[107] Mac Dugald

1.

»Prinz Edgar nahet! unser Hort!
Der Sohn von unserm Königsstamme!«
So scholl's, und zündend trug das Wort
Durch's Hochland eine lohe Flamme.
Der ärmste Knecht, der Bettler schier,
Wie die mit Rang und Gut Belehnten,
Sie scharten sich um das Panier
Des heimgekehrten Prätendenten.
Nach Büchs' und Schwert griff jede Hand,
Aufzuckend gen Hannovers Farben,
Und selig wurden die genannt,
Die so in heil'gem Kampfe starben.
Sie waren selig! Als es brach,
Trank noch ihr Herz Begeistrungsodem!
Sie sahen nicht den Tag der Schmach,
Den Unglückstag nicht bei Culloden. –
Dem Tage folgt ein Dunkel dicht,
Das blanke Beile nur durchhellen.
In Edinburg sitzt ein Gericht
Zum Spruche über die Rebellen.
Da ist kein Mann so groß, so gut,
Daß ihn der Haß zu treffen scheue!
Es rauchet das Schafott vom Blut
Hochedler Märtyrer der Treue.
Durch eh'rne Strenge, finstern Zwang
Will stürzen man den alten Glauben,
In rücksichtslosem Uebergang
Dem Volk sein eigenst Wesen rauben.
[108]
Daß welk von einem Todeshauch
Sein Selbst wie dessen äußre Zeichen,
Soll Kaledoniens Recht und Brauch
Dem englischen Gesetze weichen.
Auch auf des Hochlands Söhne, die
Im Dienst von Englands Fahne stehen,
Ist man bedacht und läßt für sie
Den folgenden Befehl ergehen:
»Wenn Urlaub ein Soldat begehrt,
Sind ihm drei Tage freizugeben;
Doch wer dann nicht zurückekehrt,
Der büßt die Schuld mit seinem Leben!
Es droht solch blutiges Geschick
Nicht bloß dem Flüchtling, dem Verräter,
Nein! Jenem auch, der kehrt zurück
Um eine Tageslänge später.
Wer auch um eine Stunde nur
Die Frist des Urlaubs überschreitet,
Der hat, verletzend seinen Schwur,
Sich selbst den Weg zum Grab bereitet.«

2.

