[238] Die alternde Magd

Aus des Dorfes weitem, stillem Platze –
Sonntag ist es und die Arbeit ruht –
Gehen plaudernd, Arm in Arm geschlungen,
Mägde auf und ab in vollem Staat.
Weithin rauschen die gesteiften Röcke,
Hörbar knarrt der ungewohnte Schuh;
Fröhlich wiegen sich die prallen Leiber
Schon im Vorgefühl der Tanzmusik.
Schönheit ist es nicht, doch Kraft und Jugend,
Was sie harmlos tragen hier zur Schau,
Und in hellster Lebensfreude strahlen
Ihre derben Wangen, roth und rund.
Eine doch, im Antlitz fahl'ren Schimmer,
Hält sich abseits in des Hauses Flur;
Dünn ist ihres Haares braune Flechte,
Fältchen spielen schon um Aug' und Mund.
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Leicht geschmückt mit einem bunten Tuche,
Einte sie sich gern der jüng'ren Schaar;
Doch sie wird von Schaam zurückgehalten,
Denn sie fühlt es, ihre Zeit ist um.
Dennoch scheint sie eines Winks zu harren,
Eines Wortes, das herbei sie ruft –
Von den Andern aber merkt es keine,
Wie ihr Blick in scheuer Sehnsucht brennt.
Horch! Da tönen Geigen, Clarinetten –
Rasch hinüber nach des Wirthes Saal!
Dort, erwartungsvoll, die Pfeif' im Munde,
Steh'n die Bursche schon zur Wahl bereit ...
Sie allein ist still zurückgeblieben;
Auf die öde Schwelle tritt sie jetzt,
Lauscht gedankenvoll den hellen Klängen
Und des Tanzes wuchtig frohem Lärm.
Endlich geht sie, langsam ab sich wendend;
Niedersitzt sie an des Herdes Rand,
Und hinab zum kalten Stein des Estrichs
Rollen ihre Thränen heiß und stumm.

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TextGrid Repository (2012). Saar, Ferdinand von. Gedichte. Gedichte. Drittes Buch. Bilder und Gestalten. Die alternde Magd. Die alternde Magd. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AE0D-E