5.

Im Osten graut der junge Tag,
Schon lichtet sich's im Thalesgrunde.
Es ruft des Glöckleins heller Schlag
Vom Turm herab die sechste Stunde.
Die Nebel schwinden, die zuhauf
Im Thal und auf den Bergen lagen,
O Dugald! Dugald! wache auf!
Die Abschiedsstunde hat geschlagen!
Er aber rührt und regt sich nicht,
So fest hält ihn des Traums Umkettung,
Und immer heller wird das Licht
Und kürzer stets die Frist der Rettung.
Unsel'ger! o wach auf! wach auf!
Und wehre des Verderbens Zeichen!
Vielleicht kannst du im schnellen Lauf
Dein fernes Ziel doch noch erreichen!
Umsonst! umsonst! er schlummert fort
Als hielt' ihn Todesschlaf umfangen.
Nun ist's zu spät! Entsetzlich Wort,
Reich an verzweiflungsvollem Bangen!
Schon neigt die Sonne sich zum Meer,
Im Abendrot erglüh'n die Hügel! – –
Dein Ziel erreichest du nicht mehr,
Leiht nicht der Sturm dir seine Flügel.
Jetzt fährt er jäh empor. Wie Brand
Glüht's ihm im schmerzenden Gehirne;
Bewußtlos halb fährt mit der Hand
Er nach der schweißbenetzten Stirne.
[119]
Er rafft sich auf, mit einem Sprung:
»»Was ließet Ihr so lang mich träumen?
Das ist des Morgens Dämmerung!
Sie mahnt mich, länger nicht zu säumen!
Lebt wohl, o Mutter!«« hastig wild
Greift er nach Tartan, Schwert und Mütze.
»Lebt wohl! o daß der Himmel mild
In Eurer Not Euch tröst' und schütze!
Noch einen Kuß und nun hinweg!«
Fort will er, aber ihrem Sohne
Vertritt Meg Nora rasch den Weg
Und spricht, Triumph im Blick und Tone:
»Das ist das Grau'n des Morgens nicht!
Es ist der Abenddämm'rung Dunkel.
Sieh dort des Mondes fahles Licht,
Der Sterne flimmerndes Gefunkel!
Was starrst du? Füg dich deinem Los!
Die Frist, die du dir ausbedungen,
Vor Stunden schon hat sie der Schoß
Der dunkeln Ewigkeit verschlungen!«
Er taumelt, wankt, in's Herz hinein
Greift ihm ein namenloser Schrecken.
»Nein,«« stammelt er, »»es kann nicht sein!
Ein böser Traum nur will mich necken.
Weckt mich! zeigt mir der Sonne Gold,
Im Ost die lichte Morgenröte!
Sagt, daß es Tag, wenn Ihr nicht wollt,
Daß dieses Traumes Qual mich töte!«
»Ermanne dich! jetzt träumst du nicht!
Doch lang hielt Schlummer dich umschlossen,
Der braune Saft that seine Pflicht,
Den ich dir in den Trank gegossen!
[120]
Magst noch so wild und noch so stier
Dein Auge in das meine bohren,
Du scheidest doch nicht mehr von mir,
Denn thätest du's, wärst du verloren!«
»Verloren! ja ich bin es!« stöhnt
Er dumpf, »und bin durch Euch verloren!«
Wie des Gerichts Posaune dröhnt
Das grause Wort in ihre Ohren.
Wie Marmor bleich wird ihr Gesicht,
In ihrem Aug' erlischt das Feuer:
»Du wolltest –? nein! das wirst du nicht!
Zu gräßlich wär's, zu ungeheuer!
O frevle nicht an der Natur!
Sie spricht zu dir aus dieser Zähre!«
»Hier richtet eine Stimme nur:
Die Stimme der Soldatenehre.
Als Sühne bring' ich ihr mein Haupt.
O Mutter! mag euch Gott vergeben!
Die Täuschung, die Ihr Euch erlaubt,
Sie kostet Euerm Sohn das Leben!«
»Bleib, Dugald! bleib! Bei meinem Fluch!
Bei dein und meinem Seelenheile!«
Er hört es nicht mehr. Durch das Bruch
Fliegt er dahin mit Windeseile.
Sie stürzt ihm nach, erreicht ihn nicht,
Sieht weiter stets den Raum sich dehnen,
Bis kraftlos sie zusammenbricht,
Starr, ohne Seufzer, ohne Thränen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Gedichte. Lyrisches und Episches. Mac Dugald. 5. [Im Osten graut der junge Tag]. 5. [Im Osten graut der junge Tag]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6C28-4