[186] Der wunderliche traum von meiner abgeschiden lieben gemahel, Künegund Sechsin

Als man nach Christi geburt war
zelen fünfzehenhundert jar
und neunzehen, fürwar ich sag,
eben an sanct Egidi tag
wart mir zu einer gmahel geben
junkfrau Küngunt Kreuzerin eben,
die einig tochtr und erb allein
Peter Kreuzers zu Wendelstein
am berg, der vor sibenzehn jarn
samt seinr gmahel verschiden warn,
den got genad in ewigkeit!
am neunten tag het ich hochzeit,
von der mir in zwelf jarn sint worn
zwen sün und fünf töchter geborn,
welch alle sint mit tot verschiden
und bei got ewig sint zu friden.
doch von meinr ersten tochter eben,
hab ich vier enenklein im leben.
nun dise mein gmahel fürwar
het ich fast einundvierzig jar
ganz lieb und treu, ganz erenwert;
wolt got, das ich sie solt auf ert
gehabt haben biß an mein ent!
got aber selb hat das gewent.
als man nach Christi geburt war
zeln fünfzehnhundert sechzig jar,
da begab sich, leider ich sag,
an unser fraun verkündung tag,
war der fünfundzweinzgst tag des Merzen,
tet sie in einer seiten schmerzen
ein wetag und darnach im herzen;
aber in solcher wetag schmerzen
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heim suchten wir der erzte rat,
doch folgte nit der gsuntheit tat;
derhalb wart sie vor irem ent
versehen mit dem sacrament.
der schmerz nam lenger herter zu,
stunt oft auf und het nirgent ru;
iezt wolt sie dort, iezunt da ligen.
die krankheit tet ir angesigen,
und in der dritten nacht verschit,
der sel geb got dort ewig frit.
nach dem wart auch nach zweien tagen
der leib dahin gen kirchen tragen
mit dem teutschen psalmen gesang.
ach got, erst wart meim herzen bang,
weil ich mein gmahel nicht mer het.
wo ich ansach dieselben stet,
daran sie war gstanden und gseßen,
o, so tet sich mein herz denn freßen,
dergleich wo ich ir kleider sach,
wurt ich geleich von herzen schwach,
das ich mein gmahel auserkorn
so schwind und gehling het verlorn,
der ich erst gar notdürftig war,
weil ich ins sechsundsechzigst jar
gieng, sie nur achtundfünfzig was
erst alt, derhalb ich übermaß
war im herzen bekümmert hoch.
oft daucht mich auch, sie lebet noch,
etwan bei iren freundin wer,
in iren gscheften hin und her.
wenn ich mich denn bedacht, das sie
gestorben wer und nicht mer hie,
so wurt mein herzenleit mir neu,
wan ich mich zu ir alle treu
versach für all menschen auf ert,
besorgt mich von ir keinr gefert,
recht lieb und treu ich von anfang
bei ir erfunt ir leben lang.
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sie war ganz heuslich frü und spat,
zog all ding rechter zeit zu rat,
doch etwan heftig war mit worten
bei dem gesint, das an vil orten
farleßig war, nit arbeitsam,
in summa, all ir ding das kam
dem ganzen haushalten zu gut;
derhalb mein herz war in unmut,
weil ich die treuen nit mer het,
mein herz oft nach ir seufzen tet,
tag unde nacht ich ir nachdacht.
nun begab sich in einer nacht,
das ich in den gedanken tief
meinr verschiden gmahel entschlief;
da daucht mich, ich säch aller ding,
wie zu mir in die kamer gieng
mein liebe gmahel zu mir her,
in weiß, ganz züchtiger geber;
von der mein herz erfreuet wur,
und gehling in dem bet auffur
und wolt sie mit eim kus umbfahen;
als ich ir aber wolte nahen,
wich sie von mir gleich einem schaten
und sprach zu mir nach disen taten:
mein Hans, das mag nit mer gesein,
ich bin nit mer wie vorhin dein.
da fiel mir erst ein gwis und klar,
das sie mit tot verschiden war,
derhalb mich gleich ein forcht durchschlich,
iedoch ir treu die tröstet mich,
gedacht, ir geist ist kommen her,
zu trösten mich in meiner schwer,
und tet mich ir zukunft erfreuen.
all mein unmut tet sie zerstreuen,
und sprach: o du seliger geist,
vergangner zeit du noch wol weist;
