[168] Die Hundeträgerinnen

Wien im Jäner 1785.


O Weib, das die Milde des Himmels mir gab,
Ach! trockne die thauenden Thränen dir ab!
Lass ab, o Margrethe, zu trauern!
Nie weiche der Segen des Himmels von dir!
Sey glücklich! Mich rufet das Kriegespanier
Vor Kiow's unbändige Mauern.
Denn sieh da! es fertigte Boleslaw's Hand
Ein königlich Aufgebot rings durch das Land:
»Ihr meine getreuen Vasallen!
Lang trotzt schon der weibische Russe der Macht
Des polischen Säbels. Ihr Tapfern, erwacht,
Als Rächer in's Schlachtfeld zu wallen!
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Wer feig sich dem Wassengetümmel entzieht,
Der rühme sich förder nicht aus dem Geblüt
Der edlen Piasten zu sprossen!«
Nun sprich, o du Theuerste, die ich erkor,
Mein Ehbett zu theilen, war jemals mein Ohr
Dem Rufe der Ehre geschlossen?
Es fasse, statt Waffen, der üppige Gauch
Nach weichlich erzogener Völker Gebrauch
Des Weibes wollüstige Lenden!
Und wär' er mein König, ich trotzte dem Knecht
Mit bitterer Lache. Mein Heldengeschlecht
Soll knechtische Feigheit nicht schänden.
Erfährst du, Margrethe, das bange Gerücht:
Dein Mann sey gefallen, so säume ja nicht,
Durch Beten und Fasten die Sünden
Des Todten zu tilgen! Doch komm' ich zurück,
So lass mich, Geliebte, mit freudigem Blick
Treu, wacker und redlich dich finden!
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So sagte Graf Niklas von Zambozin, schwang
Sich hastig zu Pferd, dass die Rüstung erklang,
Und drückte der wiehernden Mähre
Den Sporn in den Leib; denn es flammte sein Muth,
Im Kampfe zu wagen sein ritterlich Blut
Bey Boleslaw's tapferem Heere.
Die Gräfinn flog schnell nun den Söller hinan:
Das Flimmern der Waffen verrieth ihr die Bahn
Des lieben, des traulichen Gatten.
Noch blinkte der Helm durch die Blätter, doch bald
Verbarg ihn das Dickicht im tieferen Wald
In düstre verschlingende Schatten.
Nun konnte Margrethe dem drängenden Schmerz
Nicht länger mehr wehren: es bricht ihr das Herz,
Die rosigen Wangen erbleichen.
Sie wanket lautschluchzend die Treppe hinab;
Ach! aber ihr Schlafgemach scheint ihr dem Grab,
Ihr Ehbett dem Sarge zu gleichen.
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Bereit zu entsagen dem nichtigen Tand
Der Freuden, ergreift sie das Büssergewand
Statt gräflichen Schmucks und den Psalter
Und Rosenkranz statt der hellglänzenden Schnur
Von Perlen. So beyspiellos liebte man nur
Im patriarchalischen Alter.
Indess zog Margrethens erlauchter Gemahl
Mit Boleslaw fern schon vom lieblichen Thal
Der Heimath auf feindlicher Erde.
Ein Wirbel von Staub, der dem Boden entquoll,
Umhüllte den Heerzug, und fürchterlich scholl
Das Stampfen und Schnauben der Pferde.
Erbarmungslos düngten, von Rachgier entbrannt,
Die Polen mit Blute das russische Land,
Ermordeten oder verscheuchten
Das Landvolk, und stürzten in Trümmer und Staub
Manch trotziges Schloss, bis sie endlich, mit Raub
Beladen, itzt Kiow erreichten.
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Nun klangen die Zinken: nun tönte das Horn.
Wie spielende Winde das wallende Korn
Bald hiehin, bald dahin bewegen,
So sieht, als der Vortrab dem Dnieper sich naht,
Man fernhin am Ufer die eiserne Saat
Der polischen Lanzen sich regen.
Drey Tage lang lagen nun Wurfspiess und Speer
Friedfertig im Gras: doch als Boleslaw's Heer
Der labenden Ruhe gepflogen,
Begann mit der Frühe des Morgens der Sturm:
Wild strömten die Polen zum westlichen Thurm
Der Mauer gleich stürmischen Wogen.
Ein fürchterlich Schreyen erfüllet die Luft.
Zwar öffnet der Widder sich Kluft schon an Kluft
Im Walle, zwar strotzen die Sprossen
Der Leitern von Helden: doch löwenhaft ficht
Der Städter. Es fliegen die Pfeile so dicht
Herab von den Mauern, wie Schlossen.
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Als Boleslaw's Auge den Graben entlang
Die Schichten von Körpern betrachtete, drang
Das Missgeschick seiner Schwadronen
Ihm bitter zu Herzen: er konnte die Noth
Der Seinen nicht förder mehr sehn, und gebot,
So wackeren Blutes zu schonen.
Schon wähnten die Städter sich frey: schon umlaubt
Die festliche Krone des Siegers ihr Haupt.
Doch träufelnd vom Gifte der Hyder,
Naht plötzlich die länderentvölkernde Pest
Mit tödtlichem Athem aus Süden, und lässt
Ergrimmt sich auf Kiow hernieder.
Rings wüthet der Tod: das gefrässige Grab
Schlingt zahllose Haufen von Körpern hinab.
