Erster Akt.
Doctor. Kilian.
KILIAN
auf die Bühne stürzend.
Ich aber will nicht!
DOCTOR
ihm nachsetzend.
Aber du mußt!
KILIAN.
O schnöde Kunst,
Die so zu Stein das Menschenherz verwandeln kann,
Daß er sogar das Allerheiligste nicht verschont!
Was?! Exstirpiren meinen Magen wollt ihr mir?
DOCTOR.
Entfernen bloß, nicht exstirpiren will ich ihn.
KILIAN.
Doch mit dem Messer?
DOCTOR.
Einem kleinen Messerchen;
Das Ganze dauert drittehalb Minuten kaum.
KILIAN.
Und dauert' es nicht länger, als ein Mensch gebraucht,
Ein junges Huhn, ein saftig braun gebratenes,
Hinabzuschlingen, nimmer dennoch thät' ich es!
DOCTOR.
Allein was nützt der leere Magen dir, o Tropf!
Da, wie du weißt, ich leider dir sowohl, wie mir,
Ihn anzufüllen gänzlich außer Stande bin?
Wir hungern beide: und das ist die Schuld der Zeit.
KILIAN.
Die Zeit der Schulden, dieses weiß ich, allerdings;
[72] Und wenig nützt, im Gegentheil, es schadet mir
Des hohlen Leibes unermeßlich öder Raum,
Ach, und der Höslein allzureicher Faltenwurf!
Dennoch so bleibt die Möglichkeit mir wenigstens,
Mich künftig einmal, in bessrer Zeit, zu sättigen;
So bleiben mir die süßen Träume wenigstens:
Schweinfleisch und Erbsen, Sauerkraut, gebackner Reis,
Ein fettdurchwachsenes Rinderhinterviertelchen,
Mit denen nachts der leere Magen mich betrügt,
Daß ich emporfahr', wonneschaudernd, ahnungsvoll –
Und an dem eignen Finger saugend find' ich mich! –
DOCTOR.
Dies ist, o Sohn, ein bloßer Trieb der Eitelkeit,
Bloß eine inhaltlose Magenabstraction,
Der zu entsagen Klugheit, wie Moral gebeut.
Der Magen ist der wahre Sitz der Endlichkeit,
Weil Alles zuletzt sein kläglich Ende nimmt durch ihn.
Befreiend dich von dieses Zwingherrn Obermacht,
Weit über das Maß der Sterblichkeit erhebst du dich,
Ja, bei den Göttern künftig nimmst du deinen Platz!
KILIAN.
Was essen die Götter?
DOCTOR.
Nektar und Ambrosia.
KILIAN.
Auch ohne Magen?
DOCTOR.
Ohne Magen, schlürfend nur
Mit rosiger Lippe luftgewobenen, süßen Schaum.
KILIAN.
So kriegt' ich auch wohl niemals Magendrücken mehr,
Fräß' ich einmal ein wenig zu viel Ambrosia?
DOCTOR.
O keine Spur!
[73]KILIAN.
Auch keine Kolik?
DOCTOR.
Das ist vorbei.
KILIAN.
Sag' mir noch Eins: auch keine Blähungen?
DOCTOR.
Nenne nicht
Das schnöde Wort: sie werden gänzlich abgeschafft!
KILIAN.
Es ist ein Ding, das überlegt sein will, fürwahr!
DOCTOR.
O halte sie fest, die gute Regung, welche schon
Den Busen dir von tugendhaften Entwürfen bläht. –
KILIAN.
Was? blähn die auch? Wohl dieses also ist der Grund,
Weshalb die Frommen allemal so aufgebläht? –
Ich halte doch wohl lieber meinen Magen fest.
DOCTOR.
Nein, zaudre nicht! Aufknöpfe hurtig deinen Rock!
Und wär' es nicht um deinetwillen, nun wohlan,
So opfre dich der Menschheit und dem Vaterland!
KILIAN.
Dem Vaterland?! Nun aber sicher thu' ich's nicht.
Denn wo es heißt: »um Eures Vaterlandes will'n!«
Da allemal zu Grunde liegt ein dummer Streich,
Zu dem man uns arglistig übertölpeln will.
DOCTOR.
Doch so bedenk' und überlege selbst, o Sohn,
Welch ein Verdienst du um die Menschheit dir erwirbst,
[74] Wenn du die Magenexstirpirung Mode machst!
An welcher Klippe scheitert unsre Tugend jetzt?
Was kehrt in Eis die Flamme der Begeisterung?
Was zwingt zur Selbstsucht? Woran kränkelt unser Muth?
Auf wessen Geheiß, o sage mir, nahm Freiligrath
Die Schmach auf sich der königlichen Pension?
Um welchen Preis brandmarken läßt sich Dingelstedt?
Der Magen immer, immer ist's der Magen nur,
Der unsers Herzens allerkühnste Pläne bricht
Und in den Koth, Kothseelen uns, hinunterzerrt.
Vor Allem aber wichtig wär' es für den Staat,
Ja wäre der Gipfel staatlicher Vollkommenheit,
Wenn allgemein die Magen würden abgeschafft.
Was für Beamte! welche Soldaten! welch ein Volk!
Freiheitsbedürfniß (dieses merkt, ihr Könige!)
Ist eigentlich nur Freßbedürfniß, weiter nichts:
Die Herzen nicht, der Magen macht Rebellion.
Drum rasch hinweg das unheilnährende Organ,
Das Adam' schon das Paradies gekostet hat!
Aufknöpfe die Jacke! – Aber woran denkst du jetzt?
Du stehst versunken: ja, das ist der Tugend Sieg,
Was dir, wie Thau, im zärtlich feuchten Auge glänzt.
KILIAN.
Ich denk' an eine nicht gefress'ne Leberwurst,
Die ich als Kind aus Übermuth einst stehen ließ,
Und die nun, ach! auf ewig mir verloren ist.
DOCTOR.
Und also nichts von meiner Rede hörtest du?
KILIAN.
War's nicht vom Nektar?
DOCTOR.
Ja benektarn werd' ich dich,
Gefräßiger Schuft, an welchen ich vergeblich ganz
Die Fülle meiner Beredsamkeit verschwendete!
Behalte denn den leeren Magen, blöder Tropf!
Dies aber sag' ich: siehe selbst, wie du ihn füllst!
[75]KILIAN.
Ich werd' es. –
DOCTOR.
Wohl, so packe dich aus meinem Dienst.
KILIAN.
So gebt den Lohn mir, welchen ihr mir schuldig seid.
DOCTOR.
Ich habe nichts.
KILIAN.
So ranzionire ich mich selbst,
In meinen Ranzen steckend, was ich finden kann.
DOCTOR.
Du findest nichts.
KILIAN.
Doch aber hier die Büchsen –
DOCTOR.
Was?!
Auffressen willst du meine Apotheke mir,
Mein auserles'nes Raritätenkabinet?
KILIAN.
Mit Stumpf und Stiel!
DOCTOR.
Ich habe nichts dagegen, friß:
Nur mußt du erst auch etwas finden, das dir schmeckt.
KILIAN.
Ich denke, doch! Der Gerstenzucker kommt zuerst –
DOCTOR.
Wenn welcher da ist.
KILIAN.
Honig und Johannisbrod –
[76]DOCTOR.
Die speist' ich selber.
KILIAN.
Aber hier: Spickaale –
DOCTOR.
KILIAN.
Freilich: oder sonst, was wäre dies?
Zwar etwas dürr und überschimmelt sehn sie aus,
Allein das schadet meinem Appetite nicht.
DOCTOR.
O Thor und Dreimal durch und durch vermenzelter!
Spickaale nennst du dieses? Aber schau nur her:
Altpreußische Zöpfe, siebzehnzöllige, sind ja dies!
Und was du für »den edlen Rost der Zeiten« hältst,
Das ist, bei Licht besehen, eitel Pudermehl.
KILIAN.
Altpreußische Zöpfe?! Teufel, ja, die kau'n sich schlecht!
Die schreiben sich wohl also noch von Jena her?
DOCTOR.
Sogar von Apolda. Doch mit Ehrfurcht halte sie,
Und lege sie sorgsam wiederum an ihren Ort:
Vielleicht die künft'gen Keime sind es unsers Glücks.
KILIAN.
