[237] [239]Ernstliche Betrachtung der Gewißheit deß herannahenden Jüngsten Tages, und waß für ein Gericht daran sol geheget werden

Dises kan man singen auf die Melodei des Kirchengesanges: Wachet auff, jhr Christen alle, etc.

1.
Last ab von Sünden alle,
Last ab und zweifelt nicht,
Daß Christus wird mit Schalle
Bald kommen zum Gericht.
Sein Stuhl ist schon bereitet,
Der Herr komt offenbahr,
Er komt und wird begleitet
Von einer grossen Schaar.
2.
Erschrik, ô sichre Seele,
Diß ist der letste Tag.
Dein Leib komt auß der Höhle,
Darin Er schlaffend lag:
Da must du stehn entkleidet
Und hören an mit scheü,
Wie Christus selber scheidet
Den Weitzen von der Spreü.
3.
Wol Dir, so Du geschmükket
In wahrem Glauben bist,
Alßden wirst du gerükket
Hinauf zu Jesu Christ:
Weh' aber Dir von Hertzen,
Drükt Dich der Sünden Joch,
Der Satan wird mit Schmertzen
Dich stürtzen in sein Loch.
4.
Waß wird der Richter machen?
Der richtet nicht allein,
Er wird zu gleich in Sachen
Dein wahrer Zeüge sein.
Den wirst du sehr erschrekken,
Wen auf dem Urtheilsplan
Der Richter wird aufdekken,
Waß heimlich du gethan.
5.
Wie wilt du doch bestehen
Für seinem grossen Zorn,
Wen Er Dich lässet sehen
Die Wunden, Schläg und Dorn
Und waß Er mehr getragen,
O schnöder Knecht, für Dich.
Bald wird dich Christus fragen:
Warum, Mensch, schlugst Du Mich?
[239] 6.
Hab Ich nicht gern vergossen
Mein Bluht für deine Schuld?
Ward Ich nicht fest geschlossen?
Litt Ich nicht mit Geduld
Die nie verdiente Straffen
Und Marter Tag und Nacht,
Biß Ich, am Kreütz entschlaffen,
Hab' alles vollenbracht?
7.
Wie hast du nun vergolten
Mir, waß Ich dir gethan?
Oft hast du Mich gescholten,
Bist oft die Sündenbahn
Mit dem verfluchten Hauffen
Nur Mir zu Spott und Hohn
In Sicherheit gelauffen:
War das nicht feiner Lohn?
8.
Ach Gott, wie wird erschüttern
Alsden ein Sünden Kind!
Israel muste zittern,
Alß es den starken Wind,
Das Donnern und das Blitzen
Samt der Posaunen Schall'
Hört auf des Berges Spitzen,
Da schrie es überal.
9.
Wie wird der Sünder schreien,
Wan Ihn der Richter fragt,
Warum Er nicht mit treüen
Gethan, waß Ihm gesagt!
Wie wird Er können schauen
Ein solches Angesicht,
Das Ihm mit Angst und Grauen
Leib, Seel' und Geist zerbricht!
10.
Wer kan die Schand erreichen,
Die der erdulden mus,
Der durch den Tod gieng schleichen
Ins Grab ohn' alle Buhss'
Und sol hernachmals sehen
Viel Heilige mit Pracht
Bei Gott dem Richter stehen,
Der Ihm sein Urtheil macht?
11.
Die grossen Gottes Männer
Verfluchen den zu gleich
Den frechen Friedenstrenner,
Der Satans Kirch' und Reich
Gesuchet zuvermehren
Auß böser Lust allein
Und muß nun aller Ehren
Dafür entsetzet sein.
12.
O Himmel! Es erschallet
Der Sünder Klaggeschrei:
Ihr Berg und Hügel fallet
Und knirschet uns enzwey,
Bedekt uns für dem Pfule,
Dieweil zu diser frist
Das Lämlein auf dem Stuhle
So gahr ergrimmet ist.
13.
HERR, lehre Mich bedenken
Doch disen Jüngsten Tag,
Daß Ich zu Dir Mich lenken
Und Christlich leben mag;
Und wen Ich den sol stehen
Für deinem Angesicht,
So laß Mich frölich sehen
Dein klares Himmelslicht.

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TextGrid Repository (2012). Rist, Johann. Gedichte. Geistliche Lieder. Ernstliche Betrachtung. Ernstliche Betrachtung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9A26-A