4.

Kaum hat der purpurne Morgenstrahl
Vom Schlummer geweckt die Erde,
Da hält er vor des Schlosses Portal
Und schwingt sich herab vom Pferde.
Warum er also hastet und jagt,
Er weiß sich's selbst nicht zu deuten!
Ist frei Geleit ihm doch zugesagt
Vom Früh- bis zum Abendläuten!
Er pochet, lächelnd ob seiner Hast,
Jetzt an die eichene Pforte.
Geöffnet wird sie dem frühen Gast
Mit lässig zögerndem Worte.
Er schreitet hin durch der Diener Reih',
Die, halb noch im Schlafe, stammeln:
»Wohl manche Stunde schleicht noch vorbei
Bis sich die Herren versammeln.
Ich denke, deß hat es keine Not!
Sie werden so lang nicht bleiben.
Des Kaisers Befehl, der mich her entbot,
Wird sie auch zur Eile treiben.
Geht! bringet mir einen frischen Trank,
Nach alter, gastlicher Sitte!
Ich will indessen auf dieser Bank
Ausruhen vom langen Ritte!«
[161]
Umsonst! zur erwünschten Ruhe läßt
Ihn Ungeduld nicht gelangen.
Er murmelt, die Hand zur Faust gepreßt:
»Ist das ein Hangen und Bangen!«
Zwei Stunden verschleichen. Die Sonne flammt
Schon hoch am azurenen Sitze, –
Da endlich kommen sie allesamt,
Herr Puchau an ihrer Spitze.
»Wo ist der Kaiser? mein gnäd'ger Herr?«
Baumkircher erhebt die Frage.
»Ach! leider befiel ein Siechtum schwer
Den Kaiser am gestrigen Tage.
Von Fieberglut das Auge getrübt,
Muß sorgliche Ruh' er halten.
So wollen wir nun, wenn's Euch beliebt,
Ohn' ihn der Geschäfte walten.«
Baumkircher tritt an den Sprecher dicht,
Es zucket um seine Brauen.
»So soll ich sein teu'res Angesicht,
Das lang entbehrte, nicht schauen?«
»Ihr hört ja: ihn hält die Krankheit gebannt.
Notwend'gem muß man sich fügen!
Doch hat er uns statt seiner entsandt, –
Ich denke, das mag genügen.«
Baumkircher zögert; er prüft und sinnt,
Ob er sich dem unterwerfe,
Doch, rasch sich setzend, Puchau beginnt
Mit näselnder Stimme Schärfe:
»»Erleuchtung wünschend bei ihrem Thun
Den Herren all', die da kamen,
Beginne ich die Verhandlung nun
In Kaisers Auftrag und Namen!
[162]
Ihr wisset, Ritter, warum er Euch
Vor dieses Gericht beschieden:
Mit Aufruhr verstörtet Ihr das Reich,
Verletztet den Landesfrieden.
Doch will der Kaiser in seiner Huld
Nicht hoffnungslos Euch vervehmen!
Ein reuvoll Geständnis Eu'rer Schuld
Kann sie vom Haupte Euch nehmen!««
Mit festem Mut Baumkircher versetzt:
»Wohl habe ich mich vergangen!
Doch wer ward schwerer als ich verletzt?
In ärgern Schlingen gefangen?
Beging ich Unrecht, so wird davon
Die Schuld nur jener gesteigert,
Die, jahrelang, unter Spott und Hohn,
Mein gutes Recht mir verweigert!«
»Ihr spielt auf Eu're Forderung an?
Nicht rühmlich ist solch' Verlangen!
Sagt! ziemt sich's für einen Rittersmann
So gierig am Gold zu hangen?«
»Am Golde? ich? Nun, bei Christi Blut!
Wem da die Geduld nicht endet!
Hab' ich denn nicht all mein Hab und Gut
Zum Dienst des Kaisers verwendet?
Und hätte der Feind das Purpurkleid
Von seinen Schultern gerissen,
Mir wär' um meinen Verlust nicht leid!
Gern wollt' ich den Bettel missen.
Die nicht von ihm verschuldete Not
Ertrüge ich fest und heiter,
Und willig suchte ich mir mein Brot
Als Landsknecht oder als Reiter.
[163]
Nur daß er, nachdem der Sieg ihm ward,
Mich kalt von sich abgeschüttelt,
Die schlimme Kränkung hat allzu hart
An meiner Treue gerüttelt.