Wie wär' das möglich? diese Zöpfe?
DOCTOR.
Gieb nur Acht:
Schon in Berlin gesetzlich restaurirt man sie,
Ja, bald mit Gold aufwiegen wird man jeden Zopf.
KILIAN.
Wohl darum also ziehet ihr die Jungen zu?
[77] Denn dies hier sieht wie Zöpfchen völlig, oder wie
Aalraupen aus.
DOCTOR.
Aalraupen nicht, nur Raupen sind's,
Althegelsche, die in Göschels Hirn ehemals rumort:
Doch jetzt in Branntwein künstlich hab' ich sie gesetzt,
Ein Beispiel einst der allerfernsten Zeit zu sein
Von unsrer deutschen Denktollwirbelfaselei.
KILIAN.
In Göschels Hirn? Und also ist der Edle todt,
Von all den Hegelböcken Er das einz'ge Schaf,
Dem öfters ich den warmen Pelz beneidete?
DOCTOR.
O nein, er lebt, als Mensch und als Geheimerath.
Doch als der Schelling in Berlin ward eingeführt
Und man den Hegel polizeilich ächtete,
Als Atheist, etcetera: da überkam
Ihn eine Furcht, recht eine kanonenfiebrige,
Und, in die Hosen plötzlich ging sein Hegelthum.
Seitdem mit völlig leerem Schädel wandelt er,
Geehrt und glücklich.
KILIAN.
Was man nicht erleben kann!
Bei leerem Kopf, mit vollem Magen – in der That,
Es muß der Gipfel aller Seligkeiten sein! –
Doch hier zu diesem Henkeltopf was meinet ihr?
DOCTOR.
Laß sehn. – Ei nun, die Probe machen kannst du schon,
Zum Wenigsten deinen Hunger wirst du dabei los.
Denn dies ist aller Gifte allertödtlichstes:
Denunciantengeifer, Heinrich Leo'scher,
Durch Löschpapier von Ehren Hengstenberg filtrirt
Und abgequirlt mit etwas grüner Huberei;
Arsenik ist dagegen nur ein Kinderspiel.
[78]KILIAN.
Arsenik? Puh! da wisch' ich mir die Finger ab.
Doch hier die Pulver, diese scheinen delikat,
So recht wie Zucker, welchen man den Fliegen streut?
DOCTOR.
Was? diese Pulver?! Nimmermehr, Unseligster!
Nein, Lieber, wenn der Hunger dich nicht ruhen läßt
Und deines Gaumens brennende Diebsgenäschigkeit,
Friß eher selbst an Bauer's Heidenthum dich satt,
So höchst geschmacklos, ohne Saft und Salz, fürwahr,
Das Ding auch ist, ein abgestandner Fuselschnaps,
Mit dem beliebten Kräutchen Eitelkeit versetzt:
Nur an dies Pulver rühre nicht, ich flehe dich!
KILIAN.
Herr Gott, ich zittre! Wäre dies Knallsilber gar,
Das Einem im Bauche unversehens explodirt,
Als hätte man von Rüge einen Vers verschluckt?!
DOCTOR.
O wär's nur das, den ganzen Musenalmanach,
Den Echtermeyer-Ruge'schen, gäb' ich dir ja preis!
Allein viel Schlimmres: Communistenpulver ist's,
Blausäurehaltig giftige Bluntschlimischerei!
Von diesen Pulvern Jeder, der ein Körnchen nur
Gekostet hat, den Verstand verliert er alsobald
Und wird so widrig, unerträglich stänkerig,
Daß man sofort und ohne Mitleid ihn verjagt,
Gleich einem Hund, vom allerletzten Hälmchen Stroh.
Denk' an den Herwegh und die gelben Stiefelchen!
Und laß mir ewig dieses Pulver unberührt.
KILIAN.
Das ist ja schrecklich. Und woraus ist das gemacht?
DOCTOR.
Aus Bilsenkraut, mein Söhnchen, und aus Eierschaum.
Doch daß ich schon vom bloßen Hauch des Giftes dich
Desinficire, diese Tropfen nimm 'mal ein.
Gelt da, wie schmeckt das?
[79]KILIAN
singt.
»Heil dir im Siegerkranz« ....
DOCTOR.
Ja, ja –
KILIAN.
»Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine« ....
DOCTOR.
Siehst du wohl?
Das hört sich schon ganz niedlich an. Wie ist dir nun?
KILIAN.
Als sollt' ich Hofrath werden, königlich preußischer!
Als schmiegte bald, mit blendend hellem Farbenglanz,
Ein gelbes Band an meine linke Brust sich an!
O ja, mir ist, als würd' ich Censor nächstertags!
DOCTOR.
Recht so, mein Schatz! In diesem Style fahre fort,
Wohlmeinend ist er: nämlich er meint sein eignes Wohl.
KILIAN.
Allein wie nenn' ich diese wunderthätige
Hofrathsessenz?
DOCTOR.
Begeisterungsextract ist das
Von Anno dreizehn, ächter Landwehrmagenschnaps,
Den man gemeinlich beim Freiwill'genfeste trinkt:
Und diesen Rest nahm Friedrich Förster in Beschlag.
KILIAN.
Allein mich hungert unverändert, wie zuvor?
DOCTOR.
Dawider hilft die bloße Begeistrung freilich nicht.
Es mangelt dir der Speisen Überfluß, o Freund,
Mit dem man sie, zweckessend, unterstützen muß.
[80]KILIAN.
Was denn beginn' ich?
DOCTOR.
Friß die Apotheke doch.
KILIAN.
Es ist ja nichts, was einen Menschen nährt, darin.
DOCTOR.
Du bist zu wählerisch: etwas Moosthee, magst du nicht?
KILIAN.
Nein, spotte nicht.
DOCTOR.
Ein wenig Rheum, ächt und rein?
KILIAN.
Steinhart, o Mann, und ohne Mitleid ist dein Herz.
DOCTOR.
Steinhart, o Mann, und ohne Grütze ist dein Kopf.
KILIAN.
Wohl, ohne Grütze, daran eben liegt es ja.
DOCTOR.
Aus diesem Allen, ist es dir denn noch nicht klar,
Daß du zum Exstirpiren dich entschließen mußt?
KILIAN.
Ich könnt' es thun – ich gehe weiter: thät' es gern –
Wenn Eins nicht wäre!
DOCTOR.
Dieses Eine, nenn' es mir.
KILIAN.
Es könnte sein – ich sage nicht, es muß: allein
Es könnte sein –
[81]DOCTOR.
Sprich deutlich.
KILIAN.
Deutlich? Sonnenhell
Vor meines Geistes innerm Auge steht sie da –
Sie war so rund!!
DOCTOR.
Gleich runde Zwanzig geh' ich dir,
Wo du mich länger foppen wirst, redsel'ger Schelm!
Wen meinst du, sprich?
KILIAN.
Wen meinen könnt' ich denn, als sie?
Es könnte sein, ich fände sie wieder irgendwo,
Die nicht gefress'ne, idealisch theure Wurst –
Was ohne Magen, Ärmster, fing' ich an mit ihr?!
DOCTOR.
Und also wirst du –
KILIAN.
Bin ich denn ein Deutscher nicht?
Verhungern werd' ich, aber doch geduldig sein.
DOCTOR.
Und auch die Arbeit unverdrossen wirst du thun,
Nicht raisonnirend, außer nur, wenn du allein?
KILIAN.
Ich sagt' es ja: ein Deutscher bin ich, sorget nicht.
DOCTOR.
Zwar edler wär' es, wähltest du den Magenschnitt,
Doch auch Geduld ist rühmenswerth. So hungre denn,
In das Bewußtsein deiner Tugend eingehüllt.
Ja träf' es sich und stürbest du den Hungertod,
So will ich dir ein Denkmal setzen auf dein Grab:
Dreihundert leere Pillenschachteln, auf mein Wort! –
Nun aber geh' und schaue mir nach den Jüngferchen,
[82] Ob keiner mehr, in süßen Mutterhoffnungen,
Der Leib sich wölbt: wie Heinrich Laube's Stirne thut,
Gedankenträchtig, gleich dem schwangern Haupt des Zeus,
Wenn er im Schweiß des bartumbuschten Angesichts
Ein neues Deutschtrachtmodeblatt gebären will.
