[301] Klaglied eines österreichischen Bettelmönchs

Linz im Weinmond 1788.

Aleph.

O Brüder, ringt
Die Händ', und singt
Ein kläglich Miserere!
Wir sind besiegt:
Es unterliegt
Des grauen Mönchthums Ehre.
Beth.

Wehklagt, und weint!
Der böse Feind
Singt ringsum Siegeslieder.
[302]
Man beut, o Gräul!
Schon Klöster feil,
Und reisst Kapellen nieder.
Ghimel.

Manch Heiligthum,
Wo Gottes Ruhm
Einst aus verborgnen Zellen
Zum Himmel drang,
Tönt vom Gesang
Zuchtloser Kriegsgesellen.
Daleth.

Wo unser Chor
Des Seraphs Ohr
So oft entzückt, bereiten
[303]
Profane nun
Sammt und Kattun
Nebst andern Üppigkeiten.
He.

Voll Übermuth
Nennt uns die Brut
Der Witzlinge Phantasten,
Und lehret frey:
Arbeiten sey
Verdienstlicher als Fasten.
Vau.

Der Layen Schaar
Will itzt sogar,
Als ob wir Knaben wären,
[304]
Wie Doktor Bahrdt
Nach neuer Art
Die Bibel uns erklären.
Zain.

Man raubt, o Graus!
Das Gold im Haus
Des Herrn von allen Wänden,
Und schmilzt es ein:
Selbst unser Wein
Ist in profanen Händen.
Heth.

Kein Gnadenbild,
Kein Ablass füllt
Den Schlund der Opferstöcke,
[305]
Und in Verfall
Ist überall
Das Ansehn unsrer Röcke.
Theth.

O wenn vorhin
Ein Mönch erschien,
Wie neigten Männer, Weiber
Und Kinder sich
Andächtiglich,
Als kämen heil'ge Leiber!
Jod.

Und nun, nun lacht
Ob unsrer Tracht
Der leidige Profane,
[306]
Und mancher spricht:
Ey! sind das nicht
Verkappte Paviane?
Caph.

Mit milder Hand
Gab rings durch's Land
Einst manche fromme Vettel
Uns Butter, Schmalz,
Speck, Mehl und Salz
Für einen Lukaszettel.
Lamed.

Für ein paar Loth
Geweihtes Brod,
Für Ablassbrief' und Gürtel
[307]
Erhielten wir
Wein, Most und Bier
Und fette Kälberviertel.
Mem.

Nun aber hält
Die böse Welt
Nicht viel von solchen Sachen,
Und wagt es, sie,
O Blasphemie!
Als Possen zu verlachen.
Nun.

Die goldne Zeit
Der Geistlichkeit
Ist wie ein Traum vergangen:
[308]
Ach, ach, ach, ach!
Ein Thränenbach
Rollt über meine Wangen.
Samech.

Mit Recht beugt Scham,
Verdruss und Gram,
O Brüder, unsre Seelen;
Denn, aufgehäuft
Gleich Bergen, läuft
Die Flut uns in die Kehlen.
Phe.

Das blöde Rom
Kann selbst dem Strom
Der Zeit nicht widerstehen,
[309]
Und siehet bang
Den Untergang
Der geistlichen Armeen.
Ain.

Seit sich der Geist
Des Layen dreist
Zu denken unterwunden,
Wird rings umher
Kein Glaube mehr
In Israel gefunden.
Sade.

Durch uns erweicht,
Liess Gott einst leicht
Die Menschen Gnade finden;
[310]
Denn Fraun und Herrn
Bezahlten gern
Mit Messgeld ihre Sünden.
Coph.

Doch jetzt nimmt auch
Der fromme Brauch
Des Messgelds ab: drum wächst die
Ruchlosigkeit
Der Christenheit,
Zumal in puncto sexti.
Res.

Wie lang verzieht
Der Herr, und sieht
Geduldig durch die Finger?
[311]
Trift denn kein Blitz
Vom Wolkensitz
Des Höchsten Satans Jünger?
Sin.

Doch tröstet euch!
Ganz wird das Reich
Der Mönche nie sich enden:
Diess, Brüder, ward
Uns offenbart
Durch unsere Legenden.
Thau.

Entweder droht
Krieg, Hungersnoth
Und Pest dem bösen Samen:
[312]
Wo nicht, so ist
Der Antichrist
Das letzte Mittel. Amen!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. Klaglied eines österreichischen Bettelmönchs. Klaglied eines österreichischen Bettelmönchs. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8C8B-A