Ein Wort aus des Kaisers Munde bricht
Mein Bündnis mit Ungarns Horden!
Doch wisset: eher ruhe ich nicht,
Bis volles Recht mir geworden.«
»Wohlan! so thut uns vor allem kund,
Wohin jene Summen geflossen,
Die Ihr, hat Eure Behauptung Grund,
Dem Kaiser einst vorgeschossen?«
»Das fragt Ihr mich noch? Bei meinem Schwert!
Die Antwort liegt nah' zu Handen:
Die Söldner hab' ich damit ernährt,
Die für ihn im Felde standen!«
»Gemach! zum Worte, das Einer spricht,
Muß sich der Beweis gesellen,
Drum frag' ich Euch: könnt Ihr dem Gericht
Glaubwürdige Zeugen stellen?«
»Zwar bin ich gewohnt, daß männiglich
Sich meinem Ritterwort beuge,
Doch, muß es sein, so füge ich mich:
Der Eggenberg ist mein Zeuge.«
»Wen, Ritter, habt Ihr uns da genannt?«
Fragt Puchau mit Truggebärden.
»Herr Eggenberg weilt in fernem Land,
Kann hier nicht vernommen werden.
Verzichtet auf seine Zeugenschaft,
Wie gerne er sie Euch gönnte,
Und sucht nach andrer Beweiseskraft,
Bringt Schriften und Dokumente!«
[164]
Baumkircher zieht aus des Gurtes Hut
Ein Täschlein mit Goldgespänge.
»Sind Dokumente zu etwas gut,
Da habt Ihr deren die Menge!
Genügt der Beweis Euch, wirr und kraus,
Dem Tintenfasse entquollen?«
Und auf den Ratstisch streut er aus
Die pergamentenen Rollen. –
Die Stunden enteilen wie im Flug
Beim Forschen und beim Vergleichen;
Geprüft wird jeglicher Strich und Zug,
Geprüft jedes Siegel und Zeichen.
Die Räte schauen sich müd' und matt,
Daß ihnen die Augen schwimmen!
Hier fehlt das Datum auf einem Blatt,
Dort will die Rechnung nicht stimmen!
Wann sah man wohl jemals ein Gericht
So eifrig wie dieses tagen?
Die wackern Herr'n beachten es nicht,
Daß längst es zwölf Uhr geschlagen.
Gewissenhaft ist jeder bestrebt,
Den Wert der Ford'rung zu schätzen,
Bis endlich sich Herr Puchau erhebt,
Dem Fleiße ein Ziel zu setzen.
»Bleibt uns auch manches und vieles noch
Zu sichten, zurecht zu legen,
So mein' ich, wir sollten vorher doch
Ein bischen des Leibes pflegen.
Ein Stündlein sei der Geschäfte Last
Von unsern Schultern genommen!
Ihr, Ritter Baumkircher, seid als Gast
Des Kaisers uns hochwillkommen!«
[165]
»Herr Puchau! laßt uns die werte Zeit
Vergeuden nicht beim Bankette!
Ihr wißt es ja selbst: mein frei Geleit
Gilt nur bis zur Abendmette.«
»Wir halten dran nicht so peinlich fest.
Seid deshalb ganz außer Sorgen!
Mit wenigen Federstrichen läßt
Es sich verlängern bis morgen.«
»Das wolltet Ihr thun?« »Gewiß! gewiß!
Zum beiderseitigen Frommen!
Unmöglich dünkt es mich ohnedies
Noch heut' zu Ende zu kommen.
Doch morgen fällen wir, Euch zu Dank,
Den Spruch nach bestem Ermessen.
Nun aber folgt mir, bei Speis' und Trank
Der Sorgenlast zu vergessen!«
Wie duften die Speisen würzig fein
In silbergetrieb'nen Schalen!
Wie schäumt und perlet der edle Wein
In dunkelgrünen Pokalen!
Als sorglicher Wirt hat Puchau baß
Beim Gast seinen Platz genommen.
Er legt' ihm vor, er füllt ihm das Glas, –
Wohl mög' es dem Ritter bekommen!
Vertraulich rückt er ihm näher und schwört,
Wie sehr ihm's am Herzen nagte,
Daß man so lange, vom Scheine bethört,
Dem Treuen sein Recht versagte.
Und leiser flüstert er ihm in's Ohr:
»So sind die Fürsten, die besten!«
Baumkircher! Baumkircher! sieh dich vor!
Schon neigt die Sonne nach Westen!
