278] wußte, oder nicht mehr mit Ueberzeugung sprechen konnte, so wuchs seine Angst nur um so mehr. Und nur der Umstand, daß die quästionirten Geister in Gegenwart noch eines Andern sich nicht an den Menschen wagten, verschaffte Faitel die, freilich immer erst zu beschaffende, Gelegenheit, einem so dringenden Geschäft mit Ruhe obzuliegen. –


Solcher Art war Faitel's Neubildung und Umgestaltung beschaffen. Innerlich war Vieles noch nicht neu besetzt, und alte Functionen noch in Thätigkeit. Aeußerlich war alles zugeglättet, gestriegelt, gut eingeübt und in promptem Gang. Alles in Allem mußten Faitel und seine Lehrer, Erzieher und Instructoren mit dem Erreichten zufrieden sein. Und Professor Klotz, dessen sorgsames Auge von Semester zu Semester mit höherem Interesse über seinem Menschenwerk wachte, mochte in seinem Beglückungsgefühl inmitten stehen zwischen einem Circus-Director, der ein schwieriges Pferd endlich für die Manege hergerichtet, und jenem erhabenen Schöpfer, der einem kalten Erdenkloß Leben einhauchte. – Hatte nicht auch Klotz einem vertrackten Gerippe neues Leben eingehaucht? – Aber Eines fehlte noch: Es galt diese kostbar-gewonnene Menschenrace fortzupflanzen. Mit dem feinsten abendländischen Reis sollte der neue Stamm oculirt werden. Eine blonde Germanin mußte die mit fabelhafter Mühe gewonnenen Resultate erhalten helfen. So lautete die Theorie. In Praxis hieß dies: Die arme, aber schöne, flachshärige BeamtenstochterOthilia Schnack sollte dem enorm reichen Gutsbesitzers-Sohn Siegfried Freudenstern die Hand [279] reichen. So war es ausgemacht, und so war es Faitel zufrieden. Ein Gut war in der That vom alten Salomon Stern, der ruhig in der Pfalz auf seinem Dorf saß, (welches fast ganz ihm gehörte) bei Hannover angekauft, um den jungen Leuten als nächster Aufenthalt zu dienen. Die hannoverschen Studenten, die schon einmal so vortrefflich Dienste als Sprachinstructoren geleistet, sollten seiner Zeit die nöthigen Familien-Einführungen in Hannoveran'schen Stadt- und Landkreisen besorgen. Einige wacklige Hypotheken auf den Elternhäusern der betreffenden jungen Herrn waren für diesen Fall vom alten Salomon in Patzendorf (der alte Salomon wohnte in Patzendorf) zur Einlösung bestimmt. Ein ganz fabelhafter Trusseau war bei den ersten Lieferanten Heidelbergs für den Fall des Zustandekommens der Verbindung in Auftrag gegeben. Dieses übte nun wiederum einen unverhältnißmäßigen Druck auf alle Geschäftskreise in der Universitätsstadt aus. Man sprach so viel von der Verbindung, daß es schließlich hieß: die Verbindung muß zu Stande kommen; oder: dieß Verhältniß darf nicht rückgängig gemacht werden, als ob überhaupt schon etwas eingegangen worden. Das Mädchen Othilia, mit ihren sternhellen Augen, war ein offenes, liebreiches Geschöpf, aber mit einem starken Mädcheninstinkt. Ihr war in Gegenwart des goldblonden Jünglings mit den Schnurr-Sprechwerkzeugen nicht ganz wohl. Sie ahnte Ungünstiges, konnte aber ihren Verdacht nicht begründen. Der Vater, ein ängstlicher Mann, der durch Bravheit und Rechtschaffenheit es vom Diurnisten zum Subaltern-Beamten [280] gebracht, war eine ängstliche Natur, die immer horchte, nie Nein sagte, mit kleinen Schritten trippelnd hin und her ging, Kinn und Nacken tief in einem ungestärkten, aufgeschlagenen Hemdkragen versteckt trug, und, sobald er merkte, daß etwas wie eine Familiensitzung im Anzug war, Hut und Stock nahm und einen Spaziergang machte. Die Mutter, eine vollbusige, schwerfällige, hie und da noch etwas gern scharmirende, aber energische und tüchtige Wirthschafterin, war entschieden für die Verbindung. Sie besaß bereits taubeneigroße Brillantsteine von Faitel Stern in den Ohren. Dieser klugen Frau war nur verdächtig, daß die Heidelberger Professoren, besonders die Mediziner, sich für das Zustandekommen der Heirath so erwärmten. Natürlich waren die Hoteliers, Weinlieferanten, Marchands de mode, Stickereigeschäfte, Kuchenbäcker, Juweliere, Annoncen-Expeditionen, Unterhändler, Kutscher und Packträger für die Verbindung. Auch die Freundinnen Othilias waren eher für die Heirath. Die protestantische Geistlichkeit – Othilia war protestantisch, – nickte ebenfalls beifällig zu dem ganzen Projekt. Daß man von Faitel's Verwandten gar Niemanden sah, verursachte einige Beklemmung in der Familie Schnack. Es hieß, die Eltern seien betagt, und die weite Reise aus dem Hannoverschen! Aber, wenn nur ein Bruder, oder noch lieber eine Schwester, des Bräutigam's sich gezeigt hätte! Aber die krächzende Brut hinten in Patzendorf hütet sich natürlich einen Laut zu geben.


Faitel war jetzt im sechsten Semester; seine Kenntnisse und [281] seine gute Führung wurden gelobt. Es machte aber Aufsehen, als es hieß, Professor Klotz habe den jungen hannöverschen Studenten, der eben sein Examen absolvirt, zu seinem Assistenten ernannt. Diese Ernennung bedurfte der ministeriellen Bestätigung in Karlsruhe. Sie erfolgte. Sie gab aber dem auch in Karlsruhe bereits umlaufenden Gerücht von der reichen Heirath in Heidelberg neue Nahrung. Dem Landesfürsten konnten alle diese Gerede nicht entgehen. Und eines Tages theilte der Bureauchef dem alten Schnack mit schmelzendem Lächeln mit, man habe in Karlsruhe, – bei Hof, – von der Verbindung seiner Tochter – gesprochen. Jetzt war's fertig! dem alten Diurnisten blieb der Kopf starr und lautlos hinter der Cravatte stecken. Nicht einmal zu einem Schnappen brachten es die beiden trocknen, mit Rasirstoppeln schwarz getüpfelten Lippen; bis der lange, hagere Bureauchef mit den langen Rockschößen wieder draußen war. Dann warf der alte Schnack spritzend die Kielfeder auf das Arbeitspult, nahm Hut und Stock, und eilte keuchend nach Hause. »Bei Hof! Bei Hof!« Jetzt gab's kein Halten mehr. Die arme Othilia, die zitternd zugehört, warf sich schluchzend in die Arme ihrer Mutter, und erklärte, sie werde gehorchen. Die Mamma aber schrieb sofort ein Billet an den Herrn Assistenten Freudenstein; und die Hochzeit ward anberaumt. –


Lieber Leser, nun hab' ich aber noch ein Wort mit Dir zu reden. Hast Du jemals gehört, daß Leute im Winter einen Mantel tragen, dessen oberer Rand mit einem Streifen kostbaren Pelzes besetzt ist, um glauben zu machen, der ganze Mantel sei so [282] gefüttert? Nicht wahr eine Kleinigkeit! Eine kleine Schwäche! Trägst Du auch einen solchen Pelz? O, dann wirf ihn weg, wenn Du ein Mann bist. Sonst möchte Dir der Pelz eines Tags auf's Maul fallen, während Du in der höchsten Athemnoth bist. (Wenn Du aber ein Weib bist, dann magst Du ihn tragen). Aber das Bischen Pelz, nicht wahr, so viel Gerede darüber! – Gut! – Hast Du aber schon, lieber Leser, solche Leute gesehen, die um ihre Seele solche Pelze tragen? Um die löcherige und schäbige Verfassung ihrer Seele zu verbergen? Und um zu thun, als hätten sie eine noble, in feinem Tuch gekleidete Seele? O Pfui der Schande! O Dreck und Miserabilität! Wenn irgend eine brave, offene, vielleicht noch in ihrem zu enge gewordenen Confirmations-Rock gekleidete Seele daran Ärgerniß nähme, oder getäuscht würde! – Besitzt Du vielleicht selbst Leser solche Umhüllungen für Deine Seele? O, dann schmeiß dieses Buch in die Ecke, wenn Du ein Mann bist, und spuck aus! Es ist nichts für Dich. Nur das Weib darf lügen und sich in falsche Umhüllungen kleiden. –


Hast Du vielleicht, lieber Leser, schon Thiere mit einander sprechen sehen? Zwei Tauben, oder zwei Göcker, oder zwei Hunde, oder selbst zwei Füchse? Nicht wahr, wie sie gurren, schnattern, kläffen, winzeln, wedeln und Körperkrümmungen machen! Glaubst Du, daß sie sich verstehen? Gewiß! Gewiß! Jeder weiß im Nu, was das Andere will. Aber zwei Menschen? Wenn sie schnüffelnd die Köpfe gegeneinanderstrecken, und sich ankieken; und dann ihre Gesichts-Taschenspielereien beginnen; [283] blinzeln, äugeln, schwere und leichte Falten aufziehen, die Backen blähen, knuspern, leer kauen, »Papperlapapp«, und »Der Tausend! Der Tausend!« winzeln? Was thun sie? Verstehen sie sich wohl? Unmöglich! Sie wollen ja nicht. Sie können und dürfen ja nicht. DieLüge hindert sie ja daran. O Roßbollen und Stink-Harz, ihr seid Köstlichkeiten gegen das, was aus der Menschen Munde geht!


Als Prometheus von Gott endlich die Erlaubniß erhalten hatte, Menschen machen zu dürfen, geschah es unter der ausdrücklichen, erniedrigenden Bedingung, daß selbe eine Eigenschaft besitzen müßten, die sie tief unter das Thier stellten. Prometheus, der nur eilte, sein Kunstwerk fertig zu sehen, sagte Ja. Es war dieLüge. O hundsföttischer Vertrag, der uns alle unter dem gleichen Lügen-Zeichen geboren werden ließ! Und warst Du vielleicht die Ursache von jenem großen Lügenthurm zu Babel, wo die Menschen auseinandergehen mußten, weil sie sich schon damals trotz aller Räusperungen und Gesticulationen nicht mehr verstanden? Und wenn auch die germanischen Nationen, die zuletzt an's Schaffen kamen, am wenigsten davon erhielten, weil bei den vorhergehenden, asia tisch-romanischen Geschlechtern schon zu viel Lügensubstanz verbraucht war, so ist es doch noch genug. – O, Leser, wenn Du kannst, spuck diesen Dreck aus, wie faulen Schleim, und zeig Deine Lippen, Deine Zunge und Deine Zähne, so wie sie sind! – – Und jetzt hör' den Schluß der Faiteles-Comödie. –


Im Gasthaus zum »weißen Lamm« in der Martergasse in [284] Heidelberg war der große Speisesaal mit einer glänzenden Gesellschaft gefüllt, die der Hochzeitsfeier von Othilia Schnack mit Siegfried Freudenstern beiwohnte. So etwas war in der Universitätsstadt schon lange nicht mehr gesehen worden. Ob der weltlichen Feier eine kirchliche Trauung vorherging? Das weiß ich nicht. Muthmaßlich. Die protestantischen Papiere für Freudenstern werden schon von einem mitleidigen hannöver'schen Pfarrer eingetroffen gewesen sein. Fehlte nichts als der Impfschein der Heimathgemeinde. Auf der Lüneburger Heide gab es viele Gemeinden, die herzlich froh waren um den Zuwachs ihrer Bürger durch eine Person wie Herr Dr.Freudenstern, der gleich ein Legat von 5000 Gulden zur Restaurirung des Kirchenchors hergab. – Auch der Leser muß sich jetzt noch, am Schluß der Affaire, alle Mühe geben, sich den »Faiteles« aus dem Kopfe zu schlagen. Nur Freudenstern heißt der Held der Geschichte; ein blondsträhniger, hochgewachsener Jüngling steht vor uns, oder unterhält sich vielmehr gerade an der Tafel mit Professor Klotz, während das Compot servirt wird. – Freilich die Zahnbildung, die Lippenwülste, die Nasenlappung in Faitels Gesicht mußten stehen bleiben, wollte man nicht ein Scheußal zusammenoperiren; und wer ein Auge für derlei Dinge hatte, erkannte im Profil Freudenstern's das sinnliche, fleischige, vorgemaulte Sphinx-Gesicht aus Egypten. Aber erstens hat nicht jeder das Auge für derlei Dinge; zweitens sieht man nicht Jemanden immer im Profil; drittens war Hochzeit, wo man unangenehme Dinge überhaupt nicht sieht; viertens war es noch [285] immer streitig, ob das egyptische Sphinx-Gesicht semitischen Charakters ist, oder nicht; fünftens hatte Klotz ganz elegant sich in einem anthropologischen Privatissimum, wo er den Herren Studenten Anleitung zur Bestimmung von Schädel-Messungen gab, die Bemerkung fallen lassen, Freudenstern's Kopf-Bildung entspreche unter allen ihm vorgekommenen Beispielen am reinsten der Kopfform der seit historischer Zeit in Deutschland ansässig gewesenen Hermunduren.


Eben wurde der Pudding aufgetragen. Der freundliche Wirth vom »weißen Lamm« ging schwitzend um die Tafel der schmausenden Gäste herum, und zählte und zählte, denn das Couvert wurde ihm exclusive Wein mit einem Dukaten bezahlt. Das Menu war nicht ganz nach seinem Geschmack, und nicht, wie er glaubte, dem Charakter eines Hotels ersten Ranges, wie des »weißen Lamms«, angemessen. Der weiße Lamm-Wirth hatte rein französisches Menu verlangt; und vorwiegend germanischer Charakter des Hochzeitsschmauses war in Folge Anordnung Klotzens ausdrücklich befohlen worden. Ja, da kam Sauerkraut vor, welches der Wirth wohl in seiner Verzweiflung durch die französische Bezeichnung choucroute in seiner germanischen Roheit zu dämpfen gesucht hatte; vom Schwein waren auserlesene Leckerbissen vorhanden, und fette glänzende Schwarten blinkten von all den Schüsseln, die als entremets in Mitte der Tafel für den ganzen Abend ein für alle mal postirt waren.Freudenstern saß zwischen der wachsbleichen Braut und Klotz. Ihnen gegenüber die Schnacks. Der alteSchnack, dessen [286] schlottrige Gesichtshaut zurückzuschaudern schien vor den vor ihm aufgethürmten Speiseverschwendungen, schaute durch seine großen Augengläser in Silberfassung verwundert auf diese Leute, die so im Fressen geübt waren. Ein paar Vatermörder mit blendend weißer Cravatte hielt den langen Hals mit dem ausgemergelten Kehlkopfe in correcter Haltung. Auf dem tadellosen, schwarzen doppelknöpfigen Rock prangte ein Orden. Er war am Abend vor her aus Karlsruhe eingetroffen. Auch wurde Schnack verschiedentlicherseits mit ›Kanzleirath‹ angesprochen. Die Frau Schnack mit ihrem Embonpoint, überzogen mit vornehm-grauem Seidenstoff, schüttelte fleißig den Kopf hin und her; denn in ihren Ohren wackelten zwei taubenei-große Brillantsteine. Ueber dieser Partie der Tafel lag eine schwere Wolke von Opoponax. – Man war beim Dessert.


