Ernstliche Betrachtung der unendlichen Ewigkeit

Dises kan gesungen werden auf die Melodei des Lides: Hertzlich thut mich verlangen nach einem seligen End.

1.
Ich wil für allen Dingen
Vergessen diser Zeit
Und Mir zur Warnung singen
Von jenner Ewigkeit.
Bald scheid' Ich zwahr von hinnen,
Das thut dem Fleische bang';
Ein grössers kränkt die Sinnen,
Das Ewig ist so lang'!
2.
Es ist kein Ding auf Erden,
Und wer es noch so gut,
Das nicht kan widrig werden,
Wen man es immer thut.
Die Ruh' erhält das Leben,
Doch wen man Nacht und Tag'
Ihr müste sein ergeben,
So würde Sie zur Plag'.
3.
Ach! wen wir solten fühlen
Den Brand und Zipperlein
In unsern Gliedern wühlen
Ein eintzigs Jahr allein,
Wie würden wir uns zauen,
Zu werden bald befreit:
Ei solt' uns den nicht grauen
Für jenner Ewigkeit?
4.
Lass Strikk und Räder kommen,
Lass Schwefel, Pech und Feür
Zusammen sein genommen,
Lass alles ungeheür
Uns hundert Jahre brennen,
Daß es ja schwehrlich thut,
Waß ist doch das zu nennen
Für jenner Höllengluht?
5.
O Mensch, wie magst du lauffen,
Kaum eines Stündleins Lust
Für solche Quahl zu kauffen,
Die dir zum theil bewust?
Die Pein wird abgemessen
Nicht etwan nach der Zeit:
Man kan der Zeit vergessen,
Nicht so der Ewigkeit.
6.
O Ewig, wie so lange!
O Ewig, wie so schwehr!
Wie thust Du Mir so trange,
Ja komst so plötzlich her!
Ein Augenblik im Leiden
Ist sonst ein gantzes Jahr:
Wie wird es dort den schneiden,
Wo nichts ist wandelbahr?
[245] 7.
Die Marter pflegt zu tauren
Nicht lang' in diser Welt.
Läst man uns gleich vermauren,
Ist doch der Tag bestelt,
An welchem uns befreiet
Der lang gewünschter Tod;
Nur Ewig, Ewig schreiet
Die grausahm' Höllennoht!
8.
Ja soltest Du noch leiden
Vielleicht so manches Jahr,
Als oft Du hast in Freüden
Gesündigt offenbahr,
Und solte Dich noch quählen
So manches Augenblik,
Als Sterne sind zu zehlen,
Du hättest grosses Glükk.
9.
Ach aber nein, die Plagen
Sind ohne Mahss' und Ziel,
Du must sie billig tragen,
Gott strafft ja nicht zu viel:
Der Richter läst dich schmekken
Ein Feür der Ewigkeit.
Wer wolte nicht erschrekken?
O Zeit ohn alle Zeit!
10.
Nach so viel tausend Jahren,
Als Körnlein Sandes sind,
Als Tröpflein in den Bahren,
Als Stäublein treibt der Wind,
Als Blätter auf den Bäumen,
Als in den Flüssen Stein',
Als Frücht und Samen keimen,
Wirds dennoch Ewig sein.
11.
So lang' ein Gott wird bleiben,
Der alles ja vermag,
So lange wird auch treiben
Der Sünder seine Klag'.
Es kan Ihn niemand retten
Noch bringen zu der Ruh':
Es nimt in Satans Ketten
Die Marter stündlich zu.
12.
Du darfst auch nicht gedenken:
Das Feür wird mit der Zeit
Nicht mehr so hefftig kränken
Den, der in Ewigkeit
Der HöllenQuahl sol fühlen;
Zeit minder' alle Ding.
Ach nein! hie folgt kein kühlen,
Und wer' es noch so ring'.
13.
Ich bitte dich von Hertzen,
O sichers Menschenkind:
Erwege dise Schmertzen
Und sei doch nicht so blind.
Fürwahr die Zeit wird kommen,
Daß du von diser Welt
Wirst plötzlich hingenommen,
Die Stund ist schon bestelt.
14.
Laß Dir sein angelegen,
Waß gegenwertig ist,
Noch mehr laß Dich bewegen
Das, waß in kurtzer Frist
Dir stossen wird zu handen:
Ist doch die schnelle Zeit
Kein Augenblik bestanden.
O ewig' Ewigkeit!

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TextGrid Repository (2012). Rist, Johann. Gedichte. Geistliche Lieder. Ernstliche Betrachtung der unendlichen Ewigkeit. Ernstliche Betrachtung der unendlichen Ewigkeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-99C4-C