Kein Lebenslaut stört die Natur
In ihrem herbstlich stillen Leide;
Es scheint die Sonne lässig nur
Hernieder auf die braune Haide.
Da ist kein Baum, umwebt von Moos,
Aus dessen Zweigen Vögel sängen,
Da ist kein Fels, aus dessen Schoß
Krystallne Quellen lustig sprängen!
Den Wanderer aber, den zur Stund'
Die Abendstrahlen uns hier zeigen
[109]
Den kümmert nicht der öde Grund,
Des Himmels Grau, der Gegend Schweigen!
In seinem Herzen jauchzt ein Lied,
In seiner Seele springt ein Bronnen,
Seit ihn das heimische Gebiet
Aufnahm mit seinen trauten Wonnen.
Mac Dugald ist's, der rasch und leicht
Als liehe ihm die Sehnsucht Flügel
Hin durch die braune Haide streicht,
Und froh erklimmt die steilen Hügel.
Von diesen Stätten, ihm so wert,
Wie lange ist er fern geblieben!
Wie lang, wie schwer hat er entbehrt
Den teuern Anblick seiner Lieben!
Er war ein gar so junges Blut,
Als in sein Dorf die Werber kamen
Und ihn aus seiner Mutter Hut
Am nächsten Morgen mit sich nahmen.
Nun dient er an fünf Jahre schon
In Englands kriegerischem Heere,
Und, traun! es macht des Hochlands Sohn
Durch Mut und Treu dem Hochland Ehre.
Er folgte seinem Regiment
Ins Land, wo hoch die Palmen stehen,
Die Sonne heiß herniederbrennt
Auf Bombays Tempel und Moscheen,
Wo tausend Scenen bunt und wild
Den Sinn berauschen und umfloren,
Allein der fernen Heimat Bild
Blieb seiner Seele unverloren.
Und als er nun nach manchem Jahr
Der Trennung Schottlands Felsenküste,
[110]
Vom Meer umbraust, umkreist vom Aar,
Mit frohem Jubel wieder grüßte,
Da schien ihm leicht das schwerste Joch,
Hell lag die Welt vor seinen Blicken,
Nur eines, eines fehlt' ihm noch:
Die Mutter an die Brust zu drücken.
Er trat vor seinen Offizier
Und bat mit raschem Herzensschlage,
Mit feuchtem Aug': »Gebt Urlaub mir
Nicht länger, Sir, als auf drei Tage.
Möcht' einmal noch die Mutter seh'n,
Die Mutter, die,« – er stammelt's leise,
Sein Blick nur unterstützt sein Fleh'n,
Stumm, doch in vielberedter Weise.
»»Du dientest brav und tüchtig stets,
Nicht will ich dir den Wunsch versagen.
Geh! aber denk' an das Gesetz,
Das Rückkehr heischet nach drei Tagen!««
»Meint ihr, daß meinen Fahneneid
Ich falschen Sinnes brechen könnte?
Seid ruhig, Sir! zur rechten Zeit
Bin ich zurück beim Regimente.« –
O wie er hastet, wie er jagt
Nicht zu verlieren eine Stunde!
Der Berg, der dunkelmächtig ragt,
Der Strom, das Moor im Haidegrunde,
Sie halten seinen Schritt nicht auf,
Ihn hemmen weder Berg noch Welle,
Bis er in nimmermüdem Lauf
Erreicht des Mutterhauses Schwelle.
Es fliegt sein Herz, wie zum Gebet
Treibt's ihn die Hände fromm zu falten,
[111]
Dann tritt er näher, forschend späht
Sein Auge durch des Ladens Spalten.
Er sieht die Mutter bei dem Licht
Des Kienspans emsig dreh'n den Rocken;
O wie so bleich ist ihr Gesicht
Und wie ergraut sind ihre Locken! –
Die Liebe lehrt ihn mit Bedacht
Zu melden ihr die frohste Kunde,
Und an den Laden pocht er sacht,
Wie ein Besuch zu später Stunde.
»Wer ist's?« Als Antwort gellt ein Pfiff.
»Wer ist's?« Es schwinden ihr die Sinne,
Den Span faßt sie mit raschem Griff,
Springt auf, und hält dann zitternd inne.
O wohl hat sie den Pfiff erkannt,
Womit ihr Sohn den Falken lockte!
Sie steht, wie auf den Fleck gebannt,
Ihr ist, als ob ihr Herzblut stockte.
Jetzt tönt ihr, Wonne ihrem Ohr,
Ein liebvertrautes Lied entgegen;
Aufjauchzend rafft sie sich empor,
Durchzuckt von tiefster Freude Segen.
»Mein Dugald! o mein Sohn, mein Sohn!«
Fort stürzt sie, schneller als Gedanken,
Doch auf der Schwelle fühlt sie schon
Des Jünglings Arme sie umranken.
»So kommst du endlich, endlich doch!«
Sie ruft es, ihre Kniee beben,
Nur eines weiß und denkt sie noch:
Daß ihr der Sohn zurückgegeben.

[112] 3.