Lieber Leser, nun mache Dich gefaßt! Etwas Außerordentliches scheint im Anzuge zu sein. Eine Schwüle, wie vor anbrechendem Gewitter, lag im Saale. Es war sehr viel Wein getrunken worden. Auch Faiteles hatte, von allen Seiten becomplimentirt, immer Bescheid thun müssen. Ich weiß nicht, ob Faitel sehr wenig oder sehr viel Alcoholica vertrug. Die Gepflogenheiten seiner Rasse deuten auf Mäßigkeit. Auf der andern Seite ist bekannt, daß plötzliche und ungewohnte Überschwemmungen des Hirns mit Spirituosen nicht nur krisenartige Explosionen im psychischen wie motorischen Gebiet beim Menschen auslösen, sondern auch Gehirnpartieen, ich möchte sagen, Erinnerungsbezirke, mit einem Mal aufschließen, [287] die ohne die brandige Zufuhr auf lange, vielleicht für immer, geruht hätten. Wie gesagt, ich weiß nicht, ob Faitel zu trinken gewohnt war. Was ich weiß, ist, daß er an diesem Festtag zum ersten Mal den Stachelgürtel, das Präservativ für seine correcte Haltung, abgelegt hatte. Niemand wird ihn darob schelten. Dieses Ablegen war symbolisch. Faitel war an diesem Tag definitiv in die christliche Gesellschaft eingetreten. Auch wird die kluge Leserin begreifen, daß am Hochzeitstag, dem eine Hochzeitsnacht folgte, welch' letzterer eine Hochzeits-Entkleidung vorausgeht, dieser merkwürdige Schmuckgegenstand den Augen der thränenschweren Braut entzogen werden mußte. –


Wovon aber jetzt definitiv der Leser unterrichtet werden muß, ist, daß Faitel seit ca. 10 Minuten starr und unbeweglich dortsaß, den Blick glotzend unter die Tischtafel gerichtet. Sein Gesicht wurde oft purpurn und dann wieder käsweiß. Er schien auf eine ganz bestimmte Gedankenrichtung zu lauschen, die sich ohne sein Zuthun in ihm abspann, und die sein ganzes Interesse gefangen nahm; aber nicht ohne Zuthun von mehrerern Gläsern Cliquot, die er rasch hinunterstürzte, und die der besorgte Wirth hinter ihm rasch wieder füllte, da ja Wein im Couvert-Preis nicht inbegriffen war. – Faitel hob von Zeit zu Zeit die rechte Hand mit ausgestrecktem Finger empor, als wolle er »Pst! Pst!« machen, um besser auf seine inneren Stimmen horchen zu können. Denn im Saal war noch immer großer Trubel, Tellergeklirr und Geschnatter, da ja kein Mensch noch eine Ahnung hatte, was der Engel der Rache hier für ein wundersames Experiment vorbereite. [288] Faitel schien auch ganz systematisch und zweckentsprechend Champagner zuzugießen, wie man Oel einer erlöschenden Flamme zugießt. Wenn ihm die innere Erleuchtung, die über ihn gekommen war, auszugehen schien, brachte er langsam den Oberkörper gegen die Tafel vor, und streckte ohne hinzusehen die rechte Hand aus, ergriff das gefüllte Glas, stürzte es hinunter, und hob dann die Finger empor, als wollte er sagen »Horcht! ob es kommt?« – Und es kam. – Der Inhalt dieser frenetischen Gedankenreihe schien ein heiterer, enthusiastischer zu sein. Denn Faitel schlug mit der platten Hand ein paar mal auf den Oberschenkel, daß es patschte, und lachte und kicherte vor sich hin; und wer ein gutes Ohr hatte, der konnte jetzt schon einige»Deradáng! Deradáng!« hören. Aber die Gäste kannten ja nicht, wie der Leser, was »Deradáng« war. Und das Scherzen, Lachen und Cliquot-Anstoßen übertönte weit diese ersten Mahnrufe. Und Klotz war in eifriger Unterhaltung mit seinem Nachbar zur Linken begriffen. Und nur die Braut zur Rechten überwachte mit Ruhe und Neugierde diese Vorboten eines Deliriums. Immer tiefer bohrte sich Faitel's Kinn bei seiner starren Körperhaltung in die Brust ein, und bekam zuletzt jene krüppelhafte Zwangsstellung, die der Leser aus den ersten Seiten dieser Erzählung kennt. Die Nächsten in Faitel's Umgebung, darunter die schnellbegreifende Frau Schnack, waren nun doch auf ihn aufmerksam geworden. Aber man schien alles auf einen eigenthümlichen Gemüthszustand schieben zu wollen. – »Kéllnererera!......«schrie jetzt plötzlich Faitel mit schnarrend vibrirender [289] Stimme – »Kéllnererera! – Champágnerera! – Wie haißt? – Soll ich haben nichts ßu trinken. – Bin ich ä Mensch aß gut und werthvoll als Ihr Alle!...« – Jetzt wurde Jedermann im Saal plötzlich aufmerksam. Selbst die Kellner mit hohen Tellerstößen auf dem Weg hielten inne und starrten gegen die Mitte der einen Tischreihe, wo ihnen ein blutrünstig angelaufenes, violettes Menschenantlitz mit speichelndem Mund, lappig hängenden Lippen und quellenden Augen entgegenglotzte. Alles war wie festgebannt, und wußte nicht, was zu thun. Selbst Klotz verlor jede Fassung und blickte consternirt auf den Juden neben ihm. – Inzwischen war von dem Wirth, der hinter Faitel stand, dessen Glas gefüllt worden; und während erschrockene und mitleidige Gesichter rings herum auf ihn sich richteten, begann der Jude selbst mit knängsender und ganz veränderter Stimmgebung: ».....Was duhet er aber in den nächsten drei Stunden? der hailige Jehova! – Deradáng! Deradáng!«. (Mit einem Schwupp die Daumen im Ausschnitt der Hochzeitsweste; Hin- und Herwippen; Verliebtes Nachobenblicken.) – (Wieder mit veränderter Stimme sich Antwort gebend.) »»Er sitzet und copuliret die Männer und die Waiber!«« – (Wieder erste Stimme) »Wie lang copuliret der hailige Gott die Männer und die Waiber?« (Selbe Positur; lüsternes Hin- und Herrutschen auf dem Stuhl; auf- und abhopsend; gurgelnd; schnalzend;) – (Selbe Antwort-Stimme.) »»Drei Stunden lang copuliret er die Männer und die Waiber!«« – (Erste Stimme.) »Was duhet er dann am Nachmittag, der hailige Jehova? Deradáng! Deradáng!« – (Antwort) [290] »»Am Nachmitdag duht er Nichts, der Jehova; er ruht aus!«« – (Erste Stimme) »Waih geschrieen! Wie haißt, er duht nichts der hailige Jehova? Wird er nichts duhn, der hailige Jehova? Was wird er duhn? Was duht der Jehova am Nachmittag, – He?« – (Entfernte, winzige Knabenstimme.) »»Am Nachmittag spielt der hailige Jehova mit dem Leviathan!«« – (Erste Stimme mit Triumph einfallend) »Nadierlich! Er spielet mit dem Leviathan!« – In diesem Moment sprang Faitel vom Stuhl auf, und schnalzend und gurgelnd und sich hin- und herwiegend, und mit dem Gesäß ekelhaft lüsterne, thierisch-hündische Bewegungen machend, sprang er im Saal herum: »Deradáng! Deradáng! Hab ich mer gekaaft ä christlichs Bluht! Kellnererá, wo is mei copulirte, christliche Braut? Mei Brauterá! Gäbt mer mei Brauterá! Bin ich ä christlichs Menschenbild aß fein, aß ihr alle seid! Ohn' alle Jüdischkeit! – Misemaschine! Wo is mei Brauterá?« – Alles war auseinander gestoben. Die jungen Damen verließen vor dem entsetzlichen Anblick den Saal. Mit Schrecken sahen die Zurückgebliebenen, wie sich Faitels blonde Strähnen während der letzten Scenen allmählich zu kräuseln begonnen hatten. Die krausen Löckchen wurden rostfarben, schmutzigbraun, und zuletzt blau-schwarz. Der ganze glühende, schweisige Kopf mit den schlaffen, gedunsenen Zügen war wieder mit dunklen Sechserlöckchen bedeckt. Inzwischen schien Faitel in seinen exaltirten Bewegungen mit einer eigenthümlichen Schwierigkeit zu kämpfen zu haben. Die vielfach operirten, gestreckten, gebogenen Gliedmaßen konnten jetzt die alten Bewegungen [291] ebenso wenig ausführen, wie die neugelernten. Auch machte sich die lähmende Wirkung des Alkohol rasch geltend. Klotz hatte zwar nach Eiswasser geschrieen; aber es war vergebens. Jedermann sah, daß hier eine irreparable Katastrophe vorlag. Die schöne Othilia hatte sich in die Arme ihrer Mutter geflüchtet. Alles blickte mit starrem Entsetzen auf die wahnsinnigen Kreiselbewegungen des Juden. Endlich traf das schmutzige Ende, das jeden Betrunkenen trifft, auch Faitel. Ein fürchterlicher Geruch verbreitete sich im Saal, der die noch am Ausgang Zögernden mit zugehaltenen Nasen zu entfliehen zwang. Nur Klotz blieb zurück. Und schließlich, als auch die Füße des Betrunkenen vor Mattigkeit nicht mehr Stand zu halten vermochten, lag zuckend und gekrümmt sein Kunstwerk vor ihm auf dem Boden, ein vertracktes asiatisches Bild im Hochzeits-Frack, ein verlogenes Stück Menschenfleisch, Itzig Faitel Stern. –

[292]

Das Wirthshaus zur Dreifaltigkeit

»Dat is nu all lang heer, wol twe dusend Jahr, do wöör dar en ryk Mann, de hadd ene schöne Fru, un se hadden sik beyde sehr leef, hadden awerst kene Kinner, se wünschden sik awerst sehr welke, un de Fru bedd'd so vell dorüm Dag un Nacht, man se kregen keen un kregen kenn. – ›Ach‹, säd de Fru eens so recht wehmödig, ›hadd ik doch en Kind, so rood als Blood un so witt as Snee.‹ – – Un as der neunte Maand vorby wöör, do kreeg se en Kind so witt as Snee un so rood as Blood. Dat Kind wöör awerst en lüttge Sähn (Sohn). Un as se dat seeg, so freude se sik.«

Brüder Grimm,

Kinder- und Hausmärchen


Es mag wohl in Franken gewesen sein, als ich vor mehreren Jahren auf einer meiner Fußtouren zur Winterszeit gegen Abend auf eine lange, hartgefrorne Landstraße kam, die sich schier unermeßlich fortsetzte. Ringsum keine Rauchwolke, die die Nähe einer menschlichen Niederlassung angezeigt hätte. Es wurde dämmrig. Man sah auch kein Licht. Mein Ranzen war leer. Den letzten Imbiß hatte ich schon um Mittag verzehrt. Wir waren um November; und soweit man sah, war Wald und Feld mit einer harten Eis- und Schneekruste überzogen. Meine Nachlässigkeit nie eine Karte mit mir zu nehmen, nie die Wegstunden zu berechnen, auf die nächsten Gehöfte und Dörfer zu achten, schien sich diesmal in unangenehmster Weise an mir rächen zu wollen. – Leute, deren Imaginationskraft stärker ist, als ihr Verstand, sollten nie, oder nie allein, zu Fuß reisen. Immer in Gedanken versunken, sehen sie volle Humpen, und mit johlenden Menschenkindern erfüllte Gaststuben, während die Karte in drei Stunden im Umkreis kein Wirthshaus angibt. Und die reale Wirklichkeit bestraft sie dann in empfindlichster Weise für den unerlaubten, geheimen Gedankengenuß. Solche Menschen sollten überhaupt nichts Irdisches unternehmen, keine Häuser bauen, keine Staatspapiere kaufen; – mögen sie überirdisch speculiren; dort fallen die Verluste nicht so schrecklich aus. –

