[20] Warnung

Wien im März 1776.


Ihr Herren, die ihr euch, verführt von eitler Ehre,
Den Namen starke Geister gebt,
Und bloss nach dem Gesetz, das die Natur gab, lebt,
Die ihr der frommen Vorwelt Lehre
Zum Ziel profanen Witzes macht,
Der Blindheit unsrer Ahnen lacht,
Euch lieblos des Verfalls der Bonzenherrschaft freuet,
Und Klausnerheiligkeit als Gleissnerey verschreyet,
Die ihr auf Bann und Interdikt
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Mit stolzem Lächeln niederblickt,
Und sie als Gaukelspiel verachtet,
Ja selbst die Hölle wenig achtet,
Verwägne! spitzt die Ohren nur,
Und höret, was mir jüngst (noch klappern mir die Zähne
Bey der Erinnerung an diese Schreckenscene)
Zur Mitternachtzeit wiederfuhr!
Ich stand auf einmal an der Pforte
Zu jenem unterird'schen Orte,
Von dem manch Buch mit Recht so böse Ding' erzählt,
Und wo, von gleicher Pein gequält,
Der Erde stolze Potentaten
Mit armem Bettlervolk auf einem Roste braten.
Rings um die Mündung wallte hoch
Ein dicker Dampf empor, der schwefelähnlich roch:
Es herrschte weit und breit ein schaudervolles Schweigen,
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Und da ich weder Mensch, noch Their
Entdeckte, wagt' ich es, gereitzt von Neubegier,
Den finstern Schacht hinabzusteigen.
Doch stellt euch mein Entsetzen vor!
Kaum war ich innerhalb der Schwelle,
So schloss mit wildem Knall sich hinter mir das Thor,
Und ach! ich armer Tropf befand mich in der Hölle.
Dem Wandrer, neben dem ein Blitz herabfährt, gleich,
Stand ich, bis in das Mark erschüttert, stumm und bleich,
Und streckte zitternd beyde Hände
Verzweiflungsvoll empor: doch eh' ich mir's versah,
War schon ein scheusslich Unthier da,
Das einem Teufel der Legende,
So wie ein Ey dem andern, glich.
Wen sucht er, brüllte fürchterlich
Der Unhold, hier bey uns? was führt ihn von der Erde
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Zur Unterwelt herab? will er an Satans Herde
Sich wärmen? Nur herbey! ... Ein kalter Schauer lief
Bey diesem Antrag mir vom Kopf bis zu den Füssen
Durch jedes Glied. Nein, nein, ich bitte, rief
Ich zitternd, nur das Thor mir wieder aufzuschliessen.
Gemach! erwiedert' er, so ist es nicht gemeint:
Wer einmal hier ist, guter Freund!
Muss nolens volens sich bequemen,
In Ewigkeit bey uns fürlieb zu nehmen.
Drum denk' er ja an keine Wiederkehr!
Das Privilegium, von hier einst loszukommen,
Das Abbadona sich, so wie ich jüngst vernommen,
Erschlichen haben soll, erhält wohl keiner mehr.
Auf! folg' er mir, wohin ich ihn geleite!
Nur da hinaus zur linken Seite!
Mein Sträuben half hier nichts; drum gieng ich willig mit,
Wir wanderten ganz sachte, Schritt für Schritt,
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(Denn wo kein Scheiterhaufen glühet,
Bey dem man Sünder brät und brühet,
Ist's, wie sich leicht erachten lässt,
Nicht wenig finster in der Hölle)
Und kamen endlich an die Stelle,
Wo Seelen ohne Zahl, in Pfannen eingepresst,
Gebraten auf dem Rost, und aufgehenkt an Spiessen,
Für eines Stündchens Lüsternheit,
Die keinem Beichtiger zur österlichen Zeit
In's Ohr geflüstert ward, nun ewig schmachten müssen.
O Himmel, hilf! welch ungeheure Schaar
Verworfener von mancherley Gelichter
Bot rings umher sich meinen Blicken dar!
Hier schnitt ein Potentat erbärmliche Gesichter,
Und rief: ich Thor! warum gab ich des Volkes Schweiss,
Den öffentlichen Schatz nicht meinen Bonzen preis?
Ich wäre dann wohl fern von Satans Bratenwender,
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Ja stünd' als Heiliger im römischen Kalender.
Dort riss ein Philosoph das Haar sich aus dem Kopf,
