[253] Wehklage über Kostnitz

Kostnitz im Heumond 1786.


O Kostnitz, die du einst von Deutschlands freyen Städten
Mit nichten die geringste warst,
Und Krämer, deren Gold der Erde Majestäten
Geschmeidig huldigten, gebarst!
Dahin ist nun die Zeit, als aus der Fremden Säckeln
In deine Pforten Reichthum quoll,
Und laut bis in die Nacht von stolzer Wuchrer Mäkeln
Dein lärmerfüllter Marktplatz scholl.
Verwelkt ist deine Zier. Der Erde Völker wallen
Nicht mehr zu deinen Mauern hin:
Tief, wie einst Tyrus fiel, tief, tief bist du gefallen,
Des Bodensees Beherrscherinn!
[254]
Wie auf dem Weingebirg ein Winzerhaus im kalten
Eismonde wüst und einsam steht,
So stehst du öd' und leer, und bist gleich einer alten
Reitzlosen Buhlerinn verschmäht.
Auf deinen alternden entvölkerten Gebäuden
Keimt traurig, wie auf einem Grab,
Die dürre Nessel auf: in deinen Gassen weiden
Der Schaafe Heerden auf und ab.
Auf deinen Thürmen wohnt ein banger Schwarm von Eulen,
Der jammernd dein Geschick beklagt:
Dein Volk ist rings zerstreut, wie Stoppeln, die mit Heulen
Der Nordwind in die Wüste jagt.
Wie herrlich warst du einst, als Priester und Leviten,
Die, Roms erhabnen Vatikan
Zu rächen, manchen Feind des Pfaffenstolzes brieten,
Zu Hussens Richtplatz dich ersahn!
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Da drang durch deine Thor' ein Schwall von schwarzen Bäuchen,
Die sich vom Evangelium
Wie Fürsten mästeten, herbey aus allen Reichen
Zum heiligen Synedrium.
Da schwand der frohe Tag den üppigen Prälaten.
Beym Trinkgelag: da ward die Nacht
In feiler Dirnen Schooss, der Zehnten und Annaten
Mit heisser Gier verschlang, durchwacht.
Bejammernswerthe Stadt! seit diesen Tagen wandten,
Verscheucht von träger Lustbegier
Und von der Schwelgerey hochwürdiger Bachanten,
Sich Fleiss und Wohlstand weg von dir.
Doch fasse neuen Muth! denn sieh! es strömt in Schaaren
Ein kunstgeübtes Volk herzu,
Und suchet, fern von Genfs unrühmlichen Gefahren,
In dir die langentwöhnte Ruh.
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Es führen im Triumph in fernen Afterzeiten
Vielleicht noch einst das spröde Glück,
Mit dem die Jünger Roms so lange dich entzweyten,
Die Zöglinge Kalvins zurück.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. Wehklage über Kostnitz. Wehklage über Kostnitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8CBC-B