Das Ende Polens

(bei der falschen Nachricht, daß Warschau am 8. Februar eingenommen und Polen in eine russische Provinz verwandelt worden)


(20. März 1831.)


Ihr edlen Schläfer unterm Sand, o laßt den Kampf euch nicht gereun.
Es wird der spätste Pilger einst auf eure Hügel Rosen streun.
Und auch der Dichter eilt herbei, von keiner ird'schen Furcht besiegt,
Wo rings um Warschau hingestreckt die große Hekatombe liegt!
Denn kenntlich traun ist euer Grab, und keiner sucht's vergebens auf;
Es sitzt die hohe Nemesis, ein riesengroßer Geist darauf!
Als durch die Hauptstadt wohlbewehrt freiwilliger Scharen langer Zug
Aus Kalisch angelangt, sich wand und Polens weiße Fahne trug,
Da brachte Warschaus reges Volk dem tapfern Schwärme, der das Joch
Entzweizubrechen war entflammt, den Kalischern, ein Lebehoch.
Nein, rief ein Jüngling aus dem Zug, und drückte fest ans Schwert die Hand:
Ein Sterbehoch den Kalischern! es lebe nur das Vaterland!
Doch weil ein Häuflein ihr so klein, dem, der so viele hält in Fron,
Entgegenstellt, verspottet euch Berlinerwitz und Preußenhohn:
Wahnsinnig schilt euch mancher Tor, weil ihr zu sterben wart bereit,
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Als gäb es kein erhabner Gut als diese kurze Spanne Zeit!
Wahnsinnig bist du selbst, o Wicht! Wer freudig stirbt und löwenbrav,
Verdient den unverwelkbarn Kranz, und du verdienst die Fuchtel, Sklav!
So hat umsonst versprützt das Blut der Männer felsenfest Vertraun,
Umsonst den Brautschmuck dargebracht das Hochgefühl der besten Fraun.
Sie liegen auf den Knien, indes von fern Kanonendonner kracht,
Und flehn in Tempeln rings um Sieg für Polens allerletzte Schlacht.
Umsonst! Und zweifelnd fragt die Welt, seit euer Blut so reichlich troff,
Ob je der Geist besiegen wird den knechtisch plumpen Erdenstoff?
Ukasenton der Zärtlichkeit, wie christlich doch, wie fromm du sprichst!
Der Gute liebt sein Volk so sehr, daß er's ermordet väterlichst!
Schamlos wie eine Metze dringt die Despotie sich auf und bläht
Entgegen sich dem Gegenstand, der sie verachtet und verschmäht.
Vergebens ruft ein ganzes Volk: Wir wollen dich ja nicht, Tyrann!
Das ganze Volk, vernichtet wird's, auf daß er's unterjochen kann.
Wie rächt sich nun der Autokrat, der ganz von Rachbegierde brennt?
Er macht zu Russen euch! Es ist die größte Strafe, die er kennt.
Fürwahr, die größte! Selig ihr, die solches Lohns ihr nicht bedürft,
Die aus der Ehre Becher ihr den Tod in vollen Zügen schlürft!
Europas ganze Sympathie bestaunt in Tränen euern Fall;
Berlin allein und Wien frohlockt: das Aug der Sklaven ist Metall.
Was frommt es, daß der Feinde viel gefallen sind durch euer Schwert:
Mehr ist ein einziger Pole doch als tausend Moskowiter wert!
Mit Henkersknechten liegt vermischt der edle Staub in Einem Grab.
Der Hab und Gut dem Vaterland und endlich auch das Leben gab,
Einst kommen wird ein freies Volk und pflanzen eine Siegstrophä
Für euch und ein Simonides besingen dies Thermopylä.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Platen, August von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1834). Nachlese. Das Ende Polens. Das Ende Polens. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-77A7-D