[91] Ein epitaphium oder klagred ob der leich doctor Martini Lutheri

Als man zelt fünfzehnhundert jar
und sechs und vierzig, gleich als war
der sibenzehent im hornung,
schwermütigkeit mein herz durchdrung,
und west doch selb nicht, was mir was.
gleich traurig auf mir selber sas,
legt mich in den gedanken tief
und gleich in unmut groß entschlief.
mich daucht, ich wer in einem tempel,
erbaut nach sechsischem exempel,
der war mit kerzen hell beleucht,
mit edlem reuchwerk wol durchreucht;
mitten da stunt bedecket gar
mit schwarzem tuch ein totenbar.
ob diser bar da hieng ein schilt,
darin ein rosen war gebilt;
mitten dardurch so gieng ein kreuz.
ich dacht mir: ach got, was bedeuz?
erseufzet darob traurikleich,
gedacht: wie, wenn die totenleich
doctor Martinus Luther wer?
in dem trat aus dem chor daher
ein weib in schneweißem gewant,
Theologia hoch genant,
die stunt hin zu der totenbar,
sie want ir hent und rauft ir har,
gar kleglich mit weinen durchbrach,
mit seufzen sie anfieng und sprach:
ach, das es müß erbarmen got,
ligst du denn iezt hie und bist tot,
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o du treuer und küner helt,
von got, dem herren, selb erwelt,
für mich so ritterlich zu kempfen,
mit gottes wort mein feint zu dempfen,
mit disputieren, schreibn und predigen,
darmit du mich denn tetst erledigen
aus großer trübsal und gezwengnus
meiner babylonischen gfengnus,
darin ich lag so lange zeit,
kam schier in die vergeßenheit,
von mein feinden in herzenleit,
von den mir mein schneweißes kleit
vermeiligt wurt, schwarz und besudelt,
zerrißen und scheuzlich zerhudelt,
die mich auch hin und wider zogen,
zerkrüppelten, krümten und bogen?
ich wurt geradbrecht, zwickt und zwakt,
verwundt, gemartert und geplagt
durch ir gotlose menschenler,
das man mich kaum kunt kennen mer.
ich galt entlich gar nichts bei in,
biß ich durch dich erledigt bin,
du teurer helt aus gottes gnaden,
da du mich waschen tetst und baden
und mir wider reinigst mein wat
von iren lügen und unflat.
mich tetst du auch heilen und salben,
das ich gesunt ste, allenthalben
ganz hell und rein wie im anfang;
darin hast dich bemüet lang,
mit schwerer arbeit hart geplagt,
dein leben oft darob gewagt,
weil bapst, bischof, könig und fürsten
gar ser nach deinem blut was dürsten,
dir hindertückisch nachgestelt.
noch bist du als ein gotteshelt
bliben warhaft, treu und bestendig,
durch kein gefar worden abwendig
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von wegen gottes und auch mein.
wer wirt nun mein verfechter sein,
weil du genommen hast dein ent?
wie wird ich werden so ellent,
verlaßen in der feinde mit?
ich sprach zu ir: o, fürcht dir nit,
du heilige, sei wolgemut,
got hat dich selbs in seiner hut,
der dir hat überflüßig geben
vil trefflich menner, so noch leben;
die werden dich hanthaben fein
samt der ganz christlichen gemein,
der du bist worden klar bekant
schier durchaus in ganz teutschem lant.
die all werden dich nit verlaßen,
dich rein behalten aller maßen
on menschen ler, wie du iezt bist.
darwider hilft kein gwalt noch list;
dich sollen die pforten der hellen
nicht überweltigen noch fellen,
darumb so laß dein trauren sein,
das doctor Martinus allein
als ein überwinder und sieger,
ein recht apostolischer krieger,
der seinen kampf hie hat verbracht
und brochen deiner feinde macht
und iezt aus aller angst und not
durch den milt barmherzigen got
gefordert zu ewiger ru.
da helf uns Christus allen zu,
da ewig freud uns auferwachs
nach dem ellent, das wünscht Hans Sachs.

Anno salutis 1546, am 22. tag Martij.


Notes
Entstanden 1546. Erstdruck in: Gedichte, Buch 1, Teil 1.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Sachs, Hans. Ein epitaphium. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B19B-F