KILIAN.
Und nur ein Sackhüpfschornsteinfegerkäppchen kriegt.
Ab.
DOCTOR
allein.
So, geh' du nur fort! und hungre dich zum Schatten ab,
Gehorsam du dem Joche meiner Dienstbarkeit! –
Der Schlingel hat mich heute wirklich warm gemacht;
Er ist nicht ganz so dümmlich mehr, wie er sich stellt.
Zwar noch gehorcht er: aber doch er merkt bereits,
Wo man ihn nasführt: und das ist der erste Schritt
Zur allgemeinen Demoralisation.
Geht das so fort, ich glaube beinah, der Esel fängt
Am Ende noch zu denken an?! – Ein Glück nur ist's,
Daß er die Schinkenbemme nicht gewittert hat,
Die ich zum Frühstück heimlich mir errettete.
Da, komm' heraus! denn angegriffen fühl' ich mich
Von all der Weisheitsvaterlandsgeduldsmoral,
Mit welcher ich dem Kilian den Kopf verwirrt.
Setzt sich essend.
Die Leute sagen, Hunger sei der beste Koch.
Ich stimme mit ein: nur der eigne Hunger nicht!
Am Besten schmeckt mir's, wenn ich Einen hungern weiß
Dicht neben mir, und etwas Gutes fress' ich selbst. –
Wie lang noch werd' ich's? Leider wohl nicht lange mehr.
Denn ach! mein Handwerk, ehedem ein güldenes,
Das besser mich, als eine Professur, ernährt,
Besonders eine jenaische: hilflos jetzt,
Seit dem verdammten preußischen Ehscheidungsgesetz,
Liegt es zu Boden, abgenutzt, wie Heine's Witz:
Und abwärts neigen meines Glückes Sterne sich.
O schöne Tage, welche sonst mir leuchteten:
Du meines Schicksals wechselvolle Odyssee!
Ein Doctor bin ich: zwar kein philosophischer,
Kein vierzigthälerner, oder gar ein sächsischer
Magisternoster: sondern Arzt und Charlatan.
[83] Dies hier mein Haus, gleichsam der Baum zu Delos ist's,
An welchen einst Letona sich geklammert hielt,
Da sie Apoll und Artemis gebar – das heißt
Mit andern Worten: ein Entbindungsinstitut,
Wo junge Damen höhern Standes ungesehn
Sich ihres Leibs verbotner Frucht entledigen.
Denn über Alle blindlings herrscht der Liebe Macht
Und nicht des Stammbaums siebenhundertjähr'ger Wuchs,
Noch auch der Geldsack und sogar die Bildung nicht,
Die mit dem alten Tiedge durch die Sterne rutscht
Und Höschen strickt dem heiß geliebten Stubenhund,
Schützt vor dem Kinderkriegen; also will's Natur.
Und o, in lichten Haufen sonst, wie kamen sie,
Im Wagen diese (wohlgemerkt, zur Wasserkur),
Die in der Sänfte (nämlich das Füßchen war verstaucht)
Und Jene trippelnd, beide Händchen vor dem Bauch!
Besonders als die Mucker noch in Königsberg
Florirten, da florirte mir auch mein Geschäft,
Und mehr der Kinder kamen jährlich hier ans Licht,
Als Bücher heckt der fingerstumpf abschreibende
O.L.B. Wolff. Merkwürdig war es, in der That,
Wie an den Frommen Gottes Segen sich erwies,
Und wie der Glauben und die Lammschwanzwedelung,
Das Kniegerutsch, die Busenkreuzbetastelei,
Gleich Kanthariden, zündend in die Lenden schlug.
Und wurden's auch nicht immer Jesukindelein
Mit rothem Haar und dickverklärtem Wasserkopf,
Wie Overbeck mit seiner frommkatholischen
Sippschaft sie malt, so wurden's stämm'ge Buben doch
Und runde Mägdlein, durcheinander, wie es fiel:
Und Jedes brachte blanke Füchslein mir in's Haus.
Doch nun, o weh der Pietistenriecherei,
Die meine Freunde, meine Mucker, mir gestört!
Man soll's noch büßen an der Kirchenunion
Und an vermehrter Lutherthumsauswanderung!
Doch dreimal Weh' und dreiunddreißigtausendmal
Dem blöden Hämmling, dem abgebrauchten, der zuerst
Das neue Ehscheidungsgesetz erfunden hat!
Ihm, wenn er nachts sein würdig runzlig Ehgemal
Umarmen will, nach richtig aufgezogner Uhr
(Wie es bekanntlich Tristram Shandy's Vater that):
[84] O diesem dann verweigre tückisch sich die Kraft,
Weil er in Bann die süße Leidenschaft gethan
Und keusch vor Angst die Männer und die Frau'n gemacht.
Mir aber stehen Kammern jetzt und Betten leer,
Und in dem Stuhl, dem schöpferischen, nagt der Wurm.
Ein oder zwei ausländische alte Jüngferchen,
Die unterwegs in einem Kellner sich versehn,
(Also vermuth' ich) bilden jetzt mein ganzes Haus;
Die beiden reichsten aber leider sind sie nicht.
Ja selber hier die Apotheke nützt mir nichts,
Seitdem die Menschheit Wasser lappt, gleich einem Vieh,
Und wenn es hoch kommt, homöopathisch winzige
Streukügelchen nimmt, dreihunderttausend auf ein Aß:
Und dabei kann kein Apotheker mehr gedeihn. –
So wank' ich hilflos meinem Untergange zu,
Und sehe keine Rettung mehr, als die preußische
Staatszeitung. Denn wer nirgend sonst zu brauchen ist,
Der findet noch bei diesem Institut sein Brod.
Doch nun hinein zu meinen Jungfern – Aber halt,
Wer schleicht denn da um meine Wohnung mir herum? –
Ein borstiger Kerl mit ungekämmt altdeutschem Haar
Und einer Nase, dunkelblau mit rothem Grund –
Das giebt ein prächtiges Intermezzo, in der That!
Das hilft sogleich die Schinkenbemme mir verdau'n!
Es ist ein Bettler – Immer näher! – O der Tropf,
Der denkt nun auch, ein Dreier wär' ihm schon gewiß –
Ja, prost die Mahlzeit! Kriegen wahrlich sollst du nichts,
Es sei denn Püffe oder etwas dieser Art.
Denn nur zu meiner Unterhaltung ruf' ich ihn
Und meines Zwerchfells heilsamer Erschütterung –
Da ist er schon! Nur immer näher –! Das ist nett.
SCHLAUKOPF
als Bettler verkleidet, tritt ein, singt.
Uns ist in alten maeren wundersviel geseit
Von helden lobebaeren von grozer kuonheit,
Von Herman dem Cherusker, dem uzerwelten man,
Darvon man singen und sagen noch aller orten hoeren kan.
Bei Seite.
Er kennt mich nicht, die falsche Nase steht mir gut. –
[85]DOCTOR
gleichfalls bei Seite.
Was ist denn dies für eine neue Bettelei?
Laut.
Was belieben der Herr? Auf diesem Ohre bin ich taub.
SCHLAUKOPF
bei Seite.
Gleich einem Luchs sonst hören konnt' er – und nun taub?
Von seinen Streichen einer ist dies ganz gewiß.
Singt.
Von Herman dem Cherusker, dem degene wolbekant,
Der sluoc mit zorne die viende uz dem lant,
Dem sollt ihr gebene eur silber unde golt,
So werden eure kunige euch genaedig werden unde holt.
Spricht.
Ich sammle für den Hermann –
DOCTOR.
Hofmann sagt ihr? wie?
Den abgesetzten unpolitischen? Seht euch vor:
Denn ohne Mitleid denunciren müßt' ich euch. –
Bei Seite.
Nun schreit er wohl die Lunge sich entzwei vor Angst. –
SCHLAUKOPF
bei Seite.
O edler Freund! So täuschte mich mein Glaube nicht –
Laut.
Nein, für den Hermann, jenen von Detmold und von Erz. –
DOCTOR.
Was? für das breitbeinbauchvorstreckende Ungethüm,
Dies Männeken-Pis der Freienrheinbegeisterung,
Das tölpisch steht, rekrutenhaft, am Schilderhaus,
Und in die Luft mit seinem Lerchenspieße fährt?!
