[231] Nr. 242. Das liebe Brot.

Es berichten die Einwohner der benachbarten Örter von dem Ursprunge des Erdfalles bei Hochstedt, wie sie von ihren Eltern gehöret hätten: daß in vorigen Zeiten an der Stelle, wo anjetzo der See sich befindet, ein feuchter, grasigter Platz gewesen sei, und die Pferde darauf gehütet worden; als nun einesmals etliche Pferdejungen die Pferde darauf zur Weide gebracht und gesehen hätten, daß einer unter ihnen Weißbrot esse, wäre ihnen auch ein Appetit, davon zu genießen, angekommen, derowegen sie dasselbe von dem Jungen hastig begehret, wie aber derselbe solches gänzlich abgeschlagen und fürgewendet, daß er dieses Brot zur Stillung seines Hungers selber notwendig bedürfte, wären gemeldete Jungen so unwillig und erbittert darauf worden, daß sie nicht allein ihren Herren alles Unglück an den Hals gefluchet, als die ihnen nicht dergleichen Weißbrot, sondern nur gemeines schwarzes Hausbackenbrot zur Speise mitgegeben, sondern sie hätten auch ihr Brot, aus großem Zorn und Frevel, auf die Erde geworfen, mit Füßen getreten, und mit ihren Pferdepeitschen gegeißelt; als aber darauf alsobald Blut aus dem Brote geflossen, wären sie über solches Wunder und Zeichen eines bevorstehenden Unglückes dermaßen erschrocken, daß sie nicht gewußt, wohin sie sich wenden und was sie anfangen sollen; unterdessen sei hingegen der Unschuldige, sonderlich da derselbige, wie einige erzählen, von einem alten unbekannten, ohngefähr dazukommenden Manne gewarnet worden, auf eines seiner Pferde gefallen, und mit diesem, auch denen anderen übrigen, dem großen Unglück entflohen, welchem zwar die Bösewichter nachfolgen wollen, hätten aber nicht von der Stelle kommen können, wie denn auch bald hernach der ganze Platz, sobald der vorige davon gewesen, mit großem Krachen untergegangen und solche böse Buben samt ihren Pferden mit sich so tief hinuntergenommen habe, daß auch nach der Zeit nicht das geringeste von ihnen an das Tageslicht kommen sei. Dieses sind nun die Gedanken des gemeinen Mannes, welche er von dem See hat, und sollte derselbe eher einen Eid schwören, als zugeben, daß derselbe auf eine andere als jetzt gemeldete Art könnte entstanden sein. [232] Woferne nun solche Tradition sich wahrhaftig also in der That verhielte, als dieselbige erzählet wird, so wäre es ein sonderliches und erbärmliches Exempel der von Gott höchlich bestraften Üppigkeit und Verachtung des lieben, obschon schwarzen Brotes. Dem sei nun wie ihm wolle, so stecket doch unter solcher Tradition ein feines Morale oder eine herrliche Sittenlehre, maßen die lieben Alten damit haben anzeigen wollen, daß man insgemein das liebe Brot, wenn es auch noch so geringe, nicht verachten solle, insonderheit ist aber dem gemeiniglich unvergnügten Gesinde damit eine heimliche Lektion gegeben worden, daß sie mit demjenigen Brote vorlieb nehmen sollen, welches ihnen ihre Herren und Frauen, ihrem Vermögen nach zur Speise darreichen. So bemerkt Behrens in der »Hercynia curiosa« zu dieser Sage.

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TextGrid Repository (2012). Pröhle, Heinrich. Sagen. Harzsagen. Sagen der nordhäuser Gegend. 242. Das liebe Brot. 242. Das liebe Brot. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-81F2-7