Der Morgen findet sie vereint
Beim kärglich schlichten Frühmahl sitzen.
Verklärt der Mutter Antlitz scheint,
Mac Dugalds Augen leuchten, blitzen,
Indem er ihr erzählt, was er
An Mühen, Nöten und Gefahren,
An Kämpfen ernst und heiß und schwer,
Bestanden in der Trennung Jahren
Und wie zuletzt sich doch zum Glück
Zum Guten alles mußte fügen!
Sie lauscht und lauscht und kann den Blick
Nicht wenden von den teuern Zügen.
Hat ihn verschönert denn ein Trank,
Gebraut am nächt'gen Zauberherde!
Sein Aug' so kühn, sein Wuchs so schlank,
So stolz und edel die Gebärde!
Als nun zu Ende sein Bericht,
Fragt er, wie es denn ihr ergangen.
Sie schüttelt leis' das Haupt und spricht:
»O trage darnach nicht Verlangen!
Wozu auch das vergang'ne Leid
Gespensterhaft heraufbeschwören,
Und dieser Stunde Seligkeit
Mit Qualerinnerungen stören?
Was war mein Jammer und mein Schmerz?
Daß du, mein Dugald, mir entrissen!
Was drang als Glutpfeil in mein Herz?
Dich, meinen einzigen Sohn zu missen!
Die Pein, die damals mich beschlich,
Wie könnte ich sie jetzt noch fassen?
Mein bist du, mein! ich halte dich
Um nimmermehr von dir zu lassen.«
[113]
Befremdet blickt sie Dugald an.
»Wie mögt Ihr Mutter also sprechen?
Ihr wißt, ich bin des Königs Mann
Und darf ihm meinen Eid nicht brechen.
O glaubet mir! leicht wird mir's nicht,
Die Heimat neuerdings zu meiden,
Allein der strenge Ruf der Pflicht
Heißt mich schon morgen von Euch scheiden.«
Ein Donnerschlag trifft sie dies Wort,
Wild springt sie auf von ihrem Sitze.
»Du wolltest, – – wolltest wieder fort,
Du meines Alters einz'ge Stütze?
So willst du, daß verzweifelnd sich
Das Herz in meinem Busen spalte?
Und meinst du denn, ich ließe dich,
Da ich dich endlich wieder halte?«
»Wie, Mutter, wie? nicht fasse ich
Was Euern Sinn umstrickt, bethöret,
Daß Ihr so heiß und flehentlich
Unmögliches von mir begehret!
Sagt selbst! soll ich ein niedrer Wicht
Dem Dienst des Königs feig entlaufen,
Verletzen die beschworne Pflicht
Und Freiheit mir mit Schmach erkaufen?«
»Schmach nennst du es, wenn stolz und rein,
Frei wie die Luft auf seinen Bergen,
Der Sohn des Hochlands nichts gemein
Will haben mit den fremden Schergen?
Ich nenn' es Schmach dem Sassanagh,
Dem frechen Kronendieb zu dienen!
O Fluch dem unheilvollen Tag,
Wo seine Scharen hier erschienen!
[114]
Geh hin durch's Land und frage, wie
Sie hier gehaust in diesen Thälern,
Die Schlösser, Hütten zähle, die
Verwandelt sie zu Grabesmälern!
Empor zum Himmel hör' das Blut
Der Frommen schreien, der Gerechten,
Und dann, dann diene wohlgemut
Noch länger jenen Henkersknechten!
Doch nein! o nein! vergib den Hohn!
Ist's Thorheit doch, mich so zu quälen!
Ich weiß es: nimmer wird mein Sohn
Der Schande Teil für sich erwählen!
Es galt ja nur, von deinem Aug'
Die Binde falschen Wahns zu streifen,
Das that ich, und jetzt wirst du auch
Das rechte, festen Sinns, ergreifen.«
»Und wähnt Ihr denn, daß sie mich hier
Nicht baldigst suchten, baldigst fänden?«
»O freilich wohl! Doch wollen wir
Dem Dorf alsbald den Rücken wenden.
Wir wollen flieh'n zur Waldesschlucht,
Nach unserer Berge steilsten Höhen,
Von Aar und Möwe nur besucht, –
Dort wird kein Häscher dich erspähen.
Dort wirst du leben frank und frei,
Wie Wallace einst in alten Tagen,
Die Klipp' erklettern nach dem Weih,
Das flücht'ge Reh, den Damhirsch jagen.
Die Brust von frischem Mut geschwellt,
Treu deinem König, deinem Gotte,
Lebst du in deiner eig'nen Welt,
Ein freier Mann, ein echter Schotte!«
[115]
So dringt sie in ihn, bittet, fleht,
Den Sinn des Jünglings zu erweichen.
Stumm mit verschränkten Armen steht
Mac Dugald vor der Schmerzenreichen.
Bewegt sieht er ihr Angesicht
Das teu're, überströmt mit Zähren,
Doch was sie heischt, er darf es nicht,
Bei Gott! er wird es nicht gewähren.
»Nein!« ruft er endlich, »nein! und nein!
Genug habt Ihr mit Euern Bitten
Die Seele mir erfüllt mit Pein,
Mir tief genug in's Herz geschnitten.
Fahrt Ihr damit noch länger fort,
Könnt Ihr mir neue Qual bereiten,
Doch nimmermehr wird Euer Wort
Zu schnödem Treubruch mich verleiten.
Ihr wißt es, Mutter, Euer Leid
Kann ich nicht heben, ach! nur teilen.
Verpfändet hab' ich meinen Eid,
Nicht länger als drei Tag' zu weilen.«
»Und wenn du eine läng're Frist
Dich unterfingest zuzugeben?«
»So wahr ich ein Soldat und Christ,
Nichts rettete alsdann mein Leben!«
»Nichts?« fragt sie leise, und ein Licht
Flammt plötzlich auf in ihrem Blicke,
Als ob durch Nebel, schwer und dicht,
Der Sonne Strahl belebend zücke.
»Nichts?« wiederholt sie langsam und
Von ihrem Antlitz flieht das Bangen,
Wie Hoffen zuckt's um ihren Mund,
Es röten sich die bleichen Wangen.
[116]
Welch ungeahnter Himmelsstrahl
Hat tief sich in ihr Herz ergossen?
Ward aus dem Labyrinth von Qual
Ein Ausweg plötzlich ihr erschlossen?
So ist es! einen Rettungsport
Ersah ihr Auge freudetrunken!
Sie lächelt still, sie spricht kein Wort,
Und steht in Sinnen tief versunken.

