Nachruf

Lässest du allein mich so,
Der ich manchen Abend froh
Hier mit dir gesessen?
Deiner längst zum Zwiegespräch
Harr' ich; und hierher den Weg
Hast du nun vergessen?
Unten rauscht wie sonst der Rhein;
In dem Glase blinkt der Wein,
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Daß mein Karl ihn trinke;
Und ich lausch' und lausche bang,
Ob ich höre seinen Gang,
Ob sich regt die Klinke.
O die Zeit, wie froh sie war,
Als so wie ein Blütenpaar,
Einem Zweig entsprossen,
Hier des Lebens süßem Mai,
Knospend, duftend unsre zwei
Seelen sich erschlossen.
Hier im schönen Seelenrausch
Bei der Reden Wechseltausch
Ihn zum Freund gewann ich;
Jedes Wort, das ihm entquoll,
Schien mir tiefer Weisheit voll,
Lang darüber sann ich.
Eh mit erstem Schein der Tag
Durch das Rebengitter brach,
Kam er, mich zu wecken,
Und bei Lerchen-Morgensang
Schritten wir den Rhein entlang
Durch die Weißdornhecken,
Sahen über Wiesengrün
Fernhin alte Burgen glühn
Auf den Felsenspitzen,
Und die Thäler, feucht von Tau,
Nach und nach durchs Dämmergrau
Hell im Frühlicht blitzen.
Dann, wenn in des Lernens Drang
Einer mit dem andern rang
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Um den Sieg im Wissen,
Stets von ihm mir, ob ich heiß
Auch geworben um den Preis,
Sah ich ihn entrissen.
Ihm mit Staunen blickt' ich nach;
Doch, wenn mir die Kraft gebrach,
Um ihm nachzuringen,
Dacht' ich bang: Genug! genug!
Brechen müssen bei dem Flug
Endlich seine Schwingen.
Und es kam, wie ich gedacht;
Um sein frühes Grab bei Nacht
Flattert die Phaläne;
Wo so oft er bei mir saß,
Bleib' ich einsam, und ins Glas
Rieselt eine Thräne.

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TextGrid Repository (2012). Schack, Adolf Friedrich von. Gedichte. Lotosblätter. 1. Vermischte Gedichte. Nachruf. Nachruf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B886-B