73. Der Erdpfuhl bei Lüthorst.

1.

An der Stelle des jetzigen Erdpfuhls (Erpauls) bei Lüthorst hat früher ein gräfliches Schloß gestanden. Der Graf hatte sich [52] in ein schönes Mädchen aus einem benachbarten Dorfe verliebt und sie verführt, indem er ihr versprochen hatte sie zu heirathen. Später verlobte er sich mit einer Standesgenossin und wollte das Mädchen mit Geld abfinden, was diese jedoch nicht annahm. Als nun am Hochzeitstag der Brautzug in die Kirche gekommen war, und das Brautpaar vor den Altar treten wollte, da sahen sie die frühere Geliebte des Grafen quer vor dem Altare stehen. Der Graf war Anfangs erschrocken, faßte sich aber bald, erklärte das Mädchen für wahnsinnig und befahl sie aus der Kirche heraus zu schleppen. Das Mädchen, welches bis dahin bleich, unbeweglich und sprachlos dagestanden hatte, schien jetzt mit einem Male wie aus einem Traume zu erwachen und sagte: »wenn auch der irdische Richter dich nicht bestraft, so wird doch der himmlische Vater über dich Recht sprechen.« Mit diesen Worten stürzte sie todt nieder. Gottes Gericht aber trat auf der Stelle ein. Die Erde erdröhnte und spaltete sich zu einem weiten und tiefen Schlunde, worin das Schloß mit allen seinen Bewohnern versank. – Der Schlund ist der Erdpfuhl; er gilt für unergründlich, und das Volk trägt Scheu sich ihm zu nähern.

2.

Auf dem Erpaulskampe pflügte ein Bauer am Vormittage eines Sonnabends. Er hatte ein Paar magere und schwache Pferde, und so sehr er diese auch mishandelte, so ging doch die Arbeit nicht schnell von Statten. Als es 1 Uhr Mittags geworden war und es schon läutete, hatte er sein Stück noch nicht umgepflügt, und die Pferde wollten nicht mehr von der Stelle gehn. Da schilt der Bauer, wüthet (wütenîrt) und spricht: das Stück solle herum, und wenn es der Teufel herumbringe. Als er aufblickt, sieht er unten auf dem Grase ein wohlgenährtes schwarzes Pferd gehn. Da spricht er zu dem Jungen, den er als Treiber bei sich hatte, er solle hingehn und das schwarze Pferd einspannen. Dieses kommt ihm schon entgegen und läßt sich willig statt der beiden abgetriebenen Pferde, die ausgespannt wurden, vor den Pflug spannen. Das Pferd zieht mit furchtbarer Gewalt, und bald ist der Acker umgepflügt. Kaum ist dieß vollbracht, so geht das Pferd mit dem Pfluge und dem Bauern, »der nicht vom Pferde kommen kann«, durch eine Hecke und in den Erdpfuhl hinein. Der Junge aber, vor dessen Augen dieß geschehen war, ist nach Lüthorst gegangen und hat davon Meldung gethan. Der Bauer und der Pflug sind nie wieder gesehen.

[53] Andere erzählen die Geschichte so:

Ein Bauer aus Lüthorst pflügt mit einem ganz abgetriebenen Pferde in der Nähe des Erdpfuhls. Als die Betglocke vom nahen Dorfe herüberschallt, bleibt das Pferd von selbst stehen. Der Bauer aber spottet und fragt das Pferd: »machst du Miene zu beten? wir beten nicht, das bringt kein Brot.« Damit peitscht er das Pferd von Neuem an und hört nicht eher auf, als bis es todt niederstürzt. Da flucht er: »ich wollte, daß der Teufel käme!« Alsbald steigt ein schwarzes Roß aus dem Boden; willig läßt es sich von ihm vor den Pflug spannen, und er will nun weiter pflügen. Da verdunkelt sich mit einem Male die Luft und es fängt an furchtbar zu donnern und zu blitzen. Jetzt besteigt der Bauer das Roß und will schnell nach Hause reiten, da hört er aber hinter sich ein schallendes Hohngelächter; er schaut sich um und sieht den Teufel auf dem Pfluge sitzen. Der ergreift den Zügel des Rosses und fährt mit dem Bauern und dem Pfluge in den Erdpfuhl hinein.

