[156] Viertes Buch

[157] [159]Epistel an Phöbe auf Ihrem vierzehnten Geburtstag

Heut vierzehn Jahre; theures Kind!
Wie bald vollendet, wie geschwind
Eil ich von meines Mittags Höhe
Ins öde Schattenthal herab!
O! meine Phöbe, gerne flöhe
Ich aus dem Lärm ins stille Grab
Zu meinem Sunim, meinem Stab,
Wenn ich nicht – küsse diese Zähre
Mir weg – Gemahl und Vater wäre;
Wenn – doch der Gott, der euch mir gab,
Wog unser Loos auf seiner Wage
Und maß den Faden meiner Tage
Am Zepter seiner Weisheit ab.
Vergieb mir Kind, die feige Klage.
Ein Dankfest soll dein Tag mir seyn.
Komm, laß mich dich mit Rosen krönen
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Mit diesem Kuß, mit diesen Thränen
Weih ich dich mir zur Freundin ein.
Nicht wahr, du fühlst ihn, gute Phöbe,
Des Titels Werth, den ich dir gebe?
Hinfort nicht mehr dein Vater, nein,
Dein Freund bin ich, der dich begleitet
Durchs Land der Täuschung, und dein Herz
Zum Leiden sachte vorbereitet;
Denn leiden wirst du. Lust und Schmerz
Sind, gleich den Schalen einer Wage,
Hier nie getrennt, und dieser neigt
Das Herz in seine rechte Lage,
Wenn es zu hoch im Glücke steigt.
Ein Leben voller Wonnetage
Taugt nur für Engel: hüte dich,
Dir eins zu träumen. Hüllet sich
Dein Aug in Wolken, o! so weine
Sie auf mein Herz, verbirg mir keine;
Der Schmerz ist ja nicht neu für mich.
Und wenn – nie denk ichs ohne Beben –
In dir der neue Trieb erwacht,
Der Mädchen auf ihr ganzes Leben
Beseeligt oder elend macht;
Dann, meine Phöbe dann erwähle
Mich zum Vertrauten deiner Seele.
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Nicht streng, nur sorgsam will ich seyn,
Dein Herz vor Stürmen zu bewahren,
Und ihm die namenlose Pein
Des Streits mit Hang und Pflicht zu sparen,
Für deine Ruhe fürcht ich nichts
Vom eckeln Weyhrauch süßer Laffen;
Am Glanz des reichen Taugenichts
Wird sich dein Blick auch nie vergaffen!
Doch schrecklich sind die Zauberwaffen
Des feinen Modebösewichts,
Der nichts von Flammen, nichts von Schmerzen
Der Liebe spricht, nur von Genie,
Von Tugend und von Energie,
Von Freundschaft und von Sympathie,
Und, Vampyrn gleich, am sichern Herzen
Des Mädchens saugt, bis es verdirbt,
So wie vom Wurm die Rose stirbt.
Dank sey es unsern hellern Zeiten,
Daß Selbstheit und Sophisterey
Und Vollkraft und Empfindeley
Der Unschuld mehr Gefahr bereiten,
Als je die Nacht der Barbarey.
Es fällt mir gleich ein Mährchen bey:
Ich will es, Phöbe, dir erzählen.
O laß damit mich meines Ziels,
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Dich zu belehren, nicht verfehlen!
Es heißt: die Klippe des Gefühls.
Ein Dämon, der beym alten Drachen
Mit Ehren als Geselle stund,
Erhob sich auf das Erdenrund
Um da sein Meisterstück zu machen.
Er sollte, wie von Anbeginn
Die Zunftgesetze vorgeschrieben,
Ein Mädchen ins Verderben ziehn,
Das stets der Unschuld treu geblieben.
Sophie war zum Opferlamm
Ersehn, ein Kind aus edlem Stamm,
Das jeder Reiz der Eva schmückte,
Und dessen stille Frömmigkeit
Schon oft die Seraphim entzückte.
Er kroch in ein Husarenkleid.
Die Uniform sprengt alle Thüren
Und dienet oft zum Talisman
Ein eitles Püppchen zu verführen.
Er meldet sich bey Fiekchen an:
Und sagt ihr unter tausend Schwüren,
Sie sey das niedlichste Gesicht,
Das ihm von Quebeck bis nach Posen
Auf seinen Zügen aufgestoßen.
