42. En Prozeß will hei nich hewwen

Tau Rostock bi Sleuders vertellten sick
Weck Gäst mal Räubergeschichten
Un schüll'n dorbi ganz fürchterlich
Up hisige Landesgerichten.
De ein vertellt en langen Stral
Von't Amtsgericht tau Wohren,
De anner von't Patrimonjal –,
Von't Ridderschafts-Verfohren.
[299]
Sin Stadtgericht, säd Nummer drei,
Dat künn de Düwel halen;
De virt, dat de Justiz-Kanzlei
Sick hellsehen let betahlen.
Un alltausamen stimmen s' in:
Dat düllst sülln de Avkaten sin.
Un schrigen all in einen Aten:
»Wenn einen so recht de Avkaten faten,
Denn möt hei den letzten Dukaten laten!«
De armen mecklenbörg'schen Herrn Avkaten!
Dunn drängt en ollen Militör
Sick dörch den Hümpel bet nah vör.
»Was Sie da sagen, meine Herrn,
Das glaub ich gern,
Denn ich hab ganz was anders noch erfohren –
Das war vor zirka sieben Johren,
War dazumalen nach Major,
Da nahm ich mich denn ernstlich vor,
Daß meine Kinder auch was lernen müssen –
Avangzemang is nich mehr wie vor dissen,
Beruht nich mehr auf Heldentaten.
Ich miet mich also einen Kannidaten,
Acht Tage lang auch sehr zufrieden.
Den Sonntag drauf ein kleines Deschöneh,
Wo, wie gewöhnlich, meine Freunde seh.
Der Kannidat auch hin beschieden,
Ganz nett, ganz sauber, ganz à la Bonnöhr:
En schwarzen Frak, 'ne weiße Weste.
Kurzum gesagt! Ich freut mir sehr.
Man spricht nu manches hin un her,
Da mischt der Mensch sich mang die Gäste
Un redt da mit
Von dat un dit,
Als wär er ganz uns ebenbürtig.
[300]
Na, das war mich denn sehr merkwürdig
Un paßte mir denn nu natürlich nicht;
Ich seh ihn also grad in dem Gesicht;
Doch er bleibt ruhig an das Wort.
Ich leg das Messer und die Gabel fort
Un richt mich etwas in der Höh
Und seh ihn sehr bedeutend an –
Und, meine Herrn, wenn ich so seh,
Wie ich zuweilen sehen kann,
Dann – äh – äh – äh – dann äh – äh,
Dann bleib mir jeder aus der Näh!
Doch er, er kehrt sich gar nich dran,
Fährt ruhig im Erzählen fort.
Na, hier war nun denn nicht der Ort,
Gehörig Bildung ihm zu lernen,
Ich werd ihn noch mal scharf ansehn
Und fang dann an herauszugehn
Und werde mich sogleich entfernen,
Und, denken Sie, er bleibt ganz froh und heiter,
Spricht nicht allein – nein, ißt auch weiter!«
»Je, Herr von Lüttmann«, seggt de ein,
»Denn heww'n S' em woll nich naug anseihn.«
»Ne«, seggt de anner, »Herr von Lüttmann,
Denn seg'n S' em doch nich scharp naug an.«
»Na, meine Herrn, ich sag Sie ja,
Daß ich nach ihm ganz eklig sah.
So sah ich auf den Menschen nieder!«
»Wo's't mäglich!« seggt denn nu de drüdd,
»Dat em dorbi nich grugen würd.
Un de verdammte Kirl et wider!«
»Na, nu, natürlich setz ich mir denn hin
Und werde einen Brief ihm schreiben,
Das könnt natürlich nich mehr sin,
Mein Kannidat könnt er nich länger bleiben,
Wir täten doch wohl nich zusammen passen,
Er möcht sogleich mein Haus verlassen.
[301]
Das tut er auch, verläßt mein Haus.
Und ich denk denn, die Sach ist lange aus,
Da kommt en Brief denn mit der Post
Von einem Kerl von Advokaten,
Worin er für den Kannidaten
Verlangt an Lohn, an Wohnung und an Kost
Und sonst'gen Alimentationen –
Wo viel? Nu raten Sie! – Vierhundert!
