An Lenau

In Hella's morgenfrischen Tagen,
Umwebt von ros'ger Träume Flor,
Da lieh das Volk den heitern Sagen
Der Dichter gern ein gläubig Ohr.
Der jungen Menschheit Seele, offen,
Lauscht' freudig auf den süßen Ton;
Der Dichter schuf aus seinem Hoffen
Und seinem Traum die Religion.
Allein seit in des Nichtseins Leere
Der Götter bunte Schaar zerstob,
Seit sich die heil'ge Gotteslehre
Am Kreuz auf Golgatha erhob;
[3]
Seit Christus Wort dem Erdenstaube
Auf Engelschwingen uns entrafft,
Ist es des Herzens tiefer Glaube,
Der nun hinfür den Dichter schafft.
Und statt des Heidenthumes Musen
Und ihrer längstversunknen Spur,
Blüh'n jetzo in des Künstlers Busen
Des Christenthums drei Engel nur.
Drei Engel, die in ew'ger Neuheit,
Wenn auch nicht allwärts noch erkannt,
Als Glaube, Liebe und als Freiheit
Durchgeistigen das Erdenland!
Die sich in jedem Bilde malen,
Die tönen aus jedwedem Lied,
Die aus jedwedem Kunstwerk strahlen,
Das aus berufnem Geiste zieht.
So laß mich denn verehrend grüßen
Aus meiner Seele Innigkeit
Dich, den mit himmelreinen Küssen
Zu ihrem Dichter sie geweiht!
[4]
Dich, den vor Vielen sie erkoren,
Zu künden ihr erhabnes Wort,
Und der sich ihnen zugeschworen
Als Streiter für der Menschheit Hort!
O wirke fort, wie Du begonnen,
Voll Liebes- und voll Freiheitsdrang,
Und laß die Strahlen dreier Sonnen
Verein'gen sich in Deinen Sang.
O leuchte fort als heil'ge Flamme,
Verklärend diese dunkle Bahn,
Und richte, segne und verdamme,
Wie du es kühn bis jetzt gethan.
Wer tief, wie ich, den Geist empfunden,
Der süß aus Deinen Worten bricht,
Der ahnet, daß in hohen Stunden
Die Gottheit selber zu Dir spricht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Gedichte. Gedichte. An Lenau. An Lenau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6ACC-2