XXI.

Ich sinn' und fühl' im Sinnen mich durchdringen
Ein heftig Mitleid mit mir selbst zu Zeiten,
Das oft mich will verleiten
Zu andern Thränen, als die sonst mir kommen.
Denn täglich seh' mein End' ich näher schreiten,
Und tausendmahl wohl fleht' ich Gott um Schwingen,
Mich aus der Erde Schlingen
Empor zu tragen, jedem Weh entnommen.
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Doch Alles will am Ende wenig frommen,
Gebeth und Thränen, was ich auch erkiese.
Und also muß mit Fug und Recht es gehen;
Denn wer da fällt, wo er vermag zu stehen,
Dem straucheln wohlverdient die schwanken Füße.
Die Arme voller Süße,
Auf die ich trau', seh' ich noch ausgestrecket;
Doch Andrer Beyspiel schrecket,
Und zitternd denk' ich, wie mit wirrem Spiele
Mich's treibt, der ich vielleicht so nah am Ziele.
Zum Geiste spricht und saget ein Gedanke:
»Du schwärmst! Wo meynst du Hülfe zu erlangen?
Ists, Armer, dir entgangen,
Wie deine Zeit dahin in Schande fähret?
Auf! auf! entschließ dich schnell und sonder Bangen,
Und reiß aus deinem Herzen jede Ranke
Der Lust, die nie das kranke
Gemüth beglückt, ihm alle Ruhe wehret!
Wie lang auch schon dich Ueberdruß verzehret
Des falschen Glücks, das ach! so bald geschieden,
Das trüg'risch nur die Welt dem Menschen spendet;
Was bleibt ihm deine Hoffnung zugewendet,
Das ohne Dauer ist und ohne Frieden?
So lange du hienieden,
Lenkst du des Geistes Zügel nach Gefallen.
O halt ihn fest vor allen!
Zögern – du weißt's – pflegt oft Gefahr zu spinnen,
Und nicht zu früh ist's, solches zu beginnen.
Wohl weißt du, welche Lust dein Aug' empfunden,
Als huldreich dir die Jungfrau trat entgegen,
Die, uns zu größerm Segen,
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(O könnt' es seyn!) erst würde' noch geboren.
Erwäge reiflich, (und du mußt's erwägen)
Ihr Bild, wie's in dein Herz den Weg gefunden,
Das jede Flamm', entbunden
Durch andre Fackel, sicher leicht beschworen.
Sie gab die Gluth. Und wenn, darin verloren,
Du Jahre lang den Tag herbeygesehnet,
Der uns zum Heile nimmer eingetroffen,
So hebe dich zu einem sel'gern Hoffen;
Zum Himmel schau, der endlos uns geschönet
Ob deinem Haupt sich dehnet! –
Da, froh im Schmerz, dein Sehnen schon hienieden
Mit einem Wort zufrieden,
Mit einem Augenwink, mit Liebesweisen,
Wie wirst du jenseits erst dich glücklich preisen!«
Noch lebt in mir ein anderer Gedanke,
Der bittersüß mir Lust und Schmerzen reichet,
Nicht aus der Seele weichet,
Das Herz mit Sehnsucht preßt, mit Hoffnung nähret,
Der, nur des Ruhmes Glanze zugeneiget,
Nicht merkt, wie ich in Gluth und Frost erkranke,
Wie matt und bleich ich wanke,
Und, tödt' ich ihn, nur stärker wiederkehret.
Seit ich der Wiege Schlummerlied gehöret,
Erwuchs mit mir gemach dies stolze Wähnen;
Ich fürcht', uns deck' einst eine Grabeshöhle.
Denn, wenn vom Körper sich getrennt die Seele,
Kann sie nicht mehr begleiten solches Sehnen.
Was Sprache der Hellenen
Und Latiums von mir, dem Todten, künde,
Es gleicht dem Hauch der Winde;
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Drum möcht' ich, was ein Nu vernichtet, lassen,
Die Schatten meiden, Wahres nur umfassen.
Doch aufrecht kann sich kein Gedank' erhalten,
Beginnt ein anderer in mir zu tagen;
Denn will von Ihr ich sagen,
Vergess' ich mein, und Stund' an Stund' entflieget.
Zwey Augen sind's, die mich darniederschlagen,
Wenn ihres Lichtes Strahlen sich entfalten,
Und sanft am Seil mich halten,
Das nicht Gewalt, nicht Geisteskraft besieget.
Was hilft es nun, daß fest in Eins gefüget
Mein Nachen? Bleibt er doch in Klippen hangen,
Gefesselt annoch von zwey solchen Schlingen.
Du, der du mich erlöst von andern Dingen,
Die vielgestaltig sonst die Welt befangen,
Warum von meinen Wangen
Nimmst du, o Herr, nicht solches Jammers Zeichen?
Träumenden zu vergleichen,
Seh' vor den Augen ich des Todes Speere;
Gern kämpft' ich, ach! und habe keine Wehre.
Ich kenne mich; nicht Wahnes Nebel sollen
Mich täuschen; Amor nur hält mich umwunden,
Und wer sich dem verbunden,
Kann nimmer ehrenvoll der Schmach genesen.
Wohl oftmahl hab' im Herzen ich empfunden
Ein freundliches, ein finster strenges Grollen,
So mein geheimstes Wollen
Mir an die Stirne schreibt, daß All' es lesen.
»Treu zu erglühen für ein irdisch Wesen
Mit Flammen, die nur Gott allein gebühren,
Ziemt denen nimmer, so um Bess'res minnen!«
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So ruft es laut in mir, vom Pfad der Sinnen
Die irrende Vernunft zurückzuführen.
Sie hört's und fühlt ein Rühren,
Und will; allein Gewohnheit führt die Zügel
Und zeigt ihr, wie im Spiegel,
Sie, die nur mich zu tödten trat in's Leben,
Weil sie sich selbst, ich ihr zu sehr ergeben.
Nicht weiß ich, ob bey meines Lebens Grauen
Der Himmel mich zu langem Kampf ersehen,
Den blutig zu bestehen
Mit meinem eignen Selbst, ich unternommen.
Auch kann den Tag, den letzten meiner Wehen,
Ich durch des Körpers Hülle nicht erschauen;
Allein ich seh' ergrauen
Mein Haar und jede Gluth in mir verglommen.
Jetzt nun, da ich ganz nach dem Ziel gekommen,
Oder doch klein der Raum, der zu ihm leitet,
Späh' ich, wie einer, den erlittner Schade
Gewitzt, umher nach jenem bessern Pfade
Zur Rechten, der zu gutem Port geleitet.
Was mir von Qual bereitet,
Und wie auch Scham und Reue mich erfassen,
Doch will mich nimmer lassen
Ein alt Gelüst, so durch die Zeit gestählet,
Daß es im Tod' auch noch sich mir vermählet,
So steht's mit mir! Mein Herz, Canzon', ist kälter,
Als starrgefrorner Schnee, vor bangem Zagen.
Ich seh' mich rettungslos am Abgrund schaudern,
Der um den Webbaum ich in schwankem Zaudern
Kleinen Gewebes größten Theil geschlagen.
Und nie hat wer getragen
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So schwere Last, als ich in diesem Streite,
Der ich, den Tod zur Seite,
Mir neue Plane suche für mein Leben,
Dem Bessern hold, dem Schlimmern hingegeben.

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TextGrid Repository (2012). Petrarca, Francesco. Lyrik. Canzoniere. Canzonen. 21. [Ich sinn' und fühl' im Sinnen mich durchdringen]. 21. [Ich sinn' und fühl' im Sinnen mich durchdringen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6FF6-B