58. Wat all' in so'n Stadtreknung steiht

In Dütschland gaw't mal eins 'ne snaksche Tid,
Binah so snurrig as wi hüt,
As sei mal up de Demagogen
As sünst up Vöß un Hasen jogen.
En jeder, de en Snurrbort drog
Un sick 'ne wide Büx antog,
En Ziegenhainer in de Hand
Un üm de Mütz en bunten Rand,
Un drog en beten länger Hor,
Dat was en Sand.
Un de en Posten hadd as Aktuor,
Durschriwer, Amtsprotokollist,
De glöw't, dat hei d'ran glöwen müßt,
Dat em dat Metz stünn an de Kehl,
Dat s' em vör allen up den Kiker hadden
Un dat hei up besonderen Befehl
Von de geheime Oberdemagogenkumpani
Ganz in de Still süll afmurkst warden,
Un höll sick vör en Kotzebue.
De Herrn, de wull'n ehr Hut sick wohren
Un grepen allens up mit langen Horen,
Mit Ziegenhainer un mit bunte Mützen,
Mit Snurrbort un mit wide Büxen,
Un hadd'n s' so'n armen Burßen fat't,
Denn würd hei glik von wegen »den Conat
Zum konstatierten Hochverrat«
In't irste beste Lock herinne spunnt,
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Glikvel, ob fucht un ungesund.
Na, männigein, de kamm dor up den Hund,
Un männigein gung ok koppheister.
Tau Trippnitz ok de Herr Burmeister –
Des' nich, dat ded de anner wesen –
Hadd vel von Demagogen lesen
Un höll de Näs' hoch in de Luft
Un snüffelt Demagogen-Duft
Un seggt to sinen Kniper: »Kneifer,
Ihm fehlt der patriotsche Eifer.
In jeder kleinen Stadt hat man schon einen
Von den verdammten Demagogen,
Soviel ich weiß, ins Trockene gezogen,
Und wir in Trippnitz haben keinen!
Das darf nicht sein, es muß der Staat
Sehn, daß der hies'ge Magistrat,
So gut wie einer, einen hat,
Und darum, Kneifer, greif Er einen!«
De Kniper geiht un snüffelt ok,
Un nah 'ne Stunn kümmt hei taurügg.
»Herr«, seggt hei, »bi den Gastwirt Smok,
Dor sitzt so'n Demagenerich.«
»Hat er en Bart?« – »Ja, Herr, den hätt er,
Un as en wahr'n Brandstifter lett er.«
»Sein Haar?« – »Bis auf die Schultern run.«
»Ja, ja, ich hoff, das ist woll einer!
Wie war es mit dem Ziegenhainer?«
»Ja, Herr, ich glaub', sein Stock, der stunn
Woll in der Eck; er hätt da keinen.«
»Wie war die Hos' an seinen Beinen?
Hier, Kneifer, richtig aufgepaßt!
Denn an der Beinbekleidung können
Wir seine Art am sichersten erkennen.«
»Je, swarzen Samtmanschester was't
As Ratsherr Schulten seine Sünndagsjack,
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Un weit as en Sößschäpelssack,
Un'n Metz hätt er all in der Hand.«
»Natürlich, ja! Das ist so'n zweiter Sand!
So ziehn sie aus von Land zu Land
Auf den Befehl von dem geheimen Orden,
Die Fürstendiener zu ermorden.
Auf, Kneifer, auf! Nun, Kneifer, greif Er
Mir schnell den Kerl! Nehm Er den Scherenschleifer
Und den Gesellen von dem Nagelschmidt
Sich als Sukkurs für alle Fälle mit,
Und bring' Er mir den Burschen ran!«
De Kniper geiht, un nah 'ne Virtelstun'n
Bringt hei den Kirl. Von baben bet nah unn'n
Kickt de Burmeister nu den Burßen an,
As so'n Burmeister kiken kann,
Un kümmt em gliksten hellsch verdwas.
»Sie sind«, seggt hei, »ein Demagog.
Heraus, mein Herr, mit Ihrem Paß!«
De Frömd, de antwurt't nich un tog
Den Paß herut un gaww em den'n.
De Herr Burmeister kickt herin.
»Hieraus sind Sie nicht zu erkenn'n,
Signalement tut gar nicht passen;
Ihr großer Bart steht nicht darin.«
»Den hab ich später wachsen lassen.«
»Nu kik den Kirl!« seggt Kniper Kneifer,
»Höllt Hei sin Mul nich, ward'ck Em rute lüchten.«
»Halt, Kneifer, zähm' Er seinen Eifer!