Für den nicht Einen Heller, säß' ich auch in Gold:
Denn die Ästhetik untersagt es völlig mir.
SCHLAUKOPF
bei Seite.
Nun wieder an sich selber irre macht er mich. –
Laut.
Allein er liegt verpfändet und vergantet jetzt,
Fünftausend Thaler haben wir drauf aufgeborgt. –
[86]DOCTOR.
So macht das alte deutsche Haus auch Schulden, wie?
Ein sehr modernes Element erscheint mir das.
SCHLAUKOPF.
Weh, mit dem Unglück unbarmherzig spottet ihr?
DOCTOR.
Unglück? für wen?
SCHLAUKOPF.
O für das ganze deutsche Land!
Denn als politische Vogelscheuche sollt' er stehn. –
Bei Seite.
Nun sieh' dich vor! Nun werden Sprenkeln ausgelegt!
DOCTOR.
Als Vogelscheuche? dazu ist er gut gewählt.
Setzt doch den Schiller, jenen von Stuttgart, mit dazu,
Und auch den Nachtstuhl, der im dresdner Zwinger steht.
SCHLAUKOPF
bei Seite.
Zweideutigen Weg zu wandeln scheinst du mir, o Freund!
Laut.
Ja, die Franzosen scheuchen sollt' er von dem Rhein,
Dem Feind verderbend allen Geschmack an unserm Land. –
DOCTOR.
In unserm Land uns selber wird er's ohnedies.
Auch die Franzosen jagen wir schon selbst zurück:
Denn gar zu lumpig wäre dies doch für ein Volk,
Wenn es nicht 'mal zu halten wüßte, was es hat!
Und drum das Unglück einzusehn vermag ich nicht.
SCHLAUKOPF
bei Seite.
Ob das sein Ernst ist? Aber ich weiß schon, wie er ist,
Und daß ihm nichts auf Erden Ernst ist, als er selbst.
Laut.
O doch ein Unglück, bliebe unvollendet er:
Wenn sonst für Niemand, für den braven Künstler doch,
[87] Der ihn für Deutschland machen wollte und – für sich.
Haßt ihr so ganz das Menschenerbtheil Eitelkeit?
DOCTOR.
Ganz: und besonders, wenn sie nicht bezahlen kann.
SCHLAUKOPF
bei Seite.
Er ist ein Freigeist, deutlich jetzt verrieth er es.
O Schade! Schade! Brauchbar sonst wär' er für mich. –
Laut.
Nein, seid patriotisch! Einen einz'gen Louisd'or!
DOCTOR.
Und wär' es ein hannöverischer, dennoch nicht!
Ja nicht 'mal Ein Koburgisches Sechskreuzerstück,
Von denen, dran der Herzog zwei von sechs ge-spart.
Macht fort!
SCHLAUKOPF.
O um der deutschen Einigkeit –!
DOCTOR.
Ist die
So bettelhaft, Almosen zu heischen? Packt euch fort!
SCHLAUKOPF.
O denn um Eures eignen Ruhmes Willen, gebt!
Und Eures Namens künftige Unvergeßlichkeit!
DOCTOR.
Die hab' ich schon beim Kölner Dom assecurirt:
Die Nägel schenkt' ich zu einem Viertelsthürbeschlag,
Und alle tragen meinen Namen in dem Kopf,
So daß ich förmlich in den Dom vernagelt bin:
Und mehr vermag kein guter Unterthan zu thun.
SCHLAUKOPF
bei Seite.
Nun ist er reif! Nun, alte Freundschaft, fliehe weit!
Den Dom verspotten?! O du alleräußerste
Junghegelsche Destructivsubversität! –
[88] Doch immer weiter bohren will ich, bis ich ganz
Hab' ausgemessen diesen Sumpf der Schändlichkeit. –
Laut.
Nun, wenn nicht Geld, so spendet doch ein wenig Erz,
Ein Stückchen Kupfer, oder auch ein altes Zinn,
Als Trichter, Deckel, oder selbst ein Nachtgeschirr,
Das doch vielleicht zu Hermann's Nasenöffnung langt:
Denn kolossalisch, übermenschlich ist das Bild.
DOCTOR.
Auch nicht den Nachttopf, diesen selbst am wenigsten!
Denn in der Nähe bleiben immer muß mir der,
Weil ich mitunter etwas lesen muß von Mundt – – –
Ja lieber setzt' ich einen Knopf mir unten dran
Und trüg' als Helm ihn, nach dem preußischen Staatsmodell,
Dem bronceprahlrischkindischmittelaltrigen!
SCHLAUKOPF
bei Seite.
Zwölf Jahre Zuchthaus, dieses ist das Mindeste.
Laut.
So gebt ihr gar nichts?
DOCTOR.
Aber wozu bettelt ihr
Um bloßes Erz? So nehmet euch Erznarren doch,
Erzbischöfe, Erzjesuiten, Erzgenie's,
Erzdemagogen, Erzhalunken, Erzpoltrons:
Und überall von allen Vorrath findet ihr.
SCHLAUKOPF.
O mehr als grausam ist zur Grausamkeit der Spott!
Bei Seite.
Nun warte, du Schelm! Um Kopf und Kragen sprichst du dich.
DOCTOR.
Könnt ihr auch Schwerter brauchen und Kanonengut?
SCHLAUKOPF.
Die ganz besonders! Heldenmäßig lassen sie.
[89]DOCTOR.
So weiß ich wirklich keinen bessern Rath, als den:
Leiht von der jungen kriegssehnsüchtigen Lyrik euch
Die vielen Schwerter, davon ihre Verse klirr'n,
Von Prutz und Herwegh; Scharten sind noch nicht darin.
SCHLAUKOPF.
Als ob ihr selbst nicht wüßtet, daß die nur Papier
Und Pappe sind!
DOCTOR.
Ja nun, so tröst' euch Gott! – und so,
Mit diesem Wunsch, zum Hause werf' ich euch hinaus!
SCHLAUKOPF
retirirend.
Ihr werdet doch nicht?
DOCTOR
ihn packend.
Ich werde nicht, nein, thu' es schon!
Will den Bettler zur Thür hinauswerfen, wobei ihm dessen Perücke in der Hand bleibt.
Potz tausend noch eins! was gehen dem die Haare aus!
Und auch die Nase abzuschnallen?!
SCHLAUKOPF
hat seine Verkleidung abgeworfen.
Kennst du mich?
DOCTOR.
Wie? Bruder Schlaukopf?!
SCHLAUKOPF.
Bruder ehemals, doch jetzt –
DOCTOR.
Laß dich umarmen! –
SCHLAUKOPF.
Nimmermehr!
DOCTOR.
Wo kommst du her?
In dieser Tracht? Du schneidest Gesichter –
[90]SCHLAUKOPF.
Über dich,
O du verwälschter Vaterlandsverräther! –
DOCTOR.
Wie?!
SCHLAUKOPF.
Mondsüchtig nervenkranker Communiste! –
DOCTOR.
Was?!
SCHLAUKOPF.
Selbstmörderischer Vatermörder! –
DOCTOR.
Höre auf!
Ich erstick' vor Lachen!
SCHLAUKOPF.
Bald vergeht das Lachen dir:
Ich arretire –
DOCTOR.
Aber doch nicht mich?
SCHLAUKOPF.
Ja, dich. –
DOCTOR.
Den alten Freund?
SCHLAUKOPF.
Dies Opfer fordert meine Pflicht. –
DOCTOR.
Weswegen also?
SCHLAUKOPF.
Wegen deines frechen Mauls.
DOCTOR.
Doch warum du?
[91]SCHLAUKOPF.
Kraft meines Amtes.
DOCTOR.
Deines Amtes?
Bedünkt mich recht, so warest du Turnvater sonst
In außerordentlichen Diensten –
SCHLAUKOPF.
Eben drum.
DOCTOR.
Hofdemagoge, Freiheitssänger –
SCHLAUKOPF.
Eben drum.
DOCTOR.
Republikaner, Königsmörder –
SCHLAUKOPF.
Eben drum.
Die Consequenz von diesem Allem bin ich jetzt:
Wirklich Geheimer Königlicher Leibspion.
DOCTOR.
Wirklich Geheimer?!! – O du dreimal Seliger! –
Will ihn umarmen.