Mit solchen Gedanken beschäftigt, war Niemand froher wie ich, als ich auf der noch immer endlos sich hinziehenden Straße [293] einen Reisenden mit schwerem Felleisen daherkommen sah. Er sah mich verwundert an, als wir uns begegneten, und frug: Wie kommen Sie um diese späte Abendzeit hierher, wo auf Stunden im Umkreis keine Niederlassung ist? Ich selbst reise nur in der Dämmerung und zur Nachtzeit, weil meine Augen das Tageslicht nicht vertragen; und bin mit Weg und Steg wohl vertraut. Aber Sie wären verloren!« – Als ich nichts erwiderte, fuhr der Fremde, dessen eindringliche Rede mir Respekt abgewonnen hatte, fort: »Der Himmel hat diesmal für Sie gesorgt. Gleich hinter diesem Bergvorsprung, den Sie in zehn Minuten erreichen, steht ein Wirthshaus; ich komme gerade davon her; es ist aber gänzlich unbekannt; Sie konnten sich also nicht darauf verlassen; trotzdem steht es am Weg; es ist auf keiner Karte verzeichnet, und ich besitze die besten; ich selbst sah es heute zum erstenmal; gleichwohl ist es uralt; ›Gasthaus zur Dreifaltigkeit‹; die Leute scheinen gut eingerichtet; wenn auch etwas altmodisch und langsam in ihren Manieren; Sie werden dort gut aufgehoben sein. Gehaben Sie sich wohl!« – Während der letzten Worte hatte er mit den Füßen wiederholt auf den kalten, eisigen Boden gestampft, da es ihn zu frieren schien. Er nahm rasch Abschied, und wir trennten uns nach verschiedenen Seiten. – »Erlauben Sie noch eine Frage,« – rief ich nach, – »in was handeln Sie? Ihr Ranzen ist voll und schwer!« – »»Gebetbücher! – Gebetbücher!«« – rief er schnell zurück, – »»aber nicht mehr lang, – nicht mehr lang... die Zeiten.....«« – Den Schluß der Phrase konnte ich nicht verstehen; der Wind jagte sie ihm vom Mund weg. – Ich eilte vorwärts; und in derThat traf ich, als ich den nächsten gegen die Straße sich vorschiebenden Hügelrücken erreicht hatte, auf eine kleine Thalmulde, in der versteckt und zurückgezogen ein Häuschen stand. Ein schwacher Lichtschimmer drang aus den niederen Parterre-Fenstern. Der erste Stock, der mit spitzem Giebeldach, ähnlich den Bauernhäusern in der Umgegend, abschloß, war dunkel. Als ich näher kam, entdeckte ich über der niederen, hölzernen, braun-angestrichenen Thür die zierliche Aufschrift auf weißem Kalk-Grund: Gasthaus zur Dreifaltigkeit. Kein Wirthshauszeichen sonst, was ich erblicken konnte. Kein hervorragender Arm mit dem Hexagramm, oder dem schäumend gefüllten Bierseidel. Aber auch sonst Nichts in der Umgebung, was ich als auffallend hätte bezeichnen müssen. Hinter dem Häuschen ein Misthaufen, ein Zeichen, daß die [294] Leute etwas Landwirthschaft trieben. Ein kleines eingefriedetes Gärtchen. Ein paar abgegrenzte Felder mit der jungen Wintersaat. Und vor dem Häuschen ein hübscher hoher Taubenschlag, auf dessen gothische Spitze besonders viel Fleiß verwendet worden zu sein schien. Es war übrigens jetzt fast dunkel geworden. Ein harter, trockner Ostwind pfiff durch meinen dünnen Rock. Ich ging an die Thür und klopfte. Nach einiger Zeit hörte ich ein lautes Schlürfen auf dem Hausflur, und ein alter Mann mit schneeweißen Haaren, die zitternde Hand auf die Krücke gestützt, öffnete die Thür. »Kommen Sie endlich! – rief er, ohne mich näher in's Aug' zu fassen, als man alten Bekannten gegenüber thut, – Sie sind lange in Spanien gewesen, und durch ganz Frankreich gekommen, haben England bereist, wollten schon einmal nach Norwegen, laufen das ganze Jahr fast in Deutschland herum, kennen jedes Städtchen und Fleckchen, schauen jeden Kirchthurm an, gucken in jeden Tümpel, und endlich kommen Sie in das weltentlegene, fränkische Gasthäuschen zur Dreifaltigkeit, wohin Sie ja doch kommen mußten, – und ich habe so lang auf Sie gewartet!« – Der steinalte Mann, der so verwunderlich mit mir sprach, hatte inzwischen die Zimmerthür geöffnet, und ich trat in einen nach Art der Landwirthshäuser mit einem großen, schwerfälligen Tisch, einigen braunen, knorzigen Stühlen, großem Kachelofen, lautpickender Uhr, einigen Heiligen- und Schlachten-Bildern und einem Crucifix ausgestatteten Raum. – »Ich will gleich meinen lieben Sohn rufen;« – fügte er hinzu, – »er wird sich freuen Sie zu sehen; er wird wohl noch oben studiren; er studirt mir leider viel zu viel.« – Damit öffnete er die Thür, und rief in's obere Stockwerk: »Christian! – Christian, mein lieber Sohn, komm' doch etwas herunter, der junge Mensch ist da, auf den wir so viele, viele Jahre warteten.« – Ich war nicht wenig erstaunt über diesen merkwürdigen Bewillkomm, und wollte eben meiner Empfindung durch eine Frage an den Alten Ausdruck verleihen, als oben leise eine Thür geöffnet wurde; ein zaghafter Schritt kam die Treppe herunter, und gleich darauf trat ein bleicher, junger Mensch in's Zimmer von auffallend schönen Zügen; aber zaghaft und von fast mädchenhafter Zurückhaltung. Er trug einen langen weißen Mantel, der nach Art der Mönche mit einem einfachen Strick um die Taille zusammengehalten war. Mit offen entgegen-gestreckter Hand und einem unsäglich freundlichen[295] Blick trat er auf mich zu, und sagte: »Gott grüße Sie!« dabei mit der Hand auf den alten Mann verweisend. »»Christian!«« – fing dieser aber mit fast schluchzender Stimme zu rufen an, wobei er seine Krücke fallen ließ und beide Hände in einander schlug, – »»Christian, mein lieber Sohn, wie siehst Du aus! Du hast wieder die ganze Nacht gewacht, oder studirt, oder Dich abgehärmt; mein Gott, wenn Du mir stürbest! Christian, wenn Du uns wegstürbest, und uns, mich und Deine Mutter allein zurückließest, Alles wäre verloren; alle unsere Hoffnungen vernichtet; die ganze Wirthschaft ginge zum Teufel!«« – In diesem Augenblick hörte ich draußen, wie hinter'm Haus, und aus einem engen, abgeschlossenen Raum kommend, ein dumpfes, scheußlich klingendes, höhnisches Gelächter, halb Grunzen, halb Meckern, wie von einem Bock, der aber menschlichen Ausdruck in seine Stimme legen kann. Alle im Zimmer wurden kreidebleich; und auch ich trat, betroffen über die Menschenähnlichkeit der Stimme, einen Schritt zu rück, und blickte fragend den Alten an. – »»Es kommt vom Schweinestall,«« – sagte dieser, wie um mich zu beruhigen, – »»wir haben dort einen Kerl eingesperrt, der sich über uns lustig macht, und den wir hier füttern, damit er nicht sonst irgendwo auf den Feldern und in den Dörfern der Umgegend Schaden anstiftet. Er ist sonst ungefährlich.«« – »Vater!« – rief aber gleich darauf der Junge mit bittender, sanft flehender Stimme, – »Vater, liebster Vater, nenn' seinen Namen nicht mehr, ich bitte Dich, Du weißt, er will unser Verderben!« – »»Er macht mir keine Sorge,«« – replicirte der Alte, der inzwischen wieder seinen Krückstock zu sich genommen, – »»aber Du machst mir Sorge; geh' jetzt nur, geh hinaus zu Deiner Mutter, und sag' ihr, sie soll das Essen auftragen, es sei auch ein Gast da.«« – Der Junge in seinem weißen, schleppenden Gewand ging gesenkten Kopfs und feierlich-langsamen Schritts aus dem Zimmer; und der Alte und ich waren wieder allein. »»Der Junge macht mir Sorge,«« – bekräftigte dieser wieder, indem er humpelnd auf und nieder ging, – »»er ist zart wie eine junge Palme; kein Wunder bei dieser Lebensweise; statt daß er hinaus auf's Feld geht und mitarbeitet, hockt er oben, und studirt Concordanzen und Vulgaten. Die bleichen, eingefallenen Wangen; die platte, schwache Brust; oft hustet er, daß es nimmer schön ist. Der Junge macht mir Sorge.««

Ich war über all Dem, was ich bis jetzt schon gesehn und [296] gehört, so im Inneren betroffen und verwirrt, daß ich nicht wußte, wo anfangen, um das Gesammte in ein vernünftiges Bild zusammenzufassen. Ich war fest überzeugt, daß mich der Alte für einen Andern ansah; sonst war der Begrüßungsakt undenkbar; auf der andern Seite mußte ich mir eingestehn, daß Vieles, was er mir bei der Hausthüre gesagt, buchstäblich und bis auf Kleinigkeiten wahr war. Höchst verdächtig kam mir aber auch das freundliche, fast feierliche Entgegenkommen des jungen Schwindsüchtigen in seinem weißen Talar vor. Er hatte so etwas Kindlich-Zerstreutes in seinem Auge, Sehnsüchtig-Verlangendes, Welt-Entrücktes und dabei Liebe-Vonsichgebendes, daß ich überzeugt war, jeder Andere an meiner Stelle wäre ebenso empfangen worden. Ich schloß daraus auf den Geisteszustand des jungen Menschen, und ich kam zu keinem günstigen Urtheil. Ich meine, der zarte, junge Mensch kam mir der Welt gegenüber nicht resistent genug vor. Auch das verwandschaftliche Verhältniß zwischen diesem »Vater« und »Sohn« war mir nicht klar. Der Alte konnte unmöglich der Vater dieses jungen Mannes sein. Alles dies beschäftigte mich intensiv während der paar Augenblicke, die der Alte polternd und schlappend im Zimmer auf und ab ging. Und ich hätte gern gefragt, um mich zu orientiren, wenn mich nicht die Angst zurückgehalten hätte, durch zu vieles Fragen und Aufdecken des Sachverhalts hinsichtlich meiner Person, meine Lage zu verschlechtern. Jetzt war ich gut und auf's Herzlichste aufgenommen. Kam irgend etwas auf, welches zeigte, daß der Alte sich hinsichtlich Meiner einer Täuschung hingegeben hatte, so garantirte ich, von dieser seltsamen Familie vor die Thür gesetzt zu werden. Denn darüber war ich mir längst klar geworden, es war eine verdächtige Herberge, in die ich hier gerathen war; und ich konnte nicht umhin, jene düsteren Scenen aus dem »Wirthshaus im Spessart«, und das noch schlimmere Verfahren jenes classischen Wirths aus dem Alterthum, des Prokrustes, mit seinen fatalen Betten, mir ins Gedächtniß zurückzurufen, als die Thüre aufging, und eine junge Frau mit einer großen dampfenden Schüssel hereintrat. Der alte Mann hielt in seinem erregten Auf- und Abpoltern inne, schaute die Eingetretene von der Seite an, und sagte dann, zu mir gewandt: »»Das ist Maria, meine Tochter Maria!....«« –

Er räusperte dann noch, als wolle er fortfahren; unterdrückte aber, was er sagen wollte, und setzte seinen geräuschvollen [297] Marsch durch's Zimmer fort. Ich sah die junge Frau an; ihr Gesicht hatte entschieden jüdischen Schnitt; zusammengewachsene Augenbrauen, leicht vorstehende Backenknochen, die aber die Harmonie ihres nicht winzig angelegten Gesichts keines wegs störten; edelgeformte Nase, mandelförmig geschlitzte Augen mit einer zerfließenden, schwarzen Kirsche als Augapfel, und dazu zwei kräftige, fleischige Lippen, die entschieden Sinnlichkeit verriethen; pechschwarze, wellige Haare, stark verwirrt und zerzaust, completirten wohl den orientalischen Typus; aber mehr noch, als alles dies, war es jene Gesammt-Schläfrigkeit, die auf ihrem Antlitz lag, als wäre eine weiche Hand von Oben über das ganze Gesicht hinuntergefahren. – Sie erwiderte meinen neugierig forschenden Blick mit einem spöttisch schlauen Mienenspiel, wie Jemand, das wohl einsieht, daß es in einer Seiner unwürdigen Stellung ist, diese Stellung aber nicht zugeben will, und sich mit künstlicher Verachtung hilft. Die junge Weibsperson war in der That fast in Lumpen gehüllt, und schien die Dienste einer Magd zu verrichten. Wie weit persönliche Nachlässigkeit und Schlamperei mit ihrem Anzug zu thun hatte, ließ sich nicht feststellen. – Was die junge Frau hereingebracht, war eine Schüssel mit dampfenden, schön aufgesprungenen Kartoffeln, die sie nebenhin auf eine Art Anricht gestellt hatte, während sie eben jetzt die Schublade des großen, schwergebauten Tisches aufzog, und Tischgeräthe, Messer, Gabeln und Salzfaß herausholte. Nachdem sie gedeckt, und die große, heiße Schüssel mitten auf den Tisch gestellt, verließ Maria das Zimmer, wobei ich constatiren muß, daß die rückwärtige Ansicht ihrer Toilette noch um ein gut Stück schlampiger war, als die vordere. – »»Die Dirne,«« – sagte der Alte, indem er bei mir stehen blieb, – »»ist ein Unglück für mein Haus!«« – »Wie so,« – frug ich naiv, – »kocht sie schlecht?« – »»Ach nein, – ihre ungesäuerten Brode macht sie recht gut, – aber sonst, – ja sonst, – ach Gott, die Frauenzimmer, wenn sie etwas hübsch sind, sind alle so, die haben den Teufel im Leib!«« – ›Hä, hä, hä, hä, hä!‹ – grunzte und lachte es in diesem Moment wieder hinten vom Hause her, und stieß wie mit eisernen Gliedern an den Schweinsstall, so daß ich heftig erschrocken zusammenfuhr, und auch der Alte mit glotzigem Gesicht vor sich hinstarrte, während bald heftiges Schluchzen von draußen von der Küche her, wohl von dem empfindlichen, jungen Menschen kommend, herüberklang.[298] – »Mein Gott,« – sagte ich, – »in diesem Hause ist es nicht geheuer; man wird hier seines Lebens nicht froh.« – Bei diesen Worten schaute mich der Alte auf's Neue mit glasigen und herausgetriebenen, wässrig-blauen Augen an, so daß ich kein Wort mehr zu erwidern wagte. Zum Glück ging gleich darauf die Thüre auf; Maria kam mit einem Krug Wasser und etwas Brod; während der junge Schwachbrüstige, der mit verweinten Augen hinter ihr sichtbar wurde, ein weiteres Gedeck für mich hereinbrachte. Alles setzte sich nun, und lautlos begann die karge Mahlzeit. Die Leute benahmen sich, als wären sie unter sich. Kein Versuch, mich in's Gespräch zu ziehen. Gleichwohl fleißiges Offeriren an den Gast, zuzugreifen. So kam keine Unterhaltung zu Stande. Der Alte, welcher bisher noch am offensten gegen mich war, schien in Gegenwart der Andern ebenfalls schweigsamer zu werden. Auch unter sich sagten sich die Leute kein Wort. Mir war nicht klar, ob dieses Benehmen das regelmäßige, oder im Hinblick auf mich eher ein zurückhaltendes war. Die Kost war gering zubereitet, so ärmlich sie war. Der Alte hatte vor dem Essen mit einigen sonderbaren Grimassen und gellenden Tönen, wie es, glaube ich, bei den Juden Sitte ist, einige hebräische Phrasen schematisch hergeplärrt, und hatte sich dann schleunigst über die Kartoffeln hergemacht, die er schon während seiner Liturgie eifrigst beäugelt hatte. Ganz im Gegensatz hierzu hatte der junge Schwindsüchtige, allem Irdischen abgewandt, unter einigen schwärmerischen, zum Himmel empor gerichteten Armbewegungen, wenige Gebetsworte mit großer Innigkeit vorgetragen, die am meisten unserem protestantischen »Komm' Herr Jesu, sei unser Gast!....« entsprachen; während die nachlässige Jüdin mit großer Gleichgültigkeit dem Allem zusah, und sich dann ebenfalls mit schlechter Laune und wenig Appetit auf ihren Platz niederließ. Und nun hörte man lange nichts als ein einsilbiges, monotones Geschmatz. Schließlich nahm aber doch der Alte das Wort und entschuldigte sich gegen mich wegen der geringen Mahlzeit: sie hätten nichts anderes im Hause; das Rauchfleisch sei ihnen ausgegangen. »Hunger,« entgegnete ich, »ist der beste Koch; freilich zu den aufgesprungenen Kartoffeln gehörte nach fränkischer Sitte ein fetter schweinerner Preßsack.« – Die Leute wurden auf diese Rede hin alle drei starr wie Glas, und »Hü, hü, hü, hü, hü!« – meckerte und blöckte es wieder hinten vom Schweinsstall her, [299] und schien sich voll Behagen auf dem Mist hin- und herzuwälzen. Ich wurde immer angstvoller über diese scheußliche Erscheinung. »»Herr,«« – sagte der weißgekleidete Jüngling zu mir mit unsäglicher Milde, – »»sprechen Sie das Wort nicht mehr aus. Dem Reinen ist alles rein. Aber der böse Feind merkt auf jeden unserer Gedanken, um uns zu verderben.«« – Von diesem Moment an war es mir klar, daß irgend ein widerliches Geheimniß in diesem Hause verborgen sei. Der Kerl, der hinten im Schweinsstall eingesperrt war, übte eine Art Controlle über das Thun und Treiben dieser Leute, war eine Art Fluch, der diesen Dreien fortwährend auf dem Nacken saß. Aber wer und was waren diese Drei selbst? Und was trieben sie? Und woher die Verschiedenheit ihrer Leibesgestalt, ihrer Charaktere? Es war mir auffallend, daß sie, wenn sie einen Moment unter sich waren, hebräisch sprachen, und fleißig dabei gesticulirten, und Rücken und Arme sogar hin- und herbogen und herüber- und hinüberschlenkerten; auch die Bäuche vorstreckten und den Kopf einzogen, und knängsende und klingende Laute dabei von sich gaben, wie es die Orientalen thun, wenn sie feilschen oder in Affekt kommen; besonders Maria war in all diesem exaltirten Zeug die Stärkste; und meist war die gegenseitige Verständigung durch eine so vielseitige Ausdrucksweise im Nu erreicht. Sie schauten dann blitzschnell zu mir herüber, ob ich sie etwa verstanden, oder ihre Gedanken errathen. Nur Christian, der sanfte Brustkranke in seinem weißen Talar schien von allem diesen Gebahren am wenigsten angenommen zu haben; oft spitzte zwar auch er die Unterlippe, brachte den Unterkiefer vor, und beugte den Oberkörper nach rückwärts, als wolle er einen jener unarticulirten hebräischen Laute hervorbringen, der eine ganze Phrase auszudrücken schien; aber es blieb bei den Bewegungen, die er in dieser Umgebung wohl nur durch Nachahmung erworben; und wenn er einem seiner schwärmerischen Gefühlsausbrüche freien Lauf ließ, dann sprach er ein prachtvoll schönes Deutsch, und zeigte Verzückungen, Armkreuzen, Augenaufschlag, eine lechzende, zum Himmel hinauf gewandte Körperstellung, wie sie moderner, protestantischer nicht gedacht werden konnte, und den vollsten Gegensatz bildeten zu den rutschenden, grobsinnlichen, unfläthigen Bewegungen der Andern. – Christian war blond, und von heller germanischer Hautfarbe. Aber die Gesichtszüge waren der[300] Maria sozusagen heruntergerissen ähnlich. Wenn ich dem jungen, sympathischen Burschen einundzwanzig Jahre gab, und Maria etwa fünfunddreißig, so war es, alles Übrige noch in Betracht gezogen, im hohen Grade wahrscheinlich, daß letztere die Mutter des armen Schwindsüchtigen war, wobei für ihre Mutterschaft zwar ein etwas jugendliches, aber bei Orientalen durchaus nicht ungewöhnliches Alter herauskam. Damit stimmten auch gewisse geheime Zärtlichkeiten, die Maria dem Jungen wiederholt zu Theil werden ließ. Soweit war ich mit meinen Nachforschungen aus Gesichtern und Vorgängen in dieser merkwürdigen Stube zufrieden. Aber wie stand die Sache nun mit dem Alten? Er nannte den Christian fortwährend seinen lieben Sohn. War dieses Verhältniß nur symbolisch gemeint? Die Maria hatte er mir schon als seine Tochter vorgestellt. Der Alte war nicht weit von den Achtzigern, und noch sehr rüstig; auch in seinem Temperament höchst leidenschaftlich. Sollte der bejahrte Mann der Vater des Christian sein? Und von so einer jungen Dirne, wie Maria damals gewesen sein muß? Die er ausdrücklich seine Tochter nannte! Auch der Junge nannte den Alten Vater! Freilich in seinen excessiv sentimentalen Anreden klang dieses ›Vater‹ wie eine ideale, verehrungsvolle Begrüßung. Hier wollte also Nichts stimmen. Und ich verzweifelte, in diesem complicirten Verwandtschaftsverhältniß auf's Richtige zu kommen. –

