II.

Die Familie Weibgen hatte beinahe hundert Jahre die neue Mühle in Pacht. Sie zahlte jeden Tag einen Thaler, kam aber endlich durch Viehsterben und anderes Unglück ganz herunter. Die Kühe wurden nach und nach behext, sahen munter aus den Augen, fraßen bis den letzten Augenblick, waren aber so dürre, daß nichts mehr an ihnen war als Haut und Knochen. Manche schwollen auch ganz auf und hatten faul Wasser. Einstmals blickte die Müllerin in der Nacht aus ihrem Kammerfenster, da sah sie eine Waschfrau vom Klausthal, die ging mit zwei Himten Mehl auf dem Rücken erst vor den Stall, ehe sie fortging, und machte mit dem Fuße lauter Kreuze vor den Süll (Schwelle). Die Müllerin schimpfte sie aus dem Fenster, da ging sie ganz still davon. Nun wurde freilich die Stelle abgewaschen mit vielem Wasser; aber die Frau muß es doch schon gewußt haben an die Kühe zu bringen, denn bald darauf wurde wieder eine krank. Einstmals mußte der Abdecker auch wieder nach einer kranken Kuh kommen und sollte sie abziehen. Da sagte er, sie wollten nun die kranke Kuh einmal lebendig auf einen grünen Platz bringen und sie dort totstechen. Dann müßte in der Herzkammer eine Blase sein wie eine Walnuß groß, darinnen wären lauter kleine Eidechsen. Die Blase aber müßte uneröffnet verbrannt werden. Würde sie geöffnet, so hüpften die kleinen Eidechsen davon und gleich zu der Hexe hin, dann ginge es mit dem Verhexen wieder von vorn an. Die Blase fand sich, die Müllerin aber war neugierig, die kleinen Eidechsen zu sehen, und meinete, sie würden ja wohl zu halten sein. Nun gut, die Blase wird aufgeschnitten, da ist ein dicker Klumpen voll Eidechsen darinnen, der wurde immer weniger und bald waren alle Eidechsen wieder bei der Hexe. Da ging[156] das Behexen mit den Kühen erst recht los. Hätten sie die Eidechsen verbrannt, so wären damit auch der Frau, die das Vieh behext hatte, die Finger verbrannt und man hätte sehen können, wer es gewesen wäre. Nun wurde wieder eine Kuh in der Mühle krank, da waren die Eltern klüger, erzählte eine alte Weibgenstochter. Der Schinder sagte, sie wollten das Ding nun einmal anders anfangen. Er hieß den Eltern, von der kranken Kuh die Milch zu nehmen, davon immer ein paar Tropfen in die Hespen der Stallthür zu schütten und die Thür immer auf- und zuzumachen, aber nicht ganz zu, sondern nur bis vor die Krampen. Nun war dazumal ein Vetter aus Ostindien auf der neuen Mühle, der hatte sich bei den Ostindiern den Magen verdorben, konnte nichts weiter vertragen als weichgeklopftes Fleisch, und Wein, aber kein Brot und keine Suppe, und sagte, er wollte nun auf der neuen Mühle sein letztes Stündlein abwarten. Der konnte nicht mehr ordentlich Deutsch und sprach: »Ich will sich die Thür geknirken, ich haben da Zeit dazu.« Da nimmt der das Knirken über sich und wie er eine Zeit lang geknirket hat, kömmt eine Frau an die Thüre des Wohnhauses und bettelt: sie wäre so kalt, sie wollte sich wärmen. Aber die Müllerin ließ sie nicht herein. Wäre sie drin gewesen, so hätte sie können wieder einen Schabernack thun, denn das ist dieselbe Frau gewesen, die die Kühe behext hatte. Mein Ostindier knirkt immer zu. Als die Milch all ist, giebt die Thür so einen Schrei von sich, da hat die Frau auch so übel gethan, als säße ihr das Messer an der Kehle. Darauf ist die Frau noch einmal so ums Haus herumgeschwärmet und dann verschwunden. Diese Frau hat sich nachher ausgelassen, sie wäre von der Treppe herunter in eine Säge gefallen und hätte sich die Hände zerrissen, das würde lange dauern, ehe die Hand wieder heile. Das ist aber bloß von dem Knirken und der Milch gekommen. Auch in den Pferdestall kam Krankheit, daran mag wohl auch Hexerei mit Schuld gewesen sein. Nur kann mans bei den Pferden nicht so wahrnehmen, weil die Pferdekrankheiten einen viel raschern Verlauf haben als bei den Kühen. Auch unter die Hühner kam die Sterbige. Die Müllerin sagte: »Was heißt doch dies wohl mit unsern Hühnern? Heute Abend noch gesund [157] und morgen tot; und ganz breitgedrückt liegen sie im Stalle.« Da kamen Leute, die meineten, sie sollte mit arabischem Weihrauche räuchern, das wäre gegen Schabernack und Spukerei. Das that die Müllerin und das half. Sie kaufte sich nun einen ganzen Vorrat von Weihrauch und räucherte von nun an alle vier Wochen im Hühnerstalle. Wenn sie's aber nur einmal umeinen Tag länger aufschob, kam gleich wieder die Sterbige unter die Hühner. Auch die Sonne that dazumal viel Schaden, denn es war eine große Trocknis, daß die Fische halb aus der Innerste hervorguckten und die Sonne zündete an mehrern Orten Feuer an. Da sah es mit dem Mühlwasser schlimm aus, daß Gott erbarm! Durch solche Dinge sind die Weibgens Erben heruntergekommen. Haben sich aber immer rechtschaffen gehalten und gehörten um 1850 mit zu den besten Zitherspielern auf dem ganzen Harze.

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TextGrid Repository (2012). Pröhle, Heinrich. Sagen. Harzsagen. Sagen der Bergstädte Klausthal und Zellerfeld. 162. Die neue Mühle an der Innerste. (I-II.). 2. [Die Familie Weibgen hatte beinahe hundert Jahre die neue Mühle]. 2. [Die Familie Weibgen hatte beinahe hundert Jahre die neue Mühle]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8396-5