SCHLAUKOPF.
Zehn Schritte vom Leib –! Du dauerst mich, Unglücklicher.
DOCTOR.
Mit Recht! ich hungre.
SCHLAUKOPF.
Alles weiß ich. –
DOCTOR.
Ha! das ist's!
Ein Gedanke fährt aus meines Magens Finsterniß,
[92] Gleich einem Blitz, hellleuchtend durch mein zitternd Hirn –
Wie wär' es? Ja –! Allmächtig bist du, läugn' es nicht:
Allmächtig sind Spione immer – rette mich!
Erbarme dich des hungermüden, alten Freunds!
In deine Hände flehend leg' ich mein Geschick:
Mach' mich zum Lügner beim Berichtigungsbureau,
Mach' mich zum Klätscher bei der Literarischen,
Ja, wär' es auch zum Unterleibspione nur –
SCHLAUKOPF.
Ich hätte dieses, hätte mehr sogar gethan –
DOCTOR.
O thu' es noch! Mich hungert schon wieder, thu' es noch!
SCHLAUKOPF.
Doch dein verwünschtes Raisonniren –
DOCTOR.
Ist's nur das?
Nun Gott sei Lob, nun bin ich so gut, als angestellt:
Ich glaube ja selbst von Allem nicht das Mindeste,
Es ist mir Alles unaussprechlich einerlei. –
SCHLAUKOPF.
Allein den heil'gen Hermann betest du nicht an?
DOCTOR.
Zwei Groschen gieb mir: und ich rutsche auf den Knien.
SCHLAUKOPF.
Die gottvergessnen Witzeleien auf den Dom?
DOCTOR.
Ein bloßer Luxus meiner Zunge, weiter nichts.
SCHLAUKOPF.
Hinneigung zu politischen –
[93]DOCTOR.
Doch du kennst mich ja:
Liberal, servil, monarchisch, constitutionell –
Hat nur mein Leib die rechte Constitution!!
SCHLAUKOPF.
So sprachst du bloß –?
DOCTOR.
Zum Zeitvertreibe.
SCHLAUKOPF.
Glaublich ist's,
Denn mit den meisten Liberalen steht es so:
Gesinnung ist 'ne Wasserpflanze meistentheils,
Die aus des Herzens Felsengrunde nicht, o nein,
Nur aus dem Sumpf der Redensarten sich erhebt.
Doch brauch' ich bess're Garantien noch, als dies:
Nichts Kleines ist es, einzulaufen, sichern Gangs,
In den allersehnten Hafen des Beamtenthums
Und an dem Anker königlichen Jahrgehalts,
In schöner Ruh', das Schifflein zu befestigen!
Eleusis, weißt du, hatte seine Prüfungen:
Darum so schließe deiner Seele Tiefen auf
Und beichte mir, was deine ernste Meinung ist.
DOCTOR.
Hm, ernste Meinung – allerdings – ich dächte doch –
Meinst du so ganz im Ernste?
SCHLAUKOPF.
Freilich mein' ich das.
DOCTOR.
Hm, meine Meinung – warte nur, ich hab' es gleich –
Es wär' doch seltsam, wenn ich keine Meinung hätt',
Da jeder cultivirte Mensch sich eine hält –
Ich muß mich besinnen. – Aber halt! – – Nein das war nichts –
Genau besehn, in bitterm Ernste – ja, das ist's:
Ich glaube, daß die Thaler rund sind!!
[94]SCHLAUKOPF.
Weiter nichts?
DOCTOR
erschöpft, treuherzig.
Nein, weiter nichts.
SCHLAUKOPF.
Topp, deine Hand: du bist mein Mann!
Und nun vernimm und sperre weit die Ohren auf ....
DOCTOR.
Ich sperre ja schon!
SCHLAUKOPF.
– Und sinke nieder in den Staub ...
DOCTOR
niederknieend.
Ich sinke schon!
Bei Seite.
Pfui Teufel noch eins! fromm ward er auch?
SCHLAUKOPF.
Und falte betend deine Hände ...
DOCTOR.
Siehst du nicht?
Ich habe mir ja die Knöchel schon ganz blau gedrückt.
So schieße los, was ist es?
SCHLAUKOPF.
Ein unsagbar Ding,
Ein gnadenreich Ministerialmysterium. –
DOCTOR.
Ich merke schon: ein neuer Orden, ist's nicht so?
SCHLAUKOPF.
Nein, höher hinauf!
DOCTOR.
Die Grenadiere kriegen fünf
Knopflöcher statt sechs in ihre Sonntagsuniform?
[95]SCHLAUKOPF.
Weit, weit hinauf!! 'ne allgemeine Vaterlands-
Zukunftbeglückungsmenschheitsangelegenheit. –
DOCTOR.
Ah, nun errath' ich: ausgegeben wurde das
Statut der Schwanenritter? Oder gar studirt
Man eine neue Komödie sich in Potsdam ein?
SCHLAUKOPF.
Umsonst! umsonst! Es übersteigt den kühnsten Schwung
Der Phantasie –
DOCTOR.
Und auch die Schwungkraft meiner Knie' –
SCHLAUKOPF.
Glücksel'ge Zeit, die dieses Wunder soll erschau'n!
Die alten Zeiten werden neu, noch einmal schwingt
Der heil'ge Geist auf Adlerflügeln sich herab. –
DOCTOR
bei Seite.
Wenn der mich jetzt nicht eben anführt, that er's nie;
Ich kenne dies Wackeln seiner Nasenflügel schon,
Er ist ein Schalk.
Laut.
Nun aber ende –
SCHLAUKOPF.
Ende? nein!
Der Anfang ist es einer neuen großen Zeit:
Deutschland – ich sage: Deutschland, unser Vaterland,
Germania, die blondgelockte Königin,
Das Land des Hermann – –
DOCTOR
einfallend.
Luthers, Friedrichs und so fort –
Was hältst du bei den Curialien dich auf?
SCHLAUKOPF
fortfahrend.
Deutschland ist – schwanger!!!
[96]DOCTOR
aufstehend.
Aber nein, das ist zu arg:
Ein wenig wohl zum Narren halten lass' ich mich –
SCHLAUKOPF.
Wie denn? du glaubst nicht?
DOCTOR
begütigend.
Alles glaub' ich, was du willst. –
SCHLAUKOPF.
Nein, fürchte nichts, ich zürne deinen Zweifeln nicht:
Der Zweifel erst erhöhet recht des Wunders Werth,
Weil dennoch er zuletzt der Wahrheit weichen muß. –
DOCTOR.
Woher denn weißt du's?
SCHLAUKOPF.
Doch wer wüßte besser es,
Als eben ich? Hofpädagoge bin ich und
Familienrath der edlen Jungfrau – dieses heißt,
Nicht eigentlich mehr Jungfrau, sondern junge Frau –
DOCTOR.
Allein es ist dieselbe junge Dame doch,
Höchstderen tausendjähr'ge Wiegenfeier jüngst
In deutschen Landen feierlichst begangen ward:
Mit einer Predigt nämlich und am Abend dann
Gab's einen ausgekegelten Schöps bei Rennebom's?
SCHLAUKOPF.
Dieselbe, freilich.
DOCTOR.
Sarah zählte neunzig Jahr –
SCHLAUKOPF.
Vollende nicht, ich ahne, was du sagen willst:
Doch hier ist mehr, als Sarah.
[97]DOCTOR.
Ohne Frage, ja,
Ganz wie du willst. Doch aber fragen lasse mich:
Ist's nicht vielleicht bloß eine simple Wassersucht,
So ihr die Mäßigkeitsvereine zugefügt?
Wie? oder wär' es eine Windsucht? denn sie hat
In letzter Zeit ein wenig vielen Wind geschluckt.
SCHLAUKOPF.
Nicht Wind, nicht Wasser: schwanger ist sie, ich befehl's!
Dich aber warn' ich: hüte deine Zunge, Freund,
Daß nicht der Teufel wieder dich beim Schopfe nimmt
Und ich noch einmal irre werden muß an dir.
Denn blind, beim Himmel, oder höchst mißgünstig ist,
Wer noch im Ernst Germanien's Segensstand verkennt.
DOCTOR.