Rausschmeißen hört zu meinen Pflichten. –
Sie, Herr, Sie sind ein Demagog,
Sie sind«, un nam de Fust un slog
Eins up den Disch, »ein zweiter Sand!«
»Erlauben Sie, ein reisender Kommis
Und bin hier in der Stadt bekannt.«
»Nicht räsoniert! Herr, schweigen Sie!«
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»Ick lat Sei süs«, seggt Kniper Kneifer,
»Wenn Sei noch mal dat Mul upriten,
Von'n Herrn Burmeister rute smiten.«
»Still, Kneifer! Geh Er raus und greif Er
Uns mal so'n Burschen von Barbierer.«
De Kniper bringt so'n Burßen ran.
»Komm Er mal her, mein lieber Mann,
Nehm Er den Menschen mal, un schmier Er
Mit Seif' ihn ein, und dann rasier Er
Mir mal ganz kahl den Volksverführer!«
De wehrt sick denn nu, wat hei kann,
Dat helpt em nicks,
De Kniper kriggt em bi de Büx,
De Schirensliper
Helpt den Kniper,
De olle Nagelsmidtsgesell,
De höllt em wiß up sine Stell,
Un swutsch! un swutsch!
Smitt em de Bengel von Barbutsch
Den Sepschum rinne in't Gesicht,
Un rutsch! un rutsch!
Herunne flüggt
Up eine ganz behenne Ort
De schöne Demagogenbort.
Kum is hei runn, dunn stört't herin
De Kopmann Lisch: »Herr Gott, ick bün
Doch woll hir all tau späd nich kamen?«
Un as hei't süht, sleiht hei de Hän'n tausamen.
»Herr«, seggt hei, »Herr, was machen Sie?
Was machen Sie in Himmels Namen?
Dies ist ein reisender Kommis
Aus Stralsund, Joseph Dünnbier heißt er,
Ein Mann, grad' wie ein Lamm so zahm,
Dem machen Sie hier solchen Blam!
Was machen Sie, Herr Bürgermeister?«
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Un Joseph Dünnbier steiht nu dor,
Wäult mit de Hand in't lange Hor:
»Na, Rache«, seggt hei, »schwör ich dir!
Ich schwör's, ich, Joseph Dünnebier!«
Un geiht herute ut de Dör,
Un Kopmann Lisch geiht achter her,
Un achter den'n geiht de Barbier,
De Smidtgesell un denn de Schirensliper.
De Herr Burmeister kickt den Kniper,
De Kniper den Burmeister an.
»Herr, dit was woll kein Demagog.
Dat schint, dit was en Handelsmann.«
»Ja, Kneifer«, seggt sin Herr un tog
Vir Gröschen ut de Westentasch,
»Er war in diesem Fall zu rasch;
Nach diesem, Kneifer, sei Er schlau!«
»Kein Bom föllt up den irsten Hau«,
Seggt em de Kniper, »täuwen S' man,
Ick slep Sei bald en annern ran.«
»Nein, Kneifer, hört Er? Greif Er keinen,
Ich hab die Demagogen dick«,
Un giwwt em dat Virgröschenstück,
»Da, lieber Kneifer, pfeif Er einen!
Red Er im Publikum nicht d'rüber,
Wir haben sonst Verdruß, mein Lieber!«
Na, dat is gaud; de Tid vergeiht,
Bet Wihnacht vör de Dören steiht,
Dunn kümmt en Breiw mit de Stralsunder Post,
De an fiw Daler Vörschuß kost't,
Denn eine Schachtel is dorbi,
Un Breiw un Schachtel sünd nich fri.
De Herr Burmeister, de is ut,
Un Fru Burmeistern seggt tau sich:
»Das ist gewiß der neue Hut,
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Den mein lieb Männing hat für mich
Zu Weihnacht in Stralsund bestellt,
Den löse ich natürlich ein.
Hier, lieber Freund, hier ist das Geld. –
Was wird das für ein Jubel sein!
Wie wird mein liebes Männing lachen!
Wie wird er auf die Augen reißen!
Denn ich will mir das Späßchen machen
Und das Geschenk, für mich bestimmt,
Heut abend ihm zum Julklapp schmeißen.«
Na, as de Herr Burmeister kümmt,
Dunn ward'n de Dannenböm anstickt,
De Julklapps warden rinne smeten
Un warden ein taum annern schickt
Un de Verpackung runne reten;
Un allens steiht un lacht un kickt,
Un allens is so wollgemaud.
Dunn kümmt de Schachtel mit den Haut:
»Dem Herren Bürgermeister Z.«
Un lachten s' irst, denn lachten s' nu irst recht,
Denn sine leiwe Fru, de hett
De annern von den Spaß all seggt.
De Herr Burmeister nimmt de Schachtel
Un is so lustig as 'ne Wachtel
Un böhrt s' tau Höchten: »Wie mich deucht,
Ist dies Geschenk ein wenig leicht;
Da ist am Ende gar nichts drin.
