[488] 36. An Wilhelm Genth
Dein Lied erweckt mir langeverwehte Zeit,
Als Heidelbergs pfalzgräfliche Burg (Es hat
Ein fremder Bluthund einst zerstört sie)
Uns in verwilderte Schatten einlud.
Du rufst in Heimatsgegenden mich zurück,
Wo ach! Verwirrung brütet, und innerhalb
Der Mauern Ilions und auswärts
Sündiget blinde Begier. Du rufst mich
An Goethes Grab. Gern werf ich den schönsten Zweig
Auf seine Ruhstatt! Sanfterer Tage Sohn,
Und selbst als Greis noch liebetändelnd,
Wußt er die mächtige Brust zu zähmen,
Eintauschend Weisheit für die Begeisterung:
Nicht dies gelingt mir! Jeglicher Puls in mir
Wallt feurig auf; nicht bloße Töne,
Funken entsprühn der bewegten Leier!
Nicht kann ich harmlos mich in die Pflanzenwelt
Einspinnen, anschaun kantigen Bergkristall
Sorgfältig, Freund! Zu tief ergreift mich
Menschlichen Wechselgeschicks Entfaltung.
Längst ist der Brust ehrgeiziger Trieb entflohn,
Der Jugend Erbteil; aber wofern mir soll
Annahn der Ruhm, mag Hand in Hand er
Gehn mit dem prüfenden Todesengel!
Von dieser Zeit Parteiungen hoff ich nichts;
Doch wann ich darf ausruhen, wie Goethe ruht,
Dann sein mir auch spätreife Kränze
Auf den versinkenden Sarg geworfen.
Ich lebe ganz bei Künftigen, halb nur jetzt:
Nicht bloß ein Zierat müßigem Zeitvertreib
Sei meine Dichtkunst, nein – sie gieße
Tauigen Glanz in die welke Blume!