[62] Modern

Ein Urweltsmondkalb, ein Ichthyosaurus,
Ein Ungeheu'r vom Stamme der Fossilien,
Und wäre das Skelet des Minotaurus
Zu finden, oder andrer Mischfamilien
Entschlaf'ne Vettern, etwa ein Centaurus,
Auch wohl die Haut herkulischer Reptilien:
Das Alles wird und würde Modesache
Für Freund' und Gönner vom Gelehrtenfache.
Giebt's in der Wissenschaft gelehrte Moden,
So bringt in unermüdlichem Erneuen
Sie Jahr und Tag auf all und jedem Boden.
An stetem Wechsel will die Welt sich freuen,
Und eilt, das Aeltre nur hinwegzuroden,
Um Allerältestes zu wiederkäuen.
Was fremd erscheint in günst'ger Zeitenstunde,
Macht auf der Neugier Straßen schnell die Runde.
Was alles ausersehn zum Modemachen,
Und wie das Modemachen gar gemacht wird,
O lustig Schauspiel! Oft zuerst mit Lachen
Empfängt man, was Gemeingut über Nacht wird,
Bis plötzlich es, nach kurzem Glanz und Prachen
Geworfen in des Trödels tiefsten Schacht wird.
Auch auf des Ruhmes Bahn die Tageswunder
Man hebt, verwöhnt sie, wirft sie weg als Plunder.
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Es ist das Loos des Künstlers auch und Dichters,
Des besten oft. Er theilt das Gunstempfangen
Mit jedem Troßknecht seichtesten Gelichters,
Der schnell zur Hand für jegliches Verlangen,
Und keck verlacht den Spruch des ernsten Richters.
Der Beste, dem sie heut noch Hymnen sangen,
Hört morgen jauchzen die entzückten Horden,
Ein Popanz ist ihr Liebling schnell geworden.
Das nie Veraltende war selten modisch.
Wenn auch begrüßt von Vielen, und verstanden,
Geht's durch die Welt doch einsam, episodisch,
Wo Wirrwarr sich und Ungeschmack verbanden.
Es lautet nur dem engsten Kreis melodisch,
Ein Klang, in dem die Besten nur sich fanden.
Die Welt verlangt Trompeten, Paukendröhnen,
Um gläubig zu genießen und zu krönen.
Was niemals Mode war, das Schöne, Gute,
Ging ruhig wachsend doch durch alle Zeiten,
Indeß im Mummenschanz der Weltminute,
Die flücht'gen Bildungen vorüber gleiten,
Und schwinden nach gebüßtem Uebermuthe.
Was unzerstörbar lebt für Ewigkeiten,
Erscheint, wie wenn nach bunten Flackerfeuern
Sich Sterne rein und groß dem Blick erneuern.

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TextGrid Repository (2012). Roquette, Otto. Gedichte. Gedichte. Aus der Werkstatt. Modern. Modern. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9D5F-5