Wer sollt, ich ahn es nicht von weitem,
'ne Überraschung mir bereiten?«
Ja, raupen s' all, dor wir wat in!
De Herr Burmeister lös't den Band
Un makt noch Witze allerhand.
As allens üm em rümmer stunn
Un as hei böhrt den Deckel run,
Dunn würd hei wider nicks gewohr
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As luter Hor un Hor un Hor,
Un sine leiwe Fru, de stünn
Dor liksterwelt as Botter an de Sünn,
De nige Haut was in de Wicken.
Doch Herr Burmeister freut sick sihr.
»Mein liebes Kind, dies dank ich dir,
Dies ist wohl eine von den neu'n Perücken,
Den Gummi-Elastiks, mein Kind,
Die mir so angepriesen sind? –
Nein, nein! Dies ist ja keine P'rücke!
Dies sind ja lauter kleine Stücke!«
Un langt herin un halt s' hervör:
Wohrhaftig, ja,'t sünd lute Bör
Von allerlei verflucht Kalüren;
Weck brun, weck swart, weck vossig wiren,
Un all von 'ne verschiedne Ort:
Dor was en richt'gen Judenbort,
En Knebelbort von so'n Majuren,
En Backenbort bet acht're Uhren,
En Leutnantsbort, as Dunen zort,
En Snurrwichs un en Wallenstein,
Ok Proppentrecker sünd tau seihn;
Un ok en Breiw, de liggt dorbi:
»Geehrter Herr!
Entschuldigen Sie,
Wenn ich mit dieser Zuschrift Sie beschwere.
Bei meinem letzten Aufenthalt
In Ihrer Stadt ward mir im Polizei-Verhöre
Der Bart geschoren mit Gewalt.
Da Sie an meinen Einspruch sich nicht kehrten
Und, was ich einwandt', schlugen in den Wind,
So schloß ich d'raus, daß Sie ein Freund von Bärten,
Vielleicht gar Sammler deren sind.
Im hies'gen heilgen Christ-Verein,
Gestiftet, kleine Kinder zu erfreu'n,
[351]
Kam auch die Red' auf Euer Wohlgeboren
Und wie Sie freundlichst mich geschoren
Und ob Sie wegen Ihrer Kindereien
Den Kindern etwa zuzuzählen seien.
Man gab dies zu und sagte, es gehörte
Sich so, daß ich dem lieben Kinde,
Das mir den Bart einst runter scherte,
Zum frohen Weihnachts-Angebinde,
Wenn ich mich revanchieren wollte,
Auch Bärte heut bescheren sollte.
Das tu ich denn hiemit
Und bitt,
Zugleich den Nagelschmidt,
Den braven Scherenschleifer,
Vor all'n jedoch den Kniper Kneifer
Zu grüßen, Wertester, von mir.
Stralsund – ergebenst Dünnebier.

Nachschrift:


Wenn Sie sich mal das Späßchen machen sollten
Und eine oder andre Art
Von diesen Bärten selber tragen wollten,
Zum Beispiel mal den Demagogenbart,
So nehmen Sie ein wenig Kleister ...«
»Verfluchte Kirl!« röppt de Burmeister
Un ritt den Breiw in dusend Stücken,
»Kümmst du mi hir mal wedder her!
Lettst du di hir mal wedder blicken!«
Un rönnt herute ut de Dör.
Dit Stückchen wir nu woll tau En'n,
Un kein hadd dorvon wat erfohren,
Wenn nich de Düwel sine Hän'n
Hadd allentwegen mang. – Nah ein'gen Johren
Kam nah uns' Stadt 'ne Kummischon,
Dat sei dor mal eins revidiert,
[352]
»Weil leider dorten öfter schon
Unregelmäßigkeiten sei'n passiert
Und Fehler in der Rechnung sei'n entdeckt« –
In Preußen segg'n s' dortau »Konfekt«.
Na, dese Kummischon, de fünn
In de Stadtreknung ok en Posten:
»Für eine Schachtel an Postvorschußkosten,
Wo die verdammten Bärte waren drin,
Fünf Taler.« – »Ih, wat süll dat sin?
Raupt Kniper Kneifern mal herin!«
De ward nu kräftig inquiriert,
Un dese Bösewicht, de wir't,
De het't vertellt; so 's't rute kamen.
Un unse Kummischon, de sleit
De Hän'n un Arm un Bein tausamen.
»Nu bidd ick jug in Gottes Namen,
Wat all' in so'n Stadtreknung steiht!«

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TextGrid Repository (2012). Reuter, Fritz. Gedichte. Läuschen un Rimels. Neue Folge. 58. Wat all' in so'n Stadtreknung steiht. 58. Wat all' in so'n Stadtreknung steiht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8EA7-9