Das Essen war jetzt abgetragen. Christian war mit Maria draußen in der Küche, wo man Teller klappern und abspülen hörte. Im Zimmer war's still geworden. Die Wanduhr tickte einförmig. Der Alte, an einer Brotrinde seitlich mit einem erhaltenen Backzahn kauend, schlappte wieder mürrisch auf und ab, hie und da das weißlockige Haupt schüttelnd, als wollte er einen Gedanken verscheuchen. »»Nein««,-rief er endlich – »»so geht's nicht weiter! So geht mir die Wirthschaft zu Grund. – Der junge Mensch, der liebe, süße, sanfte Junge, auf den ich all mein Hoffen gesetzt, er stirbt mir so in dieser kalten, nordischen Luft!«« – »Ist es Euer Sohn?« – frug ich schnell, um mir diese Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. – Der Alte blieb stehen und schaute mich an. »»Sohn?«« – wiederholte er, – »»er ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; er ist nicht mein leiblicher Sohn; er ist««, – fügte er leise hinzu, indem er beschwichtigend und Vorsicht rathend nach der Küche zu deutete, von wo noch immer Tellergeklapper und Wassergepantsch [301] herüberklang, – »»er ist das Kind von der Dirne da draußen, die ich mit 14 Jahren in mein Haus nahm!«« Bei diesen Worten nahm seine Miene einen zornigen Ausdruck an, als wäre er über diesen Zusammenhang nichts weniger als erfreut, und aus dem hinüber weisenden Arm wurde eine drohende Faust. – Ich wollte noch eine Frage mit vorsichtig gedämpfter Stimme anschließen, aber er winkte heftig mit der ab, und winkte immer zu, und deutete mit der andern Hand und dem ausgestreckten Krückstock nach der Küche, bis ich schwieg; und zum Zeichen, daß ich auch ferner schweigen solle, klappte er mit der hohlen Hand sich selbst drei bis vier mal vor den festgeschlossenen Mund; ich that dasselbe, zum Zeichen, daß ich ihn richtig verstanden habe; und nun war er zufrieden; und ich begab mich ruhig an meinen Platz am Tisch. – Nach einiger Zeit kam der Alte dann zu mir hergehumpelt, und frug mich in's Ohr: »»Sprechen Sie Aramenisch?«« – »Nein!« erwiderte ich. – »»Potztausend nein!«« – replicirte der Alte, – »»nun ja, dann können wir uns auch nicht ungestört unterhalten. – Die Zwei gehen so wie so bald zu Bett. Es ist schon um die dritte Stunde!«« – In der That kam bald darauf der junge Mensch herein, und indem er verzückt die beiden Arme ausbreitete, rief er, seine leuchtenden Augen über Alle im Zimmer gleiten lassend: »Seid gegrüßt und gesegnet für den Rest des Abends, seit behütet und bewahrt während des Dunkels der Nacht! Ueber uns Alle wache der Engel des Friedens!« – Während dem stand die schlaue Jüdin hinter ihm, und beobachtete, welchen Eindruck seine Worte machen würden. Dann zog sie ihn von hinten am Kleid hinaus; und beide, hörte man, verließen dann die untere Partie des Hauses über die Treppe, und begaben sich nach oben. –

Jetzt war es ganz still geworden. Eine schwadende Oellampe goß einen dickgelben Schimmer über die eckigen Kanten und Vorsprünge des Zimmer-Mobiliars, reichlich gemischt mit fetten, schwarzen Schatten. Der grüne Kachelofen in der Ecke strahlte noch eine behagliche Wärme aus. Ruhig ging das Tick-tack der heiser gewordenen Wanduhr weiter; und ruhig, in Gedanken verloren, schlappte der Alte in seinem losen, Schafpelz-gefütterten Hausrock auf und ab. – »»Es ist mir lieb,«« – sagte er plötzlich, indem er aus einem Wandschrank einen großen, gefüllten, schweren Krug und zwei Gläser nahm, und zu mir an den Tisch brachte, – »»daß Sie heute hier sind; darf ich [302] doch wieder ein Gläschen trinken, und mein Elend vergessen; allein hat es mir der Doctor verboten; ich läge sonst betrunken, wie Noah, am nächsten Morgen unter dem Tisch. Der Wein ist aus der Umgegend und gering: aber er ist rein; er ist gerade in voller Gährung; nehmen Sie sich daher in Acht!«« – Indem hatte sich der Alte zu mir an den Tisch gesetzt, und beide Gläser vollgeschenkt; es war ein molkig-weißer Most mit einem Stich ins Grüne, aus dem Stick-Gase in reichlicher Menge aufstießen. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich, daß der Alte schon starkes Handzittern hatte, so daß ich schon Angst für den Inhalt des Krugs bekam, wenn er ihn in die Hand nahm; doch mit jedem folgenden Glase wurde Hand sowohl wie Sprache sicherer. – »Die jungen Leute,« – versuchte ich das Gespräch einzuleiten, – »gehen schon früh zu Bett!« – »»Ach!«« – erwiderte der Alte, indem er den Krückstock weglegte, und sich fest auf seinen Stuhl placirte, – »»es ist eine Familie in der Familie! Die zwei hocken zusammen, und separiren sich von mir, und kochen und flüstern miteinander, und intriguiren gegen mich, ich fühle, wie jeden Tag mehr die Zügel meinen Händen entkleiden; hätte ich meinen Jähzorn nicht, ich hätte das Regiment längst verloren!«« – »Maria scheint demach von wenig dankbaren Gefühlen erfüllt zu sein?« – »»Ich habe die Dirne vor reichlich zwanzig Jahren als kurzrockiges Ding bei mir aufgenommen, und nun setzt sie mir den Burschen daher!«« – »Maria ist die Mutter von Christian?« – wagte ich mich kurz mit der Frage heraus. – »»Trinken Sie junger Mann! – Trinken Sie«« – rief der Alte schnell dazwischen, indem er sich einschenkte, da mein Glas noch voll war, wobei wieder heftig der Schnabel des Steinkrugs an seinem Glasrand hin- und herschepperte. – Ich ließ mich aber nicht irre machen. »Der junge hübsche Mann,« – begann ich wieder – »hat viel Aehnlichkeit mit der Jüdin.« – »»Mit der Jüdin?«« – frug der Alte mißtrauisch, das Wort ›Jüdin‹ stark betonend. – »»Was wollen Sie damit sagen? Ich bin selbst Jude! Beleidigen Sie mein Geschlecht nicht!«« – »Nichts lag mir ferner,« – betheuerte ich, – »ich nannte Sie Jüdin, weil ihre Züge das zehnfach beschwören.« – »»Ja,«« – nahm der Alte das Gespräch wieder auf, – »»sie war eine der Schönsten ihres Stammes; aber daß mir die Rotznase, die nach hier zu Land üblichen Begriffen knapp mannbar war, den Burschen hierhersetzt.... den ich übrigens jetzt sehr lieb gewonnen habe, und wie meinen eigenen Sohn [303] ansehe...«« – »Von wem hat Maria den Jungen?« – fragte ich frischweg. – »»Ja,«« – wiederholte der Alte mit einer Mischung von Hohn und Bitterkeit, als bedauere er, daß er nicht von ihm sei, – »»von wem hat Maria den Jungen?....«« – »Der Junge muß einen Vater haben!« – eilte ich rasch vorwärts, in der Hoffnung, durch eine witzige Wendung das Gespräch flüssiger zu erhalten. – »»...muß einen Vater haben!«« – wiederholte mein Wirth mechanisch und nachdenklich. – »Der Junge ist blond,« – begann ich wieder, – »ist weißhautig, ein echtes, nordisches Kind; vielleicht hat ein durchziehender blonder Handwerksbursch, der vielleicht unfreiwillig, wie ich hier, übernachtet, die Jüdin verführt.« – »»Um Gotteswillen! – die Kleine war damals höchstens vierzehn Jahr!«« (Während dieser Worte hörte ich deutliche Laute aus dem Schweinsstall dringen. Der Alte hörte sie auch, und ergriff sein Weinglas fester.) – »Dann vergewaltigt!«? ergänzte ich. – Der Alte stand auf, und winkte heftig mit der Hand ab. Er ging dann zur Thür, und lauschte hinaus. Als alles ruhig blieb, kam er zurück, setzte sich wieder, und frug mich: »»Sprechen Sie nicht ein Bischen Hebräisch?«« – »Keine Silbe!« – antwortete ich. – »»Wenn Sie etwas Hebräisch sprächen, könnten wir uns so leicht verständigen. Die Sachen, um die es sich hier handelt, sind so complicirter Natur!«« – »Du lieber Himmel,« – erwiederte ich, – »die Sachen, die wir jetzt besprechen, sind in allen Sprachen, unter allen Himmelsstrichen dieselben. Die Frage ist, wer hat den bildhübschen Burschen gezeugt?« – »»Marie sagt, es sei kein Mann gewesen!«« – ›Hä, hä, hä, hä, hä!‹ – gröhlte und schnalzte es jetzt wieder drüben vom Schweinsstall herüber, und schien Purzelbäume zu schlagen. – Ich fuhr wie emporgerissen von meinem Sitz auf, unschlüssig, was mir mehr Eckel und Bangigkeit verursache, die Antwort des Alten oder die Stimme jenes unsichtbaren Scheusals. Mein Wirth war ebenfalls still und kleinlaut geworden, sah düster vor sich hin, und hielt krampfhaft den steinernen Krug fest. Im ganzen Haus war es todtenstill; nur die Uhr schlug ihren Tick-Tack-Gang unentwegt weiter. Ich setzte mich langsam wieder nieder. Und längere Zeit sprach Niemand ein Wort. – Aber zuletzt überwog die Neugierde bei mir, und das sichere Gefühl, daß nur eine gewisse Dosis Couragirtheit dem Alten sein Geheimniß zu entlocken vermöge. – »Kein Mann sei es gewesen!?« – begann ich mit gedämpfter [304] Stimme, aber examinirenden Tones gegen den Alten hingebeugt, »wenn kein Mann, was denn dann?« – Der Alte zuckte verlegen die Achsel, als wolle, oder könne er nicht antworten, und schaute verlegen, aber auch etwas weinduselig und thränenfeucht auf sein Glas. – »Wenn es kein Mann war,« – wiederholte ich mit inquirirender Stimme – »was war es dann?« – »»Ein Etwas!«« preßte mein Wirth gezwungen und flüsternd hervor. – »Was für ein Etwas?« – fiel ich a tempo ein. – Neues Achselzucken. – »»Vielleicht ein Hauch, – ein Odem, – ein Unsichtbares, – eine Kraft,«« – begann jetzt der Alte, und schien gereizt und feurig zu werden, – »»wer kann es wissen; Marie erzählte mir, sie sei eines Nachmittags in jenem Zimmer dort eingeschlafen gewesen; es war heiß; die Fenster offen, die Läden zu; sie war damals erst wenige Wochen bei mir; ich wußte nicht, ob sie log; Kinder lügen so oft; und sie war fast noch ein Kind; so jung; so jung....«« Der Alte hielt inne. – »Weiter! Weiter! Was geschah?« frug ich drängend. – »»Marie hatte sich ihrer Kleider entledigt; plötzlich««, – so erzählte sie, – »»habe sie, wohl im Schlaf, einen Sturmwind über das Haus gehen hören; der eine Laden riß auf; und plötzlich...«« (Pause.) – »Plötzlich was?! – Plötzlich, weiter!« – »»Plötzlich«« – hub der Alte wieder an, – »»sah sie eine kräftige, weiße Gestalt, mit lichten Haaren vor sich stehn, die sich über sie hinüberbeugte, ihr zuflüsterte, ihr Schmerz verursachte, bis sie, die Dirne, plötzlich aufschrie; dann war Alles verschwunden; als sie aufstand, waren ihre Kleider in Unordnung; ein schwefeliger Schwaden im ganzen Zimmer; draußen war heller Sonnenschein; nach neun Monaten brachte mir die Dirne diesen blonden Buben!«« – Hier hielt der Alte inne, und trank mit großer Befriedigung sein gefülltes Glas leer. – »Haben Sie gar keinen Knecht damals im Dienst gehabt?« – frug ich absichtlich etwas barsch, um die weinselige, sentimentale Stimmung zu verscheuchen. – »»Niemand im ganzen Haus, und Niemand in der Umgebung; es kommt auch sonst nicht so leicht Jemand in unser Revier, denn wir sind verschrieen!«« – »Und die Dirne bleibt dabei, daß sie ohne Selbstverschulden und bewußten Verkehr mit einem Manne in andere Umstände gekommen sei?« – »»Nicht nur das,«« – bekräftigte der Alte, – »»sie macht auch ein großes Wesen um die ganze Sache; will Niemanden die Worte mittheilen, die jenes unbegreifliche Wesen ihr zugeflüstert; hält das Ganze für ein Wunder; und den Jungen [305] für ein Wunder-Geschöpf; und wer ihn sieht, muß es bekräftigen.«« – »Und Sie glauben das Alles?« – frug ich mit höchstem Erstaunen. – »»Ich mußte wohl«« – betonte der Alte, – »»ohne dem war ihre Stellung im Hause, und ihr Ruf in der Umgebung verloren; und jetzt,«« – fügte mein Wirth mit Nachdruck hinzu, – »»nach zwanzig Jahren, wäre meine Stellung im Hause dahin, wollte ich aufhören ihr zu glauben; jetzt, wo ich auf meinen Altentheil angewiesen bin, und froh sein muß, daß man mich duldet.«« – »Somit ist es ein Mirakel aus Noth?«frug ich fast mit Entrüstung. – »»Die Sache ist mir über den Kopf gewachsen,«« – fuhr der Alte auf, und schlug mit beiden Händen verzweiflungsvoll auf die Knie, – »»die Sache kann nicht mehr rückgängig gemacht werden; Wunder ist Wunder; die Dirne glaubt daran, der Sohn glaubt daran, ich glaube daran; die Umgebung glaubt daran, wenn sie auch heimlich lacht und mit den Augen zwinkert. Und das Schönste ist, die Dirne wartet jedes Jahr in demselben Zimmer, an demselben Tag, um dieselbe Stunde, in denselben Kleidern auf die Wiederkehr dieses mysteriösen Wesens. Und es wird kommen!«« –