Nun freilich ist sie's. Dennoch Wunder nimmt mich dies,
Daß ich noch nichts von ihrer Schwangerschaft erfuhr,
Da übrigens die deutschen Zeitungen immer doch
Getreulich melden, wann Victorchen, und wie oft – –
Warum denn jetzt von Deutschland Hoffnung schwiegen sie?
SCHLAUKOPF.
Was? schwiegen sie? Und aber, hätten sie's gethan,
So hätten sie einzig ihre Bürgerpflicht gethan.
Denn dies ist eine innere Angelegenheit,
Danach das Volk bekanntlich nichts zu fragen hat.
Du aber hast wohl unsre Staatsgazetten nicht
Und auch die königlichen Reden nicht studirt:
(Was nebenher zur levis notae macula
Des Hochverrathes dringend dich qualificirt)
Sonst ohne Frage wissen würdest du, o Freund,
Daß mit zukünftig Neuerfreierdreierzeit
Deutschland seit längerm schwanger geht.
DOCTOR.
Freund, Recht hast du.
Ein Esel bin ich, zürne nicht: mein Kopf ist schwach,
[98] Ich mußt' es wissen – levis macula bei Gott,
Es ist ein rechtes Elend mit dem Hochverrath,
Er ist so schlimm, ja schlimmer selbst, als Flöhe sind,
Allüberall, zudringlich, hüpft er Einen an:
Schneuz' ich die Nase – aber nein, 's ist Hochverrath:
Kratz' ich am Kopfe – wehe mir, 's ist Hochverrath:
Ja selbst in's Bett des Abends leg' ich mich mit Angst,
Daß mir ein hochverrätherischer – Traum entfährt!
SCHLAUKOPF.
Das ist der angeborne Fluch der Creatur,
Den man allein durch strenge Zucht verbessern kann. –
DOCTOR.
Ganz meine Meinung. Aber dieß noch sage mir:
Da doch die Unzucht staatsgesetzlich ward verpönt,
Wie doch erzeugen durfte Jemand dieses Kind?
Und angetraut, als zugehörig Eheweib,
Ist doch Germania keinem Menschen, wie ich weiß.
SCHLAUKOPF.
Nun, da in Wahrheit reißen muß mir die Geduld!
O Blinder du, kurzsichtiger noch, als Streckfuß war,
Da er zuerst von Garantien faselte,
Weißt du denn nicht, unschuldiger Landtagsschwätzer du,
Daß kein Gesetz für Hochgeborne bindend ist?
Sie hat das Kind: es habend, hat sie auch das Recht,
Daß sie es hat –
DOCTOR.
Historisch geworden, ich versteh'.
Doch weiß die edle Dame selbst denn nichts davon?
SCHLAUKOPF.
Nichts weiter weiß sie, (wozu wär' auch wissen gut?)
Als daß ein Kind im Schlafe sie empfangen hat,
Wie sie gemeinlich Alles pflegt im Schlaf zu thun,
Der Himmel selbst –
DOCTOR.
Ach nun errath' ich es, nicht wahr?
[99] Man legte heimlich einen Koburg ihr ins Bett
Aus der berühmten Hauptprinceßbeschälerei?
SCHLAUKOPF.
Nimm dich in Acht! Schon wieder hüpft ein Floh dich an –
DOCTOR.
O das ist bloß der blinde Unterthanverstand,
Der die erhabne Schlangenbahn der Obrigkeit
Nicht alsogleich begreifen kann. Nun aber ganz
Versteh' ich dich und glaube völlig, was du sagst:
Deutschland ist schwanger – wünschest du, mit Drillingen?
Der heil'ge Geist, mit Adlerflügeln, breitete
Sich über sie – ei freilich, Alles ist so klar,
Man müßt' ein Ochs sein, wollte man das nicht verstehn. –
SCHLAUKOPF.
Dies ist der Weg, auf welchem ich dich sehen will;
Er führt zum Heil –
DOCTOR.
Doch aber wohl zum Ämtchen auch?
SCHLAUKOPF.
Zum Ämtchen? Nein: zu einem Amte führt er dich,
Dem ehrenvollsten –
DOCTOR.
Aber wie viel –
SCHLAUKOPF.
Höre mich!
Und sage dann selbst, ob dieses Freundschaft oder nicht.
Denn nicht zur Kurzweil, dieses glaube mir! hüllt' ich mich
In jene Maske: prüfen mußt' ich dich, o Freund,
Ob du auch werth der ungeheuren Ehre, die –
Gleich goldnem Regen –
DOCTOR.
Herrliches Bild!
[100]SCHLAUKOPF
fortfahrend.
Dich überrascht.
Nicht ganz bestanden deine Probe hast du zwar –
Es ist vergeben, sorge nicht! Und also nun
Vernimm es, höre, meine Worte schlürf' hinein
Mit seligem Ohr, mißtrauend selbst dem holden Schall:
In deinem Hause niederkommen hier, o Freund,
Durch deiner Zange Wendungen, soll Germania!
Zu ihrem Arzt ernenn' ich dich, kraft meines Amts
Als Deutschzukunftsentbindungscommissarius!
DOCTOR
umhertanzend.
Tralirumtrala! Tralirumtrala!
O die Freude, die macht mich ja taumlig!
Gerettet mit eins, aus unsäglicher Noth,
In dem Hause hier, o! in dem selbigen, o!
Mein Deutschland kommt in die Wochen!!
Stillstehend.
Doch was krieg' ich dafür?
SCHLAUKOPF.
Nun, fordere.
DOCTOR.
Nein, du biete!
SCHLAUKOPF.
Ein Orden –
DOCTOR.
Ein Orden?
Nein bleib' mir vom Leib! Was thu' ich damit? Sechs Dreier die preußische Elle!
SCHLAUKOPF.
Ein jährlich Gehalt –
DOCTOR.
Das ginge schon eh': nur aber
kein Dichterpensiönchen,
Zu wenig, um satt zu werden, und doch zu viel, um mit Ehren zu betteln:
[101] In die Tausende so, baar ausgezahlt, quartaliter, pränumerando –
Potz Wetter noch 'mal, sonst sehet euch um, wo ein Andrer sie wird accouchiren!
SCHLAUKOPF.
Sei ruhig, o Freund! Bau' fest nur auf mich, man wird dich nach Würden belohnen.
Ja bringst du ans Licht die ersehnte, die Frucht, gradbeinig, mit heilen Gelenken:
Ich glaube, man giebt dir freudig zum Lohn, was immer dein Herz nur begehret,
Und wär' es sogar das unendliche Glück, ein »von« vor den Namen zu setzen!
DOCTOR.
Wir wollen sehn, vermuthlich wird's was Andres sein.
Jetzt aber und vor Allem bring' die Dame du –
SCHLAUKOPF.
Sie ist schon da: an jener Ecke, siehst du sie?
DOCTOR.
Wohl dort im Wagen?
SCHLAUKOPF.
Eben diese: mit Bedacht
Für jeden Fall nachkommen ließ ich heimlich sie. –
DOCTOR.
Doch erst die Rosse, diese bitt' ich, deute mir,
Die magern dort, die katzenähnlichen?
SCHLAUKOPF.
Dieses sind
Die Provinziallandtage unsers Reichs. –
DOCTOR.
Aha,
Wohl darum also zäumtest du sie auch so kurz,
Besonders jenen Polaken dort, zur linken Hand?
[102]SCHLAUKOPF.
Sie sind's gewohnt.
DOCTOR.
Was du für Muth hast! Ich, fürwahr,
Ich dächte gleich, sie kriegten den Koller auf dem Fleck.
SCHLAUKOPF.
Ach was den Koller! Todtgestochen werden sie,
Sobald sie nicht im alten Gleis mehr wollen ziehn.
DOCTOR.
Doch seh' ich recht? die Pferde sind – nun tröst' dich Gott!
Die Pferde sind ja hinterm Wagen angespannt?!
SCHLAUKOPF.
Nimmt das dich Wunder? Allgemein geschieht das jetzt
Und ist geschehn in deutschen Landen jederzeit.
DOCTOR.
Und dort die Sklaven, welche stumm daneben stehn
Mit Schmerzgeberden?
SCHLAUKOPF.
Dieses ist, o Freund, das Volk:
Das brauch' ich bloß, den Wagen aus dem Dreck zu zieh'n:
Denn wie du weißt, so taugen unsre Wege nicht.
