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Rist, Johann
Gedichte
Geistliche Lieder
Hertzliches Verlangen
Hertzliches Verlangen
[191]
[193]
Hertzliches Verlangen
Nach dem himlischen Jerusalem und Erzehlung der grossen, unaußsprechlichen Herrligkeit desselben.
1.
O Gottes Stadt, O himmlisch Liecht,
O grosse Freüd' ohn' Ende,
Wenn schaw ich doch dein Angesicht,
Wenn küß' ich dir die Hände?
Wenn schmeck' ich deine grosse Güte?
O Lieb, es brennet mein Gemüte.
Ich lig' und seufftze mit Begier,
O allerschönste Braut, nach dir.
2.
Wie bist du doch so trefflich schön,
Weiß, zierlich, sonder Mackel!
Wie gläntzend bist du anzusehn,
Du Sions güldne Fackel!
Du edle Tochter unsers Fürsten,
Nach deiner Liebe muß ich dürsten.
Der König selbst hat grosse Freüd'
An deiner werthen Liebligkeit.
3.
Wie sieht dein Liebster? sag' es mir!
Er ist gantz außerlesen,
Wie Rosen sind die Wangen schier,
Wie Gold sein prächtigs Wesen.
Er ist der schönste Baum in Wäldern,
Er ist die beste Frucht in Feldern,
Er ist wie lauter Milch so schön:
So ist mein Liebster anzusehn.
4.
Da sitz' ich unter jhm' allein,
Den Schatten zu erwehlen;
Denn seine Frucht wird süsser seyn
Als Honig meiner Kehlen.
Da ich erst kam in seinen Orden,
Bin ich fast gar beweget worden,
Und als ich kaum vom Schlaff erwacht,
Da sucht' ich jhn die gantze Nacht.
5.
Nun küß' ich seiner Augen Liecht,
Nun hab' ich jhn berühret.
Ich halt' jhn' fäst', ich laß' jhn nicht,
Biß er mich schlaffen führet.
Denn wird er mir im FreüdenLeben
Sein' außerwehlte Brüste geben;
Denn wird er wunderbarer Weiß'
Erfüllen mich mit HimmelSpeiß'.
6.
Es wird kein Hunger plagen mich
Noch auch kein Durst mehr quälen.
O solt' ich nur erst hertzen dich
Und mich mit dir vermählen!
O solt' ich deine Pforten sehen
Und bald auff deinen Gassen gehen,
O solt' ich, du mein güldner Schein,
Nur erst in deiner Hütten seyn!
7.
Aus edlen Steinen sind gemacht
Dein' hocherbaute Mauren.
Von Perlen ist der Thore Pracht,
Die unverweßlich tauren.
Nur Gold bedecket deine Gassen,
Da täglich sich muß hören lassen
Ein Lobgesang, man singt allda
Das Freüdenreich' Allelujah.
8.
Da sind der schönen Häuser viel,
Gantz von Saphir erbawet.
Des Himmels Pracht hat da kein Ziel:
Wer nur die Dächer schawet,
Der findet lauter gülden Ziegel,
Ja gülden Schlösser, gülden Riegel;
Jedoch darff keiner gehn hinein,
Er muß denn unbeflecket seyn.
9.
O Sion, du gewündschte Stadt,
Du bist nicht außzugründen.
O Stadt, die lauter Wollust hat,
In dir ist nicht zu finden
Schmertz, Kranckheit, Unglück, Trauren, Zagen,
Nacht, Finsternis und andre Plagen.
Es endert sich nicht Tag noch Zeit,
In dir ist Freüd' und Ewigkeit.
[193]
10.
O Stadt, in dir bedarff man nicht
Der Sonnen güldne Stralen,
Des Monden Schein, der Sterne Liecht,
Den Himmel bund zu mahlen.
Dein Jesus wil die Sonne bleiben,
Die alles tunckle kan vertreiben,
Nur jhn zu schawen offenbahr,
Ist deine Klarheit gantz und gar.
11.
Da steht der König aller Welt
Gantz prächtig in der mitten,
Da wil er dich, der tapffer Held,
Mit Freüden überschütten.
Da hör' ich seine Diener singen
Und jhrer Lippen Opffer bringen.
Da rühmet jhres Königs Krafft
Des Himmels gantze Bürgerschafft.
12.
Da ist das frölich' HochzeitFest,
Wo die zusammen kommen,
Die Gott aus Krieg', Angst, Hunger, Pest
Hat in sein Reich genommen;
Da sind sie frey von allen Nöthen,
Da reden sie mit den Propheten,
Da wohnet der Aposteln Zahl
Und denn die Märtrer allzumal.
13.
Auff dieser Hochzeit finden sich,
Die Gott bekennet haben
Und von den Heyden jämmerlich
Getödtet, nicht begraben.
Da freüen sich die keusche Frauen,
Da lassen sich die Töchter schauen,
Die hie jhr Leben Tag und Nacht
In Zucht und Tugend zugebracht.
14.
Da sind die Schäflein, die der Lust
Der schnöden Welt entrunnen,
Die saugen jetzt an Gottes Brust,
Sie trinken aus dem Brunnen,
Der lauter Freüd' und Wollust giebet.
Da liebet man und wird geliebet;
Die Herrligkeit ist zwar nicht gleich,
Doch lebt man gleich an Freüden reich.
15.
Die höchste Lust ist, unsern Gott
In Ewigkeit zu sehen
Und für dem grossen Zebaoth
Bey Königen zu stehen,
Ja in der Himmels-Liebe brennen,
Dazu die besten Freunde kennen,
Mit allen Engeln freüen sich
Und frölich singen ewiglich.
16.
O Gott, wie selig werd' ich seyn,
Wenn ich aus diesem Leben
Zu dir spring' in dein Reich hinein,
Das du mir hast gegeben.
Ach HERR, wenn wird der Tag doch kommen,
Daß ich zu dir werd' auffgenommen!
Ach Herr, wenn kommt die Stund' heran,
Daß ich in Zion jauchtzen kan!
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TextGrid Repository (2012). Rist, Johann. Gedichte. Geistliche Lieder. Hertzliches Verlangen. Hertzliches Verlangen. Digitale Bibliothek. TextGrid.
https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9B18-2