Inzwischen war es spät geworden. Der Alte machte keine Anstalten zu Bett zu gehen. Im Gegentheil, er schenkte sich nach seiner großen Rede noch einmal frisch ein, und schien jetzt erst, wo er sich einen gewissen festen Standpunkt erobert, einer weiteren und energischen Diskussion entgegenzusehen. Um so müder war ich selbst; theils durch die Wanderung, theils durch den Gang der Debatte. Diesem Alten gegenüber war ja doch keine Aussicht, zu einer ruhigeren und vernunftgemäßen Auffassung der Sache zu kommen. Schließlich, wenn ich ihn mit sogenannten Vernunftgründen zu stark bedrängte, möchte er jähzornig werden; und das war seine Force. So stand ich denn auf und bat den Alten, mir ein Nachtlager anzuweisen. »»Geben Sie's schon auf!«« – bemerkte dieser und griff nach seinem Krückstock, – »ja, junger Mann, werden Sie älter; Sie glauben, weil Sie durch die Luft schauen sei nichts drinn! Zwischen uns und der Himmelsschicht stecken Tausende von Dingen; aber man muß sie sehen können.«« – Ich ging auf diese Erörterung nicht weiter ein; und der Alte zündete ein Talglicht an, und schritt humbelnd und räuspernd vor mir her zur Thüre hinaus. Auf dem Gange kamen wir zur Rechten zuerst an einer schlechtgehaltenen, schwarzgeräucherten Küche vorbei. Dann[306] ging's zur engen Stiege, die in einem scharfen Winkel nach oben führte. Knapp vor dieser Stiege lag noch eine kleine, schmale Thür; »»hier,«« – bemerkte der Alte, und wies mit seiner Krücke auf den Eingang, – »»ist jenes Zimmer, wo vor reichlich zwanzig Jahren das Unbegreifliche passirt ist.... Junger Mann, Sie wären vielleicht einmal froh, ein solches schmales, winziges Zimmerchen Ihr Eigen zu nennen!«« – Dann ging's pustend und kollernd nach oben. »»Uebrigens,«« – bemerkte der Alte, oben angekommen, und mich schwerfällig bei den Schultern nehmend, – »»lassen Sie sich die Sache nicht allzu sehr bekümmern; sagen Sie auch morgen früh nichts zu meiner Tochter und zu meinem lieben Sohn. Sie haben's nicht gern. Es ist auch alles noch zu jung...... Und nun schlafen Sie wohl.... Dort ist Ihr Zimmer.... Hier nehmen Sie das Licht!«« – Ich nahm eilig das heftig in der Luft hin und her schlenkernde Licht, und ging in das angedeutete Gemach, wo ich nichts Außergewöhnliches bemerkte. Eine blaugeweißte Stube mit gedrucktem grünem Taft-Rouleaux; ein schiefer, wackliger Tisch mit alten Tintenflecken; ein gußeiserner kleiner Ofen mit geknicktem Rohr; eine gelbgestrichene Bettlade auf vier hohen dünnen Füßen mit zunderweichen Leintüchern und einem centnerschweren, röthlich-carrirten Federbett; ein Nachttischchen mit kittgelbem Potschamber, und ein Stuhl mit aufgerissenem geblümten Ueberzug. – Es war kalt, und fröstelnd legte ich mich in das knisternde raschelnde Bett. Ich hörte unten noch einiges Gepolter, und dann war es todtenstill im Hause. –

Aber ich konnte nicht einschlafen. Das Geheimniß dieser drei Leute, das sonderbare Verhältniß unter ihnen, der Umstand, daß der Alte, vordem unumschränkter Herr in seinem kleinen Besitzthum, den Intriguen der schlauen Jüdin unterlegen sein soll, beschäftigten fortwährend mein Inneres. Daß der Junge, – sagte ich mir, – gänzlich unter dem Einfluß der Mutter herangewachsen ist, war natürlich; jede Mutter macht aus ihrem Sohne, was sie will; aber, was nicht erziehbar ist, war das schwärmerische, überspannte Wesen des jungen Menschen, der immer wie geistesabwesend erscheint. Woher hat er das, nachdem Niemand im Hause in der Richtung geartet ist oder sich benimmt? Nehmen wir an, der junge Mensch käme zum Militär; würde er wegen geistiger Perversität zurückgestellt werden? Wie stand es auf der andern Seite mit jener geheimnißvollen Geburt?

[307] So was macht wohl ein junges Mädchen weis; aber so was glaubt nicht Jedermann. Die Dirne mußte doch, auch bei einem außerehelichen Kind, angeben, wer der Vater ist. Was gab sie denn an? Sollte am Ende der Alte selbst...? Und aus Furcht wegen der Minderjährigkeit der Person diese Mähr ersonnen haben? Da lag es doch näher einem durchreisenden Handwerksbursch die Sache aufzuhalsen. – Kurz, da paßten die Steine nicht aufeinander. Und dann wie verhielt es sich mit jenem im Schweinsstall eingesperrten Scheusal? Noch einmal ließ ich die ganze Episode, wie sie mir der Alte erzählt, vor mir vorüber gleiten. Ich mußte gestehen, sie war prachtvoll ersonnen. Die Manier der Frauenzimmer, Wirkliches und Phantastisches durcheinanderzumischen, daß man nicht weiß, wo das Eine anfängt, das Andere aufhört, so daß man entweder das Ganze annehmen oder verwerfen muß, ist charakteristisch. Niemand wird darin etwas finden, daß sich eine junge Dirne an einem heißen Wochen-Nachmittag halb auszieht und in ihrem Zimmer bei halbverschlossenen Läden auf's Bett legt. – Mir fiel das Zimmer ein, auf das der Alte im Heraufgehen hingewiesen hatte. Ich sagte mir: Du gehst jetzt fort von diesem Haus und erzählst überall von dieser seltsamen Mähr, und Jeder wird dich dann nach dem Zimmer fragen. Ich beschloß daher, mir dieses Zimmer anzuschauen. Und da am nächsten Morgen wohl kaum Zeit und Gelegenheit war, so beschloß ich, sofort hinunterzugehn. Ich stand auf und stand bald strumpfig auf dem Gang. – Wenn ich entdeckt würde?! – Doch ich hatte schon meine Ausrede, wohin ich mitten in der Nacht zu gehen beabsichtigte. – Meine Stiefel standen noch vor der Thür, wie ich sie hingestellt. Kein Laut im ganzen Haus. Ich ging strumpfig zur Stiege. Die erste Sprosse knerzte vernehmlich. Doch ging ich weiter. Ich kam auch glücklich hinunter; tappte an der Wand umher, und fand den Thürgriff. Ich drückte: die Thür war verschlossen; kein Schlüssel steckte. Ich wurde zornig, und beschloß um jeden Preis in das Zimmer einzudringen. Schon oben war mir in meinem Zimmer eine gewisse Lidschäftigkeit des Schlosses aufgefallen; d.h. das Schloß war genau in jenem Zustand, wie Möbel, Wände, Hauseinrichtung und das ganze Haus selbst. Gleichwohl schien dieses untere Schloß etwas besser fundirt. Ich hob die Thür empor, um auf diese Weise vielleicht die Sperrvorrichtung über das Widerlager hinwegzuhebeln. Auch das war vergebens. Als [308] ich mich aber gegen die Stiege stemmend, nochmals das, wie ich wohl fühlte, schlecht construirte und locker befestigte Schloß forcirte, sprang die Thüre plötzlich mit sammt dem Eisen auf, und ich stürzte halb vorwärts in einen eiskalt durchströmten Raum, während ein – Tauber mit zornigem Gurren und heftigem Flügelschlag durch das zur Hälfte offene Fenster das Weite suchte. Der Mond stand auf dieser Seite des Hauses, und warf einen kalten, bläulichen Streifen durch den offenen Spalt. Von der ersten Ueberraschung erholt, sah ich einen so einfachen Raum, wie die meisten übrigen Zimmer des Hauses waren. In der vom Fenster abgewendeten Ecke ein Bett mit brennrother Wolldecke, zerknittert und zerrauft, wie wenn Jemand drinngelegen; und die Decke, ebenso wie der ganze Boden, über und über mit Taubenschissen bedeckt. Rückwärtig an der Thür hingen an ein paar Nägel die blau-sackleinenen, abgeschabten Kleider, nebst roth-wollenem Unterrock, wie sie die Bauernmädel in Franken tragen. An der Wand ein blindes, zerbrochenes Stück Spiegelglas. – Draußen, durch den einen geöffneten Fensterflügel, sah ich, flirrte das eiskalte, bläuliche Mondlicht über den harten Boden. Hinter dem Hause, mir unsichtbar, hörte ich unterdrücktes, zorniges Gurren vom Taubenschlag her. Aber eines anderen Gesellen wurde ich hier ansichtig; und auch bald anhörig: der Schweinsstall lag auf ca. zwanzig Meter gerade vor mir. Und war es das angeifernde Mondlicht, oder das laute Geräusch, welches mein Sprengen der Thür verursacht hatte, die Bestie, die dort eingesperrt war, hatte den Kopf durch ein über der Thür des Schweinsstalls angebrachtes Guckloch durchgesteckt, und winselte von dort mit einer wahnsinnigen Gier, sei es zum Mondlicht hinauf, sei es zu mir herüber. Den Kopf selbst konnte ich nicht deutlich erkennen, weil durch eine das Guckloch überragende Verschalung des Stalls vom Vollmond ein schwarzer Schlagschatten auf das Guckloch selbst geworfen wurde. Aber ich sah die zundrig gelben Augen, hörte den harten, pfundig-schweren Schädel wiederholt wider die Verschalung stoßen, und das geifernde Brüllen, das in dieser nächtlichen Totenstille aus dichtester Nähe zu mir herüberdrang, war untermischt mit jenen grunzenden, bellenden, höhnischen Lauten, die mich schon am Abend in der Stube so erschreckt hatten. Durchkältet und angeekelt verließ ich das Zimmer wieder und schloß die Thüre so gut es ging. Ich ging zurück [309] in mein Bett, und schlief schlecht und beunruhigt den Rest der Nacht. –

Als ich aufstand, sah die Sonne bereits in mein Zimmer, und ein heißer, widerlicher Küchengeruch drang von unten herauf; ich zog mich rasch an, müd und geärgert von den Erlebnissen des letzten Abends und der vergangenen Nacht. Nach allem mußte ich mir sagen: so interessant dieses Gasthaus hinsichtlich seiner Insassen, so ungenügend ist es in seiner Einrichtung und Verpflegung. Und wenn ich auch keine besonderen Ansprüche machte, als einer, der auf Schusters Rappen reist, so sah ich doch auf ein gutes Bett und eine kräftige Suppe. Mit diesen Gedanken trat ich aus dem Zimmer, um meine Stiefel zu holen. Dieselben waren gar nicht geputzt. Jetzt wurde ich ärgerlich. »Christian!« – rief ich laut und commandirend über den Gang – »Christian!« – und als der Gerufene die Stiege herauf kam: »Diese Stiefel sind nicht einmal gereinigt! Was für eine Wirthschaft!« – Der junge Mann kam in seinem weißen Habit herauf, und indem er mir die Stiefel aus den Händen nehmen wollte, rief er voll schmerzlichen Pathos und mit von Schluchzen unterbrochener Stimme: »»Ihre Sorgen, Herr, drehen sich um ein paar Stiefel und ihren Glanz, aber mir, Herr, stecken die stachlichen Sporen eines ungesättigten Wahns im Fleische; der Schmutz der gesammten Menschheit wühlt in meinem Herzen, und das Mitleid mit der ganzen Welt will mich nicht mehr verlassen!.... Nehmt mich mit Euch, Herr, ich verderbe in diesem Hause; niedriger Schmutz und Eigennutz will mich ersticken; nehmt mich mit Euch, Herr, in die große Welt, damit ich für sie sterbe!«« – Damit fiel der junge Mensch, der in diesem Augenblick von engelgleicher Schönheit war, auf den Boden und umfaßte meine Kniee. Ich sah jetzt, daß der arme, junge Mann krank war; entriß ihm schnell meine Stiefel, und ging in mein Zimmer zurück.

Eine Viertelstunde später saß ich unten in der Stube bei einem bitteren Eichelkaffe und einem steinharten Stück Brot. Die Jüdin ließ sich nicht mehr sehen; ich hörte sie aber in der Küche herumhantiren. Der Alte saß zitternd und lallend, und vollständig unfähig des Gebrauchs seiner Glieder im Lehnstuhl; die Augen gequollen und thränenselig. Er suchte mich zum Reden zu bewegen. Ich aber vermied jedes Gespräch. Es drängte mich, fortzukommen aus diesem unglückseligen Hause. Als mein Ranzen gepackt war, zahlte ich Herberge und Verköstigung. Ich [310] muß gestehen, der Betrag war gering. Der Alte gab mir mit Mühe und Noth die paar Batzen heraus, von denen ich erst später zu meiner nicht geringen Verwunderung sah, daß es ausländisches Geld und mit den Bildnissen des Königs Herodes und des römischen Kaisers Augustus geschmückt war. Der Alte lallte mir wohl ein paar Worte nach, als ich ihm zum Abschied die Hand schüttelte; die Jüdin in der Küche schmiß die Küchenthüre zu, als ich auf den Gang trat; und oben hörte ich den jungen Menschen noch bitterlich schluchzen, als ich die Hausthür öffnete. –

Draußen kam mir alles prosaischer und interesseloser vor, als den vorherigen Abend. Es war ein frischer kalter Tag, der Einem alle Phantastereien aus dem Kopfe trieb. Ich ärgerte mich jetzt unwillkürlich über alles, was ich erlebt hatte, und worüber ich nachgedacht hatte. Ich eilte vorwärts, ohne mich umzusehen. Und bald hatte ich die Landstraße erreicht. Ein eiskalter Wind pfiff vom Osten her. Keine zwanzig Schritt von mir, aber entgegengesetzt der von mir einzuschlagenden Richtung, saß ein Steinklopfer bei seiner Arbeit und hämmerte tüchtig darauf los. Ich konnte nicht umhin, auf ihn zuzugehen. »He! Alter,« – rief ich ihn an, – »kennt Ihr das Wirthshaus da hinten im Wald?« – »»Jo, jo!«« – antwortete er im besten Fränkisch, – »»sell is a Abdeckerei!«« – »Abdeckerei?« – frug ich verwundert, – »was ist das: eine Abdeckerei?« – »»No, wo mer halt die alte Gäul und die räuthige Hünd darschlägt,«« – bemerkte er, und lachte spöttisch über meine Unwissenheit, wobei er fortfuhr – »»des is nix G'scheid's!.... die Leut' häße's halt die ›Gifthütten‹!«« – »Gifthütte?« – frug ich, – »weßhalb?« – »»No, es künnt eba nix Gut's 'raus, und geht nix Gut's nei!«« – Als ich verwundert stehn blieb und ihn ansah, fuhr er weiter: »»Vo dera Leut' weeß mer net wo's har sen, und vo wos daß lebe!«« – »Nun,« – entgegnete ich – »ich bin heiler Haut herausgekommen!« – »»Sen S' froh,«« – rief der Steinhauer, und schwenkte heftig seinen weiß angelaufenen Hammer, – »»Sen S' froh, und mache S' weiter, und gucke Se nimmer'rüm, und vergasse Se de Schinderhütt'n!....«« – Hä, hä, hä, hä, hä – klang's blöckend drüben vom Wald her wie aus dem Schweinsstall. – Unwillkürlich trieb's mich fort; ich grüßte den Steinklopfer, und schritt rüstig meine Straße weiter, ohne für eine Stunde wieder umzusehen. –

[311]

Der Goldregen.