Reich, sprach er, Mädchen, bin ich nicht;
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Doch wird der Donner erster Tagen
Den krüpplichten Major erschlagen,
Dann sollst du Frau Majorin seyn.
Was meinst du? Rede, kleiner Nickel.
Das arme Fiekchen war betäubt
Und bebte, wie der Perpendikel
Der Wanduhr. Höhnisch lachend reibt
Ihr Thrax (dies war des Helden Name)
Den Schnurrbart auf die zarte Hand.
Itzt löst sich ihrer Zunge Band;
Sie schreyt, und eine alte Dame
Kam hustend ins Gemach gerannt;
Die Muhme wars. Der Herzensstürmer
Ward schimpflich aus dem Schloß verbannt,
Und Fiekchen bat den raschen Thürmer,
Würd er sich nur von ferne nahn,
Den Doggen auf ihn los zu hetzen.
Nun fieng er erst zu fluchen an;
Er riß den Dollmann stracks in Fetzen,
Und wollte nun als reicher Geck
Des Fräuleins Herz in Flammen setzen.
Er nennt sich Graf von Schwarzenegg,
Und kömmt in einer Staatscarosse,
Mit einem königlichen Trosse,
In einem Kleide starr von Gold,
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Schön wie der Liebling der Cythere,
Umwölkt von einer Ambrasphäre
Ins adeliche Schloß gerollt.
Der Graf ward schwebend aus dem Wagen
In Fiekchens Putzgemach getragen,
Er überreichet ihr sein Bild,
Geziert mit seinem Wappenschild
In einem Rahmen von Brillanten;
Fleht knieend um des Fräuleins Gunst,
Und spielt mit meisterhafter Kunst
Den feinen schmachtenden Amanten.
Sechshunderttausend Thaler sind
Ihr Mahlschatz, angenehmes Kind,
Wenn sie zum Bräutigam mich wählen.
Er sprachs: ein Kästchen mit Juwelen
Giebt seinen Worten neue Kraft.
Die gute graue Muhme gafft
Entzückt durch ihre Staarenbrille
Den ausgekramten Reichthum an;
Doch Fiekchen blickt in ernster Stille
Nur auf den üppigen Galan,
In dessen Aug ein Feuer lodert,
Das Wollust strömt und Wollust fodert,
Ihr Herz verschließt sich vor dem Blick:
Mein Herr, ein allzugroßes Glück
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Ist Gift für eine weiche Seele,
Ich kenne mich und ich erwähle
Den Mittelstand, in dessen Schoos
Ich so viel unvermischte Freuden,
So vielen Trost in kleinen Leiden,
Kurz, mich und die Natur genoß.
Sie schweigt. Die alte Tante brummet;
Der stolze Bräutigam verstummet,
Ruft seinem bunten Phaeton
Und flieget wie ein Pfeil davon;
Triumph! nun weiß ich dich zu packen,
Ruft er und lacht so fürchterlich,
Daß Berg und Thal davon erschraken;
In wenig Tagen fang ich dich;
Wo nicht, so mögen alle Welten
Mich einen dummen Teufel schelten.
Des nahen Sturmes unbewußt,
Gieng Fiekchen bey dem ersten Strale
Aurorens aus dem Sommersaale
Ins Wäldchen, und mit Engelsluft
Sah sie den Quell vom Felsen fallen,
Und sang ins Lied der Nachtigallen.
Da trat ein feiner junger Mann
Mit einem Buch aus dem Gebüsche;
Sein Antlitz kündigt ein Gemische
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Von Heiterkeit und Wehmuth an.
Mit Ehrfurcht grüßet er die Schöne
Und wischet eine stille Thräne
Vom Auge. Fiekchen nickt ihm zu
Und fraget ihn mit holder Miene:
Was, edler Fremdling, liesest du?
Das Marterthum der Clementine
Im Grandison, erwiedert er
Und seufzt. Das gute Mädchen blicket
Ihn zärtlich an; ihr Herz wird schwer;
Es hebt sich schneller und ersticket
Nur halb des Seufzers Antwort. Heil!
Heil dir! versetzt er, schöne Seele;
Doch lebe wohl! Gram ist mein Theil,
Und Frevel ists, wenn ich dich quäle.
