Das menschlich leben figuriert

In der blüweis Mich. Lorenz.


22. januar 1542.

1.
Im buch der weisen ich gelesen hab,
wie in eim walde
[129]
ein man gieng, den ein leb ersach
und loff im grimiklichen nach;
der man floch und zu einem brunnen kam,
darein stieg er auf einen runt walzenden stein,
Hielt sich an zwei reislein; und sich begab,
das kamen balde
vier grausamlicher wilder tier,
die wolten in verschlicken schier
mit geduckteren haubtren gar forchtsam.
als nun der man stunt in solicher forcht und pein,
Sach er zu stunt unten im grunt
ein drachen, der aufspert sein schlunt,
in zu verschlinden, wan er fiel hinab;
auch sach der alde
zwo meus, eine schwarz, eine weiß,
die im abnugen die zwei reis
daran er hieng; sein sorg und angst die war nit klein.
2.
In dem sach er fließen aus eim stein breit
hönigsam kleine,
daran lecket er und vergaß
der großen angst, darin er was,
bis er hinab tet entlich einen fal
dem drachen in sein rachen und verdarb darin.
Den menschen ich vergleich dem manne; weit
den jagt alleine
der leb, sein eigen bös begirt,
aus dem walde, der tugent zirt,
zu der welt, die bedeut des brunnen qual;
darein leßt sich der mensch mit herzen, mut und sin,
Helt sich mit fleiß an die zwei reis
seins lebens, das die schwarz und weiß
maus abnaget, deut tag und nacht, die zeit;
der walzent steine,
darauf er stet, bedeut das glück,
das wankel ist, unstet und flück,
wen es aufhebt, den stürzt es plözlich unterhin.
[130] 3.
So werden bedeut die vier element
durch die vier tiere,
durch die der mensch ist zamgesetzt,
nemen sein leben im zuletzt.
die hel bedeutet uns der ginent drach,
die sel zu verschlinden, die offen stet almal.
Der hönigseim wirt uns alhie benent
reichtum und ziere,
gwalt, er und wolust; darnach strebt
der mensch, weil er auf erden lebt
und denkt seiner geferlikeit nit nach,
die in doch hat umfangen genzlich überal,
Bis entlich got in durch den tot
leßt fallen in die letzten not.
so ganz und gar ist der mensch hie verblent
durch sein begiere;
wo got nicht durch sein milte güt
im lenket sel, herz und gemüt
zu reu und buß, so tet er ein ewigen fal.

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TextGrid Repository (2012). Sachs, Hans. Gedichte. Geistliche und weltliche Lieder. Das menschlich leben figuriert. Das menschlich leben figuriert. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B167-5