Wenn's Zehn-Mark-Stück'l regent

Und Zwanz'g-Mark-Stück'l schneibt,

Na bitt' i unser'n Herrgott,

Daß's Wetter so bleibt.

Altbayrischer Vierzeiler


Es war an einem Samstag Nachmittag, und wahrhaftig Nichts Besonderes in der Welt los. Es war auch Nichts angekündigt; weder 'was Politisches, noch 'was Communales; nichts am Hof, und nichts in der Stadt. Es war auch sonst kein hervorragender Tag; ich meine keine Gedenkfeier, kein kritischer Tag nach Falb, kein 29. Februar; es war auch kein Komet am Himmel. Mit einem Wort, es war ein ganz gewöhnlicher Samstag, und es regnete. Ich sage dies ausdrücklich, damit nicht hinterher Einer kommt, und mir vorwirft, ich hätte auf billige Art eine gewisse Spannung im Publicum erzeugt. – Daß ich genau bin, eshatte so gegen 3 Uhr etwas geregnet, und der Boden war sozusagen wieder trocken. – Ich wohne an einem großen Platz, in der Mitte ein Springbrunnen, und ringsum eine Masse Metzger-Crämer-Melber-Schuster-Schneider-Charcutier-Läden u. drgl. Am Samstag Nachmittag schleppen die Dienstmädel all' das Zinngeschirr und das Zeug auf die Straße, und putzen es, und scheuern und fegen; und das gibt ein Gemantsch und Gequatsch, und ein Spritzen und Schimpfen, und Gekicher und Zoten-Erzählen.... mir macht das Ding Spaß, und, so wird sich Niemand wundern, wenn ich sage, ich ging an jenem Nachmittag ganz langsam über diesen Springbrunnplatz, um in einem nahegelegenen Café bei einer Schale warmem Cichoriwasser das Abendblatt zu lesen. Wie ich aus dem Haus trete, fällt mir ein sonderbarer Schwefel-Geruch auf; ich denk' aber an Nichts weiter, und gehe fort. Eben auf dem Platz angekommen, betrachte ich den Himmel, um Witterungsschau zu halten, und bemerke, daß der ganze Horizont mit einer grieselig-gelben Schicht überzogen ist. Aber solche Reflexe trifft man ja öfters nach dem Regen, wenn die Sonne gegen Abend im Westen noch einmal herauskommt. Ich geh' also weiter. In der Mitte des Platzes angekommen höre ich einige raschelnde, springende, abplatzende Punkte auf meinen Stiefeln, als wenn's kieselte; gleichzeitig hör ich etwas Aehnliches [312] auf meinem Filzhut herumtrommeln. Ich schau' hinauf: ist diese ganze gelbe Schicht, von der ich eben sprach, uns bis auf Häuserhöhe nachgerückt; und wie ich den Boden betrachte, sammeln sich da kleine, gelbe, erbsengroße, griselige, halb-ausgehöhlte Körner, und in der ganzen Luft liegt ein Schwaden so brenzlichen Gestankes, als wenn die Hölle ihre Läden geöffnet hätte, so daß ich und mehrere Passanten sofort die Schnupftücher zogen und hustend sich das Ding vom Leibe hielten. Jetzt noch ein Moment – und plötzlich stürzte dieser kitt-gelbe Körnerregen mit einem solchen Hagelschlag nieder, daß alle Leute mit einem gilfigen Schrei in die Häuser entwichen, und der große Platz mit einemmale leer war. Die tausende von Zinngeschirren, die den Häusern entlang aufgestellt waren, gaben, als wären sie mit Stimmgabeln geschlagen, einen einzigen, sehr hohen, langgedehnten pfeifenden Ton, wie etwa das Piccolo, von sich; als hätten sich eine Million Kanarienvögel versprochen, einen übermenschlich hohen Flascholetton durch gegenseitiges Ablösen eine Stunde hindurch auszuhalten; und Dutzende von Menschen, die den naiven Gedanken gehabt, einen Regenschirm aufzuspannen, kamen vollständig zerschlissen, mit nacktem Eisengestell, und blutender Wange, herübergestürtzt, um in einem Hausthor Schutz zu suchen. Ich selbst hatte mich unter eine sehr dicke Eiche geflüchtet, die an dem Beginn einer dicken Allee stand, die eben von diesem Springbrunnplatz ihren Anfang nahm. Aber schneller, als ich dies niederschreiben kann, waren sämmtliche Blätter und kleinere Zweige heruntergeschmettert, und lagen vor mir am Boden, während das gelbe Höllengezinsel mir die Hutkrämpe durchschlug, wie Salz in den Nacken pfiff, und selbst die rikoschirten Körner mir noch, wie Schrote, das Gesicht verletzten. Jetzt riß ich auch aus, und lief, quer über die Straße, in das nächste Haus. –

»Jessas Maria!« – kam eben ein Frauenzimmer mit nackten Armen und aufgeschürztem Rock schreiend vom hinter'n Hof her. – »Die Welt geht unter! Unser Pfarrer hat's fei letzten Sonntag g'sagt, es passirt noch die Woch' 'was. Ihr Leut! Ihr Leut!« Dann schlug sie vor Entsetzen ihre bläulich-verspoorten Hände zusammen – sie war eine Wäscherin – und fügte in einem gezwungenen, breiten Hochdeutsch hinzu, als hätte sie's dem Pfarrer nachgesprochen: »das Värdärben kommät über uns, und die Drangsal värnichtät uns!« – »»Sie dumme Gans!«« – rief in [313] diesem Moment ein älterer Herr, der am Mund blutete, und vor Aufregung über das Geschehene selbst am ganzen Leib zitterte – »»thun Sie auch noch die Leut' confus machen, und aus 'em Häusel bringen; wo eso schon e Jeds halber narrisch is. Gehen's 'nauf, Sie Heulmaierin, und legen's Ihne in Ihr Bett, wenn 'S nix Besser's wissen!«« – Ich schaute jetzt um mich: in der That standen da etwa zwei Dutzend Leute im Hausflur, alle mit bleichen Gesichtern, einige ihre blauen Flecken an den nackten Armen betrachtend, andere Bluttupfen abwischend, andere mit starren Augen und gelbreflectirender Gesichtshaut hinaus auf den Platz schauend, wo die schwefelgelben Schrote noch immer herabsausten. Der akustische Reflex von den Dächern klang geradezu unerhört, wie Kindergeschrei und Gänsequixen. Drüben, auf der Westseite an der gegenüberliegenden Häuserreihe, sahen wir jetzt, wie an einigen Fenstern die Fenstersplitter herausgenommen und hinuntergeworfen wurden auf die Straße; andere die Rouleaux herabließen, oder die Läden zuzumachen sich bemühten; und überall kreidebleiche entsetzte Gesichter. – »Es scheint ein atmosphärischer Niederschlag zu sein,« – sagte jetzt in unserem Hausflur ein Herr, der den besseren Ständen angehörte, – »der, vielleicht meteorischer Natur, aufgelockert in hohen Regionen schwebte, und durch eine plötzliche Kälteströmung condensirt und niedergerissen wurde.« – »»Es wird schon wieder heller!«« meinte ein Anderer, der ziemlich verwegen auf der Schwelle von Trottoir und Hauseingang stand, und dem sowieso schon eine Schlose die Nasenspitze blutig gerissen hatte. – Einige von den Weibsleuten schüttelten jetzt aus ihren Röcken und Ärmeln einige der seltsamen Körner, hoben sie auf, und zeigten sie herum. Es waren erbsengroße, an einigen Stellen glänzende, an anderen matte, grieselige, ausgelöcherte, unregelmäßige Kügelchen, die sich im Volumen oft um's Doppelte übertrafen, und die ganz entschieden einen metallischen Charakter hatten; sie waren auffallend schwer im Verhältniß zu ihrer Kleinheit; daher auch die aufgerissenen Wangen, durchlöcherten Hüte, glatt abgezogenen Regenschirme und entlaubten Bäume; die ganze Allee lag fast draußen am Boden; indessen wanderten die Kügelchen von Hand zu Hand; sie waren nicht kalt, wie viele erwartet haben mochten, sondern leicht abgekühlt; laulicht; auffallend war, daß einzelne deutlich abgeplattet waren, was nur durch Aufschlagen entstanden sein konnte; das Metall mußte [314] also sehr weich, oder beim Herabfallen noch in lockerer Fügung gewesen sein; man wog wiederum die Schrotchen, von denen einzelne wie Weckchen eingebogen waren, in der Hand, und dann schaute man sich gegenseitig an; jetzt nahm ein Herr sein Taschenmesser heraus und zerschnitt, nachdem er an dem kleinen Ding einige Mal ausgerutscht war, mit einiger Mühe, aber doch quer durch eines der Körner, wobei die Masse sich ziemlich nachgiebig erwiesen hatte: eine glatte, glänzende, gleichmäßig feingekörnte Schnittfläche kam zu Tag. In diesem Moment hörte ich – ich hörte es nicht, aber ich fühlte es, ich wußte es, – schlug Jedem von uns fast laut und vernehmlich das Herz, und Jeder hatte nur einen Gedanken, nurein Wort auf der Zunge; und Keiner sprach es aus; Keiner wollte diese Blamage auf sich nehmen, diesen horrenden Gedanken zu äußern; und jeder glotzte nur mit einer scheusäligen, weißaugigen Gier auf den Westen- oder Hemdknopf seines Vis-à-vis; nur um sich und seinen fürchterlichen Instinkt nicht zu verrathen.

Jetzt kam aber 'was ganz Neues: draußen hatte das Gehagel merklich nachgelassen. Es war wirklich lichter geworden. Das Gekreisch von den Dächern wich einem milden Klirren. Ueber den Platz drangen einige weibliche Stimmen, in denen etwas Aufseufzendes, etwas Erlösendes lag. – Während dem schossen zwei Bäckerjungen in weißen Schürzen, hemdärmelig, jeder ein Holzschaff auf dem Kopfe, an unserer Hausthüre vorüber. Ich hörte, wie drei, vier, von den Schroten bollernd in ihren Zuber fielen. Sie hatten gut ihren Kopf schützen; denn dem Einen, hatte ich bemerkt, war die Oberlippe ziemlich in der Mitte gespalten, und das Blut lief ihm in's Maul, und herunter auf die Brust und auf die Schürze. Und Einer von ihnen, hatte ich gerade noch gehört, hatte zum Andern gesagt: »Mei Lieber, desmal geht's uns an!« – Ich schaute zurück in den Hausflur: die Männer alle mit fieberhaften Augen und kurzathmigem Röcheln; und hinten die Weibsleut, die Hände zwischen den Schurz gepreßt, schauten wie Rehgeise heraus, ängstlich und neugierig. – In diesem Augenblick hörte ich ein »He da!« Ein Herr neben mir hatte es gesagt. Ich folgte seinem Blick, der auf eine Stelle des großen Platzes zeigte. Jeder wollte es nun sehen. Es entstand ein Gedränge. Wir öffneten das Thor, das nur halbflüglich offen war, nun ganz. Die Menge quoll heraus. Und nun erblickten wir drüben, am andern Ende des Platzes, quer über den Springbrunnen [315] hinüber, der glücklicherweise abgestellt war, und so gerade noch die Aussicht erlaubte, einfach etwas Unerhörtes: Beim Kaufmann Hasselbeck, einem Mann, den ich seit meiner Jugend kannte, und der allseits große Achtung genoß, kamen Hausmägde, Knechte, Lehrbuben, das ganze Hausgesinde mit Kesseln, Butten, Zubern, Kochtöpfen und anderen Tragmitteln aus dem Haus heraus, und schöpften mit beiden Händen das gelbe Zeug, das jetzt etwa zwei Centimeter dick den Boden bedeckte, in ihre Geschirre; dabei entstand ein fürchterliches, gellendes Geschrei; einige schienen von nachfolgenden Metallschloßen getroffen, schwerverwundet zu Boden zu stürzen, und blieben, die Hände über den Kopf gelegt, eine Zeit lang, wie betäubt sitzen. Herr Hasselbeck, in seiner kleinen gestickten Mütze, stand unter dem Hauseingang, und schrie und commandirte mit heftiger Gesticulation auf den Platz hinaus. Ich konnte es aber nicht verstehen; so schrecklich war der Lärm; ich sah nur seinen Mund wie einen Schlauch sich auf- und zumachen. Diese Scene hatte kaum so lange gedauert, bis man bis 100 zählen kann, und war, wie ich vermuthe, vom ganzen Platz aus gesehen worden, als plötzlich fast sämmtliche Hausthüren sich öffneten, und, mit einer Mischung von Lauten, die ich nicht definiren kann, halb Pfeifen, halb Jauchzen, die Menschen wie Hyänen herausstürzten, und sich um die gelben Haufen hermachten. Die Einen hatten zwei Hüte auf, die Andern ein Sophakissen umgebunden, die dritten sich mit Handschuhe und Pelzkappen bewaffnet, wieder Andere einen Shawl umgehüllt, die Weibsleute einfach den obersten Rock bis über den Kopf gezogen; und nun ganfte und grapste Alles was nur Hände hatte, in die Taschen, in die Schürzen, in Nähkörbchen, in Tischschubladen; einige waren so ungeschickt, und hatten irdene Schüsseln mit heraus gebracht; wenn diese von einer Schloße getroffen waren, platzten sie auseinander, und der Dreck lag am Boden. Ein Gilfen, ein Schreien drang über den Platz, unbeschreiblich. Es war nicht nur Aufregung. Ein »Ai!« – ein »Ui!« – ein »Aitsch!« – im höchsten Discant über den ganzen Platz gezetert, zeigte, daß es Schmerz war; die Leute wurden trotz der Umhüllung von den Schloßen verletzt. Wir selbst waren durch einen Sturm der schreienden Hausbewohner von hinten her aus unserem Thor gejagt worden, und Jeder schützte sich nun, wie er konnte. Ich lief die Südseite der Häuser entlang, drückte den Hut in's Gesicht und die Hände in die [316] Taschen. Übrigens fielen die Körner jetzt immer seltener. Hinten im Westen brach die Sonne durch; und wie schnurgerade Blitze sausten die goldenen Körner durch die Luft. Auf dem Boden Alles gelb und glitzernd. Man meinte, das Zeug müsse schmelzen. Aber es schmolz nicht. Man meinte immer, es müsse wie nach einem Hagel gehen. Aber die Körner wurden härter und kälter. Und die Sohlen schmerzten beim Gehen. – Ja, jetzt wußte freilich Jeder, woran er war. Und nur mitleidig hörte man eine Frau baarhäuptig über den Platz eilen, die fortwährend, halb schluchzend wimmerte: »Ihr Leut', Ihr Leut', was soll das wer'n, wenn das Geld unter die Leut' kommt!« Sie hatte zwei Kinder auf den Armen, rechts und links Eines, beide vom übergestülpten Rock zugedeckt; sie selbst war baarhäuptig, und einige der Schrote hatten ihr buchstäblich die Kopfhaut gespalten; es schien eine Arbeitsfrau, die bei diesem elementaren Ereigniß, welches ihr das Weltende dünken mußte, nichts Wichtigeres thun zu müssen glaubte, als ihre Kleinen nach Haus zu bringen. Sie hatte keine Zeit selbst etwas von dem Gold aufzulesen. Sie lief nur immer zu in ihrem dünnwandigen abgewetzten Rock, durch den man die Beine sich bewegen sah, und rief ununterbrochen im Klageton: »Ihr Leut', Ihr Leut', was soll das wer'n, wenn das Geld unter die Leut' kommt!« – Jetzt fielen fast keine Schloßen mehr. Die Hausfrauen und feinen Damen erschienen oben und schauten mit verwunderten Augen auf das Treiben. Auch sie hatten jetzt das bessere Theil erwählt. Sie schickten ihre Dienstmädchen herunter, und ließen holen, was noch zu holen war. Mein Gott, es war noch viel da. Und im weißen Schürzchen, mit aufgestrüpelten Ärmeln, ein Körbchen oder eine Schüssel in der Hand, kamen die Zöfchen und Küchenmädchen herunter. Inzwischen war das Gedränge auf dem Platz enorm gewachsen; und Alles kehrte und wetzte am Boden herum. Da waren einige Kerle in rothen Schlipsen und rothen Taschentüchern, die scharrten und stopften in die Taschen, was das Zeug halten wollte.