Sie hält ihn auf: o Freund! erzähle
Dein Schicksal mir. Nach langem Zwang
Setzt er sich neben ihr ins Grüne;
Auch mir war eine Clementine
Beschert, rief er; doch ach! nicht lang:
Sie starb! – Ein Strom von Zähren drang
Aus Fiekchens Augen; ja sie fühlte
Für Damon, was sie nie empfand;
Ein Feuer, das ihr Herz durchwühlte.
Beym Abschied küßt er ihr die Hand;
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Und nun begegneten sich beyde
An jedem Tag mit neuer Freude
Im kühlen Hayn; dann sprachen sie
Entzückt vom Drang der Sympathie
Und von der Schöpfung Harmonie.
So oft er von ihr schied, betrübte
Sie sich und wußte nicht warum:
Doch Damon blieb nicht lange stumm;
Sein Mund gestand, daß er sie liebte,
Und sie gab ihm den ersten Kuß
Zum Pfand der Gegengunst zurücke.
Doch bald verfinstert ein Verdruß
Des guten Damons Wonneblicke:
Ich bin kein Ritter. – Ach! ich muß,
So fieng er endlich an zu klagen,
Dir, holdes Fiekchen, dir entsagen.
Nie läßt dein Vormund es geschehn,
Daß wir – Gott! mußten wir uns finden,
Um ewig uns getrennt zu sehn!
Wer kann den Jammer nachempfinden,
Der Fiekchens treue Brust zerriß!
Wie heben wir die Hinderniß?
Frug sie ihn einst mit banger Stimme.
Nichts rettet uns, nichts, als die Flucht
Vor deiner Anverwandten Grimme;
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Doch nein, Geliebte, nein! Verflucht
Sey dieser Rath! Nur ich will fliehen,
Fahr wohl – Vergiß mich – Laß mich ziehen –
Sey glücklich! Kann ichs ohne dich?
Nein, Damon, ich will mit dir fliehen;
Gott wills. Mit dir, mit dir allein,
Du trauter Bruder meiner Seele
Kann ich auch in der fernsten Höhle
Bey bittern Wurzeln selig seyn.
Sie schweigt. Des Jünglings Wange glühet;
Sein Odem stockt; sein Herz pocht laut;
Wie beym Altar der Beter knieet,
Liegt er vor ihr. Ach! süße Braut,
Für mich Geschaffne! kann ichs glauben?
Lallt er, komm, laß uns gleich entfliehn,
Eh Menschen unser Glück uns rauben;
Du zögerst? Ach! ich war zu kühn
In meiner Hofnung. Fiekchen hatte
Den letzten Kampf der Pflicht gekämpft;
Ein Seufzer des Geliebten dämpft
Den heilgen Aufruhr. Ach! mein Gatte,
Hie bin ich, ruft sie, flüchte mich,
Gieb meinem Geist die Ruhe wieder!
Sie weint. Der Himmel röthet sich:
Es fährt auf leuchtendem Gefieder
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Sophiens Schutzgeist schnell hernieder.
Betrogne, was beschließest du?
Rief er dem blassen Mädchen zu:
Erkenne, wem du dich ergeben!
Sein Finger rührt den Buhlen an;
Im Nu verschwindet der Galan,
Und Fiekchen sieht mit Graus und Beben
Ein schwarzes Kind des Erebus,
Den Faunen gleich an Haupt und Fuß,
Vor ihrem starren Auge schweben
Und knirschend einen Blick ihr geben,
In dem der Hölle Feuerschlund
Ganz, wie am Richttag, offen stund.
Dem Täubchen gleich, wenn ihm der Geyer
Im Flug den bunten Nacken bricht,
Stürzt Fiekchen vor das Ungeheuer
Entgeistert auf ihr Angesicht;
Und als sie sich im Gras gefunden;
War Faun und Genius verschwunden.
Ein leiser Schauer fasse dich,
O Phöbe! Was ich dir erzählte,
Ist kein Traum; oft begab er sich,
Der Fall, nur daß der Schutzgeist fehlte.