4.

Schon ist es Abend. Schwermutvoll
Denkt Dugald an das nahe Scheiden,
Doch mutig, wie der Mann es soll,
Verhehlt entschlossen er sein Leiden.
Er birgt sein Weh, mag's auch in's Mark,
In's tiefste, ihm des Lebens gehen.
Sieht er die Mutter doch so stark,
Die er vorerst so schwach gesehen!
Im Hause schafft sie rüstig, frisch,
Wie's ihre altgewohnte Weise.
Dann rückt zum Herde sie den Tisch
Gar wohl besetzt mit Trank und Speise.
»Sag, Dugald! weißt du denn noch, was
Der Brauch erheischt in unserm Lande?«
Und mit des Whiskys Feuernaß
Füllt seinen Becher sie zum Rande.
Und rasch, mit einem Zuge leert
Er die ihm dargebotne Schale.
Was ist's, das plötzlich ihn durchfährt?
Wie wird ihm nur mit einem Male?
Ihm ist, als hätte flüss'ge Glut
Aus jenem Becher er getrunken,
[117]
Als sprühten, statt der roten Flut,
Durch seine Adern lohe Funken.
Ein Nebelflor sein Aug' umhüllt,
Es schwinden Sinn ihm und Gedanke.
Und wieder seinen Becher füllt
Die Mutter ihm mit jenem Tranke.
Abwehrend weist er ihn zurück.
»Ich muß Euch den Bescheid versagen.«
»O trink' auf unser künft'ges Glück,
Auf Wiedersehn in bessern Tagen!«
»Gilt's dies, dann sei es, wie Ihr wollt!
Ich trink' Euch zu von ganzer Seele!«
Betäubend, überwältigend rollt
Der Feuertrank ihm durch die Kehle.
Sein Zustand wüster Traum ihm dünkt,
Ein Zittern fliegt durch seine Glieder,
Erheben will er sich und sinkt
Auf seinen Sitz bewußtlos nieder.
Das ist nicht Schlaf, der lind und sacht
Auf Ruhbedürft'ge niedergleitet!
Betäubung ist's, wie sie die Macht
Des stärksten Opiats bereitet.
Sein Antlitz bleich und unbelebt,
Von kaltem Schweiß feucht seine Locken!
Wie ängstlich seine Brust sich hebt,
Wie seine Pulse zögernd stocken! –
Zu ihres Sohnes Häupten kniet
Meg Nora nieder auf den Boden,
Sie küßt sein dunkles Augenlid,
Sie lauschet seines Mundes Odem.
Auf ihren Schoß stützt sie gelind
Sein schönes Haupt, das ohnmachtschwache,
[118]
Und hält bei ihrem lieben Kind
Getreu und unverdrossen Wache.

5.