Und heulte laut: weh mir! ach! hätt' ich armer Tropf
Doch alles blind geglaubt, und meine dreiste Nase
In kein profanes Buch gesteckt,
So läg' ich nun nicht hier auf Kohlen hingestreckt,
Und wär' im Himmelreich bey meiner alten Base.
Dienstfertig und galant, wie jeder Franzmann ist,
Kam Meister Rabelais, mich freundlich zu empfangen,
Und als er mich wohl zwanzigmal geküsst,
Begann er mich auf mein Verlangen
Mit der verwägnen Frevlerzunft,
Die, was von Bändigung der menschlichen Vernunft
Die schwarzen Herrn von ihrem Dreyfuss sprachen,
Nicht achtete, bekannt zu machen.
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Hier, sprach er, sehen Sie den Spötter Lucian,
Den Erbfeind frommer Scharlatane,
Der lächelnd dem verjährten Wahne
Die Spitze bot. O Freund! das ist ein Wundermann,
Der durch des Witzes Talisman
Nicht selten selbst dem bösen Feinde
Ein Lächeln abgewinnen kann.
Die ganze höllische Gemeinde
Ist ihm von Herzen zugethan.
Dort sitzt Professor Bayl', und sinnt auf neue Zweifel,
Wodurch er dann und wann die Existenz der Teufel
Auch hier trotz allem, was er sieht
Und höret, ungewiss zu machen sich bemüht,
Bis Lucifers Gefolg zu neuer Wuth erwachet,
Und ihn ein schwarzer Polyphem
Unwiderlegbar fühlen machet,
Des Teufels Wirklichkeit sey mehr als ein Problem.
In einer heissen Tonne sitzend,
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Und, einem Braten gleich, am ganzen Leibe schwitzend,
Seufzt in dem Winkel dort der arme Dechant Swift,
Der einst des Spottes ätzend Gift
Hohnlächelnd auf Kalvin und auf den Papst zu triefen
Sich unterstand, und drum itzt in den Tiefen
Des Höllenschlunds, vermaledeit
Von zweyer Kirchen Theologen,
Die er durch seinen Kiel sich auf den Hals gezogen,
Sich hinterm Ohre kratzt, und, was er schrieb, bereut.
In jener Ecke harrt schon vorlängst auf Voltären
Nicht fern von Lucian ein unbesetzter Stuhl,
Falls Frankreichs Bonzen nicht, eh' ihn der Feuerpfuhl
Mit Haut und Haar verschlingt, den alten Gauch bekehren.
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Noch zeigte Meister Rabelais
Im traulichen Gespräch mir manchen, dessen Schriften
Beym blinden Layenvolk so vieles Unheil stiften,
Und der dafür nun ewig Ach und Weh
Im Höllenabgrund ruft. So ist denn wirklich, dachte
Ich endlich bey mir selbst, so ist denn alles das,
Was ich von Satans Reich in Kochems Werken las,
Kein blosses Märchen? und erwachte.
O möchte doch diess grässliche Gesicht,
Ihr losen Spötter, euch zur ernsten Lehre dienen!
Möcht' euer frecher Mund der Hölle Strafgericht
Kein Pfaffenmärchen mehr zu schelten sich erkühnen!
Doch leider! hör' ich schon die Herren eures Schlags
Auch über diese Warnung spassen:
»Mit Lucian und seinen Schülern mag's
»Sich selbst im Höllenpfuhl nicht übel leben lassen.«
Ja, Freunde, dürfte man dort unten sich die Zeit
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Durch munteres Gespräch und frohen Witz vertreiben,
So stünd' auch meine Hand bereit,
Durch Ketzereyn sich wund zu schreiben.
Allein beym mindsten Scherz, der euch entschlüpfet, giesst
Ein Teufel, der schon alt und wetterlaunisch ist,
Euch siedend Pech auf's Haupt: dann lasst ihr's gerne bleiben.
Drum, meine Herren, überdenkt
Die Sache reiflich, und beschränkt
Die leidige Vernunft um eures Heiles willen!
Bereuet, widerruft, wirkt Buss', und schreibt Postillen!
Denn wahrlich, wahrlich sag' ich euch:
Die Ewigkeit ist lang, zumal im Höllenreich.

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TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. Warnung. Warnung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8C7A-E