Jetzt aber gleich auf ihren Schultern, ungesäumt,
Hertragen sollen in feierlichem Zuge sie
Die hohe Frau. Du aber öffne weit indeß
Die Pforten nicht des Hauses bloß, des Herzens auch:
Und also festlich unsern Einzug halten wir.
Ab.
DOCTOR
allein.
Da wandelt er hin: der vortreffliche Mann! So rund, so völlig ein Spitzbub,
In jeglichem Glied, im leisesten Zug; der weiß, wie auf Erden man fortkommt!
Auch wett' ich darauf, in diesem Moment, er schmiedet schon wieder ein Plänchen;
Drum schau' du dich um! frisch aufgepaßt! daß du nicht die Zeche bezahlest.
[103] Festliche Musik: Schlaukopf, hinter ihm die Sklaven, in einem vergoldeten Sessel die Germania tragend: eine Blondine mit fettem freundlichem Gesicht, breitem Mund, blaßblauen Augen; in einem Kleide von englischem Stoff, einen französischen Schawl um die Schultern, auf dem Kopf einen italiänischen Strohhut. Man bemerkt, daß sie hochschwanger ist. Der Zug geht um die Bühne, unter dem Chorgesang der Sklaven, zu welchem Schlaukopf mit einer Peitsche den Takt angiebt und intonirt.
Strophe.
SCHLAUKOPF
taktirend.
Leis' wandelt, o leis' –
CHOR DER SKLAVEN
nachsprechend.
Leis' wandelt, o leis' –
SCHLAUKOPF.
Und störet ihn nicht –
CHOR DER SKLAVEN.
Und störet ihn nicht,
Den erfreulichen lieblichen Knaben:
Der in Muttterleib,
In umhüllendem Schooß,
Zukunftunwissend,
Gedankenfrei –
SCHLAUKOPF.
Wie ein leuchtender Stern –
CHOR DER SKLAVEN.
Wie ein leuchtender Stern in verschwiegener Nacht,
Wie das Gold in des Bergwerks
Tiefinnerstem Schacht,
Wie die Knospe, die dunkle, der köstlichen Frucht
Zu künftigem Leben, zu künftiger Lust
Entgegenträumt!
[104]DOCTOR
bei Seite.
Was der die Peitsche prächtig zu regieren weiß!
Wie ein Minister oder Einer, der es wird.
Gegenstrophe.
SCHLAUKOPF.
Lieg' schweigend, o Meer –
CHOR DER SKLAVEN.
Lieg' schweigend, o Meer. –
SCHLAUKOPF.
Und das Gold in dem Schacht –
CHOR DER SKLAVEN.
Und das Gold in dem Schacht,
O verschont es, ihr neidischen Zwerge!
Blüh' fröhlich herauf
An der sonnigen Wand,
Frühlingsluftathmend,
O Blüthenkeim!
SCHLAUKOPF.
So entfalte dich auch –
CHOR DER SKLAVEN.
So entfalte dich auch, o du liebliches Kind,
O du Stern unsrer Zukunft,
Hellleuchtendes Gold,
Du ersehnte, du Blüthe der köstlichsten Frucht,
Zu künftigem Leben, zu künftiger Lust,
O wachs' herauf!
SCHLAUKOPF
die Germania vom Sessel hebend, sie ins Haus führend.
So tritt herein, Weltmutter du, Germania –
DOCTOR
sie becomplimentirend.
Madame, je suis votre serviteur.
[105]GERMANIA
eintretend.
Merci, Monsieur.
Während die drei ins Innere des Hauses eintreten, ordnet der übrige Zug sich zum Abmarsch unter folgendem.
CHOR DER SKLAVEN.
Epode.
Erwarteter, Verheißener,
Ungeborener.
Uns Zugeschworener!
O erschein', o erscheine, wir flehen dich an,
Zu lösen die Kette, zu sprengen das Band;
Dem zerschlagenen,
Seelezermarterten,
O erscheine dem flehenden Volke!
Alle ab.
DER DICHTER.
In die Wohnung schreiten jene: wohl! so laßt nun den Poeten
Nach dem Tact der Parabase selbst euch vor die Augen treten!
Denn dies ist ein griechisch Erbtheil und wir woll'n es nicht verschmähen,
Daß der Dichter der Komödie selbst darf Red' und Antwort stehen,
Darf (wenn dies nicht zu pedantisch klingt) die Lehre zum Vergnügen,
Zu dem Blüthenkranz des Witzes reife Frucht des Ernstes fügen,
Darf den Göttern seines Herzens frei vor allem Volke huldigen,
Darf sogar, mit leiser Stimme, seine Fehler selbst entschuldigen.
Drum fröhlich heraus, drum fröhlich heraus,
Anapästisch geflügelte Maaße!
In dem Festtagsschmuck, in dem Tänzergewand;
[106] Vollduftigen Kranz in entfesseltem Haar,
Mit den Sohlen geklatscht und die Schellen gerührt,
Dionysische, göttliche Freude!
Wohl ehezuvor, wenn sonst der Poet euch lyrische Strophen geklimpert,
Von Freiheitdrang, von Zukunfttraum und der sehnenden Hoffnung der Jugend:
Da habt ihr nach rechts und habt ihr nach links die bedächtigen Köpfe gebogen,
Habt sauer gesehn und die Nasen gerümpft: »Ach über die ewige Lyrik!
Unerträglich zuletzt wird diese Musik, wir hätten 'mal gerne was Neues,
So recht etwas, wie aus Pfeffer und Salz, das gewaltsam die Nieren erschüttert,
Und lieblich zugleich und geschmackvoll auch: denn schwer sind wir zu befried'gen.
Doch euren Gesang voll Kriegsbombast und nimmer geschlagnen Bataillen,
Den singen ja schon, bei Tag, bei Nacht, nacktbeinige zirpende Spatzen:
Und was ihr beginnt und was ihr erdenkt, wir wissens Alles zum Voraus.
Ja versteht ihr es recht und seid ihr in Ernst, wofür ihr euch haltet, Poeten,
So versucht's einmal, und macht uns gleich, gleich jetzt ein politisches Lustspiel,
In dem Genre, wie einst Aristophanes schrieb, der unsterbliche Ruhm der Athener:
Und minder, fürwahr, nicht dünken wir uns, als Athener und Sparter zusammen.«
So sprachet ihr oft und priestet dabei und schlugt auf den Deckel der Dose,
Mit Donnergeräusch: wie ein Rathsherr thut, wenn er laut sein decisum gegeben.
Und da ist sie denn nun, und da habt ihr sie nun, die begehrte, die Stachelkomödie,
Von politischem Stamm, anspielungsreich, und den Senf nicht hab' ich gesparet.
[107] Nun lest sie auch recht, und lacht dabei: und merkt ihr, sie ziel' auf euch selber,
So kratzt, wo es juckt! Doch juckt es euch nicht, je nun, um so besser: so macht es,
Wie Sokrates that, der zum weisesten Mann von der Pythia selber erklärt ward.
Ihn hatte der Schalk Aristophanes einst auf die Bühne gebracht, wie er lebte
(Ihr kennet das Stück: von den Wolken erhielt und führt es noch heute den Namen:)
Im zerrissenen Rock, mit dem Satyrgesicht, in grotesk genialer Verzerrung:
Daß vor Beifall rings aufwieherten laut die Athener und hielten die Seiten,
Und schworen darauf, dies sei er, fürwahr, der ächte, der Sohn Phänaretens.
Da siehe, mit Eins, aus dem dichtesten Volk, gleichmüthig mit klarem Gesichte,
Trat Sokrates selbst, auf der obersten Bank, frei sichtbar der ganzen Versammlung,
Und schaut' hinab, mildlächelnden Blicks, auf den Sokrates in der Komödie.
Da verstummte das Volk: von der Bühne hinweg, auf den Lebenden richteten Alle
Und senkten beschämt zur Erde den Blick: und die Wolken machten Fiasco. –
Zwar freilich bin ich Aristophanes nicht, nicht der Schatten des hohen Komöden:
Ein Poet, nichts mehr, so gut, so schlecht, wie die mageren Zeiten ihn bringen.
