[360] Grüß mir den Strand, o Freund!

Grüß mir den Strand, o Freund – du sahst ihn wieder –
Den ernsten Zeugen meiner frühsten Lieder,
Wo ich den ersten Jugendtraum geträumt;
Den hoch umrauschten Strand, den klippenvollen,
Um den, wenn sturmgepeitscht die Wogen rollen,
Die wilde Nordsee wallt und schäumt.
Oed' ist die Küste, ohne Wald und Grüne;
Nur düstre Tannen wachsen auf der Düne;
Im Winde schwankt das dürre Farrenkraut,
Und hie und da aus einzler Föhren Mitte
Erhebt sich einsam eine Fischerhütte,
Die auf die Brandung niederschaut.
Und an dem Strande ragt mit morschen Zinnen
Ein Schloß, um das die Sturmverkünderinnen,
Die Möven, kreisen im gezackten Flug –
Einst, o wie oft blickt' ich aus seinem Turme
Aufs Meer hinab, das im Dezembersturme
Zum Riff empor die Wogen schlug!
Und auf der Fluten ewig regem Tosen
Glitt mir der Blick, bis wo im Grenzenlosen
Der Himmel mit dem Wellenspiel verschmolz;
O, also noch in unermeßne Weiten
Sah ich das Leben sich vor mir verbreiten
In meiner Jugend erstem Stolz.
Mein Geist durchflog die uferlosen Räume;
Auf jener Brandung wogten meine Träume;
In jeder Welle, die sich schäumend brach,
Klang mir ein Wort, das mir von hohen Dingen,
[361]
Von großen Thaten, künftig zu vollbringen,
Mit mahnender Verheißung sprach.
Die Wolken brachten in den grauen Falten
Mir Wunderbilder mit und Traumgestalten,
Und jedes Schiff, das fern am Himmelsrand
Aufstieg, vom Duft der Ferne noch umnachtet,
War mir mit einem Schatz befrachtet
Aus einem fernen Zauberland.
Wie oft auf meinem sturmgewohnten Kahne
Fuhr ich hinaus, umwirbelt vom Orkane,
Wenn übers Meer der Nord die Geißel schwang
Und bald mich auf empörter Wellen Nacken
Entgegenschleuderte den Klippenzacken,
Bald abwärts in die Tiefe schlang.
Meer, heil'ges Meer! In deinem Wetterbrausen
Hört' ich die Donnerworte Gottes sausen,
Ich sah die Blitze seiner Herrlichkeit;
Den mächt'gen Puls des Weltalls fühlt' ich klopfen;
Unendlichkeit warst du; wie Wassertropfen
Zerrannen in dich Raum und Zeit!
Und staunend blickt' ich in die Wunderfülle;
Mein Ich verstummte; nur der Flut Gebrülle
Scholl über mir und Gottes Stimme nur;
Den Strom des ew'gen Seins glaubt' ich zu trinken
Und, mich mit ihm vereinend, hinzusinken
Ans große Weltherz der Natur.
O hättest du mich da hinabgeschlungen,
Gewaltiges! Aus deinen Dämmerungen
Tief unten blühte mir das Morgenrot –
Wer nach dem Ew'gen dürstet, o! der suche
[362]
Im Grab Erlösung von dem alten Fluche;
Denn Leben ist allein im Tod.
Mich aber riß die Welt in ihr Gewühle;
Sie trat der Jugend heilige Gefühle
Und meine Träume höhnend in den Staub;
Dem Blitzstrahl gleich hat mich ihr Fluch getroffen,
Und Blatt an Blatt und Hoffen neben Hoffen
Sank meines Daseins welkes Laub.
Doch immer starrt mir aus der Lebenswüste
Der Blick zurück nach jener fernen Küste,
Und wie, geängstigt von dem Hifthornklang,
Hin durchs Gebirg die Hindin schweift, die wunde,
Irrt oft mein Geist in mitternächt'ger Stunde
Noch jenen Klippenstrand entlang.

Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Grüß mir den Strand, o Freund!. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B5E9-5