Ein Verein, aus einem dringenden Bedürfnis heraus
Ich erfahre erst, daß unser Ort auch eine Art Künstlerverein besitzt. Er ist kürzlich aus einem, wie man sich leicht vorstellen kann, sehr dringenden Bedürfnis entstanden, und es geht das Gerücht, daß er »blüht«. Wenn Vereine gar nicht wissen, was sie anfangen sollen, dann blühen sie; sie haben gehört, daß man dies tun muß, um ein richtiger Verein zu sein.
Ich muß nicht sagen, daß Herr Baum Ehrenmitglied, Gründer, Fahnenvater und alles übrige in einer Person ist und Mühe hat, die verschiedenen Würden auseinanderzuhalten. Er sandte mir einen jungen Mann, [367] der mich einladen sollte, an den »Abenden« teilzunehmen. Ich dankte ihm, wie es sich von selbst versteht, sehr höflich und fügte hinzu, daß meine ganze Tätigkeit seit etwa fünf Jahren im Gegenteil bestehe. »Es vergeht, stellen Sie sich vor,« erklärte ich ihm mit dem entsprechenden Ernst, »seit dieser Zeit keine Minute, in welcher ich nicht aus irgend einem Verbande austrete, und doch giebt es noch immer Gesellschaften, welche mich sozusagen enthalten.« Der junge Mann schaute erst erschreckt, dann mit dem Ausdruck respektvollen Bedauerns auf meine Füße. Er mußte ihnen das »Austreten« ansehen, denn er nickte verständig mit dem Kopfe. Das gefiel mir gut, und da ich gerade fortgehen mußte, schlug ich ihm vor, mich ein Stückchen zu begleiten. So gingen wir durch den Ort und darüber hinaus, dem Bahnhof zu, denn ich hatte in der Umgebung zu tun. Wir sprachen über mancherlei Dinge; ich erfuhr, daß der junge Mann Musiker sei. Er hatte es mir bescheiden mitgeteilt, ansehen konnte man es ihm nicht. Außer seinen zahlreichen Haaren zeichnete ihn eine große, gleichsam springende Bereitwilligkeit aus. Auf diesem nicht allzulangen Weg hob er mir zwei Handschuhe auf, hielt mir den Schirm, als ich etwas in meinen Taschen suchte, machte mich errötend darauf aufmerksam, daß mir etwas im Barte hinge, daß mir Ruß auf der Nase säße, und dabei wurden ihm die mageren Finger lang, als sehnten sie sich danach, sich meinem Gesichte auf diese Weise hilfreich zu nähern. In seinem Eifer blieb der junge Mensch sogar bisweilen zurück und holte mit sichtlichem [368] Vergnügen die welken Blätter, die im Herabflattern hängen geblieben waren, aus den Ästen der Sträucher. Ich sah ein, daß ich durch diese beständigen Verzögerungen den Zug versäumen würde (der Bahnhof war noch ziemlich weit), und entschloß mich, meinem Begleiter eine Geschichte zu erzählen, um ihn ein wenig an meiner Seite zu halten.