O! danke, danke Gott für den,
Geliebte, welchen seine Güte,
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Bey deinem Eintritt ins Gebiete
Der Sterblichkeit, dir ausersehn,
Für deine Mutter, dir im Stillen,
Doch Engeln sichtbar, ihm nur lebt,
Und ihrem Haus, und sich bestrebt
Zuerst die Lehren zu erfüllen,
Die sie dir giebt. Die schöne Pflicht
Der Arbeit, Kind, versäume nicht;
Auch diese gab uns Gott zum Schutze
Der Unschuld. Aber blos zum Schein
Die Hände regen, blos zum Putze
Sie widmen, ist nicht Arbeit, nein:
Bedacht und nützlich muß sie seyn,
Kein träges Spielwerk eitler Jugend.
Suchst du dir lautre Freuden hier?
Ach, Phöbe, nichts gewährt sie dir,
Als Gottes Schöpfung und die Tugend.
Suchst du Gesellschaft? Dein Clavier,
Ein gutes Buch und du und wir,
Was brauchst du mehr die Zeit zu kürzen?
Fleuch, wenn du liesest, den Roman.
So gut als Fiekchens Dämon kann
Ein Buch dich ins Verderben stürzen,
Das bald uns eine Tugend leiht,
Die noch kein Menschenkind erreichet;
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Bald für das Laster uns erweichet,
Das in der Unschuld Feyerkleid
Sich langsam in die Seele schleichet;
Bald unsrer Weisheit alle Kraft
Abwitzelt, und die Leidenschaft
Zur Fürstin der Vernunft erkläret,
Und bald die kranke Phantasey
Des Schicksals blinder Tyranney,
Durch Gift und Dolch entfliehen lehret.
Glaub immer an die Sympathie
Verwandter Seelen: ohne sie
Fänd ich nicht Glück genug auf Erden.
Allein, o möchtest du doch nie
Durch dieß Gefühl getäuschet werden;
Nicht auf den Lippen, in der Brust
Wohnt es, ist ewig wie die Jugend
Des Seraphs, rein wie seine Lust.
Ja, meine Phöbe, ja die Tugend
Hat ihren Magnetismus auch,
Der, wie des Zephyrs warmer Hauch
Zwo Blumen sanft zusammenwehet,
Zwey Herzen, die der Gottheit Ruf
Zu Bild und Gegenbild erschuf,
Sich schwesterlich entgegen drehet.
Doch, Phöbe, diese Wunderkraft
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Ist nicht Instinkt, nicht Leidenschaft,
Aus der nur Scham und Eckel stammet.
Den Geist erwärmt sie, nicht das Blut,
Und läutert, wie die stille Glut
Das Golderz, die so sie entflammet,
Durch des Genusses Ebb und Fluth,
Würzt ihre Freuden, stählt den Muth,
Wenn sie die Last des Daseyns quälet;
Und gab auch mir das höchste Gut
Der Erde, das Monarchen fehlet,
Ein Chor von Freunden, am Altar
Der Ewigkeit mit mir vermählet,
Die mir zum Schutz, gleich jener Schaar,
Die Jakob einst im Traum gesehen,
Auf Gottes Leiter vor mir stehen,
Und oben Er, im mildern Glanz
Der Vaterwürde. Theure Phöbe!
Ich weiß, du kennest noch nicht ganz
Das frohne, mystische Gewebe
Der Fesseln wahrer Sympathie;
Allein auch dir ist einst durch sie
Der Menschheit höchstes Glück beschieden,
Nur hüte dich vor Schwärmerey,
Und suche kein Geschöpf hienieden,
Das frey von allen Mängeln sey.
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Und wenn dein Herz den Jüngling findet,
Zu dem es jenen Hang empfindet,
Dem noch kein edles Herz entflohn;
So folge nicht dem ersten Triebe;
Belausch ihn: hat er einen Thron;
Und spottet der Religion,
Kind, so verachte seine Liebe,
Und wähle seinen frommen Knecht;
Zeuch froh mit ihm in seine Zelle,
Und leb im Dunkeln an der Quelle
Der wahren Ruhe schlecht und recht.
Und ruft euch einst der Vorsicht Willen
Ins Vaterland der Tugend ab,
So leg ein Enkel eure Hüllen
In mein und meiner Doris Grab.

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TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Zweyter Theil. Viertes Buch. Epistel an Phöbe. Epistel an Phöbe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-73A3-8