[63] [140]Für Annie

Gottlob! die Gefahr
Ist nun endlich vorbei,
Von schleppender Krankheit
Ward endlich ich frei –
Ward sieghaft vom Fieber,
Dem »Leben«, nun frei.
Ich weiß es, ich kann
Keine Taten mehr tun,
Keinen Muskel mehr regen,
Nur langgestreckt ruhn –
Was tut es! Jetzt fühl' ich
Mich besser im Ruhn.
Und ich liege so friedlich,
Errettet von Not,
Daß wer an mein Bett tritt,
Vermeint, ich sei tot –
Erschrickt bei dem Anblick
Und meint, ich sei tot.
Das Ächzen und Krächzen,
Die seufzende Plag'
Ist nun endlich vorbei
Mit dem schrecklichen Schlag,
Mit des Herzens entsetzlichem
Schrecklichem Schlag!
Das Übel – der Ekel –
Die ruhlose Not –
[140]
Hörte auf mit dem Fieber,
Das im Hirn mir geloht –
Mit dem Fieber, dem »Leben«,
Das wahnvoll geloht.
Und von allen Foltern
Ich jener genas,
Die am schrecklichsten quälte,
Am furchtbarsten fraß:
Des Durstes nach Liebe,
Nach Lieb ohne Maß –
Nun trank ich ein Wasser,
An dem ich genas.
Ein Wasser, das flutet
Mit schläferndem Klang,
Das nah unterm Boden
Sich gräbt seinen Gang –
Wenig Fuß in dem Grunde
Sich gräbt seinen Gang.
Und ach, daß doch nimmer
Die Dummheit es spricht,
Daß enge mein Bette,
Ohne Luft, ohne Licht –
Denn in anderen Betten
Da ruht es sich nicht,
Und zum Schlafen bedarfst du
Solch Bett ohne Licht.
Die gemarterte Seele,
Hier ruht sie sich aus,
Vergißt, und vermißt nicht
[141]
Den duftenden Strauß
Von Myrten, von Freude –
Den Rotrosenstrauß.
Denn drunten da ruht sie
In heiligerm Hauch,
In süßestem Duften
Von Rosmarinstrauch –
In Blauveilchenduften
Und Rosmarinhauch –
In Trauer und Treue
Von Rosmarinstrauch.
Und da liegt sie nun heiter
In Träume gebannt
Von Treue und Schönheit
Von Annie, gebannt
In Träume von Annie,
Von Locken umspannt.
Sie küßte mich innig,
So zärtlich bewußt,
Dann fiel ich in Schlummer
Dort an ihrer Brust –
In traumtiefen Schlummer
An himmlischer Brust.
Als das Licht dann erloschen,
Da deckt' sie mich warm,
Und sie bat zu den Engeln,
Mich zu hüten vor Harm –
Zu der Herrin der Engel,
Mich zu schirmen vor Harm.
[142]
Und ich liege so friedlich,
Errettet von Not
(Denn ich weiß ihre Liebe),
Daß ihr meint, ich sei tot –
Und ich ruh' so gelassen,
Errettet von Not
(Ihre Liebe im Busen),
Daß ihr meint, ich sei tot –
Nur schaudernd mich anschaut
Und denkt, ich sei tot.
Doch mein Herz das strahlt heller,
Als am Himmelsthron sprüht
Der Sterne Gewimmel,
Da von Annie es glüht –
In der Liebe von Annie
Erstrahlet und glüht,
Im Gedanken an Annies
Lichtaugen erglüht.

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TextGrid Repository (2012). Poe, Edgar Allan. Gedichte. Für Annie. Für Annie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7C65-8