Ich begann ohne weiteres: »Mir ist der Verlauf einer derartigen Gründung bekannt, welche auf wirklicher Notwendigkeit beruhte. Sie werden sehen. Es ist nicht sehr lange her, da fanden sich drei Maler durch Zufall in einer alten Stadt zusammen. Die drei Maler sprachen natürlich nicht von Kunst. Es schien wenigstens so. Sie verbrachten den Abend in der Hinterstube eines alten Gasthauses damit, sich Reiseabenteuer und Erlebnisse verschiedener Art mitzuteilen, ihre Geschichten wurden immer kürzer und wörtlicher, und endlich blieben noch ein paar Witze übrig, mit denen sie beständig hin und her warfen. Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, muß ich übrigens gleich sagen, daß es wirkliche Künstler waren, gewissermaßen von der Natur beabsichtigte, keine zufälligen. Dieser öde Abend in der Hinterstube kann nichts daran ändern; man wird ja auch gleich erfahren, wie er weiter verlief. Es traten andere Leute, profane, in dieses Gasthaus ein, die Maler fühlten sich gestört und brachen auf. Mit dem Augenblick, da sie aus dem Tor traten, waren sie andere Leute. Sie gingen in der Mitte der Gasse, einer vom anderen etwas getrennt. Auf ihren Gesichtern waren noch die Spuren des Lachens, diese merkwürdige Unordnung [369] der Züge, aber die Augen waren bei allen schon ernst und betrachtend. Plötzlich stieß der in der Mitte den Rechten an. Der verstand ihn sofort. Da war vor ihnen eine Gasse, schmal, von feiner, warmer Dämmerung erfüllt. Sie stieg etwas an, so daß sie perspektivisch sehr zur Geltung kam, und hatte etwas ungemein Geheimnisvolles und doch wieder Vertrautes. Die drei Maler ließen das einen Augenblick auf sich wirken. Sie sprachen nichts, denn sie wußten: sagen kann man das nicht. Sie waren ja deshalb Maler geworden, weil es manches giebt, was man nicht sagen kann. Plötzlich erhob sich der Mond irgendwo, zeichnete den einen Giebel silbern nach, und es stieg ein Lied aus einem Hofe auf. ›Grobe Effekthascherei –‹, brummte der Mittlere, und sie gingen weiter. Sie schritten jetzt etwas näher nebeneinander hin, obwohl sie immer noch die ganze Breite der Gasse brauchten. So gerieten sie unversehens auf einen Platz. Jetzt war es der rechts, welcher die anderen aufmerksam machte. In dieser breiteren, freieren Szene hatte der Mond nichts Störendes, im Gegenteil, es war geradezu notwendig, daß er vorhanden war. Er ließ den Platz größer erscheinen, gab den Häusern ein überraschendes, lauschendes Leben, und die beleuchtete Fläche des Pflasters wurde mitten rücksichtslos von einem Brunnen und seinem schweren Schlagschatten unterbrochen, eine Kühnheit, welche den Malern ausnehmend imponierte. Sie stellten sich nahe zusammen und saugten sozusagen an den Brüsten dieser Stimmung. Aber sie wurden unangenehm unterbrochen. Eilige, [370] leichte Schritte näherten sich, aus dem Dunkel des Brunnens löste sich eine männliche Gestalt, empfing jene Schritte, und was sonst zu ihnen gehörte, mit der üblichen Zärtlichkeit, und der schöne Platz war auf einmal eine erbärmliche Illustration geworden, von welcher sich die drei Maler wie ein Maler abwandten. ›Da ist schon wieder dieses verdammte novellistische Element‹, schrie der rechts, indem er das Liebespaar am Brunnen mit diesem korrekt technischen Ausdruck begriff. Vereint in ihrem Groll, wanderten die Maler noch lange planlos in der Stadt herum, immerfort Motive entdeckend, aber auch jedesmal aufs neue empört durch die Art, mit welcher irgend ein banaler Umstand die Stille und Einfachheit jedes Bildes zu nichte machte. Gegen Mitternacht saßen sie im Gasthof, in der Wohnstube des Linken, des Jüngsten, beisammen und dachten nicht ans Schlafengehen. Die nächtliche Wanderung hatte eine Menge Pläne und Entwürfe in ihnen wachgerufen und, da sie zugleich bewiesen hatte, daß sie eines Geistes seien im Grunde, tauschten sie jetzt, im höchsten Maße interessiert, ihre