Ich denn natürlich sehr verwundert,
Ich schreib an ihm, er möchte mir verschonen,
Die Sache wäre längst vorbei,
Un ich wär gar nicht vor Prozessen.
Ich denk denn nu, 's ist allens in der Reih,
Die Sach ist aus der Welt, da kriege ich indessen
Ein Schreiben der Justizkanzlei,
En großen Brief. – Das kommt mir schnurrig für,
Ich brech ihn auf, ich les', ich wunder mir,
Denn, denken Sie!, man wird mich drin zitieren,
Mich in der Kannidaten-Angelegenheit
Vor der Kanzlei zu deffendieren!«
»As wenn Sei«, seggt de irst, »so'n Schauster wiren?«
»Na, dit ward ümmer netter«, seggt de tweit.
»Ja, so'n Geschichten«, seggt de drüdd,
»De künn de Kanzelei ok laten.
Üm so'n Kirl von Kannidaten!
Wenn ick mal Kanzelei-Direkter würd ...«
»Na, ich«, seggt Herr von Lüttmann, »setz mich dal,
Der Kanzelei-Direktor ist mein alter Freund,
Und schreibe denn an ihm: so wär es nich gemeint.
Erzähl ihm die Geschicht noch mal,
Wo ich den Menschen dreimal angekuckt,
Wie er dabei sich nicht gemuckt
Und wie die Sache längst begraben,
Und en Prozeß wollt ich durchaus nicht haben!
Na, nu natürlich, denk ich, ist's vorbei;
Ich hatt mich deutlich ausgesprochen,
[302]
Da, denken Sie, erhalt ich nach vier Wochen
Ein zweites Schreiben von der Kanzelei:
Ich hätt schon eine Frist versessen,
Bei Androhung von weiterm Schaden
Ward ich darin zum zweitenmal geladen.
Und ich – ich wollt ja nicht prozessen!«
»Wenn einer«, seggt de irst, »nu doch nich will!«
»De Kanzelei sich schämen süll«,
Seggt nu de tweit, »dat is gemein!«
»Na, Herr von Lüttmann«, seggt de drüdd,
»Wenn ick mal wat bi de Regierung würd,
Denn, Herr von Lüttmann, süll'n Sei seihn ...«
»Na«, seggt nu de, »ich setz mich ruhig dal
Und schreib an den Direktor noch einmal:
Mein erster Brief wär wohl verloren,
Man sollt mich lassen ungeschoren,
Ich hätte nichts nich mit dem Kannidaten,
Auch nichts nich mit die Advokaten,
Die Advokaten wären Raben,
Und en Prozeß wollt ich durchaus nicht haben.«
»Recht!« seggt de irst, »den säd'n Sei gaud Bescheid!«
»De kreg sin'n richt'gen Tappen«, seggt de tweit.
»Ja, Herr von Lüttmann«, seggt de drüdd,
»Wenn ick so mal Großherzog würd ...«
»Nu, denk ich, ist es abgemacht«,
Seggt Herr von Lüttmann, »doch nach acht Wochen,
Als ich schon lang an nichts gedacht,
Da kommt ein dicker Brief an mir,
Das kommt mir sonderbaren für.
Und als das Siegel ich erbrochen,
Da les ich denn, ich bin verurteilt:
Die ganze Summe und die Kosten,
Zusammen ein recht netter Posten,
Den ich sogleich bezahlen sollte! –
Prozeß verloren, den ich gar nicht wollte!
Ich kuck den Brief woll dreimal an,
[303]
Sie wissen, wo ick kucken kann.
Die Sache war ja längst begraben,
Un en Prozeß wollt ich ja gar nicht haben.
Und nun, trotzdem, ihn doch verloren! –
Das nennt man ein Gerichtsverfohren!«

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TextGrid Repository (2012). Reuter, Fritz. Gedichte. Läuschen un Rimels. Neue Folge. 42. En Prozeß will hei nich hewwen. 42. En Prozeß will hei nich hewwen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8E2F-8