3.

Einst sagt ein Mädchen aus Lüthorst, sie wolle in den Erdpfuhl springen und zum Andenken ihre Pantoffeln da stehen lassen, die Leute möchten nur Acht darauf geben, ob etwas weißes aufs Wasser käme; geschähe dieß, so sollten sie nur ruhig stehen bleiben, kämen aber zwei Blutstropfen aufs Wasser, dann sollten sie aufs schnellste davon laufen. Als sie hineingesprungen ist, kommen zwei Blutstropfen auf das Wasser; da eilen die Leute schnell fort bis auf den Teichbrink, wo sie nicht mehr weiter können. Aus dem Wasser kommt nun ein Haken ihnen nach, der will sie ins Wasser ziehen; allmählich wird aber aus dem Haken ein Hund, das ist der Teufel gewesen; doch ist dieser wieder zurückgelaufen. Dann kommt eine Stimme aus dem Erdpfuhle, die sagt: unten in der Tiefe wäre eine schöne Stube, und darin ein goldener Tisch und ein goldener Haspel; an dem Tische aber säße eine weiße Jungfrau, und ein großer Hund wäre mit einer Kette an dem Tische »festgebannt.« Ein Mensch, der noch nichts Böses gethan hätte, ließ sich die Stimme weiter vernehmen, könne die weiße Jungfrau erlösen und werde dafür große Schätze bekommen.

4.

Da wo jetzt der Erdpfuhl ist, hat vor Alters eine Kirche gestanden. Diese ist in die Erde versunken, und so der Pfuhl entstanden. Noch jetzt befindet sich in der Tiefe eine goldene [54] Glocke; sie steht auf einem Tische und unter dem Tische liegt ein großer schwarzer Hund. Weil nun die Rede so geht, kommt ein Taucher (wâterdüker), nimmt Leute aus Lüthorst mit und will die goldene Glocke herauf holen. Die Leute aus Lüthorst sind dem Manne behülflich, machen über dem Erdfalle ein Gewinde und befestigen daran ein langes und starkes Seil. Nun geht der Taucher an dem Seile hinunter, sagt aber vorher, wenn er ziehe, so sollten sie aufwinden. Nachdem er eine Weile unten gewesen ist, zieht er, und sie winden ihn in die Höhe. Als er wieder heraus gekommen ist, erzählt er, daß es unten ganz so sei, wie die Rede gehe; eine goldene Glocke stehe auf einem Tische und ein großer schwarzer Hund liege unter demselben. Er wolle noch einmal hinunter und die Glocke seilen; wenn er sie geseilt hätte, dann wolle er ziehen und sie sollten ihn hinaufwinden, wenn sie aber wänden und er käme nicht wieder herauf, dann wäre er verloren und die Glocke sei nicht zu gewinnen (to redden); in diesem Falle käme Blut aufs Wasser. Sie sollten dann, fügte er hinzu, in Zukunft niemals wieder einen dazu lassen. Als er wieder eine Weile unten gewesen ist, und die Glocke geseilt hat, rührt er das Seil. Jetzt fangen sie an zu winden, aber obgleich viele an der Winde stehen und sich abmühen, so wissen sie doch kaum die Winde herum zu bringen, so schwer ist die Glocke. Auf einmal wird es ganz leicht und sie winden das leere Seil wieder empor. Als sie es heraufgewunden haben, da finden sie etwas Blut daran, und ein Bischen kommt auch aufs Wasser. Der Taucher aber erscheint nicht wieder.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 73. Der Erdpfuhl bei Lüthorst. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B9A8-6