gegenseitigen Ansichten aus. Man kann nicht behaupten, daß sie tadellose Sätze hervorbrachten, sie schlugen mit ein paar Worten herum, die kein profaner Mensch begriffen hätte, aber untereinander verständigten sie sich dadurch so gut, daß sämtliche Zimmernachbarn bis gegen vier Uhr morgens nicht einschlafen konnten. Das lange Beisammensitzen hatte aber einen wirklichen, sichtbaren Erfolg. Etwas wie ein Verein wurde gebildet; das heißt, er war eigentlich schon da, im Augenblick, [371] als die Absichten und Ziele der drei Künstler sich so verwandt erwiesen, daß man sie nur schwer von einander trennen konnte. Der erste gemeinsame Beschluß des ›Vereins‹ erfüllte sich sofort. Man zog drei Stunden weit ins Land und mietete gemeinsam einen Bauernhof. In der Stadt zu bleiben, hätte zunächst keinen Sinn gehabt. Erst wollte man sich draußen den ›Stil‹ erwerben, die gewisse persönliche Sicherheit, den Blick, die Hand und wie alle die Dinge heißen, ohne welche ein Maler zwar leben, aber nicht malen kann. – Zu allen diesen Tugenden sollte das Zusammenhalten helfen, der ›Verein‹ eben, – besonders aber das Ehrenmitglied dieses Vereins: die Natur. Unter ›Natur‹ stellen sich die Maler alles vor, was der liebe Gott selbst gemacht hat oder doch gemacht haben könnte, unter Umständen. Ein Zaun, ein Haus, ein Brunnen – alle diese Dinge sind ja meistens menschlichen Ursprungs. Aber wenn sie eine Zeit lang in der Landschaft stehen, so daß sie gewisse Eigenschaften von den Bäumen und Büschen und von ihrer anderen Umgebung angenommen haben, so gehen sie gleichsam in den Besitz Gottes über und damit auch in das Eigentum des Malers. Denn Gott und der Künstler haben dasselbe Vermögen und dieselbe Armut, je nachdem. – Nun an der Natur, welche um den gemeinsamen Bauernhof sich erstreckte, glaubte Gott gewiß keinen besonderen Reichtum zu besitzen. Es dauerte indessen nicht lang, so belehrten ihn die Maler eines Besseren. Die Gegend war flach, das ließ sich nicht leugnen. Aber durch die Tiefe ihrer Schatten und die [372] Höhe ihrer Lichter waren Abgründe und Gipfel vorhanden, zwischen denen eine Unzahl von Mitteltönen jenen Regionen weiter Wiesen und fruchtbarer Felder entsprach, die den materiellen Wert einer gebirgigen Gegend ausmachen. Es waren nur wenig Bäume vorhanden und fast alle von derselben Art, botanisch betrachtet. Durch die Gefühle indessen, welche sie ausdrückten, durch die Sehnsucht irgend eines Astes oder die sanfte Ehrfurcht des Stammes erschienen sie als eine große Anzahl individueller Wesen, und manche Weide war eine Persönlichkeit, die den Malern durch die Vielseitigkeit und Tiefe ihres Charakters Überraschung um Überraschung bereitete. Die Begeisterung war so groß, man fühlte sich so sehr eins in dieser Arbeit, daß es nichts bedeuten will, daß jeder der drei Maler nach Verlauf eines halben Jahres ein eigenes Haus bezog; das hatte gewiß rein räumliche Gründe. Aber etwas anderes wird man hier doch erwähnen müssen. Die Maler wollten irgendwie das einjährige Bestehen ihres Vereines, aus dem in so kurzer Zeit soviel Gutes gekommen war, feiern, und jeder entschloß sich zu diesem Zweck heimlich die Häuser der anderen zu malen. An dem bestimmten Tage kamen sie, jeder mit seinen Bildern, zusammen. Es traf sich, daß sie gerade von ihren jeweiligen Wohnungen, deren Lage, Zweckmäßigkeit usw. sich unterhielten. Sie ereiferten sich ziemlich stark, und es geschah, daß während des Gesprächs jeder seiner mitgebrachten Ölskizzen vergaß und spät nachts mit dem uneröffneten Paket zu Hause ankam. Wie das geschehen konnte, ist schwer [373] begreiflich. Aber sie zeigten sich auch in der nächsten Zeit ihre Bilder nicht, und wenn der eine den andern besuchte (was infolge vieler Arbeit immer seltener geschah), fand er auf der Staffelei des Freundes Skizzen aus jener ersten Zeit, da sie noch gemeinsam denselben Bauernhof bewohnten. Aber einmal entdeckte der Rechte (er wohnte jetzt auch zur Rechten, kann also weiter so heißen) bei dem, welchen ich den Jüngsten genannt habe, eines jener genannten, nicht verratenen Jubiläumsbilder. Er betrachtete es eine Weile nachdenklich, trat damit ans Licht und lachte plötzlich: ›Schau, das hab ich gar nicht gewußt, nicht ohne Glück hast du da mein Haus aufgefaßt. Eine wahrhaft geistreiche Karikatur. Mit diesen Übertreibungen in Form und Farbe, mit dieser kühnen Ausgestaltung meines allerdings etwas betonten Giebels, wirklich es liegt etwas darin.