»Sie dummes Luder!« – sprach Einer dieser Roth-Geschlipsten zu einem feinen, eben herzugetretenen Dienstmädchen, – »Sie werden doch nicht für Andere sammeln. Geht Ihnen denn noch kein Licht auf? Jetzt ist's Zeit, für sich zu sorgen!« – »»Ach Gott,«« antwortete diese, fast eingeschüchtert, »»die Gnädige hat mich doch herunter geschickt!«« – »Was, ›Gnädige‹,« glotzte [317] der Soci das zarte Mädchen an, »scharren Sie für sich zusammen, was 's Zeug hält, dann brauchen Sie keine Gnädige!« – »»Ach Gott,«« rief das arme Ding, »»meine Herrschaft schaut doch von oben zu!«« –

Jetzt wurde aber das Gedränge wirklich lebensgefährlich; und bereits waren an einigen Stellen Händel und Raufereien vorgefallen. In den andern Straßen der Stadt schien es nicht so stark geregnet, wie soll ich sagen, geschnieen, gehagelt zu haben, weil sich Alles auf den Platz um den Springbrunnen zusammendrängte. Oder fiel das Ding auf der großen Fläche mehr auf. Ich selbst nahm jetzt eines der Körner in die Hand. Sie schienen während des 'Runterfallens oder im Aufschlagen sich stark verändert zu haben. Am Boden, wenn man sie liegen sah, machten sie alle einen egalen Eindruck. Nahm man sie aber in die Hand, sah Jedes anders aus. Jedes war etwas anders eingekerbt und gekrümmt. Und eine ganz feine, sozusagen meteorologische Ciselirung bedeckte die meisten; wie man es auf eigens in dieser Richtung behandelten goldenen Hemdknöpfchen manchmal findet. –

Ich war noch in diese Betrachtungen versunken, und an das mich umgebende Gewühl und die seltsamen, unarticulirten Laute bereits sattsam gewöhnt, als plötzlich eine neue Bewegung durch die Massen ging: von jenseits dem Thor her, welches den Springbrunn-Platz gegen die innere Stadt abschloß, hörte man schweres Rädergerassel mit Commando-Rufen. Und gleich darauf erschien Militär, zunächst Artillerie mit einigen vierspännig bespannten Geschützen, ein, zwei Bataillone Infanterie, einige Stabs-Offiziere, Auditeure, berittene Gensdarmen, der Polizeidirector, mehrere Würdenträger, und zuletzt kam der König mit großem Gefolge. Alles in prunkenden, gestickten Uniformen. Ein entsetzliches, rabenähnliches Gekreische, aus dem man nicht entnehmen konnte, was Beifall, was Entsetzen über die gestörte Raublust war, begleitete und empfing diesen Zug. Obwohl die Gier, einzusammeln, diese Tausende von Menschen auf diesen Platz einzig beseelte, hielt doch Alles, angesichts der geräuschvollen neuen Ankömmlinge, inne, und wartete, was nun geschehen solle. Ein weißbetresster Offizier zu Pferd zog eine Rolle hervor, und verkündete nach vorausgegangenem Trommelschlag mit strenger Stimme eine lange Litanei; was, konnte ich nicht vernehmen. Aber ein klirrendes Johlen und Pfeifen, welches die Verlesung des Schriftstücks begleitete, ließ [318] mich vermuthen, daß es auf Beschränkung der Sammellust dieses goldenen Himmels-Brodes abgesehen war. Und in der That hörte ich bald darauf von einigen aus dem Gedränge herauskommenden Menschen das Wort weitergeben: »Der König verlangt die Hälfte für sich!« – Nun machte sich auch bald die Wirkung der gegebenen Ordre geltend. Die Infanterie ging mit quergehaltenem Gewehr langsam vor, und schob die gröhlende, pfeifende, fluchende Masse vor sich her. Hinten, auf dem freigewordenen Raum, sah man Diener und Lakaien in des Königs Uniform in Sieben und Körben aufsammeln, was noch zu holen war. Die Körner wurden dort herumgereicht. Auch der König ließ sich welche geben. Herren in Civilkleidung, wie es schien, eidlich bestellte Chemiker, zogen kleine Fläschchen mit einem wässrigen Inhalt heraus, und prüften die Substanzen. Alle Offiziere drängten sich herum, und beobachteten. Schließlich wurden den Herren vom Gefolge, wie auch dem König, die Probe in einem gläsernen Röhrchen hinaufgereicht. Die Sache schien entschieden zu sein. Es war Gold. – Ein Mensch neben mir, in blauer Blouse, die Hände in den Hosentaschen, der der ganzen Prozedur zugesehen, lachte jetzt höhnich auf: »Jessas, des wissen mer scho lang, daß 's Gold ist; scho vor 'er Stund war derSandelbeck, der Tandler aus der Gruftgassen mit sei'm Flascherl da, und hat's g'sagt!« – Allein die zurückgestaute Menge hatte sich bald ein neues Terrain erobert. Ein gewandter Junge, anscheinend ein Schlosserlehrling, hatte soeben, wie man vom Platz aus sehen konnte, das letzte Drittel einer Dachrinne eines der Häuser erklommen, und mußte in wenigen Augenblicken das Dach selbst erreichen. Mit einem einzigen, gellenden Schrei hatte die Masse Menschen plötzlich diese neue Sammelquelle entdeckt. Jetzt stürzte Alles in die Häuser zurück, wer am Platz wohnte, und bald sah man, öffneten sich die Mezzanin-Wohnungen und Dachlucken, und strümpfig stiegen schmale Menschen heraus, um sich langsam und vorsichtig der gefährlichen Rinne zu nähern. Das Gerinsel war natürlich meist von den glatten Ziegeln zurückgeprallt und bis zum Dachrand hinabgekollert. Einige Unvorsichtige bekamen das Uebergewicht und stürzten hinab auf's Trottoir. Ohne Laut. Niemand hörte was. In der ungeheuren Aufregung und bei dem entsetzlichen Lärm hörte Niemand und paßte auf solche Kleinigkeiten auf. – Der Himmel war jetzt immer heller geworden. Aber hoch oben, sah man, [319] schwebten noch große Massen dieses citronengelben Wolkenstoffs. Und konnten sich jeden Moment entladen. Darauf schienen die Meisten auch zu warten. – Der König mit seinem Gefolge hielt hoch zu Pferd unbeweglich auf seinem zuerst eingenommenen Platz, seine Proviantwägen füllten sich allmählich mit den gelbglitzernden Schroten. Aber ein vorsichtiger Beobachter konnte jetzt schon entdecken, daß eine trübe Wolke des Mißmuths sich auf all' diese Gesichter zu legen begann. Der König war in vollem Ornat, die Krone auf dem Haupt. Alle Uniformen glitzerten von Gold- und Ordens-Decorationen. Und dieses viele gelbe Metall, diese vielen gelben Tressen, diese höchstwerthigen Decorationen, alle in gelb, schämten sich auf einmal vor dem in Ueberfluß vom Himmel Gefallenen, und wurden gemein. Und die Menge, die schon die Taschen voll und nichts mehr zum Sammeln hatte, stand umher und belächelte spöttisch die über und über mit Gelb betreßten Herrschaften.

Doch nun trat ein ganz neues Moment in Szene: Hinten, von der langen Allee her, entgegengesetzt der Stadt, kamen mit einemmal drei, vier Getreidebauern im plain Carriere hereingefahren; ihre Rosse waren ganz mit Blut bedeckt; in den Halftern stacken die Goldkörner wie hineincrustirt; die Bauern selbst im Gesicht theilweise schwer verwundet, hatten Säcke übergebunden; und der Vorderste, ein stämmiger Bursch, rief, gerade als er auf den Platz hereingestürmt kam, mit lauter Stimme »Hint' bei Dingolsheim liegt des gäl Zeug schuhhoch auf der Straßen!« – Auf diesen Ruf hin ließ die Menge die Wägen und Getreidesäcke, die sie bereits aufgeschnitten hatte in der Meinung, sie seien mit dem Goldstoff gefüllt, gehen, und stürmte in der angegebenen Richtung fort. Andere wurden stutzig. Der Platz entleerte sich etwas. Das militärische Aufgebot, und die Anführer und Würdenträger waren über die Meldung nicht wenig überrascht, winkten die Bauern herzu, conferirten und gesticulirten von ihren Pferden herüber und hinüber. Inzwischen kamen neue Menschenmassen, wie es schien aus anderen Stadttheilen, wo der Goldhagel nicht oder nur gering niedergegangen war, hereingefluthet, Körbchen und Schüsseln im Arm, und begannen aufzulesen, wo noch zu holen war. Und es lag überall noch der gelbe Stoff herum. Manche zogen Fläschchen mit Königswasser aus der Westentasche und prüften zunächst die Körner. Alle schienen befriedigt. Die Meisten, wie sie zuerst den Platz [320] betraten, machten zunächst große Augen, und begriffen nicht, wie Militär daherkam. Einzelne, als sie des Königs ansichtig wurden, durch die Uebung gedrillt, wollten ihr »Hoch!« loslegen. Doch es blieb ihnen in der Kehle stecken. Meinten wohl doch im letzten Moment, die Gelegenheit sei nicht günstig, und zu extraordinär. – Jetzt begann vom Himmel wieder, wie vor zwei Stunden, jener verdächtige citronengelbe Schwadem sich herabzusenken, der das erstemal die entsetzlichen gelben Schloßen zur Folge gehabt hatte. – Ich dachte an Deckung, und ging wie zufällig, da die vollständig zerfetzte Allee keinen Schutz mehr bot, gegen das andere Ende des Platzes, welches der Stadt abgewandt war, und wo eine große Bauhütte, die eine Seite ganz offen, genügend Schutz und Raum gewährte. Dort angekommen bemerkte ich, mit nicht geringer Verwunderung, eine Gruppe kleiner, untersetzter, etwas nachlässig gekleideter Leute, die offenbar alle zusammengehörten und sich verstanden, und von denen nicht ein Einziger an dem aufgeregten Trubel sich zu betheiligen schien. Mir kam plötzlich ein lächerlicher Gedanke: ich meinte, die Leute da hätten das ganze Ding in Scene gesetzt, und beobachteten, von einem geschützten Ort aus, wie Feuerwerker, ob alles programmmäßig ablaufe; so apathisch, ruhig, gleichgültig standen diese Menschen da. Sie waren sich alle so egal, aus ein und derselben Masse gemacht, ja, ihr Kleiderschnitt stimmte zusammen; da mußten die Gedanken auch gleichgerichtet gewesen sein. Ihre Köpfe saßen tief in den Schultern, die Beine kurz und wackelig, der Oberkörper wuchtig, breit; Grauköpfe und Graubärte; die Lippen fleischig und um-und-um ausrasirt; Nasen pointirt; Augen klein und vigilant; angenehm schnarrige Organe; die Rocktalljen saßen etwa 1 Schuh tiefer als die Körpertalljen; die Schöße lang, glänzend und abgerieben; schiefes Stiefelwerk; breitgeschwollene Hände; die ganze Erscheinung humoristisch. – Und Folgendes etwa konnte ich vernehmen:

»Lassen S'es geh'n! Lassen S'es geh'n! Erinnern Se sich gefälligst, was ich Ihnen gesaagt habe: Das Silber geht noch [321] höher!« – »»Gott, wie reden Se daher? Was helft mich das Silber? Mer brauche neue Metallicher!«« – »Nu, haben Se neue Metallicher?« – »»Ob mer haben neue Metallicher?! Mer haben das Platiin, mer haben......«« – »Krause, sehen Se mal nach, wiePlatin steht?« – »»Platin steht 2039 das Kilo«« – »Gott, meine Herren, es helft Ihne nix, wann Se desPlatiin so erufftreibe. Es gibteres nit genug!« – »»Platin genuch, um en Mond drauß zu mache, und Ihren dumme Kopp dazu!«« – »Ka Beleidichung! 'S Gered is umasonst! Mer muß sich entschließe. Ich hab 50 Pud Platin bei meim Schwager Salomon in Odessa liche. Ich gäb's um zwatausend un sechzig!« – »»Ich nähm's; ich nähm's.«« – »Gott, wie de Leut kreische. In Paris hem se schon vor fufzig Johr Minze aus Platin gemacht; ham 's widder aufstecke müsse; des Zeug war zu schwar; da könnt mer sich alle Woch e nei Hosetasch mache lasse müsse!« – »»Gott, wie Se redde! Schaue Se doch de Misemaschin an! Wie das Zeug vom Himmel runner droppt. Mer brauche neie Metallicher, wie ich Ihne gesagt hab!«« – »HerrGoldstein!« – »»Gehesemerewegg mit Ihrem ›HerrGoldstein‹. Ich bin ka ›Herr Goldstein‹ mehr. Ich will nix mehr wisse von Gold!«« – »Na, also Herr Silberstein! – Was maane Se zum Rhodium?« – ›Was man ich zum Rhodium? Was waß ich vom Rhodium?‹ – »Es is a silberichs Metallich; is rar und gibteres doch genug; is zach; is so schwar wie Silber; wird nix oxydirt von der Luft.....« – ›Herr Frank! wisse sie was von Rhodium? Werd Rhodium gehandelt?‹ – »Rhodium können Sie in Rußland kaufen, so viel sie wollen!« – Hawe Sie a Notirung – »Rhodium stand vorige Woche 390 das Pfund« – »»Gott, die werde doch in St. Petersburg noch nix von dem Gold – G'schlamaßl da wisse?!«« – »I wo!« – ›Also meine Herre, wer sich betheilige will: Zwa e halbe MillionGoldbarre verkaaf ich in Petersburg à tout prix; undRhodium werd uffgekauft, was zu hawe ist.«« – (Ein Depeschenbote kommt. Alles stürzt zu Herrn Nathansohn, an den das Telegramm gerichtet ist; fahren mit einem Gekreisch auseinander): »Kochem-Meschore! In Frankfort wisse se nix von de ganze Misemaschine! es Silber steht um de alte Preis!« – ›He, Depe sche-Jingelche, eile Se sich, da hawe Se a Zehn-Markstück, schicke Se mer die Depesch ab, aber aß dringend, aß möglich!‹ – »»Kaafe Se Herr Goldstein, was Se kaafe können. Berufe Se sich aach uf meen Schwacher, Feitel Stern, in de Eschenheimer Gaß!«« – ›Hawe Se kei Angst, Herr Cohn, es wird [322] Alles recht; es kriecht Jeder sei Sach!‹ – »»Meine Herre, mer habe da noch 5, 6 Platin-Metalle, es Iridium, es Ruthenium, es Palladium; di Sache gehe eruf, wie es helle Feuer. Und wie stehts mit em Molybdän, mit emWolfram?«« – ›Es Ruthenium is zu grau, da wird sich nix mache lasse! Und es Wolfram, da gibteres zu viel. Des is so gemein wie Kobolt oder Nickel.‹ – »»Ei, da werd halt mit Silber legirt. Die Dinger sein alle kostbar! – Gott, wer hat das voraussehn können! Was e Tag! Was e Tag!«« – »Gott, Herr Natansohn, schaue Se nur Ihr Bübche an, wie des in dem Zeug rumwühlt!« – »»Moritz, pfui, Gassebub, willste den Dreck lieche lasse!«« – »Vatter, des ist doch Gold! Schau doch, wie de Leut grapse!« – »Pfui, naseweiser Bursch, schmeiß den Dreck hin, es gibt kei Gold mehr; Gold is Dreck; siehste net, daß der ganz Himmel voll is?!« –