[166]
Da, endlich auf Sicherheit bedacht,
Zieht er Herrn Puchau beiseite:
»Verlängert, wie Ihr's vorhin verspracht,
Mir schriftlich mein frei Geleite!«
»Auf meine Gefahr? das geht nicht an!
Zwar diente ich Euch mit Freuden,
Doch über den geächteten Mann
Darf nur der Kaiser entscheiden.«
»Der Kaiser? Sagtet Ihr nicht, er sei
Für niemand zu sehen, zu sprechen?«
»Für mich ist er's wohl! Mir steht es frei,
Die strenge Klausur zu brechen.
Ich eile zu ihm, ihm nach Gebühr
Der Dinge Stand zu erklären.
Harrt meiner indeß im Saale hier,
Bald seht Ihr mich wiederkehren!«
Fort eilt er. – Baumkircher blickt ihm nach,
Verwirrt, mit sich selbst im Streite.
Den Blick gesenkt, durchmißt das Gemach
Er sinnend die Läng' und Breite.
Der Argwohn faßt ihn, mit gift'gem Blick
Das fromme Vertrauen lähmend,
Allein der Ritter weist ihn zurück,
Im Herzen sich seiner schämend.
»Nein!« denkt er, »noch gilt des Eides Band,
Und dieses hält sie gebunden!
Ich bin in einem christlichen Land,
Bin nicht unter Türkenhunden!
Ein Wortbruch? O rettungslose Schmach,
Vor der selbst der Räuber schaudert!«
Und, wieder durchschreitend das Gemach:
»Wie lang doch der Puchau zaudert!«
[167]
Baumkircher! siehst du die Berge nicht,
Die schirmend die Stadt umkränzen,
Im weithin strahlenden Purpurlicht
Des scheidenden Tages glänzen?
Blick auf, und sieh die Wellen im Strom
Wie flüssiges Gold erglühen,
Die steinernen Blumen dort am Dom
Im Abendschein farbig blühen!
Jetzt fährt er empor! Ein wilder Schrei,
Ein Fluch, – und fort aus dem Saale,
An Marschalk und Trabanten vorbei,
Stürmt er hinab zum Portale.
Er schwingt sich mit einem Sprung auf's Pferd,
Er drückt ihm den Sporn in die Weichen,
Er rast dahin wie der Sturmwind fährt,
Wie eilende Wolken streichen!
Schon ist der äuß're Zwinger erreicht!
Gottlob! das Pförtlein noch offen!
Sein stürmisch fliegendes Herz beschleicht
Auf's neue ein frohes Hoffen.
Wie jagt er! wie flattern silberweiß
Im Winde des Greises Locken!
Da, horch! ertönt in den Lüften leis'
Das Läuten der Abendglocken.
Und eh' noch des Wächters Hornruf gellt,
Ist an dem Pförtlein der Ritter!
Weh! vor den Nüstern des Rosses fällt
Herunter das Eisengitter.
Jetzt schmettert auch des Hornes Signal, –
Es singet ihm Sterbelieder!
Doch nein! noch dämmert ein Hoffnungsstrahl!
Den Rappen wendet er wieder.
[168]
Greif aus! greif aus! – Auf felsiger Bahn,
Von Abendnebeln umflossen,
Sprengt er zum obern Thore hinan, –
Auch dies, auch dieses verschlossen!
Es zuckt noch über sein Angesicht
Ein tiefstes, ein letztes Wehe,
Dann faltet er die Hände und spricht:
»Mein Gott! dein Wille geschehe!«
Die Schlüssel kreischen, der Riegel knarrt,
Aufthut sich des Thores Weite,
Die Schergen, die schon des Fangs geharrt,
Umstellen die edle Beute.
Voran ein Priester, des Heiles Pfand,
Das Kruzifix in der Rechten,
Und hinter ihm, im roten Gewand,
Der Henker mit seinen Knechten. –
Baumkircher! du Held, vom Ruhm erkiest
Auf seinen Bahnen zu wallen!
Trotz Schuld und blutiger Sühnung ist
Das bess're Teil dir gefallen!
So grimm kann die Axt des Henkers nicht
Des Lebens Mark unterwühlen,
Wie ihres eig'nen Gewissens Gericht
Die Meuchler auf seid'nen Pfühlen!
[169]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Gedichte. Neueste Gedichte. Andreas Baumkircher. 1471. 4. [Kaum hat der purpurne Morgenstrahl]. 4. [Kaum hat der purpurne Morgenstrahl]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6948-1