Die Lebenden wanken wie Leichen
Hohläugig und bleich durch die Strassen dahin:
Dem Aufenthalt irrender Kobolde schien
Das einsame Kiow zu gleichen.
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Bang sandte die Stadt nun vor Boleslaw's Zelt
Den Herold des Friedens: glorwürdiger Held!
Sprach flehend der Bote, wir winden
Vor dir uns im Staube: du siehest es, was
Für Elend wir dulden. Erbarme dich! lass
Uns Mitleid und Huld bey dir finden!
Diess Flehen erregte des Königs Gefühl;
Denn Kunde des Krieges und Schlachtengewühl
War zwar seit der zartesten Blühte
Der Jugend sein Lieblingsgeschäft: doch es schlug
Auch unter dem eisernen Wamms, das er trug.
Ein Herz voll Empfindung und Güte.
Zieh, Herold! zieh hin zu den Deinigen! spricht
Der König mit Würde, denn Boleslaw ficht
Nicht wider halbmorsche Gerippe.
Lautjauchzend schloss Kiow die Pforten nun auf,
Und Boleslaw ward zu den Sternen hinauf
Erhoben von jeglicher Lippe.
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Kaum schwand itzt die Seuche, so strömten die Reihn
Der rüstigen Polen durch's Stadtthor hinein.
Nun griff man vom Waffengeräthe
Zu muntern Pokalen: das freudige Herz
Eröffnete froh sich dem traulichen Scherz
Beym üppigen Ritterbankete.
Die russischen Weiber behagten dem Schwarm
Der Woywoden Polens: ihr kriegrischer Arm
Entnervt sich in weichlichen Lüsten.
Nur Zambozin sehnt sich zur Heimath zurück:
Kalt bleibt für die Töchter von Kiow sein Blick,
Als schaut' er auf leblose Büsten.
Umsonst sahn indessen die polischen Fraun
Von Monden zu Monden mit neuem Vertraun
Der Rückkehr der Gatten entgegen.
Als endlich der siebente Sommer verstrich,
Erkiesten sie treulos Leibeigene sich,
Der Liebe mit ihnen zu pflegen.
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Zum Tummelplatz knechtischer Miethlinge ward
Das ehliche Bett nun, und mancher Bastard
Verkündigte laut schon die Schande
Der buhlenden Mutter den Augen der Welt.
Nur Zambozins redliche Gattinn erhält
Allein sich noch züchtig im Lande.
Man mühte sich fruchtlos, durch geiles Geschwätz
Und ehrlose Ränke sie mit in das Netz
Der schlauen Verführung zu locken;
Sie wandte dem Schloss, als die Buhlen zu arg
Sie ängstigten, heimlich den Rücken, und barg
Sich unter des Kirchenthurms Glocken.
Gar bald macht des Rufes geschäftiger Mund
In Kiow den Frevel der Gattinnen kund:
Wie flogen die rüstigen Polen,
Gespornet von Eifersucht, Ärger und Wuth,
So hastig zur Heimath, als brennte die Glut
Der Hölle sie unter den Sohlen!
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Bang wittern die sträflichen Knechte schon fern
Die Gegenwart ihrer entrüsteten Herrn,
Und fliehn mit zerknirschtem Gewissen.
Wie wird's nun den wehrlosen Frauen ergehn?
Seyd gnädig, ihr Männer! denn sehet! sie flehn
So reuig zu eueren Füssen.
Schon waren die Gatten zu schonendem Glimpf
Entschlossen: doch Boleslaw brannte, den Schimpf
Des polischen Adels zu rächen.
»Zu offenbar,« sprach er, »zu arg ist die Schuld:
»Nach solchen vermessenen Thaten ist Huld
»Nur Anlass zu neuen Verbrechen.
»Drum meldet den Frauen von edlem Geschlecht,
»Vor mir sich zu stellen, um Urtheil und Recht
Zu hören.« Gehorsam erschienen
Mit ängstlichem Herzen und bangem Gesicht
Die Weiber vor Boleslaw's ernstem Gericht,
Und Zambozins Gattinn mit ihnen.
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»Weib,« sprach zu Margrethen mit freundlichem Ton
Der König, »du hieltest dich wacker: zum Lohn
»Empfange diess Kleinod, und trag es
Als Denkmal der Treu' an dem züchtigen Hals!
Stäts sey dir die Lauterkeit dieses Krystalls
Erinnrung des heutigen Tages!
Ihr Lieben! wie Boleslaw Tugenden ehrt,
Das saht ihr nun: wie er mit Lastern verfährt,
Soll folgendes Urtheil euch zeigen:
Man raube die Früchte meineidiger Lust
Den Händen der Mütter! Es möge die Brust
Leibeigener Mägde sie säugen!
Die Väter verdamm' ich zum Kantschug, und ihr,
O Mütter, bequemt euch, zur Busse hinfür
Ein Hündlein am Arme zu tragen:
Lässt ohne diess Zeichen sich eine von euch
Erblicken, so sey durch den Henker sogleich
Das Haupt ihr vom Rumpfe geschlagen!«
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Sieh, günstiger Leser! seit Boleslaw's Zeit
Giebt manche der edelsten Damen noch heut
Dem niedrigsten Knecht aus dem Schwarme
Der Miethlinge, was sie dem Gatten versagt,
Lässt säugen ihr Kind von der schmutzigen Magd,
Und schaukelt ihr Hündchen am Arme.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ratschky, Joseph Franz. Gedichte. Gedichte. Die Hundeträgerinnen. Die Hundeträgerinnen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8D1E-5