Im Osten graut der junge Tag,
Schon lichtet sich's im Thalesgrunde.
Es ruft des Glöckleins heller Schlag
Vom Turm herab die sechste Stunde.
Die Nebel schwinden, die zuhauf
Im Thal und auf den Bergen lagen,
O Dugald! Dugald! wache auf!
Die Abschiedsstunde hat geschlagen!
Er aber rührt und regt sich nicht,
So fest hält ihn des Traums Umkettung,
Und immer heller wird das Licht
Und kürzer stets die Frist der Rettung.
Unsel'ger! o wach auf! wach auf!
Und wehre des Verderbens Zeichen!
Vielleicht kannst du im schnellen Lauf
Dein fernes Ziel doch noch erreichen!
Umsonst! umsonst! er schlummert fort
Als hielt' ihn Todesschlaf umfangen.
Nun ist's zu spät! Entsetzlich Wort,
Reich an verzweiflungsvollem Bangen!
Schon neigt die Sonne sich zum Meer,
Im Abendrot erglüh'n die Hügel! – –
Dein Ziel erreichest du nicht mehr,
Leiht nicht der Sturm dir seine Flügel.
Jetzt fährt er jäh empor. Wie Brand
Glüht's ihm im schmerzenden Gehirne;
Bewußtlos halb fährt mit der Hand
Er nach der schweißbenetzten Stirne.
[119]
Er rafft sich auf, mit einem Sprung:
»»Was ließet Ihr so lang mich träumen?
Das ist des Morgens Dämmerung!
Sie mahnt mich, länger nicht zu säumen!
Lebt wohl, o Mutter!«« hastig wild
Greift er nach Tartan, Schwert und Mütze.
»Lebt wohl! o daß der Himmel mild
In Eurer Not Euch tröst' und schütze!
Noch einen Kuß und nun hinweg!«
Fort will er, aber ihrem Sohne
Vertritt Meg Nora rasch den Weg
Und spricht, Triumph im Blick und Tone:
»Das ist das Grau'n des Morgens nicht!
Es ist der Abenddämm'rung Dunkel.
Sieh dort des Mondes fahles Licht,
Der Sterne flimmerndes Gefunkel!
Was starrst du? Füg dich deinem Los!
Die Frist, die du dir ausbedungen,
Vor Stunden schon hat sie der Schoß
Der dunkeln Ewigkeit verschlungen!«
Er taumelt, wankt, in's Herz hinein
Greift ihm ein namenloser Schrecken.
»Nein,«« stammelt er, »»es kann nicht sein!
Ein böser Traum nur will mich necken.
Weckt mich! zeigt mir der Sonne Gold,
Im Ost die lichte Morgenröte!
Sagt, daß es Tag, wenn Ihr nicht wollt,
Daß dieses Traumes Qual mich töte!«
»Ermanne dich! jetzt träumst du nicht!
Doch lang hielt Schlummer dich umschlossen,
Der braune Saft that seine Pflicht,
Den ich dir in den Trank gegossen!
[120]
Magst noch so wild und noch so stier
Dein Auge in das meine bohren,
Du scheidest doch nicht mehr von mir,
Denn thätest du's, wärst du verloren!«
»Verloren! ja ich bin es!« stöhnt
Er dumpf, »und bin durch Euch verloren!«
Wie des Gerichts Posaune dröhnt
Das grause Wort in ihre Ohren.
Wie Marmor bleich wird ihr Gesicht,
In ihrem Aug' erlischt das Feuer:
»Du wolltest –? nein! das wirst du nicht!
Zu gräßlich wär's, zu ungeheuer!
O frevle nicht an der Natur!
Sie spricht zu dir aus dieser Zähre!«
»Hier richtet eine Stimme nur:
Die Stimme der Soldatenehre.
Als Sühne bring' ich ihr mein Haupt.
O Mutter! mag euch Gott vergeben!
Die Täuschung, die Ihr Euch erlaubt,
Sie kostet Euerm Sohn das Leben!«
»Bleib, Dugald! bleib! Bei meinem Fluch!
Bei dein und meinem Seelenheile!«
Er hört es nicht mehr. Durch das Bruch
Fliegt er dahin mit Windeseile.
Sie stürzt ihm nach, erreicht ihn nicht,
Sieht weiter stets den Raum sich dehnen,
Bis kraftlos sie zusammenbricht,
Starr, ohne Seufzer, ohne Thränen.

6.

Der Nordwind schnaubt durch das Gefild
Und bricht die Zweige im Gehege.
[121]
Des tiefsten Seelenjammers Bild
Sitzt eine bleiche Frau am Wege.
Die welken Hände in dem Schoß
Und aufgelöst die grauen Haare,
Versteinert, stumm und regungslos
Sitzt sie schon da seit manchem Jahre.
Nur wenn ihr müdes Aug' von fern
Des Wegs sieht einen Wandrer kommen,
Da scheint's, als sei ein Hoffnungsstern
In ihrer finstern Nacht erglommen.
Doch wenn er dann vorübergeht,
Verfällt auf's neu sie ihrem Leide
Und banger als zuvor durchspäht
Ihr Blick auf's neu die öde Haide.
Was grimm an ihrem Herzen nagt,
Was sie erlitt, vielleicht gesündigt,
Sie hat es keinem je geklagt,
Und selbst dem Priester nicht verkündigt.
Man weiß nur, daß ein schwerer Schlag
Sie in des Wahnsinns Nacht verstoßen:
Es haben ihr die Sassenagh
Zu Stirling ihren Sohn erschossen. – –
Wer durch die stille Haide geht
Und sieht sie kauern auf der Erde,
Der murmelt wohl ein fromm Gebet,
Daß ihrem Herzen Friede werde.
Doch dunkel loht's aus ihrem Blick:
Im Leben nicht und nicht im Sterben!
Er war mein Stolz, er war mein Glück,
Und ich – ich stieß ihn in's Verderben!

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TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Mac Dugald. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6725-3