Ja seit uns gedruckt ein Schwabe bewies, Herwegh sei bloße Rhetorik,
Doch Möricke, ja! das sei noch ein Mann, ein Poet von dem ersten Kaliber:
Seitdem, fürwahr! bin ich völlig begnügt, laßt ihr nur als Rhetor mich gelten.
Ja selber es soll mich freuen sogar und Dank euch will ich es wissen:
Denn vielleicht dann erscheint dies Lustspiel auch als unschuldig rhetorische Übung,
[108] Und entgeht der Poet auch des Hochverraths-Versuchs entferntem Verdachte.
Doch behagt sie euch nicht und nehmt ihr sie krumm und bekrittelt mir Dieses und Jenes:
Ich erlaub' es euch auch! Denn selber zumeist zum Vergnügen mir hab' ich geschrieben,
Nicht begehrend, bei Gott! Zeitungslobqualm und den eitelen Ruhm der Journale.
So thut, was ihr mögt! und wem's nicht gefällt, der warte, bis bessere kommen.
Zwar einmal schon in germanischem Land, schon war uns ein Dichter geboren,
Dem bei der Geburt, wie dem Attiker einst, die Kamöne die Lippe gelöset,
Und Honig ihm, mit dem Stachel zugleich, in die offene Seele geträufelt.
Ja, lebte noch Er, der vortreffliche Mann, den ich nah' zu den Größesten setze,
In zerfahrener Zeit ein ganzer Poet, großherzig, ein Mann und ein Deutscher,
Und bespannte noch Er mit melodischer Hand die unsterblich tönende Leier:
Nicht wagt' ich mich da ins verwegene Spiel, dem Größeren ließ' ich die Kampfbahn,
Und stellte mich stumm und bescheiden zurück zu der beifallklatschenden Menge.
Ach aber, er schläft an sikelischem Strand, von der säuselnden Palme beschattet,
An des Weltmeers Rand, einsam und stumm, freiwillig und doch ein Verbannter.
Denn verbannten ihn nicht Kaltsinnigkeit und des Publikums schnödes Gelüste,
Das dem Müllner und Kind Beifall zurief und den Klauren, den fanden sie göttlich?!
Das brach ihm das Herz, daß so breit ringsum die Misere, die schofle sich machte,
Daß sie horchten mit Lust auf des Hänflings Gezirp und der Nachtigall Lieder verschliefen:
Ein böotisch Geschlecht! und schlimmer sogar: denn es fehlte nicht bloß am Geschmacke. –
[109] Doch starb er nicht ganz! denn er ließ uns zurück der Komödie leuchtende Muster,
Er ließ uns zurück den metallenen Vers, schwungvoll von unendlichem Wohllaut,
Und so schlank und prall, wie ein Jungfräulein, dem zuerst sich der Busen entfaltet.
Nun kommen sie zwar, die erbärmliche Brut, dickohrige, plumpe Gesellen,
Und schrein hellauf: was es Großes denn sei, philologisches künstliches Machwerk?!
Ja versucht es nur erst und spitzt einmal, wenn ihr könnt, die gewaltigen Ohren,
Und klappert dazu, mit verfehlender Hand, euch den Tact an dem knöchernen Bein ab:
Ihr vermögt doch nichts, als prosaischen Quark, Monaldeschisches Hackegemacke,
Und Verse, o weh! (denn da kneipt es mich gleich), wie die Mundt'sche Komödie der Irrung.
Ein Anderer dann, höchstweisen Gesichts, versteht sich von selbst: ein Berliner,
So in Edgar's Manier, kaum trocken am Ohr, und doch schon ein Strohrenomiste,
Der den Welcker zerzaust, und Jacoby zugleich als wär's ein Schüler, am Ohr zupft:
Der kommt nun her und beweiset euch flugs, bei dem Platen sei nichts mehr zu holen,
Weil leider der Graf im erbärmlichsten Stoff ein passables Talentchen vergeudet.
Denn was freuten uns jetzt, was kümmerten uns literarisch kritische Fehden?
Selbstredend, wenn nicht von dem jungen Geschlecht ein Federchen etwa dabei ist.
Denn was dieses betrifft, ist interessant, und wenn es ein – Fidibus wäre,
Den der Censor ergriff, eh' der Autor selbst sein Geschäftchen mit Ruhe vollzogen.
Politik allein, so schnattern sie laut und fressen Baisers bei Stehéli:
Politik allein, radikale zumal, sonst nichts sei würdig zu schreiben.
[110] Das ist die Sentenz! Nun nicht appellirt! und der Platen, der ist ein Philister! –
Denn von Ruge gelernt hat dieses Geschlecht das summarische, kurze Verfahren,
Nur gebricht ihm der Geist, den Ruge besitzt. Doch auf Dichter versteht sich auch der nicht.
Nun aber vergönnt nur ein einziges Wort, nach dem Einen nur will ich euch fragen:
Und hätt' er's gethan und hätt' er's gewollt und hätte Komödien geschrieben,
Von politischem Stamm, anspielungsreich, und den Senf nicht hätt' er gesparet:
Wo waren denn da, in erbärmlichster Zeit, vor dreißig, da Alles im Schlaf lag,
Wo waren denn da dem politischen Buch die politischen Leser, ich bitt' euch?
Ja, Platen gewiß hat selber gefühlt, daß noch andere Fehden zu kämpfen,
Um anderen Preis, als über ein Stück von Raupach, oder mit Heine.
Ihm wölbte sich auch, von Sehnsucht heiß, nach besseren Zeiten der Busen,
Großartigeren, wo nicht Tänzer allein, süßflötende Kehlen uns kümmern,
Und das neueste Stück und das neueste Buch und ob Der es, ob Jener gelobt hat:
Nein, Zeiten beschwor auch Platen herauf, wo die Deutschen sich würden bewußt sein,
Abschüttelnd den Schlaf von bepudertem Haupt, der verfehlten, der hohen Bestimmung,
Und wo wieder das Schwert, vom Roste befreit, ablösen würde die Feder.
Nicht war ihm vergönnt, in des kommenden Tags aufdämmernde Röthe zu schauen
Die purpurn jetzt (ob Rosen? ob Blut?) auf die bräunlichen Wangen uns herstrahlt:
Doch hätt' er's erlebt, er wäre fürwahr! nicht der Letzte, der Erste gewesen,
Und hätte des Lieds Brandpfeil gradaus in die Burg der Tyrannen geworfen.
[111] Seid Zeugen mir deß, die der Sterbende flocht der gestorbenen Freiheit zu Ehren,
O Lorbeer'n ihr um Polonia's Stirn! Doch ein Brandmal seid ihr dem Czaren.
So zürnet ihm nicht: und legt auf's Grab ihm den weißlichen Kranz der Olive,
Dionysischen Preis, ruhmvollen, der einst Aristophanes Schläfe geziert hat.
Denn Niemand kann, und stellt er sich gleich (wie die Bauer es lieben) auf Stelzen,
Mehr leisten und mehr und Größeres thun, als die Zeit und sein Volk ihm verstatten. –
Dies haltet im Sinn und meßt danach den Versuch auch dieser Komödie,
Nicht zwackend am Recht, das dem Kinde man gönnt, anfänglich ein wenig zu straucheln:
Bis höher zuletzt, fortschreitenden Gangs, die gereifte Gestalt sich entfaltet.
Und verzeihet mir auch, wenn über die Schnur ich mitunter und öfter gehauen,
Wiewohl ich ja weiß, daß der Deutsche nur schlecht auf komödischen Scherz sich verstehet.
Doch tröstet mich dies, daß ich selber mich nicht und sogar nicht die Freunde verschonet,
Die die liebsten mir sind und mit denen ich gern will theilen so Gutes, wie Böses.
Denn das ist, ihr Herrn, das tyrannische Recht des erobernden Gotts Dionysos,
Daß er mitleidlos in Ruinen zerschlägt, was immer von irdischem Ton ist:
Doch über dem Schutt, in unendlichem Blau, wiegt schmetternden Lieds sich die Lerche.
Das hab' ich versucht, unbekümmerten Sinns, in die eigenen Rhythmen verloren,
Aufmerkend allein auf der Grazie Wink: ja ich hab', ich hab' es vergessen,
Daß über mich her, langnasig gebückt, ein Gensd'armes auf das Blatt mir geschielt hat!