als dein leib lag in krankheit schwer,
tröst ich dich, sagt, wie Christus wer
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für aller menschen sünt gestorben,
bei got genad und hult erworben
umbsonst, aus lautr barmherzigkeit,
auf disen heilant in der zeit
soltst du dich herziglich verlaßen;
hoff, du habst das tun aller maßen.
der geist mir antwort an dem ort:
ich hab auf das gwis gotteswort
in rechtem glauben und vertrauen
tun von grunt meines herzen bauen;
darin bin ich auch abgeschiden
vom leib und bin auch wol zu friden
und bin schon in ewiger ru,
kein zweifel setzet mir mer zu,
leb nun in höchster sicherheit
und wart ewiger seligkeit
in frolockung mit senen groß
mit Lazaro in Abrams schoß,
mit gewisser, starker hoffnung
auf die lezten aufersteung,
das sel und leib den widerumb
clarificiert zusamen kum,
da an uns genzlich wirt erstat,
was Christus uns verheißen hat.
mich daucht, ich fragt in wunder groß:
sag mir, wo ist Abrahams schoß?
und was die selen darin tun,
was sie haben für freud und wun
biß auf den lezten jüngsten tag.
antwort der geist: o, auf dein frag
so kan ich dir kein antwort geben,
wan kein mensch in dem zeitling leben
mit nichte die ding kan verston,
noch weniger reden darvon,
was got mit sein seligen tu,
welche sint in ewiger ru;
sie berürt mer kein leiblichkeit,
sint ganz aus aller stat und zeit,
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in got als auserwelte geist
in himlischer freud allermeist,
darin in dann ist ewig wol.
nit weiter ein mensch denken sol,
biß das er nach seim zeitlichn tot
auch dahin kommen wirt durch got
aus gnaden zu ewiger ru;
auf sollichs solt auch warten du,
wan es wirt dir das ende dein
fort auch nit lang ausstendig sein;
dann wirst mit geistlichn augen sehen
ding, die ich dir nit kan verjehen,
die kein aug hat gesehen vor
und auch gehöret hat kein or,
und ist in keins menschen herz kommen,
was den gotseligen und frommen
got hat dort ewiglich bereit
für wonne, freud und seligkeit
in dem der geist von mir verschwant.
da auferwachet ich zu hant,
groß forcht und freud mich da bestan;
ich lag und disem traum nachsan
in freud und herzlich großem wunder
und gedacht mir heimlich besunder
an meister Lienhart Nunnenbecken,
mein lermeister, der mich tet schrecken
vor jaren mit dergleichen traum
nach seinem tot, des ich auch kaum
mein leben lang vergeßen mag.
da ich eins nachts auch schlief vor tag,
wie ich in bat in traums gesicht,
das er mir geb klaren bericht,
wie es zugieng in jenem leben,
tet er mir gleiche antwort geben:
das du mich fragst, leßt sich nit reden,
noch aussprechen zwischen uns beden,
biß du einmal komst selb dorthin
aus gnaden, dann wirst du erst in,
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was got sein auserwelten geit
nach dem ellent in ewigkeit.
nach dem auch derselb geist verschwunt;
ich erwacht auch, und manich stunt
seit her demselben traum nachsan;
denk gwis, das kein mensch wißen kan
in disem zergenglichen leben,
was got dort ewiglich wirt geben
den auserwelten in seim reich,
wie denn Christus selb saget gleich;
drumb soll wir sein wort herzlich glauben,
der hoffnung uns nit laßen rauben
solch fürwitzig leiblich gedanken,
got vertrauen on alles wanken.
derselb wirt uns nach disem leben
durch unsern heilant Christum geben
aus gnad das himlisch vatterlant.
dahin helf uns got allesant,
da uns ewig freud auferwachs
nach seinem wort, das wünscht Hans Sachs.

Anno salutis 1560., am 19. tag Julij.

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TextGrid Repository (2012). Sachs, Hans. Gedichte. Spruchgedichte (Auswahl). Der wunderliche traum. Der wunderliche traum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B27F-7