In der That, der Himmel hatte sich jetzt wieder citronengelb herabgesenkt. Viele flüchteten schon in die Häuser. Ich kehrte auf den großen Platz zurück. Die Leute schauten sich mit großen gläsernen Augen an. Keines wußte, was geschehen solle. Von Dingolsheim kehrten gruppenweise die Menschen zurück, die Taschen und Kappen bis zum Platzen gefüllt. Und vom Himmel herunter schienen neue Massen zu drohen. Vor den Wirthshäusern lagen die Leute besoffen; andere gröhlten und schrieen: jetzt gehe eine neue Zeit an; das goldene Zeitalter sei zurückgekommen. Auf der anderen Seite sah ich Weiber und Arbeiter heftig gesticulirend aus einzelnen Läden herausstürzen; ich erkundigte mich, was Neues los sei: die Laden-Inhaber, hieß es, nehmen weder 10- noch 20Markstücke mehr an; sie verkauften nur gegen Silber. Eine fürchterliche Angst bemächtigte sich jetzt Aller. Das Militär hatte den Platz wieder freigegeben, und ordnete sich eben zum Einrücken. Vorne, sah ich, die Cavalcade des Königs zum Thor hineinreiten. Oben an einem Laternenpfosten war eine Königliche Bekanntmachung angeschlagen, des Inhalts, der König werde mit den Ministern angesichts des unerhörten elementaren Ereignisses und des reichen, göttlichen Segens, der vom Himmel geflossen, sofort berathen, was zum Wohl seines geliebten Volkes zu thun sei; der Preis für das Gold solle bekannt gegeben werden; und das Betreffende werde heute Abend noch im Rathhaus zu erfahren sein. – Nun ordnete sich Alles wie zum in die Stadt-Ziehen. Das Militär zog dem König nach. Das Volk zog dem Militär nach. Der Himmel senkte sich[323] gelbglühend immer tiefer hernieder. Bald war der große Springbrunn-Platz still und verwaist. –

Nur eine letzte Gruppe kam ganz hinten nach. Es waren die Grauköpfe. Und kurzbeinig, stolpernd, mit den schlappenden, langen Rockflügeln humpelten sie daher, und im Chor gröhlten sie mit heiserer Stimme, sich gegenseitig vergewissernd und sich gegenseitig befestigend: »Iridium zwahundert und einunddreißig; – Antimon hundert und sechzig; – Rhodium zwahundert und zwaundzwanzig; – Palladium achthundert gradaus; – Molybdän siwehundert und in die sechzig; – Wolfram neinhundert und siweneverzig; –Silber tausend und in die Sibzig; und Platin zwatausend, zwahundert und achtzig!«

[324]

Ein Kapitel aus der Pastoral-Medizin

»Und sahen, daß sie nackt waren.«

1. Mose 3.7.


In Innsbruck, wo ich im Jahr 1859 als blutjunger Student der Theologie obzuliegen hatte, galt als eine der gefeiertsten Autoritäten der dortigen Universität Professor Süpfli, Benedictiner-Pater, Haus-Prälat Pius IX.' und Ordinarius für Pastoral-Medizin. Seine Abhandlung »De conceptionis sexualis humanae causa transcendentali«, sowie seine scharfsinnige Untersuchung »Ueber den sittlichen Boden bei den Fröschen« waren damals in Aller Händen. Und die wichtige Frage, die wohl alle Gemüther beschäftigte, über den Einfluß der Tod-Sünden auf die Blutmischung – da die ganze Lehre von der Erbsünde von ihr beeinflußt zu werden schien – ruhte sozusagen in Süpfli's Händen. Süpfli locutus est! hieß es damals; und die Sache war damit entschieden. –

Ein älterer Student, dem ich mich angeschlossen hatte, veranlaßte mich, einmal dem Colleg Süpflis über Pastoral-Medizin beizuwohnen; »bei Süpfli zu schinden,« sagte man in der Studentensprache; und dies in doppelter Weise; denn nicht nur durfte man eine Vorlesung, welche man nicht belegt hatte, nicht besuchen, sondern Studenten jüngerer Semester war es überhaupt verboten, Collegs von so vorgeschrittener Weisheit beizuwohnen. – Mit dampfendem Gehirn und aufgesträubten Haaren kam ich heraus; und eine Woche lang hatte ich das Gefühl, eine Kugel spanischen Pfeffers verschluckt zu haben, die sich langsam auflöse, und Blut und Gedanken, alle Nahrungssäfte mit ihrem penetranten Roth durchsetze, bis das fabelhafte Gift glücklich wieder ausgeschieden war. – Ich hoffe, der Leser ist in dieser Beziehung rüstiger und von größerer Widerstandskraft. –

Wir kamen etwas zu spät. Das Colleg hatte bereits begonnen. Ueber einige fünfzig kurzgeschnittene Köpfe mit der thalergroßen Tonsur in der Mitte, alle niedergebeugt und die raschelnde Feder an der rechten Schläfe, hinweg, sahen wir den langen hageren Süpfli hoch auf dem Catheder thronen, mit etwas belegter Stimme, und leichten nach rechts und links austheilenden Handbewegungen, vortragen. Süpfli sprach ein eigenthümlich [325] gemildertes Schweizer Deutsch. Wir waren damals verpflichtet, jedes vorgetragene Wort des Lehrers zu stenografiren und später reinzuschreiben. Als Zuspätgekommene drückten wir uns schnell in eine Ecke. Der Vortrag hatte bereits begonnen. Ich that, was alle Andern thaten: zog Bleistift und Papier heraus, und begann zu schreiben. Das Stenogramm bringt Alles, Dialect-Laute wie Gedankengang mit gleicher Treue. Und so bring' ich denn auch, was ich auf dem Papier hatte, hier wieder, sine ira et studio, Constructionsfehler und lapsus loquendi, Ungeheuerlichkeiten und Bestialitäten durcheinander gemischt.

Süpfli loquitur:

» ......... a seller Zuschtand isch immer schlimmer worda; die Zahl der Chrankheite isch schröckli groß worda; der Düfel, net dermit z'fride, de mänschliche Körper ganz ußere materielle Subschtanz darg'schtellt z'sehe, wellt en no weiter ruinire. Alle Chrankhite, die de mänschliche Körper befalle, sind d'Folge vo der Erbsünde, die si immer vermehrt, und immer vermehrt; eso daß gar kei Hoffnung uf Beß'rung verhande z'sei scheint. Instatt gottähnlicher werda mer immer düfelsähnlicher. Und die letzt' Ursach', zwege der die Erbsünd' in immer größerer Menge uf uns chommen isch, isch seller Zuschtand, ime dem wir eh'mals usem Paradies vertrieb'n worda: die Nacktheit. Durch die Nacktheit wird in den Mänschen die Cubiditas und die Concubiszenschia wachgerufen; selle führen zur Sünde; die Sünde wird uf die Nachkomme in unwiderschtehlicher Gewalt übertrage, und häuft si immer mehr; und isch bis ufem heutige Tag zure schröckeli Gewalt worda. Zwar hat ma Chlider über die Scham conschtruirt, um die Nacktheit zu verberge. Aber leider sind die Chlider verschieblich. Und selle Verschieblichkeit hat in de letschte Jahrhunderte grüseli zug'nomma. Ma verschiebt si alle Augenblick ohne Zweck. Und leider chönna si ganz abg'nomma werda. Dadurch chönna d'Mänsche zu jeder Zeit ihre Nacktheit inne werda und si betrachte. Die einzige Möglichkeit us diesem sündhaften Zuschtand heruszuchumma, war – as e Z'rückversetze i de paradiesische Zuschtand der Sündlosigkeit zur Zit nüt denkbar, – die Verwachsung der Chlider mit der Körper-Oberfläche. Sell sich de Zweck der Paschtoral-Medizin. Uf wellem Weg isch aber dies zu erreiche? Do müesse me z'rückgehe bis zur erschten Entschtehung der [326] Nacktheit beim Mänschen; sell isch bis zur Geburt. As die Ars obschtetrizia aposchtolica, die paschtorale Geburtshülfe, us lehrt, isch die Erzeugung des Mänschen zur Zeit eine sit fascht sechstausend Jahre fortgesetzte Beschtialität; igeleitet gegen den ursprüngliche Wille des Höchschten; entgegengesetzt em ganze urschprüngliche Schöpfungsplan. As uns Scotus Erigena schon im neunten Jahrhundert gezeigt het, war der Zuschtand des erschten Mänschen im Paradies e rein göttlicher, spiritualischer, seraphischer, immaterieller, frei von Concubiszenschia und sexualer Cognitio. Die Vervielfältigung und Weiterzeugung wär' vor sich ganga iner rein idealer Weise, durch Selbscht-Anschauung, wie ebba die der Engel, und in Myriade von fleckenlose Individuen. Erscht durch de Sündefall ging selle siderische Geschtalt verlore. De erscht Mänsch bekam e sinnliche, materielle, fleischliche Körper, de geschlechtliche Zwitheilung erfolgte; und de Chliderfabrik begann. As die Sach' heut' schteht, müsseme uns gedulde, und miteme Dreck abfinde. Aber die aposchtolische Geburtshülfe muß doch conschtatire, daß mit jedem Kinde, das us Mutterlip usschlüpft, e Düfelsfratz uns entgegegrinzt, in wellem der göttliche Funke fascht erloschen isch, e haarlose Beschtie, e Gottrescht, dem zur ewigen Schande der wizengelbe Charakter der Nacktheit zugetheilt worde. Und sit der Zit senmer durch fortwährendes tieferes Verschtricktwerda in die Netze des Düfels zuneme ohnmächtige, flaischliche, concubischzente G'schlecht usgeartet. – Was isch nu z'thun? Was isch d'hütige Ufgabe der Paschtoral-Medizin, die Ufgabe der paschtorale Geburtshülfe? D'Nacktheit chönna mer nüt ändere. D'Nacktheit isch aber z'schame mit der G'schlechtsverthilung uf zwe Individue die Quelle aller Schande, aller libido, aller volubtasch, und ebbe dadurch die Quelle der immer schröcklicher uf uns chumene Erbsünde. Die Chlider verhülla die Nacktheit. Aber die Chlider sind verschieblich, thilbar, ablegbar, mousselinehaft, schlüpfrig und täuschungsrich. Mit Leim chönna merse nüt de Mönsche ufen Lib feschtkleba. Wenn'sch aber g'linget, d'Män sche in Chlider gebore werda z'lasse, war allem Uebel a'g'holfe! In Chlider, diene Anschauung der Nacktheit unmöglich mache! Dann war e Vermehrung der Erbsünde nimmer möglich. Welches Wunder! Ma söll's nüt für möglich halte. Und doch isch sell Wunder amol vor sich gange:

In Verona isch im siebezehnte Jahrhundert e frommes Ehepaar [327] g'si, die händ kei Chinder gha. Er stammte usere vornehme Familie. Sie isch e armes frommes Mädla gsi. Durch's Loos isch si si Frau worda. Zerscht welletse e christlichs, gottseligs, chinderloses Leba führe. Aberne Stimme hat ihn an sine Pflicht erinnert. E Conzeptschio is sine ulla libidine necne cubiditate z'schtand chumme. As die Schtund der Wehen isch näher chumme, sen sechs Priester Dach und Nacht an's Bett der Wöchneri hi gechniet, und händ ihr heißes Flehen ebba im Sinn von sellem ideale Ziel vereinigt, von dem ich oba g'sprochn hab, und das unschre Disciplin, die ars obschtetrizia aposchtolica verfolgt. Es verganga bange, schwer Schtunde. D'Hebam isch g'weiht gsi, und hat d' Communion z'vor empfange gha. Ändli gegen Oba, as sich's Leibesthor öffnet, was meinad er, isch chumma?! E Menschle, e Büeble isch usi chomma, inema Frack, in braune, runzliche Hösli, e Schilee het's ang'het mit schöne, gliche, glanzige Knöpfli, Cylinder Manschette, und sehr zarte Stiefeli, die erscht an der Luft hart worda sind; g'lacht hat's mit rothi Bäckli, mit freundlich blinzelnde Äugli, hat sie gruseli g'freut, und isch mit sime feine Schpazierstöckli usi stapft ufem wiße Leintuch .....«

In diesem Augenblick machte es: »Tim, Tim, Tim, Tim, Tim .....« zehn Mal. Es war zehn Uhr. ProfessorSüpfli schlug einen großen Folianten zu, und sagte: »s nächschte Mol Mehres über selle Materie!« –

Fußnoten

1 Der Verleger, welcher die obigen englischen Worte ursprünglich beanstandete, da er als Mitglied des Deutschen Sprach-Reinigungs-Vereins das Eindringen fremder Worte und Phrasen in die deutsche Sprache perhorresziert, einigte sich mit dem Verfasser, der sich weigerte durch Weglassung der Worte sich einer Geschichtsfälschung schuldig zu machen, dahin, durch Wiedergabe der kleinen englischen Phrase im Deutschen, jede Mißdeutung auszuschließen, was hiermit geschieht. Was Judas sagt, lautet ungefähr: »Was ist denn da los? – Was soll denn das mit dem »»wird mich verraten?«« – Was ist denn? – Was soll denn das Alles?« Über die merkwürdige Thatsache, daß Judas hier Englisch spricht, wird der Leser später Einiges Nähere finden.

2 »Sieh der Teufel«!

3 »Und hier seine Braut!«

4 Schwatzerei.

5 Der Teufel ist traurig, und hat wohl Furcht; er hat seine Braut verloren, und fürchtet die Superiorin. –

6 Ach, sie thun mir weh.


Notes
Erstdruck: Leipzig (Wilhelm Friedrich) [1893].
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TextGrid Repository (2012). Panizza, Oskar. Visionen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-66ED-D