‹ Der Jüngste machte keines seiner vorteilhaftesten Gesichter, im Gegenteil; er ging zum Mittleren in seiner Bestürzung, um sich von ihm, dem Besonnensten, beruhigen zu lassen, denn er war nach Vorfällen solcher Art gleich kleinmütig und geneigt, an seiner Begabung zu zweifeln. Er traf den Mittleren nicht zu Haus und stöberte ein wenig im Atelier umher, wobei ihm gleich ein Bild in die Augen fiel, das ihn merkwürdig abstieß. Es war ein Haus, aber ein richtiger Narr mußte darin wohnen. Diese Fassade! Das konnte nur irgendeiner gebaut haben, der von Architektur keine Idee hatte und der seine armseligen, malerischen Ideen anwandte auf ein Gebäude. Plötzlich stellte der Jüngste das Bild fort, als ob es ihm die [374] Finger verbrannt hätte. An dem linken Rande desselben hatte er das Datum jenes ersten Jubiläums gelesen und daneben: ›Das Haus unseres Jüngsten.‹ Er wartete natürlich den Hausherrn nicht ab, sondern kehrte etwas verstimmt nach Hause zurück. Der Jüngste und der rechts waren seither vorsichtig geworden. Sie suchten sich entfernte Motive und dachten selbstverständlich nicht daran, für das Fest des zweijährigen Bestehens ihres so förderlichen Vereins etwas vorzubereiten. Um so eifriger arbeitete der ahnungslose Mittlere daran, ein Motiv, das der Wohnung des Rechten zunächst lag, zu malen. Etwas Unbestimmtes hielt ihn davon ab, dessen Haus selbst zum Vorwand seiner Arbeit zu wählen. – Als er dem Rechtswohnenden das fertige Bild überbrachte, verhielt sich dieser merkwürdig zurückhaltend, schaute es nur flüchtig an und bemerkte etwas Beiläufiges. Dann, nach einer Weile, sagte er: ›Ich habe übrigens gar nicht gewußt, daß du soweit verreist warst in der letzten Zeit?‹ ›Wieso, weit? Verreist?‹ Der Mittlere begriff nicht ein Wort. ›Nun – diese tüchtige Arbeit da,‹ erwiderte der andere, ›offenbar doch irgend ein holländisches Motiv –‹ Der besonnene Mittlere lachte laut auf. ›Köstlich, dieses holländische Motiv befindet sich vor deiner Türe.‹ Und er wollte sich gar nicht beruhigen. Aber der Vereinsgenosse lachte nicht, gar nicht. Er quälte sich ein Lächeln ab und meinte: ›Ein guter Witz.‹ ›Aber ganz und gar nicht, mach mal die Tür auf, ich will dir gleich zeigen –‹ und der Mittlere ging selbst auf die Türe zu. ›Halt,‹ befahl der Hausherr, ›und ich erkläre [375] dir somit, daß ich diese Gegend nie gesehen habe und auch nie sehen werde, weil sie für mein Auge überhaupt nicht existenzfähig ist.‹ ›Aber‹, machte der mittlere Maler erstaunt. ›Du bleibst dabei?‹ fuhr der Rechte gereizt fort, ›gut, ich reise heute noch ab. Du zwingst mich fortzugehen, denn ich wünsche nicht in dieser Gegend zu leben. Verstanden?‹ – Damit war die Freundschaft zu Ende, aber nicht der Verein; denn er ist bis heute nicht statutengemäß aufgelöst worden. Niemand hat daran gedacht, und man kann von ihm mit vollstem Rechte sagen, daß er sich über die ganze Erde verbreitet hat.«
