[317] 2.
Die Seele soll am Boden schweben, wie lange noch?
Und soll sich nicht ins Licht erheben, wie lange noch?
Dem Strahl des Lichtes, der vom Himmel zur Erde kommt,
Ist hier der Schatten beigegeben, wie lange noch?
Die Sterne winken, doch du lässest, o Schmetterling,
Den Flug um Sinnenblumen schweben, wie lange noch?
Die Sonne strahlet, doch du lässest, o Nachtigall,
Dich Rosenschlummerduft umweben, wie lange noch?
Die Blume, die in Düften steigen zum Himmel will,
Sie fühlt sich fest an Wurzeln kleben, wie lange noch?
Der Frühling, der die Welt will schmelzen in Blumenglut,
Muß vor dem starren Winter beben, wie lange noch?
Und scheitern muß des ew'gen Lichtes Vernichtungskampf
An dunkler Stoffe Widerstreben, wie lange noch?
Wie lange willst du deiner Schranken, beschränkter Geist,
Ohnmächt'gen Drangs dich überheben, wie lange noch?
Sich senkt vor dir der Vorhang tiefer, jemehr du hebst,
Doch immer suchst du ihn zu heben, wie lange noch?
Es wächst die Zahl der Meereswogen, indem du zählst,
Doch immer zählen mußt du eben, wie lange noch?
O komm aus deinen Höh'n herunter! Es rufet hier
Dein Liebchen und das Blut der Reben: wie lange noch?
Sie rufen: »Gib dich uns gefangen und werde frei!
Genieß und frage nicht das Leben: wie lange noch?«