»Man sieht,« unterbrach mich der bereitwillige junge Mann, der schon beständig die Lippen spitzte, »wieder einer jener kolossalen Erfolge des Vereinslebens; gewiß sind viele hervorragende Meister aus dieser innigen Verbindung hervorgegangen –«. »Erlauben Sie,« bat ich, und er stäubte mir unversehens den Ärmel ab, »das war eigentlich erst die Einleitung zu meiner Geschichte, obwohl sie komplizierter ist, als die Geschichte selbst. Also, ich sagte, daß der Verein sich über die ganze Erde verbreitet hatte, und dieses ist Tatsache. Seine drei Mitglieder flohen in wahrem Entsetzen von einander. Nirgends war ihnen Ruhe gewährt. Immer fürchtete jeder, der andere könnte noch ein Stück seines Landes erkennen und durch seine ruchlose Darstellung entweihen, und als sie schon an drei entgegengesetzten Punkten der irdischen Peripherie angelangt waren, kam jedem der trostlose Einfall, daß sein Himmel, der Himmel, den er mühsam durch seine wachsende [376] Eigenart erworben hatte, den anderen noch erreichbar sei. In diesem erschütternden Augenblick begannen sie, alle drei zugleich, mit ihren Staffeleien nach rückwärts zu gehen, und noch fünf Schritte und sie wären vom Rande der Erde in die Unendlichkeit gefallen und müßten jetzt in rasender Geschwindigkeit die doppelte Bewegung um diese und um die Sonne vollführen. Aber Gottes Teilnahme und Aufmerksamkeit verhütete dieses grausame Schicksal. Gott erkannte die Gefahr und trat im letzten Moment (was hätte er auch sonst tun sollen?) heraus, in die Mitte des Himmels. Die drei Maler erschraken. Sie stellten die Staffelei fest und setzten die Palette auf. Diese Gelegenheit durften sie sich nicht entgehen lassen. Der liebe Gott erscheint nicht alle Tage und auch nicht jedem. Und jeder der Maler meinte natürlich, Gott stünde nur vor ihm. Im übrigen vertieften sie sich immer mehr in die interessante Arbeit. Und jedesmal, wenn Gott wieder zurück in den Himmel will, bittet der heilige Lukas ihn, noch eine Weile draußen zu bleiben, bis die drei Maler mit ihren Bildern fertig sind.«
»Und die Herren haben diese Bilder ohne Zweifel schon ausgestellt, vielleicht gar verkauft?« fragte der Musiker in den sanftesten Tönen. »Wo denken Sie hin«, wehrte ich ab. »Sie malen immer noch an Gott und werden ihn wohl bis an ihr eigenes Ende malen. Sollten sie aber (was ich für ausgeschlossen halte) noch einmal im Leben zusammenkommen und sich die Bilder, die sie von Gott inzwischen gemalt haben, zeigen, [377] wer weiß: vielleicht würden diese Bilder sich kaum von einander unterscheiden.«
Da war auch schon der Bahnhof. Ich hatte noch fünf Minuten Zeit. Ich dankte dem jungen Mann für seine Begleitung und wünschte ihm alles Glück für den jungen Verein, den er so ausgezeichnet vertrat. Er tippte mit dem rechten Zeigefinger den Staub auf, der die Fensterbretter des kleinen Wartesaals zu bedrücken schien und war sehr in Gedanken. Ich muß gestehen, ich schmeichelte mir schon, meine kleine Geschichte hätte ihn so nachdenklich gestimmt. Als er mir zum Abschied einen roten Faden aus dem Handschuh zog, riet ich ihm aus Dankbarkeit: »Sie können zurück ja über die Felder gehen, dieser Weg ist bedeutend näher als die Straße.« »Verzeihen Sie,« verneigte sich der bereitwillige junge Mann, »ich werde doch wieder die Straße nehmen. Ich suche mich eben zu besinnen, wo das war. Während Sie die Güte hatten, mir einiges wirklich Bedeutende zu erzählen, glaubte ich eine Vogelscheuche im Acker zu bemerken, in einem alten Rock, und der eine, – mir scheint der linke Ärmel, war hängen geblieben an einem Pfahl, so daß er durchaus nicht wehte. Ich fühle nun gewissermaßen die Verpflichtung, meinen kleinen Tribut an den gemeinsamen Interessen der Menschheit, die mir auch als eine Art Verein erscheint, in welchem jeder etwas zu leisten hat, dadurch zu entrichten, daß ich diesen linken Ärmel seinem eigentlichen Sinne, nämlich: zu wehen, zurückgebe...« Der junge Mann entfernte sich mit dem liebenswürdigsten Lächeln. Ich aber hätte beinah meinen Zug versäumt.
[378] Bruchstücke dieser Geschichte wurden von dem jungen Manne an einem »Abende« des Vereines gesungen. Weiß Gott, wer ihm die Musik dazu erfunden hat. Herr Baum, der Fahnenvater, hat sie den Kindern mitgebracht, und die Kinder haben sich einige Melodien daraus gemerkt.